Sonntag, 30. März 2025

Mediatheken-Tipps (30. März 2025)

Echoes: Franz Ferdinand (Konzert, 2022) Die Schotten, die den Sound meiner 2000er mitgeprägt haben, spielen in Frankreich ein Hit-Potpourri, bei dem Take Me Out, The Dark Of The Matinée und Lucid Dreams selbstredend nicht fehlen dürfen. arte-Mediathek, abrufbar bis zum 3. April 2025

"Zurück in die Zukunft": Wie ein Film zeitlos wurde (Doku, 2022) In gewohnt-verlässlicher Manier der nicht ganz einstündigen arte-Popkulturdokus braust diese Zurück in die Zukunft-Verneigung durch die Entstehung und das kulturelle Echo des Zemeckis-Blockbusterklassikers. arte-Mediathek, abrufbar bis zum 21. Mai 2025

Black Sabbath: The End (Konzert, 2017) Die Heavy-Metal-Urväter beendeten ihre The End-Tour in Birmigham und fetzten sich dabei eindrucksvoll durch ihre imposante Diskografie. arte-Mediathek, abrufbar bis zum 31. August 2025

Sergej Prokofjew: Peter und der Wolf (Konzert, 2025) Das ikonische Orchestermärchen, umgesetzt mit Jean Reno als Erzähler und Renaud Capuçon als Dirigent und inhaltlich hie und da abgemildert. Aber hört selbst.. arte-Mediathek, abrufbar bis zum 3. September 2025

La Ciotat: Der erste Filmstar der Geschichte (Reportage, 2024) arte besucht den sonnigen Schauplatz diverser früher Lumière-Filme. arte-Mediathek, abrufbar bis zum 1. Februar 2026

Moby: Play 25 im Sportpaleis Antwerpen (Konzert, 2024) arte hat die Live-Wiederaufführung des einflussreichen Moby-Albums in sogleich zwei Fassungen in petto - einmal etwa eineinhalb Stunden, einmal knapp zwei Stunden lang. Als Bonus gibt es auch Moby-Hits aus anderen Alben, darunter selbstredend auch Lift Me Uparte-Mediathek, abrufbar bis zum 11. November 2026

Donnerstag, 20. März 2025

Schneewittchen

Disneys neuster Realfilm Schneewittchen hat weniger mit Jon Favreaus abscheulichem, künstlerisch vollkommen wertlosem Der König der Löwen gemeinsam als mit Kenneth Branaghs Cinderella: Statt den Zeichentrickklassiker der Walt Disney Animation Studios noch einmal aufzuziehen, nur langsamer und hässlicher, sollte Marc Webbs Fantasymusical als weitere Interpretation des Märchens aufgefasst werden. Als weitere Interpretation des Märchens, die halt ebenfalls unter dem Disney-Banner erscheint und sich daher ein paar Rückgriffe auf den animierten Meilenstein nicht verkneifen kann, selbst wenn die zentrale Geschichte einen eigenen, dramatischeren Dreh bekommt.

Wie Branaghs Cinderella imitiert Webbs Schneewittchen diverse denkwürdige Einstellungen aus dem (nahezu) gleichnamigen Zeichentrickfilm, überträgt einzelne gezeichnete Kleidungsstücke in die Realität und greift ausgewählte Musikeinlagen auf. Abseits dessen lösen sich beide Filme vom engen Fokus der Disney-Zeichentrickfilme und erzählen zusätzlich vom Königreich rund um die titelgebende Prinzessin sowie davon, welche Auswirkungen ihre Familienvorgeschichte auf ihr emotionales Befinden hat.

An Branaghs ziemlich rundem Cinderella reicht Webbs Schneewittchen jedoch nicht gänzlich heran. Beispielsweise ist beim Lily-James-Vehikel der Wechsel in eine dramatischere Tonalität konsequent, während Schneewittchen zwar die Familienproblematik der Protagonistin ausbaut und zudem die Geschichte eines in Empathielosigkeit gefallenen Königreichs erzählt. Allerdings wird dieses Mehr an Dramatik nicht konsequent zum erwachseneren Ansatz. Beispielsweise sind die Gruselpassagen des Zeichentrickfilms gestutzt, und anders als der intuitiv verständliche Zeichentrickfilm übererklärt sich der Spielfilm.

Das größte Problem des neuen Schneewittchen-Films ist allerdings Wonder Woman-Star Gal Gadot, die als böse Königin eine hölzerne, verkrampfte Vollkatastrophe darstellt und nicht einmal böse gucken kann, ohne dass es unfreiwillig komisch wird. Ironischerweise ist der neue Schurkensong der bösen Königin rein melodisch und textlich einer der besseren neuen Songs, die das Greatest Showman-Duo Benj Pasek und Justin Paul für dieses Projekt verfasst hat. Wer allein auf Englisch schwört, wartet also auf eine Coverversion, um zu erkennen, welches Potential in ihm steckt. Synchronfans können sich indes freuen, dass Dakota Johnsons deutsche Stimme Rubina Nath deutlich, deutlich besser singen kann als Gadot, und im Falle von Schneewittchen auch mal diese Mimin vertonen darf.

West Side Story-Star Rachel Zegler ist wiederum ein hervorragendes Schneewittchen: Sie fängt eingangs die scheu-gutherzige, mitunter in Passivität gleitende Art des Zeichentrickvorbilds toll ein, was angesichts der vertieften Vorgeschichte zudem kein reines Trickfilm-Imitat ist, sondern eine nachvollziehbare, emotionale Grundhaltung. Aus dieser wächst das Realfilm-Schneewittchen sukzessive heraus (wenn der Film schon länger ist, soll auf Charakterebene auch bitte mehr passieren), sodass aus passiver Gütigkeit nach und nach eine inspirierende Widerstandsfähigkeit entsteht.

Es wäre interessant, zu wissen, was Secretary-Drehbuchautorin Erin Cressida Wilson und eine an früheren Fassungen beteiligte, nun nicht mehr als Autorin genannte Greta Gerwig ursprünglich geplant hatten. Denn der Eindruck lässt sich nicht abschütteln, dass Schneewittchens Charakterzeichnung komplexer und bewegender angedacht war. Im fertigen Film stottert der Erzählfluss gelegentlich durch eingeschobene, kurze Imitationen des Zeichentrickklassikers. Doch Zeglers Fähigkeit, innerhalb eines Wimpernschlags von großäugig-schüchtern zu freundlich-unbeirrbar zu wechseln, und ihr Gesangstalent glätten diese Skriptpolterei recht gut aus.

Inszenatorisch ist Schneewittchen zwar wahrlich kein großer Wurf, aber im Kanon der Disney-Realverfilmungen einer der beständigeren Titel: Waldkulissen mit kontrastreichem DEFA-Charme, ausstaffierte Dorfsets und kalt-prunkvolle Schloss-Innenarchitektur ergeben ein stimmiges Ganzes, inklusive einer den emotionalen Faden der Handlung stützenden Farbdramaturgie. Und selbst wenn sich wieder einmal einzelne, halbgare Chromakey-Augenblicke in den Film geschlichen haben, sind sie viel, viel rarer gesät als in den meisten Big-Budget-Franchise-Projekten der letzten Zeit. 

Da kommt dem Film das stringente Design zugute: Alles, was nicht menschlich ist, hat in diesem Film eine schimmernde Kindchenschema-Ästhetik. Waldtiere sind fast schon im parodistischen Maße knuffig, die Zwerge wirken etwas aufgedunsen, aber fügen sich wesentlich besser in die Gesamtästhetik des Films, als die Trailer befürchten ließen. Und das Effektteam lässt die Zwerge sogar recht solide "schauspielen": Ihre Pointen funktionieren, Momente, in denen sie über sich hinauswachsen, fallen in die Sparte "glaubwürdig genug". Hier gilt: Für sich völlig fein, die Existenz der meisterhaften Zeichentrickanimation ist der größte "Feind" des Remakes. 

Schneewittchens Schwarm, dieses Mal ein mit "Flynn Rider light"-Persönlichkeit ausgestatteter Dieb namens Jonathan anstelle eines namen- und persönlichkeitslosen Prinzen, überflügelt derweil mühelos die Trickfilmkonkurrenz. Schließlich hat dieser Gauner wenigstens etwas Profil und ist zudem mit seinen Überzeugungen, und der Art, wie sie Schneewittchen beeinflussen, handlungsrelevanter als im Klassiker von 1937, wo es keinen echten Unterschied gemacht hätte, ob der Prinz herbeigeritten kommt oder eine gute Fee die Prinzessin aus ihrer Lage befreit.

Der mit Jonathan und Schneewittchens "Wie lange will ich einfach aushalten, ab wann will ich dafür sorgen, dass ich nichts mehr aushalten muss, sondern mich entfalten kann?"-Zauderei verbandelte Handlungsfaden darüber, wie die böse Königin ihr Königreich und dessen Solidaritätsgefühl ruiniert, fügt sich organisch mit den altbekannten Story-Versatzstücken. Und auch wenn diese Widerstandserzählung angesichts der Tagespolitik zahm wirken mag, und nicht einmal unter der Disney-Flagge zu den aufrüttelndsten Geschichten dieser Art gehört: Sie gibt dem Realfilm schon im Alleingang eine Daseinsberechtigung (wer nochmal dasselbe sehen will, kann ja nochmal den Zeichentrickklassiker gucken) und schiebt ihn beispielsweise an Guy Ritchies fahrigem Aladdin vorbei. Geschweige denn an den völlig konfusen Maleficent-Filmen.

Fazit: Schneewittchen hätte im Schnitt noch etwas gestrafft werden sollen und leidet unter einer fehlbesetzten Schurkin. Und die neuen Gesangseinlagen sind mal so, mal so. Aber eine ebenso fähige wie sich freudig in die Rolle stürzende Rachel Zegler sowie eine, ja, eigenwillige, aber farbenfrohe und konsistente Ästhetik helfen Schneewittchen, zum soliden Fantasymusical heranzuwachsen. Im Kanon der Disney-Realfilmremakes einer der annehmbareren Einträge. Gewiss: Wer selbst Kenneth Branaghs Cinderella ablehnte, dürfte es auch hier schwer haben. Als moderne Zusatzoption zum Zeichentrickklassiker ist der Film aber tausendmal willkommener als der Susi und Strolch-Realfilm oder Robert Zemeckis' Pinocchio und mir auch lieber als Guy Richties seeeeeeltsamerweise weniger digitalen Hass abkriegender Aladdin.

Montag, 10. März 2025

Mediatheken-Tipps (10. März 2025)

Der Kontrakt des Zeichners (Kostüm-Krimi-Dramödie, 1982) Peter Greenaways Durchbruch ist ein origineller Genrehybrid mit starken Bildern und verkopft-provokant-neckischen Einfällen. Aber ich habe woanders schon mehr dazu geschrieben... arte-Mediathek, abrufbar bis zum 17. März 2025

Der Ökothriller "Soylent Green": Alarmstufe rot aus Hollywood (Dokumentation, 2022) Die kompakte Doku blickt auf Soylent Green, die Umstände, in denen er entstanden ist, seine Nachwirkung und die anhaltende Aktualität seiner Aussage. arte-Mediathek, abrufbar bis zum 21. März 2025

Thelma & Louise (Roadtrip-Dramödie, 1991) Ridley Scotts bahnbrechender Roadtrip mit Thrillerelementen und Westernanleihen macht aus Callie Khouris Skript eine packend-amüsante Genreübung und Susan Sarandon & Geena Davis zu einem fabelhaften Duo. arte-Mediathek, abrufbar bis zum 7. April 2025

Die Pionierinnen des Fahrrads (Doku, 2023) Wusstet ihr, dass die Erfindung des Fahrrads eine große Rolle in der Emanzipation der Frau spielte? Diese Doku skizziert nach, weshalb! arte-Mediathek, abrufbar bis zum 1. Juni 2025

Thelma & Louise – Ein feministischer Western (Doku, 2024) Wie ist Thelma & Louise entstanden, wie denken Beteiligte heute über ihn und wie geht er mit seinen Genre-Vorgängern um? Innerhalb knapp einer Stunde erörtert diese Doku es! arte-Mediathek, abrufbar bis zum 6. Juni 2025

Reschke Fernsehen - Liebespaar oder Lebensgefahr: Wie Gewalt Frauen bedroht (Satire-Infotainment-Magazin, 2025) Schon am 6. März gab es dieses Jahr den stärksten Beitrag zum feministischen Kampftag: Reschke Fernsehen rechnet mit Witz, Wut, geballten Informationen und Ehrfurcht damit ab, wie wenig unsere Gesellschaft tut, um Frauen zu schützen - und wie gerne weiße, alte Herren die Schuld auf fremden Schultern abladen. ARD-Mediathek, unbekanntes Ablaufdatum

Sonntag, 2. März 2025

Mediatheken-Tipps (2. März 2025)

Der brave Soldat Schwejk (Pazifistische Kriegskomödie, 1960) Die Vorlage in ihrer Schärfe abschwächelnde, dennoch charmante, in ihrer Aussage deutliche und schelmisch-witzige Antikriegskomödie mit einem tollen Heinz Rühmann in der wahlweise überaus gewieften oder extrem vom Glück verwöhnten Hauptrolle. 3sat-Mediathek, abrufbar bis zum 4. März 2025

Ente gut! Mädchen allein zu Haus (Familienkomödie, 2016) Eine Elfjährige und ihre kleine Schwestern sind aufgrund eines Familiennotfalls auf sich allein gestellt - und müssen klug taktieren, um das vor dem Jugendamt und gemeinen Leuten aus der Nachbarschaft geheim zu halten. Kurzweiliger Spaß mit Botschaft und launigen Figuren. ARD-Mediathek, abrufbar bis zum 24. März 2025, 8.05 Uhr

Sisters with Transistors (Musik-Dokumentation, 2020) Kompakte, informative Doku über die Vorreiterinnen der elektronischen Musik. arte-Mediathek, abrufbar bis zum 31. März 2025

Artistik aus einer anderen Welt: Gravity & Other Myths (Akrobatik-Porträt, 2024) Eindrucksvoll bebildertes Dokuporträt der Akrobatikkompanie Gravity & Other Myths. ARD-Mediathek, abrufbar bis zum 25. April 2025, 5 Uhr 

Black Box (Streit-Dramödienthriller, 2023) Toll besetzter Film über Misstrauen, Vorurteile, Wut und verschleppte Rachegefühle in einem Berliner Hinterhof. ZDF-Mediathek, abrufbar bis zum 13. Juni 2025

Soundtrack für einen Staatsstreich (Politische Musikdoku, 2024) Aktuell im Oscar-Rennen, jetzt schon bei arte abrufbar: Aufschlussreiche Doku über die Wechselwirkung zwischen Musik, gesellschaftlicher Stimmung und politischer Wende, zentral erzählt am Beispiel der Sängerin Abbey Lincoln und des Schlagzeugers Max Roach, die, nachdem der Menschenrechtler und kongolesische Präsident Patrice Lumumba ermordet wurde, aus Protest den UN-Sicherheitsrat stürmten. Doch es sind noch viele weitere Jazzgrößen Thema. arte-Mediathek, abrufbar bis zum 11. September 2025

Samstag, 1. März 2025

Oscars 2025: Meine Prognose für die 97. Academy Awards


Ich will die Oscar-Saison nicht vor dem Ende der Verleihung loben. Aber bisher fand ich es einen guten Academy-Award-Jahrgang. Ich finde acht der zehn "Bester Film"-Anwärter mindestens gut, die online unter Filmfans heiß diskutierten Kontroversen sind bloß das (zu heiß gekochtes, teils nerviges Online-Blabla, das bald vergessen sein wird), und mit den Nominierungen bin ich auch größtenteils zufrieden.

Und: Es scheint mir eine schwer vorherzusagende Saison zu sein, was die Spannung während der Verleihung in die Höhe treiben könnte. Aber es wird auch sicherlich meine Prognosen-Trefferquote nach dem 22/23 aus dem vergangenen Jahr sicher enorm vermiesen. Doch wer nicht wagt, der nicht gewinnt: Das hier sind sie, meine Vorhersagen für die große Nacht der Hollywood-Nächte.

Bester Kurzfilm
Anuja
Ich bin kein Roboter
The Last Ranger 
A Lien 
Der Mann, der nicht schweigen wollte 

A Lien hat englischsprachigen Dialog und ist ein stressiger Kurzfilm über drohende Abschiebungen und stressige Green-Card-Beschaffungsbürokratie. Das dürfte den US-Anteil der Academy magnetisch anziehen.

Bester Animationskurzfilm
Beautiful Men
In the Shadow of the Cypress 
Magic Candies 
Wander to Wonder 
Beurk! 

Seit vielen Jahren dominieren in dieser Sparte englischsprachige Filme, noch dazu handelt Wander to Wonder oberflächlich von Medien, unter der Oberfläche von Einsamkeit und Sinnsuche. Das halte ich für eine gewinnende Kombi (zumal der zugänglichste Film, der knuffige Beurk! recht simpel animiert ist und in französischer Sprache gehalten).

Beste Kurzdokumentation
Death by Numbers 
Die einzige Frau im Orchester
I Am Ready, Warden
Incident 
Instruments of a Beating Heart

Abseits von Die einzige Frau im Orchester wahrlich keine Wohlfühlkategorie. Ich ahne, dass die Amoklauf-Doku Death by Numbers durch die Kombination aus für die USA brennend-relevantem Thema und zugänglich-emotionalisierender Herangehensweise die Nase vorne hat. Die durch Überwachungskamera-Material zusammen geklöpelte BLM-Doku Incident hat aber auch gute Chancen.

Bester internationaler Film
Emilia Pérez, Frankreich
Flow, Lettland
Für immer hier, Brasilien
Das Mädchen mit der Nadel, Dänemark
Die Saat des heiligen Feigenbaums, Deutschland

Wenn ein Film in dieser Sparte auch in der Hauptkategorie mitmischt, gewinnt er diesen Oscar. Das ist bislang ungeschriebenes Gesetz, trifft dieses Mal aber auf zwei Filme zu. Emilia Pérez hat 13 Nominierungen auf der Haben-Seite, Für immer hier das Momentum: In den vergangenen Wochen hat das Team hinter dem Film ordentlich die Trommel gerührt - und so immer mehr Interessenten für den dramatischen, eindringlichen Film gefunden. Ich tippe auf Für immer hier und bin jetzt schon genervt, weil Film-YouTube das als Beweis werten wird, dass die Kontroversen Emilia Pérez geschadet hätten. Ich sehe es eher als Beweis, dass "In vielen Kategorien geachtet" bei der Academy nun einmal nicht die halbe Miete ist. Wenn das Thema und seine Umsetzung hängen bleiben: Das ist die halbe Miete. Und die hat hier der Militärdiktatur-Film in der Hand...

Bester Dokumentarfilm
Black Box Diaries
No Other Land
Porcelain War
Soundtrack to a Coup d’Etat
Sugarcane

No Other Land gewann zahlreiche Preise, hat aber keinen US-Verleih und daher einen Nachteil im Oscar-Rennen: Es ist einfach, auf einem Festival für ihn zu stimmen, wenn man Teil der Jury ist und ihn auf dem Silbertablett serviert bekommt. Wenn man aber Teil der Academy ist und sich zu einem der sporadischen Sonderscreenings aufraffen muss, sieht das schon anders aus. Porcelain War gewann wiederum den U.S. Documentary Grand Jury Prize beim Sundance Film Festival sowie den Doku-Preis der Regiegilde, zudem war er (im Gegensatz zu allen anderen nominierten Filmen) im Rennen um den Doku-Preis der Produzent:innen-Gewerkschaft. Ich tippe auf's Porzellan!

Bester Animationsfilm
Flow
Alles steht Kopf 2
Memoir of a Snail
Wallace & Gromit – Vergeltung mit Flügeln
Der wilde Roboter

Wenn ein Animationsfilm in weiteren technischen Kategorien nominiert wird, ist das eigentlich ein nahezu sicheres Zeichen, dass er diesen Preis gewinnt. Es müsste also Der wilde Roboter werden. Aber da Flow den Globe gewann, es einen (Shrek ausgenommen) Anti-DreamWorks-Computeranimation-Bias in der Academy zu geben scheint und angesichts der immer internationaler werdenden Academy bin ich mir nicht soooo sicher. Ich wage einen riskanten Flow-Tipp, vernünftige Tippspielsüchtige wählen den Roboter.

Beste Effekte
Alien: Romulus
Better Man – Die Robbie Williams Story
Dune: Part Two
Planet der Affen: New Kingdom
Wicked

Bei den Visual Effects Society Awards gewann die Wüstensaga vier Preise, nicht aber den Preis für die besten Effekte eines fotorealistischen Films. Diese Trophäe ging an die Affen. Ich sage mal vorsichtshalber Dune: Part Two vorher, weil ja die ganze Academy abstimmt. Aber sollte Planet der Affen: New Kingdom gewinnen, ihr wisst jetzt, weshalb!

Bestes Make-Up und Hairstyling
Emilia Pérez
A Different Man
Nosferatu – Der Untote
The Substance
Wicked

Die Academy hat jahrzehntelang Horror in dieser Kategorie unter Gebühr verkauft. Aber es ist halt nicht mehr dieselbe Academy wie früher, und ich sage in einer größeren Kategorie ebenfalls The Substance vorher. Heißt: Ich glaube an Zuspruch für diesen Film. Da muss er doch auch in dieser Kategorie mühelos mit dem Sieg davonziehen?

Bestes Szenenbild
Der Brutalist
Konklave
Dune: Part Two
Nosferatu – Der Untote
Wicked

Das Team hinter Wicked (Nathan Crowley & Lee Sandales) hat in dieser Auflistung die meisten früheren Oscar-Nominierungen auf dem Kerbholz, und manchmal heißt es bei den Oscars ja: Viel hilft viel. Aber ich wäre sehr glücklich, wenn es Der Brutalist wird. Und mit Konklave wäre ich angesichts des hervorragend herbeigemogelten Vatikan-Settings ebenfalls ohne zu murren einverstanden.

Bestes Kostümdesign
Like A Complete Unknown
Konklave
Gladiator II
Nosferatu – Der Untote
Wicked

Paul Tazewell dominierte die vergangenen paar Wochen und sicherte somit Wicked einige Preise. Da wird sich gewiss nun noch ein Oscar dazugesellen.

Beste Kamera
Lol Crawley für Der Brutalist
Greig Fraser für Dune: Part Two
Paul Guilhaume für Emilia Pérez
Ed Lachman für Maria
Jarin Blaschke für Nosferatu – Der Untote

Der Brutalist ist ungeheuerlich bildgewaltig, ein monumentales Kunstwerk - und gewann auch schon ein paar Kamera-Preise, darunter den BAFTA. Ich bin mir dank dieser Sparte recht siegesbewusst, mir wenigstens einen Prognosenpunkt sichern zu können.

Bester Ton
Like A Complete Unknown
Dune: Part Two
Emilia Pérez
Wicked
Der wilde Roboter

Die Dune-Fans dürfen aufatmen: Der wuchtige Sound wird sich wie bei den BAFTAS gegen den Rest durchsetzen. 

Bester Song
The Journey aus The Six Triple Eight
Like a Bird aus Sing Sing
El Mal aus Emilia Pérez
Mi Camino aus Emilia Pérez
Never Too Late aus Elton John: Never Too Late

Saldañas beste Szene in Emilia Pérez und die beste Original-Musicaleinlage des Kinojahres 2024.

Beste Musik
Daniel Blumberg für Der Brutalist
Volker Bertelmann für Konklave
Clément Ducol und Camille für Emilia Pérez
Kris Bowers für Der wilde Roboter
John Powell und Stephen Schwartz für Wicked

Das wiederkehrende Thema aus Der Brutalist wird in die Filmgeschichte eingehen, und dürfte allen im Ohr festsitzen, die den Film gesehen haben. Das muss doch eine einfache Sache werden?

Bester Schnitt
Anora
Der Brutalist
Konklave
Emilia Pérez
Wicked

Der kompakte, mitreißende kleine Thriller oder die rasante Komödie? Ich tippe auf Konklave, wenn es Anora wird, wäre ich aber kein Stück überrascht.

Bestes adaptiertes Drehbuch
James Mangold und Jay Cocks für Like A Complete Unknown
Peter Straughan für Konklave
Jacques Audiard, Thomas Bidegain, Léa Mysius und Nicolas Livecchi für Emilia Pérez
RaMell Ross und Joslyn Barnes für Nickel Boys
Clint Bentley und Greg Kwedar für Sing Sing

Mit dem BAFTA und dem Globe im Rücken dürfte dies an Konklave gehen, zumal sich (denke ich) die Stimmen derjenigen, die in dieser Sparte anspruchsvoll abstimmen wollen, über Nickel Boys und Sing Sing verteilen dürften.

Bestes Original-Drehbuch
Sean Baker für Anora 
Brady Corbet und Mona Fastvold für Der Brutalist
Jesse Eisenberg für A Real Pain 
Moritz Binder, Tim Fehlbaum und Alex David für September 5
Coralie Fargeat für The Substance

Baker gewann den Preis der Autor:innen-Gilde, A Real Pain hatte bei den BAFTAs die Nase vorne und Der Brutalist ist ein Gesamtkunstwerk (das aber bisher nicht DEN alles entscheidenden Drehbuch-Sieg verbuchen konnte). Ich tippe auf Anora, würde mich aber für alles außer A Real Pain freuen. 

Beste Nebendarstellerin
Monica Barbaro für Like A Complete Unknown
Ariana Grande für Wicked
Felicity Jones für Der Brutalist
Isabella Rossellini für Konklave
Zoë Saldaña für Emilia Pérez

Saldaña gewann praktisch alle nennenswerten Indikatorpreise. Sie hat das in der Tasche.

Bester Nebendarsteller
Juri Borissow für Anora
Kieran Culkin für A Real Pain
Edward Norton für Like A Complete Unknown
Guy Pearce für Der Brutalist
Jeremy Strong für The Apprentice: The Trump Story

Ich finde A Real Pain brutal überbewertet und habe auch den Eindruck, dass sich Culkin bloß halbherzig durch den Film schnoddert, nachdem Emma Stone ihn davon abgehalten hat, das Projekt zu verlassen. Aber fast alle anderen finden ihn super in dem Film, zudem gewann er praktisch alle wichtigen Indikatorpreise. Er wird es, und ich werde mit den Augen rollen. (Borissow und Pearce wären deutlich verdientere Gewinner.)

Beste Hauptdarstellerin
Cynthia Erivo für Wicked
Karla Sofía Gascón für Emilia Pérez
Mikey Madison für Anora
Demi Moore für The Substance
Fernanda Torres für Für immer hier

Ein Drei-Personen-Rennen: Demi Moore hat die Comeback-Narrative, den Globe und den SAG Award. Mikey Madison den BAFTA und den Oscar-tauglicheren Film. Fernanda Torres hat ebenfalls einen Globe, zudem gewaltiges Momentum, zumal Für immer hier es auf den Schultern ihrer Darbietung in die Hauptkategorie geschafft hat. 

Es ist die Kategorie, die mich dieses Jahr am meisten stresst, zumal Comeback-Rollen zwar die Presse packen, aber wie Mickey Rourke einst erlebte: Sie führen nicht immer zu Brendan-Fraser-Siegen. Andererseits bewies Everything Everywhere All At Once, dass die verjüngte Academy an wilden Filmen interessiert ist (und Meta-Narrativen)... Ich tippe auf Moore, halte aber Madison und Torres ebenfalls für möglich. Gascón und Erivo wären für mich große Überraschungen!

Bester Hauptdarsteller
Adrien Brody für Der Brutalist
Timothée Chalamet für Like A Complete Unknown
Colman Domingo für Sing Sing
Ralph Fiennes für Konklave
Sebastian Stan für The Apprentice: The Trump Story

Wichtig wäre mir, dass in dieser Kategorie Chalamet für sein eindimensionales Gewimmer in Like A Complete Unknown leer ausgeht. Jubeln würde ich für Fiennes (eher seichter Stoff im Vergleich zu meinen anderen beiden Favoriten, aber er rockt es einfach), Domingo (berührend) und Brody (eine sensationelle, zehrende Leistung... und meine Prognose).

Beste Regie
Jacques Audiard für Emilia Pérez
Sean Baker für Anora
Brady Corbet für Der Brutalist
Coralie Fargeat für The Substance
James Mangold für Like A Complete Unknown

Baker gewann den Preis der Regie-Gewerkschaft, weshalb er die klügere Wahl wäre. Aber wenn bei den Oscars in jüngerer Vergangenheit Regie und Film gesplittet wurden, gewann der technisch eindrucksvollere Film den Regie-Preis. Siehe: Alfonso Cuarón für Gravity versus 12 Years a Slave, Alejandro G. Iñárritu für The Revenant vs. Spotlight, Damien Chazelle für La La Land vs. Moonlight, Alfonso Cuarón für Roma vs. Green Book und Jane Campion für Power of the Dog vs. CODA.

Es ist fast so, als würden unentschlossene Academy-Mitglieder ihren Kopf in dieser und ihr Herz in der anderen Sparte sprechen lassen (hinzu kommen die unterschiedlichen Auswertungsmechanismen). Möglich natürlich, dass Baker sich hier einfach durchsetzt, und all meine Überlegungen vergebens waren. Aber ich glaube, dass sich die Fans von Der Brutalist öfter durchsetzen als bisher in meiner Prognose vorhergesagt. Also tippe ich auch noch auf diesen Preis. Immerhin gewann Corbet den Globe, den BAFTA und diverse regionale Kritikenpreise. Das sollte gereicht haben, um ihn neben Baker bei den Academy-Mitglieder im Hinterkopf fest zu zementieren.

Bester Film
Anora
Der Brutalist
Like A Complete Unknown
Konklave
Dune: Part Two
Emilia Pérez
Für immer hier
Nickel Boys
The Substance
Wicked

Konklave hat den BAFTA und den Ensemblepreis bei den SAG Awards, aber Anora gewann bei den Producers Guild Awards, die Goldene Palme, das Wohlfühl-Momentum und die "Endlich bist du voll im Club angekommen"-Narrative für Sean Baker. Der Brutalist stand dank mehrerer Kritiker-Preise und dem Globe-Drama-Sieg im Rampenlicht und wird sicher noch in kommenden Jahrzehnten sehr, sehr oft thematisiert. Aber wird das die Academy jetzt schon jucken?

Ich tippe auf Anora dank des Momentums und der Mischung aus Humor und Anspruch-Nachglühen vergangener Baker-Filme, womit sich mehrere Winkel der Academy abgeholt fühlen dürften. Und ich bin sehr gespannt, wie das alles am Ende ausgeht...