Tootsie (Travestie-Komödie, 1982) Klassiker des mainstreamtauglichen Crossdressing-Humors mit Dustin Hoffman als perfektionistischen, aber anstrengenden und daher wenig gefragten Schauspieler. Um weiter mit seiner Passion, statt mit Nebenjobs, über die Runden zu kommen, verkleidet er sich als Frau und wird zur resoluten Seifenoper-Newcomerin. Die Folge: Großer, eloquenter und temporeicher Spaß über einen Mann, der sich einbildet, dass Frauen es leichter haben, und erkennen muss, wie sehr er damit irrt. Ein Film der meiner bescheidenen Meinung nach längst nicht derart gealtert ist, wie man vielleicht vorschnell urteilen würde: Genderrollen hinterfragenden Humor konnte man auch "früher". (Was unter anderem Fans von Manche mögen's heiß natürlich nicht überraschen dürfte.) ZDF-Mediathek, abrufbar bis zum 27.Februar 2024
Herr Bachmann und seine Klasse (Dokumentarfilm, 2021) Maria Speth blickt auf Gesamtschullehrer Dieter Bachmann aus Hessen. Im Fokus steht sein Unterricht einer sechsten Klasse, die sich aus 12- bis 14-Jährigen zusammensetzt. Gezeigt wird insbesondere der Unterrichtsalltag, aber auch Gespräche, die Bachmann professionell oder privat mit seinem Kollegium führt, werden eingefangen. Ebenso sehen wir Augenblicke, in denen er seinen Schützlingen als beratende Seele in nicht-schulischen Fragen zur Seite steht. Wie Linklaters Boyhood, verfolgt Herr Bachmann und seine Klasse eine emotional-assoziative Logik: Wichtig ist, was von einem Schuljahr hängen bleibt, nicht das, was wir vorab als wichtig vermuten. Mehrmals sehen wir Jugendliche, die Angst vor einer baldigen Prüfung haben - aber die Prüfung wird nicht gezeigt. Wir sehen Streitschlichtung, aber nicht den Streit (und umgekehrt). Am Ende der intimen, überraschend kurzweiligen und höchstmenschlichen, intellektuell bereichernden 217 (!) Minuten fühlt man sich, als würde man diese ganze Klasse schon lange kennen - und steht vor empathisch-warmer Leere, weil man sie sich nun selbst überlässt. Herausragend! 3sat-Mediathek, abrufbar bis zum 13. März 2024
Schweigend steht der Wald (Thriller, 2022) Hotel Desire- und Fikkefuchs-Darstellerin Saralisa Volm wechselt die Seiten und liefert mit Schweigend steht der Wald ihr Langfilm-Regiedebüt ab. Auf Basis des gleichnamigen Romans von Wolfram Fleischhauer erzählt sie darin von Forststudentin Anja Grimm (Henriette Confurius), die den Wald auf nahezu übernatürlich anmutende Weise lesen kann. Mit Menschen tut sie sich derweil schwer. Als in einem für sie befremdlichen Dorf in der Oberpfalz erst ein Mord geschieht und dann auch noch der Täter Suizid begeht, begibt sich Anja auf Spurensuche - und wühlt so tief begrabene Unmenschlichkeit aus der deutschen Vergangenheit auf. Erzählerisch verdammend, visuell raffiniert und atmosphärisch! arte-Mediathek, abrufbar bis zum 16. März 2024
The Painted Bird (Schwarzweißes Antikriegs-Drama, 2019) In der Tradition von Andrej Rubljow und Letterboxds Lieblingsfilm Komm und sieh führt Václav Marhoul vor, wie matschig, harsch, trist und freudlos 35mm-Schwarz-Weiß-Bilder sein können. Gezeigt wird Polen 1939 nach dem Angriff der Deutschen, unser Fokus und Protagonist ist ein sechsjähriger Junge, der mehr Elend, Niedertracht, Schmerz und Hass mit ansehen muss, als man selbst den emotional gefestigsten Erwachsenen zutrauen würde - und doch wird unmissverständlich klar, dass er gerade einmal an der Oberfläche dessen kratzt, wie viel Grauen Krieg noch verursacht. (Und die verdorbene Seite der Menschen generell.) Wenn ihr euch nach Herr Bachmann und seine Klasse wieder runterziehen wollt: Bitteschön, dieser Meisterstreich der Erbarmungslosigkeit tut es! 3sat-Mediathek, abrufbar bis zum 18. März 2024
Re: Whisky-Boom mit Schattenseiten (Reportage, 2024) Dank neun weltweit hoch angesehener Destillerien und ihrer begehrten Produkte ist die schottische Insel Islay ein Träumchen für Whisky-Liebende. Allerdings ist das Geschäft mit Whisky mittlerweile so heiß umkämpft, dass die Auswirkungen ins Negative gekippt sind: Die Infrastruktur der kleinen Insel ist überlastet, die Destillerie-Angestellten finden kaum noch Wohnraum. Die arte-Reportage spricht mit Betroffenen, Whisky-Begeisterten und Unternehmergeistern, zudem schaut sie hinter die allem zum Trotz oftmals weiterhin gemütlich-rustikal anmutenden Kulissen der Whisky-Produktion auf Islay. arte-Mediathek, abrufbar bis zum 22. März 2028
MAITHINK X - Die Show: "Wie populistische Politiker uns verarschen" (Wissenschaftsshow, 2024) Unter den informativ-humoristischen Shows aus der ZDF-Familie, die sich hauptsächlich aus einem Monolog nähren, ist MAITHINK X - DIE SHOW mit einer größeren Informationsdichte versehen, reflektierter und zugleich deutlich lustiger als die Show, die regelmäßig auf Aspekte herumtrampelt. Trotz dieser massiven Qualitäten hat sie eine deutlich geringere Reichweite und schlägt weniger Wellen. Kurios. Vielleicht braucht es mehr Flachwitze und Schimpfwörter, um die Lücke zu schließen? Oder liegt es daran, dass aufgrund der inhärenten Nuanciertheit des Formats die provokant-steilen Thesen und der Selbstgefälligkeitsfaktor ausbleiben? Nun, wenigstens ist dem Format zum Staffelstart der "Die Presse berichtet voreilig"-Coup gelungen, auf den sonst der berühmtere Genrekollege ein Abo hat. Als MAITHINK-Twist wurde aber auch dem eigenen Publikum vorgeführt, wie leicht es sich aufpeitschen lässt. Und das beim Thema Polit-Populismus und mangelnde Sachlichkeit! Clever, clever! (Wenn ihr erst jetzt von dem Format erfahrt: Liebend gern die bisherigen Folgen nachholen und für den Rest der Staffel am Ball bleiben!) ZDF-Mediathek, abrufbar bis zum 24. Februar 2029
Warum Mediatheken-Tipps? Die Mediatheken der öffentlich-rechtlichen Sender sind ein unablässig sprudelnder Quell an sehenswerten Produktionen. Ob Spielfilm, Dokumentarfilm, Reportage, Konzertfilm, Serie, oder oder oder. Doch nicht nur, dass man da leicht den Überblick verlieren kann: Ich kenne einige Menschen, die den Mediatheken kaum oder gar keine Beachtung schenken. Mit dieser Artikelreihe möchte ich Orientierung bieten, ebenso wie Anreiz, sich vermehrt mit den Mediatheken zu befassen. Dazu gebe ich wöchentlich sechs Anschautipps.
Wieso sechs Tipps? Ich möchte, dass diese Artikelreihe händelbar bleibt. Für mich, damit ich sie neben meinen anderweitigen Verpflichtungen verfassen kann. Und für euch: Ich will euch nicht mit Anschautipps erschlagen. Sechs Tipps halte ich indes für umsetzbar: Selbst, wer alle Tipps ansprechend findet, kann sich täglich einen davon angucken, und hat dennoch bis zur nächsten Ausgabe der Reihe auch einen Tag "mediathekenfrei".
Die Mediatheken-Tipps erheben selbstredend keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit. Es gibt viel mehr zu sehen, als ich hier Woche für Woche nennen könnte.
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