Vier Filme lang war die Mission: Impossible-Reihe ein Vehikel für Regisseure mit einer etablierten (und teils überaus deutlichen) Handschrift, um sich stilistisch und tonal auszutoben, während Tom Cruise als verbissen kämpfender IMF-Agent die Welt rettet. Mit Mission: Impossible - Rogue Nation übernahm bei Teil fünf jemand das Steuer, der zwar kein Regie-Neuling war, aber selbst für große Teile des medienaffinen Publikums ein unbeschriebenes Blatt darstellte: Christopher McQuarrie erarbeitete sich zwar als Drehbuchautor einen achtbaren Rang, seine vorherigen Regiearbeiten The Way of the Gun und Jack Reacher ließen aber noch keine klare Handschrift vermuten.
Da hatten seine direkten Mission: Impossible-Vorgänger schon mehr etabliertes Profil, und dabei inszenierte J. J. Abrams vor Mission: Impossible III nur für's Fernsehen, während Brad Bird mit Teil vier seinen Sprung ins Realfilmfach wagte. Aber was nützt das lange Hinauszögern? McQuarrie erwies sich als hervorragende Wahl und lieferte mit Mission: Impossible - Rogue Nation einen packenden, temporeichen Agenten-Actioner ab, dem ein denkwürdiger Spagat gelang:
Der Film fühlt sich elegant und im besten Sinne altmodisch an (die Opernsequenz könnte auch von Hitchcock sein, Neuzugang Rebecca Ferguson versprüht als Ilsa Faust eine Aura von Katherine Hepburn und Ingrid Bergman, hätte man sie in einen modernen Big-Budget-Film gesteckt), zugleich ist er frisch und fesch. Analoge Spritzigkeit, könnte man das nennen. Zügig wurde beschlossen, dass er der Filmreihe treu bleibt, und mit Mission: Impossible - Fallout schuf er ein zweites filmisches Oxymoron: Teil sechs der Action-Saga ist eine Fortführung des vorhergegangenen Parts und trotzdem ein Biest für sich. Alte Konflikte werden fortgeführt, und dennoch steht der Film auf eigenen Beinen.
Auch McQuarrie erfand sich neu: Fallout sieht anders aus, klingt anders, läuft anders ab. Dunkler, getriebener, rauer, noch schneller. Pandemiebedingt dauerte es daraufhin fünf Jahre, damit sich McQuarries nunmehr dritter Mission: Impossible-Film auf die große Leinwand kämpfen konnte. Schon wieder krempelte er die Bild- und Klangästhetik sowie die Tonalität um. Dass er dies beabsichtigt und fähig ist, dies umzusetzen - damit hatte ich bereits gerechnet. Und trotzdem wurde ich bereits wenige Augenblicke nach Beginn von Mission: Impossible - Dead Reckoning (Teil 1) (was für ein Titel) überrascht.
Mein Fauxpas: Einstieg mit falscher Erwartungshaltung
Ich muss zu meiner Schande gestehen: Ich war sogar so sehr überrascht, dass ich ein paar Minuten benötigte, um meine sprichwörtlichen Antennen auf die Wellenlänge des Films auszurichten. Denn McQuarrie zieht nicht weiter das Tempo an!
Ja, Dead Reckoning ist erneut ein Popcorn-Blockbuster par excellence mit waghalsigen Stunts, ausschweifenden Verfolgungsjagden sowie Kampfeinlagen, und wesentlich mehr Unterhaltungsfaktor als Sinnsuche. Obwohl dies die erste Mission: Impossible-Fortsetzung ist, in der Paranoia eine relevante Rolle spielt (inhaltlich sowie bezüglich dessen, was der Film beim Publikum auslösen möchte), bleibt sie mit beiden Beinen im Agenten-Action-Metier. Statt sich also zu Brian De Palmas Auftakt der Filmreihe zu gesellen, der es sich abseits seiner gelegentlichen Action-Ausbrüche wesentlich bequemer im Gebiet der Spionage-Suspense gemacht hat.
Darum muss ich zugeben, dass ich aufgrund meiner falschen Erwartungshaltung (und eines Überschusses an Adrenalin - vor der Pressevorführung hatte ich mir nämlich erneut mit einer Schüssel selbstgemachtem Popcorn Teil sechs angeschaut) während des Prologs etwas unruhig und ungeduldig geworden bin. Mehr als ihr wohl gerade, die diese Kritik aufgerufen habt und euch bestimmt schon vor ein paar Absätzen gewundert habt, wann ich endlich mit meiner Meinung rausrücke, ob Teil sieben denn nun was taugt. Aber was soll ich sagen:
Nach ein paar selbstironischen, trotzdem die Dramatik des Plots unterstreichenden Dialogzeilen und einem brachialen Vorspann (visuell wie akustisch) hatte ich die Frequenz des Films endlich drin. Zumal uns der Vorspann in seiner Klangdramaturgie keck an der Nase entlangführt. Für sowas bin ich zu haben, und dann konnte Mission: Impossible - Dead Reckoning (Teil 1) auch für mich endlich so wirklich losgehen!
Kein reines Katz-und-Maus-Spiel um den MacGuffin
Um die Story im ganz, ganz Groben zu umreißen: Eine neue, mächtige Waffe treibt den Geheimdiensten dieser Welt den Schweiß auf die Stirn. Doch obwohl praktisch alle Entscheidungsträger Angst vor den Implikationen dieser Bedrohung haben, wollen sie sie an sich reißen. Als Ethan Hunt (Tom Cruise) davon Wind bekommt, beschließt er dagegen, sie zu zerstören. Dazu benötigt er allerdings zwei Hälften eines Sicherheitsschlüssels.
Um an sie zu gelangen, benötigt der nimmermüde Kämpfer fürs Gute die Hilfe seiner technologieerfahrenen Freunde Benji Dunn (Simon Pegg) und Luther Stickell (Ving Rhames), und muss sich dem unberechenbaren Terroristen Gabriel (Esai Morales) stellen. Außerdem kreuzen sich Ethans Wege mit den Bahnen der gerissenen Diebin Grace (Hayley Atwell), der brachialen Kämpferin Paris (Pom Klementieff) und der Weißen Witwe (Vanessa Kirby), einer verruchten Untergrund-Händlerin, mit der es Ethan schon einmal zu tun bekam. Und auch Ethans geschätzte Kumpanin / Gelegenheitsgegnerin Ilsa Faust (Rebecca Ferguson) ist im Kampf um die Schlüssel involviert...
Nach dem temporeichen Rogue Nation und dem nahezu atemlosen Hochdruck-Spektakel Fallout lässt McQuarrie in Dead Reckoning die Zügel wieder etwas lockerer. Auch, um Raum für die zentrale Bedrohung zu schaffen, die er und Co-Autor Erik Jendresen (Band of Brothers) nicht in ein Katz-und-Maus-Spiel verwickeln, wie es in den vergangenen zwei Mission: Impossible-Filmen zu bestaunen gab. Dieses Mal wird die Gefahr erläutert, sie wird vorgeführt und es gibt thematisch angetriebene sowie figurengesteuerte Sequenzen, in denen ihre Implikationen beleuchtet werden.
In den besten Momenten hat das einen Gänsehauteffekt, da in diesem Film ein einst wie Sci-Fi klingendes Plotelement sehr greifbar gemacht und tagesaktuell skizziert wird. Teils reichen ein paar messerscharfe, präzise Dialoge, um eine Beklemmung zu erzeugen, wie die Mission: Impossible-Reihe sie bei mir nie zuvor hervorgerufen hat. In den schlechtesten Passagen hat mich das Skript allerdings aus dem Film herausgerissen - und das selbst, nachdem ich überzeugt war, meine Erwartungshaltung arretiert zu haben:
Sämtliche Zurückhaltung, die McQuarrie als alleiniger Fallout-Autor bewiesen hat, wenn es um das Verbalisieren von Motiven, Bedrohungen und Verstrickungen ging, hat sich in Dead Reckoning verflüchtigt. Mehrmals fächeln McQuarrie und Jendresen die zügig offensichtlich gemachten Bedrohungen an, indem Figuren das Gesehene erklären und ausführlich darüber mutmaßen, was noch folgen könnte. An mehreren Stellen wird zusammengefasst, wer bereits was weiß, wo sich was befindet, und wer welche Absicht hat oder noch wohin muss. All diese Wiederholungen und verbalen Ausarbeitungen dessen, was durch Action oder Suspense-Momente bereits spürbar gemacht wurde, hatten bei mir den gegenteiligen Effekt - ich fieberte (kurzfristig) weniger mit.
Mission: Spaßbombe
Diesen Kritikpunkten zum Trotz macht Dead Reckoning extrem viel Spaß: Nach den Teilen fünf und sechs schiebt McQuarrie den Comedy-Faktor wieder nach oben, und erzählt diese Mission trotz aller thematischen und figurenbezogener Fallhöhe wieder in die humorige Schiene von Brad Birds Part. So klopft Benji vermehrt lockere Sprüche, mehrmals argumentieren sich moralisch graue Figuren zu komischem Effekt in eine Ecke, und selbst Ethan agiert gelegentlich ironischer, leichtfüßiger - etwa, wenn er auf erfrischend alberne Weise Anwaltsgehabe nachahmt.
Auch die Setpieces haben zwar nicht durchgehend, sehr wohl aber häufig einen kecken, launigen Ansatz. Etwa, wenn beim Einsatz direkt nach dem Vorspann Ethan eine Mission erledigt, Luther und Benji parallel dazu einen weiteren sprichwörtlichen Brandherd entdecken und mehr schlecht als recht versuchen, dies vor Ethan geheim zu halten - sie wollen ihn ja nicht stören.
Das komödiantische Highlight ist aber eine ausgedehnte Verfolgungsjagd quer durch Rom, bei der sich unentwegt Ethan und Grace kabbeln, und darum ringen, wer denn nun wie den Ton angibt. Auch die Action ist gewitzt orchestriert: Im gelben Fiat 500, einem wendigen, kleinen Flitzer, der Lupin III-Fans das Herz höher schlagen lässt, saust das Duo durch die Straßen, nimmt enge Kurven, brettert über Treppen hinweg. So braust es vor Paris davon, die mit klobigen Stiefeln in einem gigantischen Truck schwere Hebel betätigt und einfach alles wegwummst, was ihr im Weg steht.
Diese Sequenz ist mit einer Energie und Gewitztheit umgesetzt, dass in mir mehrmals der Wunsch aufkam, dass McQuarrie irgendwann einmal einen Herbie-Film dreht. Diese peppige, lockere Attitüde wird durch Neuzugang Grace weiter verstärkt: Atwell hat ansteckende Freude an dieser Rolle und mischt die Mission: Impossible-Formel ordentlich durch, da sie als findige, wuselige Gaunerin zwar kompetent ist, jedoch auch in Konflikte weit, weit außerhalb ihrer Kragenweite gezerrt wird. Erbittert kämpfen, um ihr Leben fahren, weltumspannende Gefahren korrekt einschätzen? All das liegt nicht in Graces Kompetenzbereich, und Atwell spielt diesen "Bemüht, aber überfordert"-Aspekt sympathisch, die Spannung steigernd frustrierend, und gewitzt zugleich. Es ist, als hätte man Oliver Twist volljährig und weiblich gemacht, und daraufhin in einen Pierce-Brosnan-Bond-Film gepackt
Auch die manisch-boshafte Paris kommt mit einem gewissen Spaßfaktor daher: McQuarrie setzt diese Schurkin so in Szene, dass wir erfreut ob ihres markanten Auftreten grinsen dürfen, ohne dass sie dadurch an Gefährlichkeit einbüßt. Selbiges gilt für Vanessa Kirby, die die undurchsichtige Weiße Witwe nun eine Spur selbstgefälliger in ihrer Verruchtheit spielt. Als wäre es das größte Vergnügen im Leben dieser Waffenhändlerin und Untergrund-Dienstleistungs-Vermittlerin, ihr Umfeld stets wissen zu lassen, wie sehr sie ihr Job anmacht.
Die reine Abscheu bleibt Esai Morales vorbehalten, der zwar nicht der denkwürdigste, profilstärkste Schurke der Reihe ist, wohl aber der kompetenteste und daher im denkbar besten Sinne an den Nerven sägt. Apropos Kompetenz: Natürlich drückt auch Rebecca Ferguson einmal mehr allen Szenen, die sie als Ilsa Faust hat, kräftig ihren Stempel auf. Als fähige, im Vergleich zu Ethans Team eher wortkarge, nachdenkliche Agentin bleibt Ilsa Faust ein Highlight im Mission: Impossible-Figurenportfolio.
Ein waschechtes Highlight ist auch der Schlussakt, der so smart konstruiert ist, dass ich mein Granteln ob der vielen Expositionsdialoge ein Stück weit vergessen habe: Im letzten Viertel finden die diversen Handlungsfäden stimmig zusammen und McQuarrie konstruiert gemeinsam mit Jendresen eine Mixtur aus figurenzentrischer Dramatik, von der Thematik des Films angetriebener Suspense und reinem Spektakel. Es ist nicht ganz auf der Höhe des Lone Ranger-Finales, trotzdem spielt dieser konstant an Fahrt aufnehmende Schluss in derselben Liga.
In wen hat sich McQuarrie dieses Mal verwandelt?
Mit einer aufgehellten, klareren Bild- und Klangästhetik gegenüber Fallout (Fraser Taggart übernimmt die Kamera von Rob Hardy, Lorne Balfe bleibt als Komponist an Bord), ließ mich Dead Reckoning mit folgendem Eindruck zurück: Rogue Nation war "Was, wenn leichtgängiger Hitchcock, aber als heutiges Action-Spekrakel?", Fallout wurde wegen der rauen Getriebenheit oftmals als "nolanesk" bezeichnet.
Dieser Film hingegen wirkte auf mich, als sei der Geist von David Lean in Martin Campbell gefahren, der nach einem John-McTiernan-Marathon und dem begierigen Aufsaugen mehrerer Lupin III-Animes (den "bodenständigen" wie auch den völlig durchgeknallten) beschließt, einen neuen Brosnan-Bond-Teil zu drehen. Bloß, dass Bond dieses Mal mehr Freunde hat als zumeist üblich, und sich in Frauen eher platonisch verliebt, statt stets daran zu denken, weitere Kerben in seine Bettpfosten zu ritzen.
Zur Erklärung: Dead Reckoning operiert mit Popcornkino-Suspense, die aufgrund der unverblümten Drastik, mit der McQuarrie, Jendresen und Produzent Cruise mancherlei Entwicklung einschätzen, immer wieder Mal in richtige Beklemmung übergeht. Es gibt epochale, sich in der Stimmung der Schauplätze suhlende Szenen, die zugleich das Innenleben der Figuren nach außen kehren (ein verwirrter, mit seinem Auftrag ringender Ethan im desorientierenden Sandsturm; Ethan und sein ihm am Herzen liegendes Team atmen bei einer Kanalfahrt noch einmal durch, unsicher, was sie erwarten wird).
Doch diese atmosphärischen "Ausbrüche" werden zusammengehalten durch eine pfiffig-wuchtige Reihe an Action-Eskapaden mit punktgenauen Sprüchen, quirligem Action-Slapstick und aufwändigen Stunts, die mit einer erstaunlichen Beiläufigkeit in die Storyabläufe gewoben werden.
Das ist großes Kino, das bitte auch wirklich auf großer Leinwand im Kino verfolgt wird, wenn ihr die Möglichkeit dazu habt. Es ist Spannung, Kurzweil und Weltflucht, die mehrere scharfe Kurven zurück gen Weltangst nimmt. Es hat mich beim ersten Anschauen nicht ganz so geflasht, wie mich derzeit Fallout begeistert, der mir von Mal zu Mal enger ans Filmfanherzen wuchs. Doch es hat mich ungeduldig auf meinen zweiten Dead Reckoning-Besuch zurückgelassen. Und gespannt darauf, ob McQuarrie beim nächsten Film erneut Stil und Tonfall wechselt, oder Dead Reckoning (Teil 2) nahtlos da weitermacht, wo uns dieser Film verlässt.
Mission: Impossible - Dead Reckoning (Teil 1) ist ab dem 13. Juli 2023 in vielen Kinos zu sehen, doch schon jetzt machen im deutschsprachigen Raum einige Kinos Previews. Und am 20. Juli nimmt sich Filmgedacht den Themen des Films an. Bis dahin hattet ihr genug Zeit, ihn zu schauen, und wir können daher munter spoilernd konkret auf brennende Fragen eingehen!
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