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Dienstag, 28. Februar 2023

Gastbeitrag: Von blutigen Bären und dampfenden Mäusen

EdiGrieg ist ein Disney-Experte, wie er im Buche steht und ein Meister im Fachbereich Synchronisation. Daher solltet ihr alle seine Seite Trickfilmstimmen kennen, das beste Disney-Synchron-Archiv des World Wide Webs! Aber auch in anderen Themengebieten kennt er sich bestens aus, wie ihr nun feststellen werdet...


2022 erlebte die nicht aufzuhaltende Welle von Realfilm-Umsetzungen klassischer Disneyfilme durch "Pinocchio" einen neuen Tiefpunkt, während Guillermo del Toros Umsetzung des hölzernen Bengels im selben Jahr von Lob geradezu überschüttet wurde. 2023 wird nun der Film "Winnie-the-Pooh: Blood and Honey" Streamingnutzern eine blutige Version von A. A. Milnes berühmten Kinderbuch präsentieren, welches 1926 veröffentlicht wurde und 2021, 95 Jahre später nach US-Recht den Status "Public Domain" (Gemeinfreiheit) erlangte. Nach Christopher Robin Milnes Tod am 20. April 1996 verkaufte seine Witwe die Rechte an Puuh dem Bären an die Walt Disney Company. Solange Regisseur Rhys Frake-Waterfield im oben genannten Horrorfilm nichts verwendet, was wiederum Disney seinerzeit kreativ hinzu fügte, hat der Maus-Konzern aufgrund des PD-Status jedoch nun keine rechtliche Handhabe mehr.
 
Die Rechtsgrundlage vom Schutz geistigen Eigentums ist ein Thema, das Bücher füllen könnte und hat nirgendwo eine derartige Komplexität erlangt wie in den USA. Da nun in den kommenden Jahren viele bekannte und berühmte Werke der 20er Jahre aus Literatur, Musik und Film in die erwähnte 95'er Frist kommen, könnte die Medienlandschaft von Hollywood und Co., die sich unlängst in eine kreative Sackgasse aus Reboots, Remakes und Spin-Offs verrannt hat, noch um einige bekannte Franchises "bereichert" werden. Dieser Umstand entfachte unlängst Diskussionen in entsprechenden Fachkreisen. Ruth Bader Ginsburg, Richterin am Obersten Gerichtshof, gab zu Protokoll, dass (Zitat:)
"Wir an der Schwelle zu einer Zeit stehen, in der Urheberrechte für eine Reihe visueller Werke auslaufen." und auf einen eventuell kaum überschaubaren Ansturm an Rechtsverletzungsverfahren hinweist.
 
So haben diverse Nachrichtendienste reißerisch Artikel mit dem Thema veröffentlicht, dass Walt Disneys Micky Maus 2024 PD-Status erlangen wird und fröhlich darüber spekuliert, was dies wohl alles nach sich ziehen könnte. Nach Persönlichkeitsrecht hätte Micky sogar eine 70-Jahres-Frist nach dem Ableben Disneys bekommen, die erst 2036 ausläuft ... Nur ist Micky, Fans wissen das, nicht Walts persönliche Erfindung, sondern die von Ub Iwerks, der 1971 verstarb und die Frist damit sogar bis 2041 verlängern würde. Das Alles zählt aber nicht, weil Disney schon lange vorher festgelegt hatte, seine Kreationen ins Firmenrecht zu integrieren. Natürlich hatte er damals von der heutigen Rechtslage noch keinen Schimmer.
 
Und somit werden Figuren wie King Kong, Popeye, Flash Gordon, Superman und auch Micky & Donald im Laufe der nächsten Jahre gemeinfrei werden. Aber was bedeutet das im Detail? Vereinfacht gesagt geht es darum, dass Micky im Laufe der Jahrzehnte optisch immer wieder verändert wurde, wobei jeder Stil wiederum seinen eigenen Urheberrechtsanspruch einfordern kann.

Anders herum gesagt: Jeder darf eine Micky Maus öffentlich ausstellen, solange sie nicht wie eine von Disney gezeichnete Micky aussieht. Dieser "optische Schutz" verwirkt jedoch nach 95 Jahren. Aktuell geht es um die Verwendung Disneys erster Micky-Cartoons von 1929, allen voran der Klassiker "Steamboat Willie". Kann und darf ein Drittunternehmen ab 2024 die berühmte Dampferszene auf ein T-Shirt drucken und verkaufen, ohne von Disney belangt werden zu können? Nach US-Recht grundsätzlich ja!

Natürlich ist die kleine Maus nicht nur Copyright- sondern auch Marken-geschützt, und dieses Trademark läuft grundsätzlich NICHT ab, solange Disney existiert. Gerade hier wird es mit der Rechtsgrundlage aber etwas schwammig. Ein Trademark beinhaltet, dass die "Ideale" eines Unternehmens nicht gefährdet werden dürfen, und DAS treibt Rechtsexperten Schweißperlen auf die Stirn angesichts eines Unternehmens, dem zur Zeit angedichtet wird, sich auch noch Sony oder/und Netflix unter den Nagel zu reißen, um seinem Medien-Monster weitere Tentakel hinzufügen zu können.
 
Selbstredend beschäftigt der Konzern nicht nur einige der besten Künstler der Welt sondern wohl auch einige der besten Rechtsanwälte; und dass Disney mit Rechtsverletzungen nicht zimperlich umgeht, hat er schon des Öfteren unter Beweis gestellt. So wurde eine Kindertagesstätte in Florida gezwungen, ein nicht autorisiertes Minnie-Maus-Wandbild zu entfernen. Im Jahr 2006 sagte Disney einem Steinmetz, dass das Schnitzen von Winnie Puuh in den Grabstein eines Kindes das Urheberrecht verletzen würde, und 2020 berechnete eine Disney-Tochtergesellschaft einer Grundschule 250 US-Dollar, weil sie "Der König der Löwen" ohne Erlaubnis bei einer PTA-Spendenaktion gezeigt hatte.

Der darauf folgende Mediensturm war so heftig, dass sich Robert A. Iger entschuldigte und sagte, er würde eine persönliche Spende leisten. "Wenn es etwas gibt, das Disney ernster nimmt als geistiges Eigentum, dann ist es das Image in der Öffentlichkeit.", frotzelte Rechtsanwalt Aaron J. Moss, der explizit auf die ständig anwachsende "Creator Culture" der sozialen Medien von YouTube bis TikTok aufmerksam macht. Diese Landschaft könnte für Disney eine Herausforderung darstellen, wenn "Steamboat Willie" PD-Status erhält. "Sie werden nicht in der Lage sein, alle zu verfolgen", sagt Moss, "Kampflinien müssen gezogen werden." Frau Ginsburg gibt an, sie beobachte genau, ob Disney und andere Medien-Unternehmen versuchen, das Markenrecht als Ersatz oder Erweiterung des Urheberrechts anzuwenden, um, wie sie es ausdrückt, "einen separaten Schutz anzuwenden, der letztendlich greifen kann".
 
Im Falle von "Steamboat Willie" hat Disney dies unlängst getan. 2007 wurde das Firmenlogo neu gestaltet, der pfeifende Steamboat-Micky darin integriert und damit markengeschützt. Vielleicht - ich spekuliere hier - ist sogar Mickys optische wie charakterliche (freche) Rückkehr in alte Zeiten, welche 2013 begann (aktuelles Franchise: "The Wonderful World of Mickey Mouse"), nicht nur eine künstlerische Frischzellenkur, sondern schlägt auch rechtlich einen Bogen in die Vergangenheit, um später eventuelle Ansprüche des Konzerns unterfüttern zu können.
 
Die Themen Micky Maus und Urheberrecht sind seit Ende der 1990er Jahre im öffentlichen Bewusstsein, als sich Disney und andere Medienunternehmen erfolgreich für eine Ausweitung des Urheberrechtsschutzes im Kongress einsetzten. In vielerlei Hinsicht ist Micky dabei zum ultimativen Symbol für geistiges Eigentum geworden. Die Verlängerung des Urheberrechts von 1998 löste einen hässlichen Rechtsstreit aus, wobei Kritiker argumentierten, der Kongress habe die Verfassung missachtet, die klar vorsieht, dass Urheberrechtsschutz nur für eine begrenzte Zeit gewährt werde.

Laut Paul Goldstein, Professor an der Stanford Law School und Autor einer fünfbändigen Abhandlung über das US-Urheberrecht, tauchten damals erstmals "Free the Mouse"-Autoaufkleber auf. "Disney hat nicht aktiver auf die Verlängerung gedrängt als alle anderen, aber der Konzern habe einen bequemen Bösewicht abgegeben.", sagte er. Ginsburg und ihre Richter-Kollegen segneten zwar damals die Kongress-Entscheidung ab, warnten aber vor einer erneuten Verlängerungs-Forderung, die wohl nur in einer unsäglichen Schlammschlacht enden würde. Auch Rechtsanwalt und Medienexperte Daniel Mayeda erklärt: "Sie haben ihre Amtszeit für Micky & Co. erfolgreich verlängert, aber ich denke, dies wird das Ende der Fahnenstange sein."
 
EdiGrieg
unter Zuhilfenahme eines Artikels von Brooks Barnes
(New York Times, 27.Dezember 2022)

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