Harper (Jessie Buckley) braucht dringend eine Auszeit. Ihre Heimatstadt London erinnert sie zu deutlich an das Grauen, das sie kürzlich durchgemacht hat. Also mietet sie sich ein luxuriöses Cottage in der Provinz, um Abstand zu gewinnen. Aber nicht nur, dass Harper weiterhin an die vergangenen Schrecken zuhause erinnert wird. Ihre Lage verschlechtert sich drastisch: Ihr Vermieter Geoffrey (Rory Kinnear) ist unangenehm, ein nackter Wanderer verfolgt sie, ein Geistlicher macht ihr ein schlechtes Gewissen, ein vorlauter Bube beschimpft sie, und die Polizei nimmt ihre Sorgen nicht für voll. Aus einem Dauerfeuer der Unangenehmlichkeiten wird bald ein Strudel des Elends...
Nach dem ebenso spannenden wie feinfühligen Ex_Machina und dem fesselnden, niederschmetternden, komplexen Auslöschung steht für Alex Garland nun Men an. Die Kernaussage steckt bereits im Titel. Die Wurzel allen Übels im Leben Harpers (und nicht nur ihr) ist männlicher Natur. Kein weiterer Interpretationsspielraum vorhanden. Die Kunst in Men ist nicht, wie filigran Garland vorgeht, und wie genau man hinschauen muss, um seine Aussage begreifen zu können. Sondern mit welch voller Wucht er sie vermittelt, ohne dabei monoton zu werden.
Großen Anteil daran, dass Men uns mit Garlands Vorgehensweise nicht von Sekunde eins an erschlägt, sondern auch Spannung erzeugt, indem wir mit Harper mitfiebern, hat ihre Darstellerin: Jessie Buckley, die vor zwei Jahren noch durch Charlie Kaufmans surreal-dramatisches Grauen I'm Thinking Of Ending Things geisterte, stapft nun in einem schneidigen Übergangswettermantel durch Alex Garlands Provinz-Folk-Horror, der ebenfalls surreale Elemente aufweist, sie aber "uriger" ausspielt als Kaufman, der nicht ein unwohles Bauchgefühl erreichen will, sondern den Intellekt zum kreisen bringt.
Buckley gelingt es konsequenterweise, ihre zwei von ihrem Umfeld genervten bis verstörten, emotional mitgenommenen Protagonistinnen individuell zu gestalten. Harper ist erschöpft, wiederholt aus nachvollziehbaren Gründen genervt, aber auch verbissen willens, ihren Urlaub zu genießen, weshalb sie mehrmals versucht, die vorherigen Ereignisse abzuhaken. Es dauert, bis sie Angst zulässt - und die weicht rasch einem Angeekeltsein, bevor Harper einfach nur noch dezent verdattert hinnimmt, Teil dieser Welt zu sein, die es allem Anschein nach auf sie abgesehen hat.
Dadurch, wie Buckley Harpers Reaktionen variiert, bleibt Men bis zum letzten Viertel dynamisch erzählt. Dann wechselt Garland Tonalität und Intensität. Ein Silberstreif an Harpers Horizont ist zuvor die bildhübsch fotografierte, abgeschiedene englische Provinz mit pittoresken Straßenzügen und saftigem Grün, dem Kameramann Rob Hardy eine einladende Unberührtheit zu verleihen versteht, ehe die schaurige Aura durchschimmert und letztlich Überhand gewinnt.
Dass Harper von Erinnerungen an einen sie emotional auslaugenden Mann geplagt wird, moderne wie uralte gesellschaftliche Strukturen ihr das Sicherheitsnetz nehmen, und Garland durch Folk-Horror-Elemente auch die personifizierte Natur auf seine Protagonistin hetzt, wirkt vielleicht zunächst wie ein wahlloser Generalumschlag. Und die Frage drängt sich auf "Was soll das der Diskussion um toxische Maskulinität noch hinzufügen?" Aber genau das ist der springende Punkt, wie gen Schluss klar wird!
Wir haben bereits unzählige Filme, die mit ihrer Darstellung des Patriarchats Angst, Kummer und Wut erzeugen. Aber nur sehr, sehr wenige Filme lassen uns wie Harper in Men mit einem erschöpften Gesicht auf den grotesken, widerlichen Reigen blicken, den selbstgefällige Männer aufführen, womit sie ihren Menschenschlag am Leben erhalten.
Men macht Ermattung greifbar. Zeigt auf, wieso sich so viele Frauen haben ermüden lassen, weswegen sie einfach nur noch abgestumpft alles aussitzen, statt für sich einzustehen. Das ist nicht gerade der Thrill, den man von einem Horrorfilm erwarten würde. Sondern ein ganz anderes, länger im Kopf bleibendes Gefühl des Unwohlseins.
Men ist ab dem 21. Juli 2022 im Kino zu sehen.
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