Platz 40: Benedetta (Regie: Paul Verhoeven)
Paul Verhoeven trollt mal wieder. Und trollt eigentlich gar nicht. Denn seine Nonnen-Lesben-Historiengeschichte hat selbstredend Elemente, die bei einigen Leuten für tomatenrote Ohren sorgen dürften. Und für die, die sich nicht von improvisiert herbeigeschnitztem Sexspielzeug schockieren lassen, gibt's noch immer den bewusst-extra peinlich-albernen Aspekt, dass die Titelheldin, wann immer sie vorgibt von Jesus besessen zu sein, mit der Stimme des Benedetta-Filmjesus spricht, was vorne bis hinten nicht zusammenpasst. Andererseits nimmt Verhoeven sein Sujet ziemlich ernst: Statt eine reine Lachnummer aus dem Stoff zu machen, streut er gehaltvolle Schlussfolgerungen in den Film, der auch über schlechtes Pandemie-Management und "Wer laut genug behauptet, Ahnung zu haben, bekommt sie zugeschrieben"-Betrugsmaschen abledert. Macht Spaß!
Platz 39: The Lost Leonardo (Regie: Andreas Koefoed)
In Andreas Koefoeds Dokumentarfilm The Lost Leonardo wird detailliert und erkenntnisreich die Geschichte des Gemäldes Salvator Mundi erzählt, das einst in einer Lagerhalle wiedergefunden und für eine niedrige vierstellige Summe verkauft wurde, dann in der Kunstszene als "schlecht erhaltenes, aber recht gut gemachtes Bild im Stile von Leonardo da Vinci" kursierte und letztlich vor wenigen Jahren für Rekordsummen als das letzte Gemälde des großen Meisters über den Auktionstisch ging. Koefoed strukturiert diese Chronik einer gigantischen Wertsteigerung fesselnd, macht sie dank perfekt ausgewählter Interviewpartner:innen lehrreich, kurzweilig und spannend, und immer wieder drängt sich die Frage auf: "Glaube ich dieser Person?" Kunstrestauration und -handel, Kunstmarketingmethoden und diplomatische Politik vereinen sich hier zu einem Thrillerdrama, wie es das Leben schrieb.
Platz 38: Fabian oder Der Gang vor die Hunde (Regie: Dominik Graf)
Weitaus weniger Spaß macht diese geschlagene 186 Minuten lange, zermarternde Erich-Kästner-Adaption. Doch genau so muss das sein! Regisseur/Autor Dominik Graf und Autor Constantin Lieb nehmen die während des "Vorabends" des Nationalsozialismus verfasste, aufgrund ihres erschreckenden Wahrheitsgehalts lang zensierte Vorlage, und formen sie zu einem soghaften, deprimierenden Sittenzerfallgemälde. Mit komplexen Figuren und entsprechend facettenreichen Performances versehen, zeigt Fabian oder Der Gang vor die Hunde von Liebe, Hoffnungen und moralischer Verwüstung in der späten Weimarer Republik. Filmisch rüttelt Graf uns immer wieder auf, indem er beispielsweise die ausschweifende Historienfilmausstattung der Marke ARD-Degeto-Zweiteiler/ZDF-Primetime-Dreiteiler gegen ramschige Digitalkamerabilderästhetik knallen lässt oder durch historisch inakkurate Werbeplakate unmittelbare Verknüpfungen zur Gegenwart zieht. Kein Vergnügen, aber mein liebster deutscher Film 2021.
Platz 37: The Last Duel (Regie: Ridley Scott)
Rashomon im Frankreich des Jahres 1386, doch der Grundgedanke "Alles ist subjektiv, Erinnerung ist trügerisch, wem kann man schon trauen?" weicht dem kraftvoll umgesetzten Ansatz "Das patriarchale System spielt mit derart gezinkten Karten, dass sich Männer bequem ihre eigene Wahrheit schaffen können und Frauen, ganz gleich, wie nachdrücklich sie um Gehör bitten, an den Rand gedrängt werden". Der dramatische Gesellschaftskommentar im Gewand eines Ritterepos beginnt etwas zäh, doch nach und nach finden die Puzzleteile zusammen und offenbaren nicht nur eine kluge, passionierte Erzählung, sondern auch die Bühne für gute Performances von Matt Damon und Adam Driver sowie eine tolle Leistung von Ben Affleck und eine hervorragende von Jodie Comer. Inklusive kathartischem, dreckigem Schlussakt und zum Nachdenken anregendem, kurzem, die erlebte Erlösung wieder in Frage stellendem Epilog. In meinen Augen Scotts bester Film seit mindestens eineinhalb Jahrzehnten.
Platz 36: Nomadland (Regie: Chloé Zhao)
Chloé Zhaos Oscar-Abräumer Nomadland reicht meiner Ansicht nach nicht ganz an die stille, komplexe Poesie ihres Beinahe-Dokumentarfilms The Rider heran. Dennoch ist diese Auseinandersetzung mit dem erzwungenen Findungsreichtum jener, die vom US-Turbokapitalismus ausgespuckt wurden, sich aber weigern, sich fortan als traurige Gestalten zu verstehen, ein hervorragend fotografiertes, gleichermaßen raues wie einfühlsames Porträt eines diffizilen Lebensentwurfes. Zhao lässt uns die Umstände, die Menschen dazu drängen, solch ein Leben zu akzeptieren, verurteilen, vermeidet aber die Falle der sozialvergleichenden "Elendspornografie": Wir schauen den Film nicht, um uns besser als die zentralen Figuren zu fühlen und uns die eigene Schulter zu klopfen, wie toll es ist, dass wir Mitleid haben. Zhao zeigt nämlich, dass es Menschen gibt, die auch in den kargsten Umständen Würde und Geborgenheit kreieren. Nomadland: Das filmgewordene Gegengift zu Hartz und herzlich und wie die ganzen giftigen RTL-II-Dokureihen sonst so heißen!
Platz 35: Red Screening (Regie: Maximiliano Contenti)
Wie im Intro zu Teil eins dieser Hitliste bereits festgehalten: Manchmal erscheinen Filme einfach zum richtigen Zeitpunkt, so dass sie sich als Essenzen des Jahreszeitgeistes in meiner Erinnerung festsetzen und für die Jahreshitliste aufdrängen. Im Falle von 2021 ist der aus Uruguay stammende Slasher Red Screening genau solch ein Film: Nach Monaten des pandemiebedingten Kinoentzuges erscheint ein Film auf Blu-ray, der aus jeder Pore Liebe zu sämtlichen Aspekten des Kinoerlebnisses triefen lässt, von den offensichtlichen und den heimlichen Glanzseiten bis hin zu den Schattenseiten, die man mit Abstand jedoch lieben lernt. Das wäre 2018 beispielsweise vielleicht dank der zielsicheren Regieführung und der stringenten Giallo-Stimmung eine ehrenwerte Nennung geworden, aber 2021?! Da wurde es eines meiner intensivsten, nachhaltigsten Heimkinoerlebnisse. Ich werde noch jahrelang die Pandemie und meine Kinosehnsucht fest mit diesem Film verbinden. Allein schon der Anblick der Blu-ray lässt Popcorngeruch in meine Nase steigen und das Phantomgefühl aufkommen, in einem Kinosessel zu sitzen.
Platz 34: The Suicide Squad (Regie: James Gunn)
Können böse, ruchlose und tabubrechende Gestalten, die von der Gesellschaft aufgegeben wurden, sich als wertvolle Personen beweisen, die Gutes bewegen? James Gunn, seines Zeichens von einer garstigen Kindheit geprägte Person, die jahrzehntelang mit boshaftem Humor auf sich aufmerksam gemacht hat und dann von Teilen der Twitter-Öffentlichkeit von Heute auf Morgen als unverzeihlich miese Gestalt gebrandmarkt wurde, sagt: Ja. Zweite Chancen müssen vergeben und angenommen und gemeistert und daraufhin als gemeistert anerkannt werden. Das Ergebnis dieser Auseinandersetzung mit Selbstgerechtigkeit, Widerlichkeit und der Kunst des Übersichhinauswachsens ist eine räudige, brutale, zutiefst verletzliche Komödie, voller toller Figuren, geplagt von ein paar "Ich formuliere meine Moral zu deutlich aus"-Augenblicken und gesegnet mit wunderbarem Witz und einer berührend-ehrlichen Ebene der Reflexion. Und Vögel kriegen eins vor den Latz.
Platz 33: Last Night in Soho (Regie: Edgar Wright)
Edgar Wright attackiert nostalgische Verklärungen, übergriffige Männer und empathielose Mitstudierende in einem Abwasch. All das stylisch gefilmt und punktgenau geschnitten - wie man es halt von ihm erwarten würde, wenngleich mit einer etwas gedrosselten Deutlichkeit seiner Handschrift. Das ist im Pantheon seiner vergleichsweise ernsteren Projekte deutlich runder als The World's End und punktet zudem mit Swinging-Sixtes-Flair, zielsicheren Horror-Anleihen und einer das Material geradezu atmenden Thomasin McKenzie. Die Grundidee hinter dem dritten Akt ist klasse, poltert in der Umsetzung jedoch ein wenig, ebenso habe ich das Gefühl, dass Anya Taylor-Joy zwar gut spielt, jedoch wie in einem anderen Filmm und Wright sie einfach ein bisschen hätte lenken müssen. Doch allein schon für die makellos geschnittenen, Zeitebenen und Personen verschwimmen lassenden Tanzszenen und die tolldreist-selbstbewusst vertretene Haltung des Films muss ein Top-35-Platz in meinen Jahrescharts her!
Platz 32: Matrix Resurrections (Regie: Lana Wachowski)
Hinter der Oberfläche einer selbstironischen Satire auf späte Fortsetzungen, die sukzessive zu einem Mix aus Best-of der Matrix-Trilogie und einer filmgewordenen Korrekturlesung wird, verbirgt sich verletzliche emotionale Ehrlichkeit: Durchsetzt mit Bildern aus suizidalen und depressiven Phasen der Regisseurin Lana Wachowski, filigransten und beiläufigen, aber zielgenau-deutlichen Details aus den Dingen, die ihr Leben formten, sowie mit der strengen Haltung "Ich muss meine ganz persönlichen Filme aus den Klauen der Leute retten, die mir das Leben zur Hölle machen wollen und der Schöpfung schmücken, die meine Schwester und ich einst der Filmwelt geschenkt haben" versehen, revidiert Matrix Resurrections die Matrix-Trilogie, ohne sie kleinzureden. Basierend auf der Ausgangsfrage "Wenn ich nochmal neu anfangen könnte, was würde ich tun?" feiert Wachowski die Höhepunkte ihrer einflussreichen Saga, tauscht das darin vorgeführte, kalte Abstrahieren aber gegen erlebte, gefühlte Überzeugung und verschafft ihren geliebten Figuren konsequenterweise einen zügigeren, farbenfroheren, das Herzen erfüllenden Eiltrip durch die Eckdaten der Ursprungsreihe. "Ich würd's wieder tun, aber früher, selbstbewusster und entschlossener, und daher glücklicher", lautet die Antwort, die Sci-Fi-Action-Dystopie wird daher zur Sci-Fi-Action-Romantikkomödie. Was für eine berührende, faszinierende Idee - meinetwegen hätte sich Wachowski nur noch dreister von der beengenden Schablone der vorherigen Teile befreien können.
Platz 31: Annette (Regie: Leos Carax)
Holy Motors-Regisseur Leos Carax widmet sich dem Musicalgenre: In Annette breitet er, begleitet von Musik der Sparks Brothers, vor unseren Augen die unromantische Geschichte einer Promibeziehung aus. Adam Driver ist ein impulsiver Schockkomiker, Marion Cotillard eine in ihren eigenen Sphären schwebende Opernsängerin. Wenn die Zwei zur Verwunderung (und Freude) der nach Themen gierenden Medien eine Bindung eingehen, lässt die Theatralik nicht lange auf sich warten - inklusive einer Marionette von einer Tochter. Simon Helberg beweist in einer Nebenrolle wieder einmal, dass er in The Big Bang Theory unter Wert verkauft wurde, Cotillard und Driver sind klasse in ihren Rollen, und die Songs dieses nahezu durchkomponierten Musicals sind eindrucksvoll.
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