Ich habe mir wieder einmal den Januar über Zeit genommen, um das filmische Vorjahr sacken zu lassen und über meine Favoriten nachzudenken. Wieder einmal habe ich noch längst nicht alle 2021er Filme gesehen, die ich gerne gesehen hätte, aber man darf nicht vergessen: Jedes Jahr kommen weltweit Hunderte und Aberhunderte neue Filme heraus. Es wäre bereits eine Lebensaufgabe, auch nur mit den Neuveröffentlichungen während der eigenen Lebenszeit Schritt zu halten. Irgendwann muss ich halt für das zurückliegende Filmjahr wenigstens als halboffizielles Fazit einen Schlussstrich ziehen. Und der erfolgt hiermit.
Diese 50 Produktionen, die 2021 entweder ihre offizielle deutsche Ersterscheinung feierten oder aber 2021 im Festivalrahmen aufgeführt wurden und beim berühmt-berüchtigten "Redaktionsschluss" noch keinen "normalen" Starttermin hatten, ließen mein Filmherzen am lautesten in die Luft springen. Mal, weil ich sie besonders stark umgesetzt finde, mal, weil sie bei mir die richtigen Knöpfe gedrückt haben, wieder andere Male, weil sie mir im richtigen Moment unter die Augen gekommen sind. Oder, da wollen wir ehrlich sein: Weil sie volles Rohr meinen Geschmack treffen. Denn das hier ist keine Nominierungsliste für einen allgemeingültigen Kanon. Sondern ungefiltert, voll und ganz meine Liste. Klar soweit?! Na dann... Los!
Platz 50: Ich bin dein Mensch (Regie: Maria Schrader)
Unorthodox-Regisseurin Maria Schrader kreiert zusammen mit Co-Autor Jan Schomburg frei nach einer Kurzgeschichte von Emma Braslavsky eine Welt, in der Dating-Algorithmen obsolet geworden sind: Wieso das Internet nach dem perfekten Menschen durchforsten, wenn man den für sich perfekten Menschen erschaffen kann? Humanoide, künstliche Intelligenzen, die haarklein nach den Wünschen für den perfekten Lieblingsmenschen gebildet wurden, haben in dieser fiktiven, nahen Zukunft die Liebeswelt revolutioniert und machen rechtliche sowie philosophische Fragen über das Menschsein auf. Wissenschaftlerin Alma (nuanciert: Maren Eggert) lässt sich im Rahmen einer Studie ihren idealen Partner (befremdlich und doch ansprechend: Dan Stevens) bauen. Was folgt, ist eine mit Loriot-Feinsinn-Skurrilität gewürzte Grübelei darüber, was echt ist und wie viel Zufall Liebe braucht, sowie eine distanziert-melancholische Romanze, oberflächlich zwischen Mensch und Menschmaschine, zwischen den Zeilen zwischen verkopfter Wissenschaftlerin und ihrer in Vergessenheit geratenen Zuneigung zu sanften Gefühlen. Persönliches Urteil: Ein lächelnd geseufztes Hach! mit Denkfalten in der Stirn.
Platz 49: Judas and the Black Messiah (Regie: Shaka King)
Mit etwas Abstand bin ich zunehmend unentschlossener, ob ich Shaka Kings aufwühlendes Historiendrama nicht doch eine etwas stärker fokussierte Erzählperspektive gewünscht hätte. Dessen ungeachtet ist es ein aufwühlendes Stück Kino, das sein Publikum mitten in eine explosive gesellschaftliche Stimmung versetzt, in der den US-Geheimdiensten jedes Mittel recht und billig war, um die Bewegung für gleiche Rechte zwischen Menschen jeglicher Hautfarbe zu diskreditieren. LaKeith Stanfield und Daniel Kaluuya spielen mit Wucht und Intensität und die Dialoge haben große Sogkraft, vor allem die Reden Kaluuyas als Frank Hampton.
Platz 48: Everybody's Talking About Jamie (Regie: Jonathan Butterell)
Das erste, aber längst nicht das letzte Musical in meiner filmischen Favoritenliste 2021: Basierend auf einem Bühnenmusical, das wiederum auf einer BBC-3-Dokumentation basiert, erzählt Everybody's Talking About Jamie mit Verve, Style, Schmiss und Emotion eine britische Coming-of-Age-and-Coming-Out-Geschichte. Die Songs mögen nicht die einprägsamsten sein, aber es gibt auch keinen Ausreißer nach unten, sondern sind allesamt gefällige Kompositionen, die dem Cast die Bühne geben, sich ordentlich auszutoben. Max Harwood gibt einen sympathischen Protagonisten mit Makeln, Richard E. Grant ist als wohlmeinender, aber vergrämter Mentor eine Wohltat und alles in allem hat mir der Film einfach richtig gute Laune gemacht.
Platz 47: Things Heard & Seen (Regie: Shari Springer Berman & Robert Pulcini)
Meine werte, mich wie ihre Westentasche kennende Kollegin Antje hatte mir Things Heard & Seen ans Herz gelegt, mit dem Kommentar, ich würde den Film sicher mögen, weil er wie ein Rücksturz auf die teils eher an Dramen erinnernden Gruselfilme wirkt, die der Disney-Konzern zwischenzeitlich unter diversen Labels rausbrachte. Und was soll ich sagen? Antje kennt mich. Things Heard & Seen ist ein Beziehungsdrama das gelegentlich ins Horrorgenre ragt, und diese betont unspektakuläre, freundlich-dramatisch-schaurige Grundtonalität des Films hat es mir irrational angetan. James Norton und Amanda Seyfried geben ein glaubwürdiges Paar mit Problemen ab, Seyfried meistert den tonalen Balanceakt, Natalia Dyer ist eine charismatisch-unheilvolle Präsenz und die an Gemälde der Hudson River School erinnernden, unheilvoll-schönen Bilder sind bei mir prägnanter in Erinnerung geblieben als das meiste, was das "echte" Horrorkino 2021 zu bieten hatte.
Der Film mag gemeinhin verrissen worden sein, aber ich habe das Gefühl, dass er mit mir als Teil seines Zielpublikums im Sinn gemacht wurde. Und, ja, was soll's: Ich entlohne diese gezielte Ansprache mit einer Platzierung in meinen Jahrescharts, denn diese Ambition, mir zu schmeicheln, schmeichelt mir.
Platz 46: Die Mitchells gegen die Maschinen (Regie: Mike Rianda)
Familienaussöhnung trifft Robo-Apokalypse in einem Energy-Drink-Animationsfilm voller schriller Situationen, rasantem Dialogwitz und liebenswerten Figuren, die ein bisschen panne sind, aber genau das ist es, was sie so liebenswert macht. Hinzu kommt eine verspielte Ästhetik und dass unsere Heldin Katie riesiger Filmfan mit großem Vorstellungsvermögen ist, sorgt ebenfalls für viel Spaß.
Platz 45: The Hand of God (Regie: Paolo Sorrentino)
Nach seinem 204 Minuten langen Berlusconi-Epos Loro reißt sich Paolo Sorrentino wieder am Riemen, ohne seine Vorliebe für ruhiges, Anekdoten allmählich zu einer runden Geschichte ergänzendes Erzählen zu verraten: In The Hand of God verarbeitet der Regisseur während 130 wunderschön fotografierter, autobiografischer Minuten die emotional diffizile Zeit, als ihm seine Fußballbegeisterung das Leben gerettet hat. Intensives Italienflair und Zeitkolorit treffen auf kauzige Figuren und eine schwermütige, perplexe Stimmung zwischen Freiheitsgefühl und Beklommenheit.
Platz 44: Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings (Regie: Destin Daniel Cretton)
Der Finalakt könnte etwas Straffung und bessere Effekte vertragen. Doch davon abgesehen ist Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings ein Ritt durch neue Winkel des Marvel Cinematic Universe, der mir richtig Freude bereitet hat. Simu Liu ist als Shang-Chi ein charismatischer, zwischen sogleich mehreren Welten/Kulturen balancierender Held, der Halt sucht, Awkwafina hat als Katy Chen das Potential, einer der erfrischendsten MCU-Sidekicks zu werden, Tony Leung gibt (wenig überraschend) eine facettenreiche, verletzliche Performance als getriebener, gefährlicher Vater und Gangsterboss und Meng’er Zhang rockt in ihrer Debütrolle. Launiges Blockbusterkino mit Persönlichkeit.
Platz 43: Free Guy (Regie: Shawn Levy)
Wohl meine größte Filmüberraschung 2021: Die Kombination aus Shawn Levy, Gaming-Thematik und den recht anstrengenden Trailern sowie Ryan Reynolds' nunmehr patentiert-verkrampften Bemühungen, virales Marketing in Gang zu setzen, hat mir vorab absolute Minuslust auf diese Komödie gemacht. "Da passt doch nichts zusammen!", dachte ich. Selbst die hocherfreute Reaktion meiner geschätzten Filmgedacht-Partnerin Antje, deren Pressevorführung wieder einmal vor meiner stattfand, gab mir keinerlei Vertrauen in diesen Film. Und dann habe ich mich ins Kino gesetzt. Und habe fast zwei Stunden am Stück durchgegrinst.
Reynolds spielt nicht wieder sich selbst, sondern eher eine Will-Ferrell-Figur im Körper einer Ryan-Reynolds-Rolle: Ein ewig positiver, naiver Kindskopf, der dazulernen und die Welt nicht nur auskosten, sondern auch verbessern will. Jodie Comer ist charmant, taff, witzig und trägt die kuscheligsten Filmpullover, die ich seit langem im Kino gesehen habe. Ja, selbst Chris Evans' Pullis aus Knives Out sehen daneben kratzig und unbequem aus. Die Gags sitzen, Christophe Becks Score ist schön (und gipfelt in einen Wiederaufgriff des Paperman-Scores), die Cameos machen Laune und diese ungeheuerlich positive, freundliche, optimistische, überzeugend-lebensbejahende Grundattitüde des Films kommt nicht nur völlig unerwartet, sie hat mich durch und durch bezaubert.
Kurzum: Free Guy mag die Kosten und den Anschein eines Popcorn-Franchiseblockbusters aufweisen. Aber in Wirklichkeit ist er ein richtig schöner Vertreter des Genres "Sonntagnachmittagskuscheldeckenfilm". 💖
Platz 42: OSS 117 – Liebesgrüße aus Afrika (Regie: Nicolas Bedos)
12 Jahre nach OSS 117 - Er selbst ist sich genug kehrt der frivol-süffisant-arrogant-dämlich grinsende französische Spitzenagent OSS 117 zurück. Und er ist kein Stückchen besser geworden: Das ewige Relikt verkrusteter gesellschaftlicher Ansichten lächelt sich mit Dickschädel, unverschämtem Glück und geschmackvoller Mode durch die 1980er-Jahre, bleibt eine wandelnde Verballhornung von James Bond und beweist dieses Mal, wie denkbar wenig er von den Schäden der französischen Kolonialpolitik weiß. Jean Dujardin verleiht dem Ganzen nach zwei Filmen von Michel Hazanavicius nun unter der Regie von Nicolas Bedos ebenso sehr Schmielappigkeit wie Charme, die Situationskomik ist auch im dritten Teil der Reihe ebenso brillant wie herrlich-stumpf und es vergeht kaum eine Filmminute ohne gut sitzende Pointe, bissigen Seitenhieb oder detailgenauer Verehrung der guten Seiten früherer Genregenüsse. Und oft genug gibt's alles zusammen.
Platz 41: PG: Psycho Goreman (Regie: Steven Kostanski)
Ein machtgieriges Gör kann dank eines Artefakts einen außerirdischen, mörderischen Krieger nach ihrer Pfeife tanzen lassen, und nutzt das nicht nur, um ihren Bruder zu nerven: PG: Psycho Goreman ist eine Popcorn-Kostümparty für die Mitternachtsschiene, voller herrlicher, zitierwürdiger Einfälle, liebevoll gestalteter Kostüme und urkomischer Gewaltspitzen. Prost!
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