Regisseurin/Autorin Chloé Zhao ist bislang vornehmlich für ihre leisen Arbeiten bekannt, die sich im semi-dokumentarischen Stil zwischenmenschlichen Dynamiken nähern. Songs My Brothers Taught Me widmet sich einem Sioux-Geschwisterpaar. The Rider ist ein beeindruckendes Porträt eines Rodeo-Reiters, der bei einem schweren Unfall enorme Verletzungen davongetragen hat und sich dennoch wieder in den Sattel schwingen will - und Zhao fängt seinen Antrieb ebenso akribisch ein wie die Reaktionen seines überforderten, hin- und hergerissenen Umfelds. Und Nomadland widmet sich im selben Tonfall der bittersüßen Poesie darin, wie wacker sich von der rücksichtslosen Wirtschaft abgehängte "Jobnomaden" ein Leben in Würde erkämpfen, wo das System keine Würde mehr vorgesehen hat.
Es ist nur konsequent für eine Filmemacherin, die große Passion für die dornige Komplexität von Situationen und Gefühlslagen aufbringt, dass sich auch Chloé Zhao nicht einfach in eine einzelne Schublade stecken lässt. Denn selbst wenn ihre ersten drei Regiearbeiten zweifelsohne aus demselben Holz geschnitzt sind, so sind Zhaos Interessen breiter gefächert als "unmittelbar aus dem Leben gerissene, leise Schicksalsgeschichten". Die unter anderem von Spike Lee unterrichtete Verehrerin der Arbeiten von Werner Herzog, Ang Lee, Wong Kar-wai und Terence Malick ist auch comicvernarrt, inniger Sci-Fi-Fan, fieberte daher beispielsweise Denis Villeneuves Dune entgegen (und war letztlich überaus begeistert vom Endergebnis), schwärmt von James Camerons Terminator und hat einen weiterhin aktiven Fanfiction-Account (den sie jedoch nicht offenlegen will). Es war also nur eine Frage der Zeit, bis Zhao sich in die Genrewelten des Fantastischen bewegt.
Mit ihrem vierten Film ist es nun so weit: Bereits nach The Rider ging Zhao mit einer umfangreichen Präsentation bewaffnet auf die Marvel Studios zu - sowie mit der Bitte, ein Projekt zu übernehmen. Sie war daher sowohl für Black Widow als auch für Eternals im Gespräch. Sie erhielt für den Letztgenannten den Zuschlag und entwickelte ihn während ihrer Arbeit an Nomadland. Wir werden wohl nie erfahren, wie Zhaos Black Widow geworden wäre, aber ich kann mir schwer vorstellen, dass der Agentinnen-Actioner eine bessere Wahl für Zhao dargestellt hätte: Zwar ist einer der Schwerpunkte des Auftaktfilms der Phase IV im Marvel Cinematic Universe die diffizile Familiendynamik, in der sich Natasha Romanoff befindet, allerdings bietet Eternals Zhao eine viel breitere Spielwiese, um ihren Stil und ihre schreiberischen Sensibilitäten in fabulöse Welten zu übertragen.
Eternals handelt von einer zehnköpfigen Gruppe nahezu unsterblicher Personen, den Eternals. Ihnen wurde von den gottgleichen Wesen namens Celestials der Auftrag gegeben, sich auf der Erde unter die Menschen zu mischen und sie vor blutrünstigen Monstern namens Deviants zu beschützen. Aber auch nur vor ihnen. Vor Jahrhunderten schienen sie alle Deviants bezwungen zu haben, doch nach den Ereignissen aus Avengers || Endgame tauchen die drahtig-muskulösen Viecher wieder auf. Also müssen sich die über den ganzen Globus verteilten Heldinnen und Helden sammeln. Doch frühere Konflikte und jahrtausendelang verschleppte Gewissensbisse erschweren die Mission ...
Zhao und die ebenfalls für das Drehbuch verantwortlichen Patrick Burleigh, Ryan Firpo & Kaz Firpo überfrachten ihr Publikum im Prolog mit mythologischen Begrifflichkeiten, Erklärungen und Andeutungen. Nach diesem etwas erzählerisch holprigen Einstieg breiten sie allerdings eine ruhig, doch konzentriert aufgezäumte Geschichte vor ihrem Publikum aus, in dem sich nahezu unsterbliche, menschenähnliche Wesen mit massiven Kräften von einer Zwickmühle in die nächste begeben. Diese sind interpersoneller Natur, kämpferischer Art oder betreffen ethische/philosophische Fragen.
Vor allem letzter Aspekt ist von Interesse: Zhao macht in Eternals nämlich das, was sich im Superheldenkino aufgrund der dort agierenden, mächtigen Figuren nahezu aufdrängt, abseits ihr jedoch nur Zack Snyder mit Man of Steel im Mainstream auf auffällige Weise tat. Sie widmet sich dem Dilemma, wie denn als gütig behauptete und überaus mächtig geschilderte Figuren Leid zulassen können - geht also einer vercomicten Version der Theodizeefrage nach. Bedenkt man, dass Snyders "Superman kann ja auch nicht andauernd alle retten"-Film mein klarer Favorit unter seinen DC-Filmen ist, damals jedoch auch viel Schelte abbekommen hat, kommt mit angesichts der bisherigen Eternals-Reaktionen prompt ein Déjà-vu ...
Mit Man of Steel teilt sich Eternals auch die zwischen Zeitebenen springende Erzählweise, wobei Zhao in den Rückblenden durch die Menschheitsgeschichte düst und dies gleichermaßen für Kostüm- und Kulissenprunk nutzt wie für das sehr beiläufige Säen von Zwietracht, Misstrauen, Zuneigung und Vertrauen innerhalb der titelgebenden Truppe. Beispielsweise wird der von Kumail Nanjiani mit viel Witz verkörperte, jedoch auf's Kämpfen spezialisierte Kingo als jemand gezeigt, der im privaten Umfeld ein lockeres Mundwerk hat und neidisch auf die Gabe von Sprite (Lia McHugh) ist, die lebensechte Projektionen erzeugen kann und diese in ruhigen Momenten nutzt, um die Sterblichen zu unterhalten. Dass Kingo in der Gegenwart der Handlung als seit Jahrzehnten tätiger Bollywood-Star aufkreuzt, der nach all der Zeit im Showbiz noch vorlauter und schnippischer ist und mehr flotte Sprüche raushaut als zuvor, ist eine fast schon erschreckend schlüssige Begründung Zhaos, mit Kingos Wiedereingreifen in die Handlung ein Comic Relief einzuführen.
Nicht alle Eternals bekommen gleich viel erzählerische Aufmerksamkeit, der koreanische Filmstar Don Lee etwa fällt mit seiner Rolle nahezu unter den Tisch, wohingegen beispielsweise die taube Lauren Ridloff ihrer Heldin in ihren wenigen Szenen eine fesselnde Energie verleihen kann und McHugh als Sprite überzeugend zwischen ewig-jugendlicher Frische und jahrtausendealtem Frust balanciert. Gemma Chans Sersi dient mehr oder minder als Protagonistin, hält sich jedoch zurück, statt dem Film mit Nachdruck ihren Stempel aufzudrücken. Das reibt sich mit den MCU-Sehgewohnheiten, sind die Filme der Marvel Studios, klammert man Black Panther und Chadwick Bosemans sehr stark die Bälle zum Nebencast passende Performance aus, ja gemeinhin stark auf ihren zentralen Star ausgerichtet. Trotzdem (oder gerade deshalb) sollte man Chans Leistung in Eternals nicht unterschätzen - wenn ich schauspielerisch was zu mäkeln habe, trifft das viel mehr Kit Harrington als Sersis Love Interest und Richard Madden als ihr Ex und Eternal-Kollege zu. Beide ackern sich für meinen Begriff zu steif durch ihre Szenen, wobei Ramin Djawadis urig-epochaler Soundtrack durchaus die eine oder andere Szene ordentlich vorantreibt und dabei auch das Spiel der beiden Herren im besten Sinne zu übertönen versteht.
Visuell ist Eternals die Handschrift Zhaos noch stärker anzumerken als darin, in welchem Duktus sie die Dialogpassagen taktet. Kameramann Ben Davis schafft allerhand hübsche Panoramen, und die digitalen Trickeffekte sind nach den in ihren schwächeren Momenten etwas angestaubt wirkenden Black Widow und Shang-Chi eine echte Wonne. Wenn manche dieser digital getricksten Elemente mit mahnender Schwere im Bild stehen bleiben, darf sogar Gänsehaut aufkommen - vorausgesetzt, man ist zu diesem Zeitpunkt noch emotional und gedanklich in das Geschehen involviert.
Die durchwachsenen Vorabkritiken zu Eternals machen mir deutlich, dass das längst nicht auf alle zutreffen wird, ich aber würde nur den Einstieg des Films etwas begradigen und beim nahezu obligatorischen Actionfinale (das sich allerdings viel organischer entwickelt und zügiger abspielt als bei den vergangenen zwei Phase-IV-Filmen) ein paar Minuten stutzen. Sonst bin ich echt angetan vom Film und bin gespannt, ob (und wenn ja: wie) Zhaos nachdenklich-kurzweilige Sci-Fi-Vision weitergeht. Vielleicht werden wir bei ihrer achten Regiearbeit schlauer sein?
Fazit: Eternals gut. Gerne mehr. Weitere große Worte überlasse ich den zehn Eternals.
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