Nach zahlreichen Verschiebungen kommt am 12. August 2021 die neue Ryan-Reynolds-Komödie Free Guy in die Kinos. Ein Film auf den ich aufgrund seiner Marketingkampagne wenig bis gar keine Lust hatte. Die Poster sahen generisch aus, die zahlreichen Trailer haben mir bestenfalls ein Schmunzeln entlockt und mich schlimmstenfalls genervt. Offenbar ging es vielen so. Und es wäre verdammt schade, sollte der Film daher auf die Nase fallen. Denn Free Guy ist eine Big-Budget-Komödie, die High Concept mit viel Herz und großem Spaß vereint – gemessen an meiner Erwartungshaltung eine waschechte, vergnügliche Überraschung.
Darum geht es: Guy ist ein NPC, also ein nicht spielbarer Charakter, in einem Online-Sandbox-Spiel namens Free City, einer Art "Grand Theft Auto trifft Slaughter Race aus Chaos im Netz". Er wurde dazu programmiert, stets den gleichen Kaffee bestellend und freundlich-ratlos grinsend zu seiner Arbeit in einer Bank zu gehen, die die von Spieler:innen gesteuerten Figuren für Bonuspunkte überfallen können. Doch eines Tages wird Guy aus seiner Routine gerissen: Als er die von Indie-Programmiererin Millie gespielte Molotov Girl (Jodie Comer) kennenlernt, fühlt er sich dazu angespornt, sich nicht weiter herumschubsen zu lassen, sondern selber aktiv zu werden. Bald darauf durchschaut er den vor ihm verborgenen Fakt, dass sein ganzes Leben nur ein Spiel ist. Doch es gibt noch viel mehr zu entdecken ...
Vielleicht ist das Free Guy-Marketing genau darüber gestolpert: Einerseits ist die neue Regiearbeit von Shawn Levy (die Nachts im Museum-Trilogie, Real Steel) eine High-Concept-Komödie, also ein leicht zusammenfassender Spaß für's ganze Publikum. Videospielfigur realisiert, dass sie eine Videospiel-Randfigur ist, und möchte mehr sein. Ralph reicht's, quasi, nur nicht mit dem Gut/Böse-Ansatz, sondern einem Passiv/Aktiv-Spektrum an Bestimmung. Allerdings machen die Drehbuchautoren Matt Lieberman (The Christmas Chronicles) und Zak Penn (Marvel's The Avengers und Ready Player One) einen durchaus anders gearteten Stoff daraus, als man bei einem heutigen Big-Budget-Realfilm über Computerspiele und/oder einem ins Metafiktionale lehnenden Vehikel für Deadpool-Star Ryan Reynolds erwarten würde.
Dabei haben ja schon die
Ralph reicht's-Filme vorgemacht, dass solch ein Stoff für herzliche Geschichten herhalten kann. Und
Free Guy bestätigt nun, dass dies kein Kniff ist, der Animationsfilmen vorbehalten bleibt: Mit Videospiel-, Internet-, und generellen Popkultur-Referenzen bestückte Komödien über Gaming-Figuren, die über ihre vermeintliche Bestimmung hinauswachsen, können durch und durch gute Laune verbreiten und mit einem großen Herz erfreuen. Im Falle von
Free Guy wird daraus fast schon etwas, das ich einen Sonntagswolldeckenkuschelfilm nenne: Mancher ironischer Spitze zum Trotz ist dies nämlich ein echter Wohlfühlfilm geworden, der zu mehr Freundlichkeit und Schöpfungsfreude inspiriert, ohne dass Skript, Schauspiel oder Regieführung je ins Moralinsaure kippen würden.
Das liegt daran, dass die Story nicht in die Richtung "Jetzt tobt sich ein NPC aus!" entwickelt, was sicher ein Gag-Schnellfeuerwerk hätte werden können, aber nicht solche emotionale Tiefe mitgebracht hätte. Stattdessen dreht sich Free Guy einerseits um Programmiererin Millie, die im echten Leben einen Kleiderschrank voller großer, weiter, richtig toll flauschig aussehender Pullis hat (sie sehen so warm und kuschelig aus!), in Free City dagegen die Identität einer britischen Killerin in Fliegerbrille, wehender weißer Bluse und Hosenträger annimmt. Sie ist auf der ständigen Suche nach Beweisen dafür, dass der geldgierige, Kreativität geringschätzende Betreiber dieses Games (ein überdrehter Taika Waititi) das Lebenswerk von Millie und ihrem besten Freund gestohlen hat. Free Guy und Tim Burtons Dumbo würden ein echt interessantes Double Feature ergeben, nur dass in dieser Kombi Dumbo wundersamerweise der zynischere, spitzere Film ist. Oder wir packen noch den Utopie-Wunschgedanken behandelnden A World Beyond hinzu und haben ein Triple an sich vergnüglich ergänzenden Filmen.
Denn Jodie Comer verleiht Free Guy in den Szenen in der realen Welt mit einer freundliche, fröhlichen, zielstrebigen Leinwandpräsenz eine gewinnende, einladende Grundstimmung. Ihre Free City-Identität ist wiederum cool, lässig, selbstsicher - und sie geht mit einem Lied auf den Lippen auf ihre Mission, durch die sie sich mit vollem Einsatz kämpft. Sie ist keine abgebrühte, makellose Killerbraut, keine Gamerin, die sich übernimmt, sondern glaubhaft Vollprofi, der gelegentlich in überfordenden Trubel versinkt.
Zudem spielen sich Comer und ihre jeweiligen Szenenpartner sehr gut die Bälle zu: Mit Ryan Reynolds ergibt sich ein sehr launiger, temporeicher Rapport, bei dem sie genauso über Guys Naivität und Optimismus staunen wie mit ihm schmunzeln darf - und sich auch immer wieder kleine Momente der Alleinunterhaltung erlaubt, wenn sie Späße macht, die über Guys Kopf hinwegfliegen. Mit Joe Keery in der Rolle ihres nun für die Konkurrenz arbeitenden, früheren Geschäftspartners Keys wiederum hat sie eine warme, natürlich wirkende Chemie: Man merkt ihren Figuren eine lang gewachsene, beruflich komplizierte, privat harmonische Dynamik an, die ihre gemeinsamen Szenen massiv aufwertet, selbst wenn sie auf Skriptebene ein paar Klischees nicht zu vermeiden wissen. Hoffentlich arbeitet Hollywood schon an einer Buddy Comedy oder RomCom mit den Beiden, denn diese Energie zwischen ihnen muss weiter ausgenutzt werden!
Der andere, im Marketing stärker betonte Storyfaden von Free Guy dreht sich um Reynolds' Guy, der seine neu entdeckte Freiheit innerhalb Free City nutzt, um mit unbändiger Fröhlichkeit und Hilfsbereitschaft das Spiel zu einem besseren Ort zu machen. Er allein kann nicht viel bewegen, aber er legt sich dennoch ins Zeug, was dank Reynolds' typischem Comedy Timing ganz fesch rüberkommt und eine hübsche Verdrehung der Deadpool-basierten Erwartungen darstellt. Guys unschuldige Verspieltheit ist geradezu ansteckend, und seine sehr kindliche, aber Grenzen beachtende Verschossenheit in Millie findet eine angenehme Balance aus Albernheit und harmloser Blauäugigkeit.
Was richtig überraschend ist: Reynolds, Penn, Lieberman und Levy gelingt es (meistens, nicht immer) nahtlos, aus dieser freundlich, anspornend-munteren Tonalität auch schrillere Popkulturreferenzen oder auch grellere, lautere Gags rund um kuriose Anblicke, Vulgaritäten oder Kalauer-Steilvorlagen zu entwickeln. Ob derbe Wutausbrüche, pubertär handelnde Nebenfiguren, Portal-Guns, Cameos oder Verweise auf andere Filme: Im filmischen Gesamtkontext wirkte das auf mich nicht aufgesetzt, sondern organisch aus der Persönlichkeit der Figuren und der Filmwelt (und der Welt-in-der-Welt) gewonnen. Da werden Erinnerungen an The LEGO Movie wach, und das nicht nur, weil Reynolds Guy wie einen fähigeren, aber paradoxerweise wohl noch begriffsstutzigeren Emmet anlegt.
Free Guy ist alles in allem ein echtes filmisches Kuriosum: Man könnte zahlreiche Szenen aus dem Film lösen, als Promo-Clip zeigen, und es würde entweder lahm sowie das Potential der NPC-wird-selbstständig-Idee fallenlassend wirken, oder forciert, bemüht und anstrengend. Doch dadurch, wie sich die Geschichte entfaltet, mit welcher ehrlichen Begeisterung die Moral vermittelt wird, und wie sich der Cast ergänzt, funktioniert Free Guy überaus gut. Ein echt schöner, gesund-dämlicher, gutherziger Filmspaß mit wiederverwertetem Paperman-Score und Herz!
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