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Mittwoch, 17. Februar 2021

Meine Lieblingsfilme 2020 (Teil I)

Endlich konnte ich das Filmjahr 2020 sacken lassen und mir gebührend Gedanken darüber machen, welche Projekte aus diesem Jahr mein Filmherz am meisten erfreuten. Aufgrund von Festivalstarts, die manchmal lange vor dem regulären Start stattfinden, ist die Unterscheidung "Was ist ein 2020-Film?" nicht gerade leicht. Ich mache es daher mittlerweile so: Wenn ein Festivalfilm zum Zeitpunkt, zu dem ich diese Liste begonnen habe, keinen regulären Deutschlandstart anstehen hat, gilt sein Festivaljahr. Ansonsten haben reguläre Starts Vorrang in der Einteilung.

Außerdem gilt hier, wie eh und je: Das sind nicht zwingend die Filme, die ich für einen allgemeingültigen Filmkanon 2020 einreichen würde. Ich votiere hier nicht kopflastig mit einer Intention für andere, sondern herzfokussiert für mich allein. Alles klar soweit?! Na dann, los:

Platz 40: The Hunt (Regie: Craig Zobel)

Bei The Hunt sehe ich es genauso wie meine werte Kollegin Antje Wessels: Das ist eine blutige, maßlos überzogene Komödie. Und ich habe einen Heidenspaß an ihr! Regisseur Craig Zobel und Drehbuchautor Damon Lindelof schlagen unentwegt Haken, um wen es geht, worum es geht und wie wir dazu stehen sollen. Munter werden Klischees und klischierte Reaktionen auf Klischees überspitzt, zelebriert und in die Luft gesprengt, und der Cast hat eine ansteckende Freude daran. Und so albern und chaotisch der Film auch sein mag, steckt er voller kleiner, gemeiner, treffgenauer Beobachtungen. Meine Lieblingsszene ist daher keine der pointenhaft inszenierten Gewaltspitzen, sondern der Moment, wo sich ein als Konservativer ausgebender Linker selbst verrät, indem er sich stammelnd dagegen ausspricht, ohne nähere Infos gegen das Opfer einer Gewalttat zu hetzen. Daraufhin kickt ihn die von Betty Gilpin gespielte Person, die somit von ihm in Schutz genommen wurde, achtkantig aus einem fahrenden Auto. Keine Erklärungen, der Film geht davon aus, dass wir die Punkte zu verbinden wissen. Es ist herrlich-witzig inszeniert, es ist ein tolldreister Kommentar auf die Aggressivität, mit der auf dem konservativen Spektrum Leuten stets die Schuld an ihrem Schicksal zugeschrieben wird, und es ist so konstruiert, dass wir für die Verweildauer dieses Momentes gegen die empathische Person fiebern müssen, damit es auf Handlungsebene spannender wird. Joah, also ich hab Spaß dran!

Platz 39: Bombshell (Regie: Jay Roach)

Jay Roach macht einen auf "Adam McKay light" und erzählt in gemäßigter Form dessen, wie The Big Short und Vice operierten, vom großen Skandal bei FOX News, in dessen Rahmen offenkundig wurde, wie die Senderspitze sexuell übergriffig gegenüber weiblichen Moderatorinnen wurde. Zwei Abbildungen realer Vorkommnisse (die Storylines rund um die von Charlize Theron und Nicole Kidman verkörperten Moderatorinnen) treffen hier auf eine fiktionalisierte Zusammenfassung weiterer Geschehnisse bei dem Hetzsender, der als Nachrichtensender verkauft wird (Margot Robbie). Roach erzählt dies ebenso dramatisch wie beißend-gewitzt und gibt seinen Darstellerinnen viel Raum, die inneren und äußeren Zwistigkeiten der Ziele sexueller Übergriffe greifbar zu machen. Hinzu kommen Kate McKinnon als Liberale, die in einer beruflichen FOX-News-Abhängigkeit gefangen ist, und zahlreiche, Zorn weckende Einblicke in die manipulative Berichterstattung dieses Scheißsenders. 

Platz 38: Ruben Brandt, Collector (Regie: Milorad Krstic)

In diesem ungarischen Animationsfilm über einen kunstliebenden Psychotherapeuten und eine diebische Halunkentruppe geht es in allererster Linie um eine reine Referenzenparty ohne jede Zurückhaltung. Dutzende an Kunstwerken, darunter Gemälde, Musikstücke, Filme und Skulpturen, werden verarbeitet, außerdem werden gesellschaftliche und kulturellen Denkströmungen wie Freuds Traumanalyse in diesen Flickenteppich gewoben. Es ist quasi das Bildungsbürgertum-Ready Player One, bloß längst nicht so ätzend, unter anderem, weil Milorad Kristic den Reiz der von ihm referenzierten Werke versteht und die Handlung keine Verästelungen beinhaltet, die arrogant zum Ausdruck bringen, man sei weniger wert, sollte man sich mit dem Metier des Films nicht all zu sehr auskennen. Schon absurd, dass die "Boah! Die Popkultur der 80er war so megageil! Und alles andere, was ununterbrochen wieder hochgekaut wird, auch!"-Referenzenparty auf einem höheren Ross sitzt ... 

Hinzu kommt, dass Ruben Brandt, Collector erzählerisch einen Mehrwert hat und einen Sinn darin findet, so viele Anspielungen zu beinhalten: Allerspätestens gegen Schluss finden in diesem Kleinod die Fäden zusammen und es wird klar, dass dies ein filmisches Sinnieren über die Wechselwirkung zwischen Kunstbewunderung, dem Klauen bei großen Vorbildern, und Kunsterschaffen ist. Das ist mir tausendmal lieber als der "Nur, wer bei einem Trivia-Wettbewerb gewinnt, ist ein echter Fan"-Müll in Ready Player One.

Platz 37: Why Don't You Just Die? (Regie: Kirill Sokolov)

Auf dem Fantasy Filmfest 2019 war es eines der vergnüglichsten Kinoerlebnisse, Anfang 2020 wurde dieser russische Filmspaß auch Nicht-Festivalleuten zugänglich gemacht: Kirill Sokolov lässt den dynamischen Schnitt eines Edgar Wright mit der um Gewaltspitzen bereicherten, non-linearen Erzählform eines Quentin Tarantino zusammenkrachen und zündet ein immer weiter eskalierendes Slapstick-Qualfeuerwerk ab. Schläge, Tritte, Schüsse, brechende Knochen und literweise Blut sowie eine peppige Erzählform. Besonders empfehlenswert für einen geselligen Filmabend mit ähnlich tickenden Filmfans (natürlich erst in ein paar Monaten).

Platz 36: Yummy - Grindhouse Cut (Regie: Lars Damoiseaux)

Amüsanter Zombiehorror aus Belgien, bis zum Bersten voll mit eindrucksvollen, handgemachten Splattereffekten und überzeugendem Verletzungs- und Mutations-Make-up. Der Ausbruch einer Zombieplage in einer dubiosen Schönheitsklinik bleibt erzählerisch zwar sehr nah an der Leitplanke für Standard-Zombiefilme. Aber ein paar spitze Späße, unerwartete Feinheiten in der gemeinhin sehr funktionalen Charakterzeichnung, und eine Handvoll von bissigen Kommentaren in Sachen Schönheitsideal und fragiler Männlichkeit haben sich dann doch reingeschlichen. Trotzdem sind es die das Material intuitiv begreifende Hauptdarstellerin Maaike Neuville und insbesondere die schon erwähnten Effekte, die Yummy zu einem Toplistenanwärter machen. Im speziellen "Grindhouse Cut", der in Deutschland exklusiv im Mediabook erhältlich ist, macht Yummy dann sogar den letzten Hüpfer: Das abgeranzte Bild lässt die stylische Lichtsetzung von Daan Nieuwenhuijs, sobald die Kacke erstmal am Dampfen ist, noch prägnanter wirken, und diese abgerockte, siffige Ästhetik wertet die Grundstimmung des Films nochmal deutlich auf

Platz 35: Der wunderbare Mr. Rogers (Regie: Marielle Heller)

Ein gefürchteter Journalist nimmt sich vor, einen Fluff-Artikelauftrag zu nutzen, um einen von der Öffentlichkeit geradezu geheiligten Kinder-TV-Star zu entzaubern ... und lernt, dass nicht überall, wo man sich eine schockierende Story herbeiwünscht, eine wartet ... und dass man stattdessen bei sich selbst und seinem direkten Umfeld um mehr Verständnis und dringend nötiger Aussprache umschauen könnte. Ich bin seit ihrem Debüt The Diary of a Teenage Girl Fan von Regisseurin Marielle Heller, und auch dieses Schauspielvehikel für Matthew Rhys und Tom Hanks hat mich um den Finger gewickelt: Gefühlvoller Flausch, der zugleich völlig harmlos ist (nein, lieber Herr Schockjournalist, Mr. Rogers hat keine Leichen im Keller!) und doch emotional roh (die interfamiliären Konflikte der Hauptfigur werden unverblümt aufgedröselt). Und Hellers Regieführung, die uns stets die schaurige Eskalation erwarten lässt und Erlösung in Form von Glücklichkeit verschafft, ist bemerkenswert!

Platz 34: Sound of Metal (Regie: Darius Marder)

In Darius Marders Drama Sound of Metal erleidet der Heavy-Metal-Drummer Ruben einen plötzlichen, rapiden Gehörverlust. Nicht nur, dass Marder diesen Prozess durch grandioses Sounddesign auf beklemmende Weise nachzeichnet: Rubens Hadern mit seinem nachlassenden Gehör, seine schleppenden Lektionen darin, sich in eine Community von Menschen einzugliedern, denen es ähnlich geht, und sein Einfinden in ein neues Leben, gestatten es Hauptdarsteller Riz Ahmed, eine wahre schauspielerische Tour de Force abzugeben. Nebendarsteller Paul Raci ist als Rubens Mentor nicht minder wundervoll. 

Platz 33: Cortex (Regie: Moritz Bleibtreu)

Was für ein beeindruckendes Regiedebüt: Moritz Bleibtreu gelang mit Cortex ein visuell beeindruckender Psychothriller, in dem die Grenzen zwischen Wirklichkeit, Tagtraum, Halbschlaf, Wahnvorstellung und Traum unentwegt verwischen. Mit prägnanter Bildsprache, kräftig-atmosphärischem Sounddesign und einem fähigen Cast erzählt Bleibtreu zwar nichts, das Genrefans überraschen wird. Aber es spricht für Cortex, dass er nicht vom Überraschungsfaktor lebt, sondern davon, wie konsequent er uns in die sich aufweichende Weltwahrnehmung seiner zentralen Figuren versetzt. Ich hoffe, dass uns diese Seite des Regisseurs Bleibtreu erhalten bleibt, und er nicht den "Na gut, meine nächsten vier Filme werden romantische Dramödien"-Weg beschreitet.

Platz 32: Schwarz Weiß Bunt (Regie: David Moser)

David Mosers Independent-Film Schwarz Weiß Bunt hat leider eine verschwindend geringe Bekanntheit, aber ich hoffe, dass sich das noch ändert: Dieses weitestgehend improvisierte Slice-of-Life-Drama, in dem wir ein entscheidendes Wochenende im Leben einer Kellnerin betrachten, steckt voller Energie, Lebensfreude und herzlichen Momenten, in denen Eloquenz und Esprit Hand in Hand gehen. Es ist ein Coming-out-Film ohne Coming-out-Klischees, ein Coming-of-Age-Film frei vom genretypischen Pathos und dafür voller feiner Beobachtungen und authentischer Performances.

Platz 31: Z-O-M-B-I-E-S 2 (Regie: Paul Hoen)

Schade, schade, schade: Die Disney-Channel-Original-Movie-Saga rund um die Zombie- und Nicht-Zombie-Bevölkerung des in Pastellfarben erstrahlenden (und sowieso völlig verstrahlten) Seabrook geht nicht den Weg, den Descendants gegangen ist. Während Kenny Ortegas Disney-Schurkenkinder-Trilogie ihren Höhepunkt mit Teil zwei erreichte, lässt Paul Hoens Fiebertraum von einem Mischmasch aus Teenie-Komödie, Elektro-Pop-Musical, Horror-Tropoi-Verkindlichung, Das-letzte-Stück-Zurückhaltung-aus-dem-Fenster-schmeiß-Disney-Channel-Konvention-Zuspitzeritis und Intoleranzsatire einen Hauch nach. Z-O-M-B-I-E-S 2 lässt stilistisch hier und da etwas des "Was ... zum ... Donner?!"-Überraschungseffekts des Originals missen, was zum Beispiel daran liegt, dass hier die in dieser Saga bedienten Klangwelten stärker verschwimmen und somit der Clash aus Showtunes, tanzbarem Pop der Gegenwart und disneyfizierter EDM weniger scheppert und daher auch weniger fasziniert.


Dessen ungeachtet ist auch dieses quietschebunte Sequel eines meiner Filmhighlights des Jahres 2020. Zuckerschock trifft auf Energy-Drink-Überdosis-Hibbeligkeit, wenn Menschen(?)-Cheerleaderin Addison und Zombie-Sportler-mit-Schülersprecherambitionen Zed ihre in Teil eins errungene Romanze vor alten (Intoleranz, Vorurteile, Neider) und neuen (potentielle Nebenbuhler! Missverständnisse!) Bedrohungen verteidigen müssen. Als Zed seine heuchlerische Seite entdeckt, indem er die von der menschlichen Kultur an den Rand gedrängten Seabrook-Ureinwohner (Werwölfe!) für sein Versagen verantwortlich macht, während die (wortwörtliche, nicht charakterliche) blasse Addison so begeistert von Werwölfen ist, dass sie versucht, deren Kultur für sich zu übernehmen und so eine neue Identität aufzubauen, ist Ärger vorbereitet! Dass die Menschen darüber hinaus eine der wichtigsten Gedenkstätten der anderen Seabrook-Kulturen plattwalzen wollen, heizt der Grundstimmung im Ort nur weiter ein ... Ach, und dann ist da natürlich noch das Rap-Battle um die (Schul-)Präsidentschaft! Wie kommen die beim Disney Channel nur auf solche Ideen?!


Oh, und dann ist Z-O-M-B-I-E-S 2 obendrein der allererste Disney Channel Original Movie, der anamorph im Bildformat 2.39:1 gedreht wurde. Hach, Klein-DC wird erwachsen! Ich kann Teil drei nicht abwarten! (Wehe, es kommt kein dritter Teil!)

Fortsetzung folgt ...

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