Die beliebten Geschichten
von Marc-Uwe Kling eroberten schon die literarischen Bestsellerlisten
und gingen als Hörbücher durch die Decke. Nun legt das
kommunistische Känguru einen Film nach – einen Film in blamabler
Qualität.
Es gibt gute Filme, es gibt
schlechte Filme. Filme, die massentauglich sind, und Filme, die ein
Nischenpublikum ansprechen. Und es gibt Filme, bei denen man sich
fragt: "Wie zum Geier konnte das nur passieren?" Die
Känguru-Chroniken ist solch ein Film. Nicht an der
Oberfläche betrachtet, wohlgemerkt: Einen Die
Känguru-Chroniken-Film musste man kommen sehen. Denn wieso
sollten sich die sowohl in gedruckter Form als auch als Hörbücher
immens erfolgreichen Känguru-Geschichten des Liedermachers,
Kabarettisten und Autoren Marc-Uwe Kling den Sprung auf die große
Leinwand entgehen lassen? Sobald man etwas tiefer bohrt, wird aber
klar, welch unkoordinierter Sprung das gewesen sein muss. Denn was
Inhalt und Umsetzung des Die Känguru-Chroniken-Films
angeht, dürfte die neue Regiearbeit von Dani Levy (Alles
auf Zucker) eines der rätselhaftesten, wenn nicht gar
fragwürdigsten Kinoprojekte sein, die das wiedervereinigte
Deutschland hervorgebracht hat.
Schlimmer als jede
Hufeisen-Argumentation
Das hier ist nämlich der
Plot: Faulenzer Marc-Uwe (Dimitrij Schaad), der behauptet, Künstler
zu sein, aber eigentlich den ganzen Tag nur schläft und jammert,
macht eines Mittags Bekanntschaft mit einem kleptomanischen,
kommunistischen, leerstehende Wohnungen besetzenden Känguru, das nichts zur Gesellschaft beiträgt, außer Stunk zu
machen. Sie beide leben in einem ranzigen, baufälligen Gebäude in
Berlin und hängen mit weiteren Linken, wie einer veganen Hackerin
(die einem befreundeten Späti geschäftsschädigende Streiche
spielt) in einer versifften Kneipe ab. Als das Känguru bei einem
Besuch im Park einen unschuldigen Hund misshandelt, hat es nicht die
Rechnung mit dessen Besitzern gemacht, einer Gruppe Patrioten, die
nicht fassen kann, wie diese Linken Spaß daran haben können, einen
kleinen Wauwau zu verletzen.
So beginnt ein Kleinkrieg
zwischen den Hundebesitzern und den linken Troublemakern, in den
durch eine Täuschung des Kängurus und des "Künstlers"
auch der Politiker und Geschäftsmann Dwigs (Henry Hübchen)
reingezogen wird. Die Hundefreunde werden durch einen Trick nämlich
dazu verleitet, das Auto des in dieser Sache unbescholtenen
Immobilienbesitzers und Bauunternehmers schwer zu beschädigen. Und
da endet das Elend noch nicht: Das Känguru und Marc-Uwe nehmen sich
alsbald vor, die Baupläne Dwigs' zu untergraben, der das dringend
Wohnraum benötigende Berlin mit einem topmodernen Hochhaus segnen
möchte. Mit Diebstahl, Lug und Trug soll dieses Vorhaben zerstört
werden, nur weil Dwigs sein Angebot an die Stadt ein bisschen
aufgehübscht hat – doch wer tut das nicht? Statt dem freien Markt
die Chance zu geben, darauf zu reagieren, beginnen Marc-Uwe und das
Beuteltier eine Intrige, in deren Rahmen Panik und Sachbeschädigung
erfolgen sollen. Können Dwigs und die sich ihm anschließenden
Hundefreunde das verhindern?
Gewiss: Der Filmverleih
fasst die Geschichte von Die Känguru-Chroniken
anders zusammen und Marc-Uwe Kling, der nicht nur die Vorlage
verantwortete, sondern obendrein das Drehbuch zum Film, wird die
Handlung zweifelsohne ebenfalls anders nacherzählen. Aber genau hier
fangen die vielen Probleme von Die Känguru-Chroniken
an: Die Macher dieser Satire lehnen sich faul zurück und verlassen
sich darauf, dass allein ihr Zielpublikum den Weg ins Kino finden und
es mit vorgefertigter Deutung betreten wird.
Die Fangemeinde der
Känguru-Werke ist vornehmlich im links-grünen
Studierendenmilieu zu verorten, Kling ist politisch ohne jeden
Zweifel links einzuschätzen und der Känguru-Chroniken-Film
möchte sicherlich als Satire gegen rechts verstanden werden.
Schließlich stellen sich die Hauptfiguren (die im Unterhaltungskino
meistens zugleich als die Sympathieträger verstanden werden) gegen
eine Gruppe Neo-Nazis und gegen einen Immobilienhai/Politiker, der
inszenatorisch überdeutlich als Comic-Abziehbild der AfD
positioniert wird. Und dann hämmert der Abspannsong auch noch froh
und mit Nachdruck politisch linke Positionen heraus. Dennoch haben
sich die Filmschaffenden offensichtlich kaum größere Gedanken, wie
sie ihre Kernaussage vermitteln sollten.
Aber sei es aus
Nachlässigkeit im Prozess des Drehbuchentwerfens, sei es
schluderiges Erzählen, sei es eine unfassbar naive Inszenierung der
Grundidee oder gar vollkommene Hybris, dass sich das Publikum ja wohl
ungefragt hinter die Protagonisten mehrerer Bestseller stellen wird:
Klammert man das Vorwissen, wie Die Känguru-Chroniken
angesichts seiner Vorlage und deren Schöpfer gemeint sein muss,
sowie sämtliche eventuell erworbenen Vorschuss-Sympathiepunkte für
die Hauptfiguren aus, wird aus dieser gedachten
Anti-Rechtspopulismus-Satire urplötzlich ein Film, der wie
geschaffen ist für den Kemmerich-Flügel der FDP. "Schaut mal,
die AfD macht ja wenigstens was für die Wirtschaft, diese
widerlichen Linken hingegen sind eine Bedrohung für gute Bürger,
brave Hunde, den freien Markt und unschuldige Autos!"
Keine
Känguru-Chroniken, sondern ein Satire-Schwanengesang
Im heutigen Klima einen Film
zu schreiben, zu drehen und zu veröffentlichen, der nicht nur der
AfD-Anhängerschaft in die Karten spielt ("Dwigs hat einen
kleinen Formfehler begangen, aber schaut euch mal diese Linken an!"),
sondern zugleich jenen vermeintlichen Demokraten, die jedoch keine
klare Kante gegen Rechts zeigen, sondern feige herumdrucksen und gar
gelegentlich den Steigbügel halten, ist schon fragwürdig genug.
Aber wenn das alles nicht aus Überzeugung, sondern aus Inkompetenz
geschieht, drängt sich umso mehr die Frage auf: Wie zum Donner ist
das passiert, und wie künstlerisch ratlos müssen die
Verantwortlichen gewesen sein?
Wir wollen Die
Känguru-Chroniken an dieser Stelle nicht zu viel
Wirkungskraft unterstellen – der Film wird schon nicht
aufgeschlossene, tolerante Menschen versehentlich zu AfD-Wählern
machen. Aber er legt auf satirische Weise durchaus den Kemmerichs
unter der FDP-Wählerschaft und den geistigen Seehofern in der Union
Argumente raus, weshalb sie sich darin bestätigt sehen sollten,
lauter vor links die Nase zu rümpfen als vor den Rechten. Angesichts
politischer Entwicklungen, die täglich immer klarer unterstreichen,
wie wichtig es ist, klare Zeichen gegen Hass und Intoleranz,zu
setzen, ist das haarsträubend – und es ist doppelt haarsträubend,
wenn all das quasi aus völliger Nachlässigkeit geschieht. Denn um
Die Känguru-Chroniken kurz aus rein
künstlerischer Sicht zu betrachten, ist es einfach ungeheuerlich
peinlich und ärgerlich, wie dieser Film in Ermangelung einer
kohärenten Vision und einer satirisch-markanten Umsetzung mehrmals
gegen seine eigentliche Essenz ("Ja, wir Linken können
chaotisch sein, aber wir sind sympathisch-unkoordiniert, die Rechten
müssen dagegen dringend aufgehalten werden!") argumentiert.
Denn das, was Die
Känguru-Chroniken treibt, ist keine satirische
Unbequemlichkeit. Dieser Film ist nicht wie Sally Potters The
Party, das schwarz-weiße Streitkomödien-Kammerspiel, das mehrere
linke und grüne Positionen personalisiert darstellt, wie sie sich gegenseitig aufgrund von Nichtigkeiten zerfleischen, statt an einemStrang zu ziehen[/url]. Nichts in Die Känguru-Chroniken
skizziert Fehlverhalten innerhalb der Linken nach, um beißend
Lösungen aufzuzeigen – aber vieles in dem Film verharmlost Feinde
von Demokratie und Frieden. Die Känguru-Chroniken
ist ebenso wenig ein Allgemeinumschlagwie Dietrich Brüggemanns Heil, der mit Süffisanz,
Fiebrigkeit und Stringenz gegen Medien, Parteien, Organisationen und
Einzelpersonen jeglicher politischer Färbung tritt, um konzentriert
zu sagen: "Sag mal, merkt ihr nicht, was da am rechten Rand
abgeht?!"
Vielleicht glauben Marc-Uwe
Kling und Dani Levy, eine Lustspiel-Variante der Er ist
wieder da-Herangehensweise zu verfolgen. David Wnendts
Bestsellerverfilmung über Hitler, der urplötzliche im Deutschland
der Gegenwart auftaucht und Karriere als Komiker und
Medienpersönlichkeit macht, gestattet seiner Interpretation des Despoten und Massenmörders mehrmals,richtig zu liegen. Etwa, wenn er sich über schlechtes
Fernsehprogramm aufregt, die NPD als einen Haufen verirrter
Jammerlappen enhüllt oder schlagfertige Witzlein reißt. Satire darf
unbequem sein (oder muss es sogar, je nach Auffassung dieser
Kunstform), und Er ist wieder da verfolgt diese
Maxime: Der Film nutzt die phasenweise aufgebaute Toleranz gegenüber
seiner Hauptfigur, um dem Publikum dramatisch den Boden unter den
Füßen wegzuziehen und nachdrücklick aufzuzeigen, dass mit dem
Wiederaufbäumen des sprichwörtlichen Hitlers in Deutschland eben
[i]nicht[/i] zu spaßen ist.
Darüber, ob diese
satirische Narrative in Er ist wieder da durchweg
zweckgerichtet ausgeführt ist oder ob es effektiver gewesen, die
Tonalität des Films früher zu kippen, lässt sich streiten. Doch
die Umsetzung ist dank Wnendts Regieführung und Oliver Masuccis
Spiel als Hitler eindrucksvoll, zumal das Ende einem gezielten
Tiefschlag gleicht. Ganz anders verhält es sich mit Die
Känguru-Chroniken: Die Situationen, in denen Kling und
Levy die Neo-Nazis als unverdiente Opfer zeigen oder die Hauptfiguren
mit unlauteren Mitteln Dwigs peinigen, verfolgen kein größeres
erzählerisches Ziel und der notwendige Schlag in die Magengrube, den Er ist wieder da oderdie quietschig-fröhlich beginnende Faschismus-Satire JojoRabbit verteilen, um ihre Position gegen Hass zu
unterstreichen, bleibt völlig aus.
An seiner Stelle tritt ein
hastiges, zahnloses Ende, das niemanden, der schon als Känguru-Chroniken-Fan in den Saal gegangen ist, zum Nachdenken
anregen wird, wohl aber (entgegen der Kernaussage des Films) der
selbsternannten bürgerlichen Mitte sowie Anhänger der unentwegt
nach rechts schielenden "Werte-Union" nur weitere Munition
gegen liderliche Linke hinterlässt. Denn die "Wer wird uns
schon hinterfragen?"-Arroganz, mit der die Hauptfiguren handeln
und geschrieben sind, lässt sämtliche potentielle Selbstironie viel
mehr als tumbe, versehentliche Selbstenttarnung aussehen. Somit rennt
Die Känguru-Chroniken nicht einfach nur sehenden
Auges in die Kreissäge, sondern schmeißt hüpfend und debil lachend
auch noch Hufeisen um sich, ohne zu wissen, was das überhaupt
bedeutet.
Und sonst so
..?
Es ist auch nicht so, als
hätte Die Känguru-Chroniken derart viele
anderweitige Qualitäten, dass man glauben könnte, das
polit-satirische Element wäre halt ein Nebengedanke der
Verantwortlichen gewesen und daher dermaßen schiefgelaufen. Unter
anderem strecken Levy und Kling Die Känguru-Chroniken
mit völlig kopflosen Videospiel- und Filmreferenzen.
Popkulturreferenzen sind zwar auch Teil der geschriebenen und
gesprochenen Känguru-Kurzgeschichten, doch während sie dort zumeist
pointiert sind, wird in der Filmversion beispielsweise die Handlung
völlig ausgebremst, um Raum für eine behäbige Imitation einer
ikonischen Pulp Fiction-Szene zu schaffen. Weder
bereichert sie den Plot oder die Charakterisierungen, noch fügt sich
solch eine ausgelutschte Filmparodie in den sonstigen humoristischen
Duktus des Films.
Und obwohl Die
Känguru-Chroniken einen selbstironischen Erzählerkommentar
aufweist, lassen sich die Filmschaffenden die ultra-offensichtliche
Chance entgehen, ihre verstaubte und unlustige Pulp
Fiction-Parodie letztendlich noch durch einen pfiffigen
Meta-Twist zu retten. Mit der Faulheit dieser Filmreferenz werden in
Die Känguru-Chroniken auch Videospiele
"parodiert": Völlig unmotiviert ploppen in einer
Actionszene für wenige Augenblicke Retro-Videospielgrafiken auf –
und damit hat es sich auch schon. Levy bemüht sich nicht einmal, die
Kampfchoreografie, geschweige denn die Gesamtästhetik der Szene in
Richtung Videospiel-Nostalgie zu bewegen und auf eine große Pointe
hinzusteuern. "Eine billige Grafik genügt", war wohl der
Gedanke – und schon erklärt sich ein Stück weit, mit welcher
Haltung wohl der Großteil des Films angepackt wurde.
Was aber sehr wohl
funktioniert, sind jene Augenblicke, in denen der völlig krumm
geratene Plot über Marc-Uwe, das Känguru und die rechten
Verschwörer sowie sämtliche Versuche, sich an der Popkultur
abzuarbeiten, fallen gelassen werden. Sketchartige Szenen rund um
Dinge wie ein absurdes Aerobicvideo (inklusive unerwartetem Cameo)
oder eine automatisierte Notruf-Hotline sind spritzig geschrieben und
sehr wohl vergnüglich. Kurzum: Die Känguru-Chroniken
funktioniert dann am besten, wenn Drehbuchautor Kling wie bei seinen
Kurzgeschichten operieren und zusammenhanglos Albernheiten
fabrizieren kann. Auch in den Film eingewobene Klassiker aus besagten
Kurzgeschichten sind für sich betrachtet launig realisiert – nur
die Art, wie sie in die Handlung integriert werden, holpert und
poltert gelegentlich (Stichwort: Gewalt gegen Hunde). Die
Hintergrundmusik wiederum ist zwar eingängig, jedoch gelegentlich
überbetont-lustig, womit manchmal eine eigentlich solid Pointe
erdrückt wird.
Die größte Stärke von
Die Känguru-Chroniken ist unterdessen die
Animation des Kängurus: Das quasselnde, Chaos stiftende Beuteltier
ist detailreich animiert und fügt sich glaubwürdig in die Filmwelt
ein – man könnte glatt glauben, es sei eine aufwändige, digital
leicht überarbeitete Puppe, so nahtlos zeigt sich das Känguru als
Teil seiner Umgebung. Dass das Känguru ab und zu eine schräge
Schnute zieht, ist da leicht zu vernachlässigen, zumal das
angesichts des kauzigen Spiels des menschlichen Ensembles fast schon
wie Absicht wirkt. Sonderlich gefordert wird der menschliche Cast
aber nicht: Daniel Zillmann gibt eine verwässerte Variante seiner
Rolle in Dietrich Brüggemanns Heil, Bettina Lamprecht tritt
quasi als rechtspopulistische Zwillingsschwester der Frau Bruck aus Pastewka auf, Henry Hübchen bekommt als schurkischer Dwigs viel
zu wenig denkwürdiges Material, um der Rolle irgendwas abzuringen,
und Rosalie Thomass bekommt die Aufgabe, eine blutarme Version des
Öko-Trulla-Klischees zu verkörpern.
Nur Dimitrij Schaad, der
immerhin die Filmversion der fiktionalisierten Version Marc-Uwe
Klings zum Leben erwecken muss, hat die Chance, eine gute Figur
abzugeben, da er viele verbale Schlagabtausche mit dem Känguru zu
bewältigen hat und sie mit gutem Timing hinter sich bringt. Diese
Szenen dürften es auch sein, die Fans der Bücher und
Audio-Kurzgeschichten am ehesten noch milde stimmen werden, obwohl
der Känguru-Chroniken-Film die Vorlage immer
härter mit Füßen tritt, je länger man darüber nachdenkt.
Fazit:
Satirisch schwach durchdacht, konzeptionell völlig konfus bis
beleidigend-ärgerlich und angesichts des politischen Tagesgeschehens
dumm bis leichtsinnig: Die Känguru-Chroniken ist
kurz vor unverantwortlich. Das hat die Vorlage nicht verdient.
Die
Känguru-Chroniken ist ab dem 5. März 2020 in vielen
deutschen Kinos zu sehen.