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Sonntag, 21. Juli 2019

Manchester by the Sea


Hausmeister Lee Chandler (Casey Affleck) ist ein wortkarger Eigenbrötler, der stur seinen Weg geht. Eines Tages erhält Lee einen Anruf von einem Bekannten: Lees Bruder Joe (Kyle Chandler) erlitt einen Herzinfarkt. Noch bevor Lee im Krankenhaus ankommt, stirbt Joe an den Folgen seiner Herzattacke. Kurz darauf erfährt Lee, dass ihm die Aufgabe in die Hände fällt, die Vormundschaft für seinen Neffen Patrick (Lucas Hedges) zu übernehmen.

Der 16-Jährige bemüht sich, im Angesicht der Tragödie Haltung zu bewahren, trotzdem lassen die ersten Zwists mit seinem Onkel nicht lange auf sich warten – selbst wenn Patrick Lee durchaus mag und eh mehr Zeit mit seinen zwei Freundinnen (Kara Hayward und Anna Baryshnikov) verbringt. Und dennoch: Es scheint so, als würde alles, zumindest den Umständen entsprechend, annehmbar laufen. Aber die Rückkehr in seine frühere Heimat, ein beschauliches Küstenstädtchen, nagt an Lees Nerven …

Zwischenzeitlich plante Hollywood-Star Matt Damon, mit Manchester by the Sea sein Regiedebüt zu feiern. Schlussendlich übernahm dann jedoch Drehbuchautor Kenneth Lonergan die Regiepflichten, der schon 2000 mit You Can Count On Me eine stille, herzzerreißende Familiengeschichte inszenierte. Wie schon diese zweifach für den Oscar nominierte Geschichte, besticht auch Manchester by the Sea insbesondere mit den authentisch-komplexen Gefühlswelten der zentralen Figuren, die Lonergan sehr beiläufig und effizient einfängt.

Lee hat dank der ersten Filmminuten schnell die Sympathien auf seiner Seite, obgleich er als schwierige Type gezeigt wird: Wie er augenrollend die seltsamen Forderungen und Fragen der Hausbewohner erduldet, hat bei aller Tristesse, die durch die grau-nassen Bilder und die plätschernde Erzählweise vermittelt wird, durchaus spröden Witz an sich. Genauso provoziert Afflecks stoische Einsamer-Wolf-Masche in ihrer eingangs unbeirrbaren Penetranz immer wieder aufmunternde Schmunzler.

Im Zusammenspiel zwischen Afflecks dauergeknicktem Lee und dem schwer pubertierenden Möchtegernweiberhelden Patrick, den Lucas Hedges mit facettenreicher Lebendigkeit darbietet, entsteht zusätzliche, unaufdringlich-trockene komödiantische Reibung. Diese dient in Lonergans atmosphärisch küstennebelsprödem Drama als das menschelnde Fundament einer einsichtsreichen, niemals effekthascherischen Charakterskizze: Lee lebt im ständigen Kampf mit seinen niederschmetternden Erinnerungen daran, was einst in seinem Heimatort geschehen ist. Da er sich zumindest oberflächlich in eine funktionale Apathie gerettet hat, bleiben emotionale Ausbrüche und forcierte Streitgespräche aus.

Stattdessen manövriert er sich mit dem beständigen Tuckern eines Kleinbootes durch den Wellengang seiner Gefühle – und Lonergans Film folgt seinem Protagonisten: Ruhiger Alltagswitz, kontrollierte Verzweiflung, streng hinterfragter Optimismus und viel, viel alternativlose Gleichgültigkeit. Dank Afflecks unangestrengtem, aber aussagekräftigem Spiel, kurzen Gänsehautauftritten von Michelle Williams als Lees Ex-Frau und der sich konsequent entfaltenden Erzählung, wie Lee und Patrick mit ihrer Lage umgehen, wird dies nie langweilig. Nur einige wenige der frühen Rückblenden hätte es nicht gebraucht, da sie bereits markant angedeutete Dinge bloß nochmal aufbringen.

Innerhalb von 138 Minuten macht Lonergan sein Publikum somit zu einem mehr und mehr Verständnis aufbringenden, daher immer emotionaler in diese Familienangelegenheit involvierten Betrachter. Am Ende dieser genau beobachteten, filigran erzählten Geschichte wird kaum wer auch nur einen Deut schlauer sein. Manchester by the Sea entwirft weder eine mondäne, noch eine intellektuell anspruchsvolle Geschichte. Was dieses Drama jedoch tut? Es bereichert sein Publikum um ein vielschichtige, glaubwürdig-offene sowie emotionale Erfahrung, die hängen bleibt.

Fazit: Großartige Performances und eine gemächliche, feingliedrige Erzählung: Manchester by the Sea ist ein Drama mit überraschender Humornote und Figuren, deren berührendes Schicksal lange nachhallt.

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