Hausmeister Lee Chandler (Casey
Affleck) ist ein wortkarger Eigenbrötler, der stur seinen Weg geht.
Eines Tages erhält Lee einen Anruf von einem Bekannten: Lees Bruder
Joe (Kyle Chandler) erlitt einen Herzinfarkt. Noch bevor Lee im
Krankenhaus ankommt, stirbt Joe an den Folgen seiner Herzattacke.
Kurz darauf erfährt Lee, dass ihm die Aufgabe in die Hände fällt,
die Vormundschaft für seinen Neffen Patrick (Lucas Hedges) zu
übernehmen.
Der 16-Jährige bemüht sich, im
Angesicht der Tragödie Haltung zu bewahren, trotzdem lassen die
ersten Zwists mit seinem Onkel nicht lange auf sich warten – selbst
wenn Patrick Lee durchaus mag und eh mehr Zeit mit seinen zwei
Freundinnen (Kara Hayward und Anna Baryshnikov) verbringt. Und
dennoch: Es scheint so, als würde alles, zumindest den Umständen
entsprechend, annehmbar laufen. Aber die Rückkehr in seine frühere
Heimat, ein beschauliches Küstenstädtchen, nagt an Lees Nerven …
Zwischenzeitlich plante Hollywood-Star
Matt Damon, mit Manchester by the Sea sein
Regiedebüt zu feiern. Schlussendlich übernahm dann jedoch
Drehbuchautor Kenneth Lonergan die Regiepflichten, der schon 2000 mit
You Can Count On Me eine stille, herzzerreißende
Familiengeschichte inszenierte. Wie schon diese zweifach für den
Oscar nominierte Geschichte, besticht auch Manchester by the
Sea insbesondere mit den authentisch-komplexen
Gefühlswelten der zentralen Figuren, die Lonergan sehr beiläufig
und effizient einfängt.
Lee hat dank der ersten Filmminuten
schnell die Sympathien auf seiner Seite, obgleich er als schwierige
Type gezeigt wird: Wie er augenrollend die seltsamen Forderungen und
Fragen der Hausbewohner erduldet, hat bei aller Tristesse, die durch
die grau-nassen Bilder und die plätschernde Erzählweise vermittelt
wird, durchaus spröden Witz an sich. Genauso provoziert Afflecks
stoische Einsamer-Wolf-Masche in ihrer eingangs unbeirrbaren
Penetranz immer wieder aufmunternde Schmunzler.
Im Zusammenspiel zwischen Afflecks
dauergeknicktem Lee und dem schwer pubertierenden
Möchtegernweiberhelden Patrick, den Lucas Hedges mit facettenreicher
Lebendigkeit darbietet, entsteht zusätzliche,
unaufdringlich-trockene komödiantische Reibung. Diese dient in
Lonergans atmosphärisch küstennebelsprödem Drama als das
menschelnde Fundament einer einsichtsreichen, niemals
effekthascherischen Charakterskizze: Lee lebt im ständigen Kampf mit
seinen niederschmetternden Erinnerungen daran, was einst in seinem
Heimatort geschehen ist. Da er sich zumindest oberflächlich in eine
funktionale Apathie gerettet hat, bleiben emotionale Ausbrüche und
forcierte Streitgespräche aus.
Stattdessen manövriert er sich mit dem
beständigen Tuckern eines Kleinbootes durch den Wellengang seiner
Gefühle – und Lonergans Film folgt seinem Protagonisten: Ruhiger
Alltagswitz, kontrollierte Verzweiflung, streng hinterfragter
Optimismus und viel, viel alternativlose Gleichgültigkeit. Dank
Afflecks unangestrengtem, aber aussagekräftigem Spiel, kurzen
Gänsehautauftritten von Michelle Williams als Lees Ex-Frau und der
sich konsequent entfaltenden Erzählung, wie Lee und Patrick mit
ihrer Lage umgehen, wird dies nie langweilig. Nur einige wenige der
frühen Rückblenden hätte es nicht gebraucht, da sie bereits
markant angedeutete Dinge bloß nochmal aufbringen.
Innerhalb von 138 Minuten macht
Lonergan sein Publikum somit zu einem mehr und mehr Verständnis
aufbringenden, daher immer emotionaler in diese Familienangelegenheit
involvierten Betrachter. Am Ende dieser genau beobachteten, filigran
erzählten Geschichte wird kaum wer auch nur einen Deut schlauer
sein. Manchester by the Sea entwirft weder eine
mondäne, noch eine intellektuell anspruchsvolle Geschichte. Was
dieses Drama jedoch tut? Es bereichert sein Publikum um ein
vielschichtige, glaubwürdig-offene sowie emotionale Erfahrung, die
hängen bleibt.
Fazit: Großartige
Performances und eine gemächliche, feingliedrige Erzählung:
Manchester by the Sea ist ein Drama mit
überraschender Humornote und Figuren, deren berührendes Schicksal
lange nachhallt.
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