Montag, 10. Juni 2019

Verborgene Schönheit



Jeder Plot hat eine Daseinsberechtigung. Jede Geschichte ist erzählenswert. Sie muss nur in einem angemessenen Kontext erzählt werden. Und selbstredend kommt es auf die Umsetzung an. Struktur, Tonfall, handwerkliches Können und künstlerischer Einfallsreichtum – diese Elemente prägen eine Geschichte viel stärker als der rudimentäre Plot. Selbstredend steckt in manchen Plots ein größeres, stärkeres Potential. Eine aus sich heraus strahlende, sich nahezu sofort aufdrängende Herangehensweise, die frisch und fesselnd erscheint. Der Plot von Verborgene Schönheit ist haarsträubend – und kann daher als Saatkorn für einen fiesen, feinen Film herhalten, der eine ungewöhnliche Story erzählt. Per se lassen sich die folgenden Zeilen also irgendwo zwischen neutral und reizvoll einordnen:

Die Werbefachleute Whit Yardshaw (Edward Norton), Claire Wilson (Kate Winslet) und Simon Scott (Michael Peña) bangen um die Zukunft ihrer Firma: Ihr bester Freund und Vorgesetzter, Howard Inlet (Will Smith), ist seit dem Tod seiner Tochter vor wenigen Jahren depressiv, ja, nahezu katatonisch. Er weigert sich, zu reden, zu arbeiten oder mehr als das Nötigste zu essen. Um ihre finanzielle Zukunft abzusichern, wollen sie ein letztes großes Geschäft abschließen, bräuchten dafür jedoch eigentlich Howards Unterschrift. Da dieser aber weiterhin apathisch durch den Tag stapft, beschließen sie, die drei Laiendarsteller Amy (Keira Knightley), Raffi (Jacob Latimore) und Brigitte (Helen Mirren) anzuheuern. Sie sollen Howard gegenüber die Verkörperungen der Liebe, der Zeit und des Todes spielen und ihn so in den Wahnsinn treiben, damit er endlich als unzurechnungsfähig attestiert wird und Whit, Claire sowie Simon die Geschicke der Firma ohne ihn leiten können.

Daraus ließe sich nach der Schule des ersten Kill the Boss-Teils eine schwarze Komödie spinnen. Oder ein Thriller, der zu ähnlich großen Teilen aus der Sicht des Opfers und der Täter erzählt wird – eine Art Gaslicht oder Das Haus der Lady Alquist fürs Jetzt. Oder ein beklemmender Mystery-/Psychothriller aus der Sicht des Opfers – inklusive gemeinem Plottwist, der dessen beste Freunde als Strippenzieher enttarnt.

Stattdessen ist Verborgene Schönheit ein noch krasserer Fall narrativer, tonaler und inszenatorischer Fehlgriffe als die kurz zuvor veröffentlichte Sci-Fi-Liebesgeschichte Passengers, in der moralische Kurzschlussentscheidungen auf kitschigste, konventionellste Weise romantisiert werden. Allan Loebs Drehbuch platzt förmlich vor Glückskeksweisheiten und Kalendersprüchen, die Komponist Theodore Shapiro (Trumbo) mit durchaus wunderschönen, allerdings somit drastisch fehlleitenden Melodien untermalt. Knightley, Mirren und Latimore bieten diese Kitschphrasen in einem konsequent abgedroschenen Tonfall und mit weit aufgerissenen, staunenden Augen feil – und auch SPECTRE-Nebendarstellerin Naomie Harris muss als Trauerbegleiterin durchweg einen anbiedernd-belehrend-entzückten Singsang von sich geben.

Will Smith wiederum spielt sich in den ersten vier Fünfteln des Films die Seele aus dem Leib – und das so sehr, dass er die hauchdünne Schicht an ehrlicher Emotionalität in dieser cineastischen Geschmacklosigkeit zum Zerreißen bringt. Wenn er als Howard mit verquollenen Augen und steinerner Miene in einem Gefühlsmix aus Wut und Trauer Dominosteine aufbaut oder Fahrrad fährt, agiert Smith so aufgesetzt und gewollt, dass es förmlich von der Leinwand runterbrüllt: „GEBT MIR ENDLICH DEN VERDAMMTEN OSCAR! BITTE!!!!!!!!!!!!“ Im letzten Fünftel hingegen rutscht Smith schlagartig in den Kamillentee-und-Seelenbalsam-Tonfall seiner Kollegen ab – damit auch ja niemand aufgewühlt den Saal verlässt.

Kamerafrau Maryse Alberti (The Wrestler) kann mit ihren stimmig ausgeleuchteten Bildern leider nicht David Frankels Regieführung aushebeln. Der Regisseur solch deutlich gelungener Filme wie Marley & Ich und Der Teufel trägt Prada setzt den Stoff wie eine weihnachtliche, pseudophilosophische Spezialfolge einer 80er- oder 90er-Jahre-Sitcom um – inklusive mit im Kino versackenden Lachpausen, wann immer eine der Figuren einen schlagfertigen Spruch von sich gibt. Doch abgesehen von wenigen perfekt getimten, staubtrockenen Kommentaren Helen Mirrens oder der dauerverzweifelt agierenden Keira Knightley gibt es in Verborgene Schönheit nichts zum Lachen:

Die Dialoge und der generelle Tonfall sind zu verkitscht-zuckrig, um den potentiell schwarzhumorigen Kern würdigen zu können. Im Gegenzug sind die Absichten von Howards Freunden zu abgebrüht, als dass sich dieser Story irgendetwas Inspirierendes abgewinnen ließe. Verborgene Schönheit ist der noch hässlichere, noch stärker missratene und moralisch fragwürdigere junge Bruder des ebenfalls schon überaus kritischen Will-Smith-Pathosdramas Sieben Leben.

Fazit: Eine Story, die in diversen Genres funktionieren könnte, doch niemals als inspirierend-philosophische Dramödie, wird mit nichtigen Alltagsweisheiten bespickt als ungeheuerlich bemühte, inspirierend-philosophische Dramödie ins Kino entlassen. Um die hier verborgene Schönheit zu finden, braucht es ein Hochleistungsmikroskop.

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