Ang Lees gesellschaftskritisches,
dezent humoriges Drama Die irre Heldentour des Billy
Lynn ist ein kurioser Fall. Im Laufe dieser Geschichte über
eine fiktive Footballspiel-Halbzeitshow, in der ein frei erfundener
Kriegsheld eines realen militärischen Konflikts zelebriert wird,
heißt es, dass Hollywood damit liebäugle, die Heldentaten des
wortkargen Soldaten verfilmen zu wollen. Jedoch müsse der in George
W. Bushs Irakkrieg dienende junge Erwachsene schnell einen Deal
abschließen. Denn das Publikum verfüge nur über ein kurzes
Erinnerungsvermögen.
Es ist irgendwo zwischen Poesie und
bitterer Ironie zu verordnen, wie sehr sich diese Aussage am Exempel
von Die irre Heldentour des Billy Lynn
bewahrheitet. Denn stückweise ist die Adaption eines
Ben-Fountain-Romans durchaus bemerkenswert. So ist die Struktur des
Films einprägsam: Life of Pi-Regisseur Ang Lee
und Kameramann John Toll verfolgen in semidokumentarischen, gestochen
scharfen Bildern den Titelhelden Billy Lynn auf Schritt und Tritt.
Es ist fast so, als sei man Lynns
stummer Kompaniekamerad, der sich ihm unbemerkt an die Fersen heftet,
um mitzuerleben, wie Lynn bei seiner Heimkehr von seiner Familie
begrüßt wird und wie er gemeinsam mit dem Rest seiner Truppe ohne
größere Vorwarnungen in die Halbzeitshow einer wichtigen
Footballpartie eingebunden wird. Die nüchternen Beobachtungen, wie
Passanten anno 2004 in den Vereinigten Staaten auf ihre Soldaten
reagieren und wie sich die auf kurzem Heimurlaub befindlichen Jungs
geben, werden durch Rückblenden auf Billy Lynns Zeit im Irak
aufgebrochen.
So ergänzen sich Erinnerungen und
deren Folgen, gegenwärtiges Handeln und die Taten, die zur jetzigen
Situation führten, stimmig zu einem unaufgeregten, detailreichen
Gesamtbild. Das von Jean-Christophe Castelli verfasste Drehbuch ist
fein beobachtet, konsequenterweise sind die gesellschaftskritischen
Aspekte des Films keine reine Plattitüden, sondern ausgewogen.
Die irre Heldentour des Billy Lynn lässt keinen
Zweifel am Unrecht des Irakkrieges und mahnt entsprechend vor
Kriegspropaganda – und auch das Bild der ungestümen Alphamännchen
in Uniform wird wiederholt gezeichnet. Gleichwohl zeigt Regisseur Ang
Lee große Empathie für seinen Protagonisten und mehrere seiner
Kameraden, die sich aus den unterschiedlichsten Gründen zur Armee
gemeldet haben – um kleine Fehltaten vergessen zu machen, um ihre
Familie zu versorgen, um Leuten zu helfen, ohne vorher zu ahnen, wie
sehr Andere diese Hilfe kaputt machen werden. Und Kriegsfilme? Naja,
die spülen armen Soldaten, die der Staat gerne vergisst, sobald sie
unpraktisch werden, wenigstens etwas Geld zu …
Eine grau-graue Weltsicht mit wenigen
tiefschwarzen, schwer zu verurteilenden Randerscheinungen und ebenso
wenigen, hell scheinenden Beispielen des tragischen, aber strahlenden
Heroismus: Billy Lynns irre Heldentour eröffnet
zwar keine neuen Erkenntnisse, macht sie aber dank der originellen
Präsentation auf ungewöhnliche Form spürbar. Dabei hilft auch der
lakonische Humor – etwa, wenn Lee süffisant die Doppelzüngigkeit
vorzeigt, mit der die USA ihren Kriegshelden begegnen oder wenn der
Regisseur mit jeder Menge Spektakel vorführt, wie absurd feierliche
Events zu Ehren von Militärhelden sind. Obendrein bekommt Tron:
Legacy-Hauptdarsteller Garrett Hedlund mehrere Schmunzler
zugeschustert: Als Sgt. Dime übernimmt er auf
augenzwinkernd-übertriebene Weise den Part des taffen, keinerlei
Sentimentalität duldenden Vorgesetzten, der eine eher machohafte
Sicht der Dinge hat – wenn er nicht gerade spitzbübisch Zivilisten
verschaukelt. Gelegentlich lässt er auch seine einsichtsreiche und
nachdenkliche Seite aufblitzen, womit er die rundeste Figur dieses
Films ist.
Neben Hedlund fallen sonst vor allem
Chris Tucker (humorvoll, aber längst nicht so grell wie in seinen
früheren Rollen) und Kristen Stewart als Billy Lynns liberale,
desillusionierte, fürsorgliche, etwas direkte Schwester auf. Joe
Alwyn hingegen ist solide, aber (was auch dem Drehbuch zuzuschreiben
ist) recht blutarm in der Hauptrolle. Was uns allmählich zu den
Stolperschwellen dieser Heldentour führt – trotz all dieser
Elemente ist Ang Lees Produktion insgesamt betrachtet keinesfalls
denkwürdig. So, wie im Film beschrien, droht Billys Story zu einem
Nichts zu verpuffen. Es bleibt einfach kaum etwas haften von diesen
zwei Stunden in den Schuhen eines Irakkriegsveteranen. Die
Rückblenden auf die Zeit im Irak? Blass, lasch, und durch den sich
zwar bemühenden, aber fehlbesetzten Vin Diesel als
hobbyphilosophischer Sergeant recht klischeehaft. Und auch die
eigentliche Handlung lässt einfach Pepp vermissen, ein gewisses
Etwas, das aus dem theoretischen Widerhaken der Story („Wird Billy
Lynn beantragen, nicht in den Irak zurückkehren zu müssen?")
eine spürbare Dringlichkeit macht.
Stattdessen experimentiert Lee
halbseiden mit der Vermittlung seiner Filmbilder: Gelegentlich
driftet Lee aus der semidokumentarischen Ästhetik ab, hin zum
Erzählen aus direkter Egoperspektive. Wenn die Kamera das
Kinopublikum jedoch wortwörtlich in Billy Lynns Position versetzt,
bricht die Illusion zusammen: Sein Gegenüber ist stets zu nah, zu
akkurat drapiert und mit zu hoher Zielstrebigkeit auf ihn fokussiert,
als dass es sich nicht echt anfühlt. Es gleicht eher einer
Egoshooter-Zwischensequenz – also dem Gegenteil dessen, was dem
Tonfall dieser geknickten Heldentour zugutekäme. Obwohl Lee nur eine
Handvoll solcher Einstellungen verwendet, zieht ihre Wirkung große
Kreise: Diese so glaubhafte, bodenständige, unspektakuläre
Erzählung mit ihren plausiblen Kommentaren zum Irakkrieg (und
Militärhandlungen sowie -feiern generell) kommt letztlich falsch und
gekünstelt daher, so dass sie eher fluffig, denn dramatisch wirkt.
Fazit: Gute
Einzelaspekte machen nicht immer einen guten Film: Ang Lees Drama
über den Umgang mit und die Gedankenwelt von Kriegsveteranen hat
reizvolle Ansätze, verpufft aber ohne denkwürdigen roten Faden. Für
Lee-Komplettisten und alle, die das Thema fasziniert, dennoch ein
solider Film.