Der 1964 auf die Leinwand gezauberte
Musicalfilm Mary Poppins ist einer der größten
Klassiker im Disney-Pantheon. Die zeitlose, magische Geschichte eines
fliegenden Kindermädchens wurde nicht nur vom Publikum geliebt,
sondern stellte zudem mit 13 Oscar-Nominierungen den bis dato
ungebrochenen Rekord für die meisten Academy-Award-Nennungen eines
Disney-Films auf. Letztlich konnte sich der mit Zeichentrickelementen
durchsetzte Realfilm fünf der begehrten Statuetten sichern. Eine
Fortsetzung wurde noch unter der Aufsicht des Sequels gegenüber
skeptischen Walt Disney angedacht, damals jedoch noch von Buchautorin
P. L. Travers ausgebremst.
In der Ära nach Walt Disney wurde die
Idee wiederholt zur Sprache gebracht, im September 2015 nahm das
Vorhaben Mary Poppins' Rückkehr dank des Segens
der Travers-Erben Gestalt an: Rob Marshall, John DeLuca und
Marc E. Platt, das Produktionsteam hinter Into the Woods
nahm sich der Herausforderung an, den filmischen Evergreen
fortzuführen. Wenige Monate später erhielt Into the
Woods-Hauptdarstellerin Emily Blunt den Zuschlag für die
Titelrolle. Diese Castingentscheidung wusste viele bis dahin
skeptische Liebhaberinnen und Liebhaber des Erstlings zu beruhigen.
Aus gutem Grund, wie sich herausstellt. Denn Emily Blunt ist das
wandelnde Glanzlicht dieses 130 Millionen Dollar teuren
Disney-Unterfangens.
Was passiert?
London in den von der Wirtschaftskrise
gerüttelten 1930er-Jahren: Michael (Ben Whishaw) und Jane Banks
(Emily Mortimer) sind längst erwachsen geworden und Michael lebt
gemeinsam mit seinen eigenen drei Kindern (Pixie Davies, Nathanael
Saleh und Joel Dawson) in seinem alten Elternhaus. Seine Schwester
sowie die Haushälterin Ellen (Julie Walters) helfen dem kürzlich
verwitweten Bruder dabei, sich um die Kinder zu kümmern und das
knappe Haushaltsgeld im Auge zu behalten. Und dennoch hält es Familie
Banks nur schlecht als recht zusammen. Als eines Tages die Bank mit
zerrüttenden Nachrichten auf die Familie zukommt, dauert es nicht
lange, bis Janes und Michaels früheres Kindermädchen Mary Poppins
vom Himmel hinabfliegt und ihre Hilfe anbietet. Zusammen mit dem
freundlichen Laternenanzünder Jack (Lin-Manuel Miranda) führt Mary
Poppins die besorgten Banks-Sprösslinge in magische Abenteuer und
greift der Familie auf ihre ganz eigene Art auch in größeren
Angelegenheiten unter die Arme …
Was habe ich erwartet?
Ich war hinsichtlich Mary
Poppins' Rückkehr in einer gleichermaßen skeptischen wie
aufgeschlossenen Verfassung: Ich halte späte Fortsetzungen großer
Kinomeilensteine nicht aus Prinzip für einen Affront und anders als
bei diversen Kritikerkollegen hat Regisseur Rob Marshall bei mir
einen Stein im Brett. Seine Annie-Verfilmung ist
mir die liebste Version des Stoffs und Chicago
liebe ich abgöttisch. Nine wirkt auf mich so, als
schielten die Verantwortlichen etwas zu gezwungen auf die
Möglichkeit, Preise zu gewinnen, und dennoch gefällt er mir sehr,
Pirates of the Caribbean – Fremde Gezeiten finde
ich toll und Into the Woods ebenfalls.
Ihm habe ich also Vertrauen geschenkt,
ich hätte mir viele wesentlich schlechtere Namen für den
Regieposten einer neuen Mary Poppins-Filmgeschichte
vorstellen können, und durch die Ankündigung, dass Emily Blunt in
Julie Andrews' Fußstapfen treten wird, war ich prompt sehr neugierig
gestimmt. Und dennoch haben mich sämtliche Trailer und Szenenbilder
weitestgehend kalt gelassen. Also bin ich in meine Pressevorführung
mit folgender Einstellung reingegangen: "Ich will ihn einfach
nicht schlecht finden, und wenn er es unter meine Lieblinge des
Jahres schafft, bin ich schon froh. Und für alles, was darüber
hinausgeht, bin ich dankbar."
Wie hat er auf mich
gewirkt?
Kurz
gesagt: Frustrierend. Um das auszuführen: Nach einem verhaltenen
Prolog hat sich Mary Poppins' Rückkehr zunächst
für mich gesteigert und gesteigert, zwischendurch hatte mich der
Film völlig um den Finger gewickelt. Ich dachte, er habe die Ehre
sicher, mit riesigem Abstand meine liebste Disney-Produktion des
Jahres zu werden, sofern er sich keine Fehltritte mehr leistet. Aber
die Fehltritte sind eingetreten. Es kam zu einem radikalen Bruch und
ich war zunehmend von Mary Poppins' Rückkehr
enttäuscht, teils sogar genervt, so dass wir sogar einen Punkt
erreicht hatten, an dem ich nur noch wollte, dass er möglichst bald
vorbeigeht.
Wie es zu diesem rapiden Absturz in
meiner Gunst kommen kann? Nun: Mary Poppins' Rückkehr
beginnt wie eine bezaubernde Weitererzählung des unvergesslichen
Walt-Disney-Klassikers. Die Fortsetzung findet einen tonal und
inhaltlich stimmigen Anknüpfungspunkt, der gleichzeitig inhaltlich
einen respektvollen Abstand zum Erstling sucht. Und inszenatorisch
gelingt es Rob Marshall eingangs, sich so sehr an Robert Stevensons
bezaubernd-studiohafte Bildsprache anzulehnen, dass sich Mary
Poppins' Rückkehr visuell wirklich wie ein direkter
Verwandter anfühlt, ohne dabei in banales Mimikry zu verfallen.
Aber dann verliert David Magees
Drehbuch (dessen Story der Wenn Träume fliegen
lernen-Autor gemeinsam mit Marshall und DeLuca verfasst
hat) seine originäre Handlung aus den Augen und verrennt sich in
eine sehr lose verknüpfte Abfolge von Humor-, Musik- sowie
Tanzeinlagen, die kaum mehr sind als uninspirierte Nachahmungen
ähnlicher Momente aus dem Originalfilm. Erst gegen Schluss besinnt
sich Mary Poppins' Rückkehr erzählerisch wieder
auf seine eigene Geschichte, die er nach dem
zurückhaltend-nostalgischen, melancholisch-magischen Einstieg
allerdings nach dem alten Sequel-Mantra "Größer, höher,
lauter" beendet.
Oder um es bildlicher auszudrücken:
Mary Poppins' Rückkehr ist der Comebackauftritt
einer wundervollen Musikkombo, bei dem sie mit neuen Nummern
verzaubert. Doch dann fallen alle Bandmitglieder von der Bühne,
stürzen dabei auf den Kopf, vergessen, wer sie sind, bilden sich
ein, sie wären eine schlechte Tribute-Band, schrammeln und trällern
sich desorientiert ein paar müde Cover-Arrangements ihrer alten Hits
zusammen und erst kurz vor Ende des Konzerts fällt ihnen ein, wer
sie eigentlich sind. Doof nur, dass die Leute in der Pyrotechnik das
nicht rechtzeitig schnallen und beschließen, das zwischendurch so
abgeschmierte Konzert durch ein Übermaß an Rummel und Trubel in der
Finalnummer "aufzuhübschen", so dass der letzte Eindruck
eine Mischung aus Verzweiflung und Überkompensation ist.
Was hat mir gefallen?
An allererster Stelle: Emily Blunt, die
als Mary Poppins einfach sensationell ist. Blunt ahmt nicht einfach
Julie Andrews' Darbietung nach, sondern adaptiert den stolzen,
eleganten Gestus, den Andrews dieser Rolle mitgegeben hat, mit ihren
eigenen Mitteln. Blunt ist als Mary Poppins eine kleine Spur
strenger, sie verteilt kühlere Blicke und hält im alltäglichen
Umgang mit der Familie Banks länger die Mundwinkel steif. Doch dafür
bezaubert es umso mehr, wenn ihre Augen vor Freude funkeln, etwa,
wenn sich Mary Poppins rückwärts in eine Badewanne voller Abenteuer
stürzt. Blunts Spiel ist zurückhaltend, und dennoch vibriert es vor
Spielfreude und Magie – sie hätte jeden Preis verdient, den sie
für Mary Poppins' Rückkehr in ihre Finger
kriegen kann.
Außerdem mag ich die Story-Grundidee:
Mary Poppins' Rückkehr verfolgt eine grundlegend
reizvolle "Etwas Ähnliches passiert unter ganz anderen
Umständen"-Sequelkonstellation, von der ausgehend Neues entstehen könnte. Im Erstling durften die
Banks-Kinder ihre Kindheit nicht ausleben, weil ihr Vater zu streng
mit ihnen war, da dieser vergessen hat, was Freude ist. Michael Banks
ist derweil ein verständnisvollerer, warmherzigerer Vater, aber einer, der
unter einer persönlichen sowie einer weltwirtschaftlichen Krise zu
leiden hat, weswegen sich seine Kinder gezwungen fühlen, vorzeitig
erwachsen zu werden. Eingangs sieht es auch so aus, als fände David
Magee einen Weg, so das wohlige, familiäre Mary
Poppins-Gefühl zu erwecken und seiner neuen Geschichte
trotzdem eigene Impulse und Schwerpunkte zu verleihen.
Darüber hinaus ist, so lange die
Geschichte in diesen Bahnen bleibt, Rob Marshalls Regieführung auf
eine bezirzende Weise altmodisch, ohne je verstaubt zu wirken. Anders
als in Chicago und Nine verzichtet er auf musikvideoartigen Schnitt, gleichwohl baut er Szenen nicht
derart bühnenhaft wie in Into the Woods auf –
Marshall schenkt den wundervollen, ausstaffierten Sets John Myhres
großes Augenmerk und lässt mit seiner Bildsprache den Kostümen der
lebenden Legende Sandy Powell (Cinderella) Raum,
zu atmen und Wirkung zu entfalten. Dessen ungeachtet ist Mary
Poppins' Rückkehr keine überfrachtete
Ausstattungsschwelgerei, der Fokus der Szenerie liegt auf dem
Zusammenspiel der Figuren. Und ich als alter
Disney-Zeichentrick-Liebhaber genieße es natürlich riesig, wieder
einen Disney-Film mit Zeichentrickpassagen auf der Leinwand sehen zu
können. Statt einfach Mary Poppins zu kopieren,
setzen die Hauptverantwortlichen (Ken Duncan und James Baxter) auf
eine stärkere Stilisierung, die zudem inhaltlich gerechtfertigt
wird. (Schade nur, dass zumindest ein paar Leute aus dem Hause Disney
nicht angemessen über das Studio denken, das die Animation
beigesteuert hat.)
In der Mischfilmsequenz, die
Zeichentrick und Realfilmelemente vereint, lässt sich Mary Poppins
zu einer Vaudeville-Nummer überreden, und die ist nicht nur sehr
witzig: Während ihr tauscht Mary ihre klassische Frisur gegen einen
Velma-Kelley-Bob ein und legt zudem einen, nennen wir es,
disneyfizierten Chicago-Tanzstil hin. Es ist
riskant, es ist gewagt, es ist eine kleine Anmaßung an das Disney-Heligtum
Mary Poppins, es ist eine wissentlich-alberne
Nummer, es ist eine Spur frivol und … ich liebe es. An dieser
Stelle lehnt sich Mary Poppins' Rückkehr so weit
aus dem Fenster heraus, dass ich vor Achtung, vor Respekt hinsichtlich dieses halsbrecherischen Balanceakts, so eine Richtung einzuschlagen und
dennoch kindlich-magisch zu bleiben, vor Freude und vor Verwunderung bis über
beide Ohren gegrinst habe. Und ich kann mir vorstellen, dass es der
unter Disney-Fans aus genau diesem Grund polarisierendste Augenblick
des Films sein wird.
Auch jene Teile des Scores aus der
Feder Marc Shaiman, die behände alte und neue Lieder vereinen, haben
mich angesprochen. Ansonsten sticht noch eines der ersten Lieder aus
Mary Poppins' Rückkehr für mich positiv hervor:
Can You Imagine That?, eine Nummer mit moderatem
Tempo, die (vor allem aufgrund der sie begleitenden Szene) wie aus
einem Die tollkühne Hexe in ihrem fliegenden
Bett-Remake entsprungen scheint, und in der Emily Blunt mit
ihrem wundervollen Gesang ganz dezent gute Stimmung verbreitet. Doch
selbst bei dieser Sequenz gibt es ein gigantisches "Aber ..."
Was hat mir missfallen?
Und nun: Tief einatmen.
Das Lied im Prolog, (Underneath
the) Lovely London Sky, ist in meinen Ohren ein bisschen
lahm, hat jedoch auch Charme, nicht zuletzt dank Lin-Manuel Mirandas
freundlich-bengelhafte Darbietung. Dass er den Film erzählerisch
nicht wirklich bereichert, wollte ich ihm eingangs noch verzeihen,
allerdings zeigt sich nach und nach, wie wenig Interesse der Film
generell daran hat, seine im ersten Akt etablierte Geschichte
auszuarbeiten, so dass ich rückwirkend dem Song gegenüber
kritischer eingestellt bin. Dann ließ mich Can You Imagine
That? seufzen, weil diese Szene ein Schaulaufen mieser
Computereffekte ist.
In diesem bis dahin so charmanten,
adrett gestalteten Film tauchen wir plötzlich ab in eine wilde
Attacke schlechten Compositings und halbgaren Shadings: Mary Poppins
und die Banks-Kinder schwimmen und tauchen durch eine See wundersamer
Eindrücke, die fast durchweg aus dem Computer stammen und kein Stück
weit überzeugend zusammengefügt sind. Darüber hinaus sind die
Trickelemente, wie etwa ein belebtes, gesunkenes Piratenschiff, in
einem soften Fokus und weichen Licht gehalten, das so unwirklich
wirkt, dass ich mir beim Anschauen unsicher war: "Ist diese Szene jetzt
stilisiert oder ist es der völlig gescheiterte Versuch, das alles real wirken zu lassen?" Denn für eine stilisierte Sequenz
haben die einzelnen Elemente einfach zu wenig künstlerische Kniffe
aufzuweisen, gleichwohl ist die Sequenz für eine, die sich an
magischem Realismus versucht, viel zu künstlich geraten. Aufgrund
des Songs, Blunts Performance und die Fülle an bunt gemischten
Eindrücken, an denen wir hier vorbei schippern, habe ich hier aber
noch ein Auge zugedrückt.
Ernsthafte Risse machen sich Mary
Poppins' Rückkehr dann aber in der großen Tricksequenz
bemerkbar: Förmlich aus dem Nichts stürzt sich der Film in eine
dramaturgisch forcierte Actionsequenz, in der wir einem lächerlich
motivierten Überraschungsschurken hinterherjagen, der eine
fadenscheinige Trickwelt-Kopie einer Figur aus den London-Sequenzen
darstellt. Es passt tonal nicht, es übersimplifiziert für die Dauer
eine Szene, welche originellen, magisch-pädagogischen Kniffe Mary
Poppins bei den Kindern anwendet (es sei denn, man liest die Szene
als großes Missgeschick, was wiederum dem Drehbuch grobschlächtige
Züge verleiht) und leider finde ich die Actionpassage auch nicht
mitreißend inszeniert, da sich Marshall hier sehr auf
Schuss-Gegenschuss-Konstruktionen verlässt.
Ein sehr einfühlsames, ruhiges Lied,
emotional quasi das Feed the Birds (Tuppence a Bag)
dieses Films, selbst wenn es inhaltlich eine andere Funktion hat,
bringt Mary Poppins' Rückkehr noch einmal zurück
in die Spur. Die Melodie ist mir zwar nicht in Erinnerung geblieben,
die Szene selbst ist jedoch mit Feingefühl gespielt und inszeniert.
Und leider ist sie das vorerst letzte Lebenszeichen von Mary
Poppins' Rückkehr, der bezaubernden Fortsetzung des
Disney-Meilensteins aus dem Jahr 1964. Denn von da an befinden wir
uns plötzlich in einem unbeseelten Mary Poppins-Remake,
das maschinenhaft Beats und Setpieces aus dem Original kopiert, doch
ohne deren Zauber.
Blunt bleibt weiterhin überragend,
aber dadurch, wie ideenlos bis verzweifelt das Drehbuch die bisher
eingeschlagene, neue Geschichte in alte Bahnen lenkt, wird die
Ambition des restlichen Films massiv gedrosselt. Einzelne
Dialogzeilen lassen die anfänglichen Konflikte und Themen zwar
wieder aufleben, in der Umsetzung geht deren Wirkung jedoch völlig
verloren, so dass Emily Mortimer und Ben Whishaw aus dem charmanten
Anfang kaum noch schröpfen können und letztlich völlig verblassen,
während sich die neuen Banks-Kinder zunehmen wie Kopien ihres Vaters
und ihrer Tante zu Mary Poppins-Zeiten verhalten.
Ohne den narrativen Zusammenhalt, ganz egal wie unterschwellig er
schon im Erstling gewesen sein mag, wird der Rest des Films zur
Nummernrevue. Und deren Elemente lassen den
ungezwungenen Zauber des ersten Films missen: Lin-Manuel Miranda,
dessen Jack schon von Beginn an rein funktional ein auffälliger
Ersatz für den Pflastermaler, Musiker und Schornsteinfeger Bert ist,
verhält sich nun auch zunehmend wie Bert, weswegen Mirandas
Darbietung den Funken Eigenständigkeit verliert, den sie zu
Filmbeginn noch hatte. Das äußert sich insbesondere während der
völlig unbeseelten Musiknummer Trip a Little Light
Fantastic, die nichts weiteres ist als eine überflüssige
Step in Time-Kopie inklusive starrer Bildsprache
und einigen Fahrradstunts, die eher in einen
augenzwinkernd-überdrehten Kenny-Ortega-Film passen würden als in
diesen.
Richtig dreist und seelenlos ist jedoch
die zuvor abgehaltene Musicaleinlage Turning Turtle
geraten. Nach dem Motto "In Mary Poppins
haben wir einen seltsamen Verwandten getroffen, der beim Lachen an
die Decke steigt, also müssen wir erneut seltsame Verwandtschaft
treffen, bei der sich eigenartige Dinge abspielen" forcieren die
Filmemacher einen Gastauftritt der begnadeten Meryl Streep. Sie
spielt mit gigantischem, anstrengenden osteuropäischen Akzent und so
dick chargierend, wie Streep es nie zuvor getan hat, Mary Poppins'
Cousine, deren Welt sich an bestimmten Tagen auf den Kopf stellt.
Streep ist anstrengend und das Lied völlig witzlos, weil es uns über
vier Minuten lang die immergleiche Feststellung entgegen lärmt. Das
Pendant aus dem ersten Teil dagegen hat auch Wert darauf gelegt, mit
Eigenheiten der Figuren zu bezirzen. Und dann ist die Szene zudem
viel steifer gefilmt, als es der Songtext suggerieren würde. Es ist
so, als würde sich Marshall in diesem durch und durch
uneigenständigen Teil des Films von Skript und Story in seiner
Kreativität drosseln lassen. Die Haltung "Bloß nicht zu sehr
von Mary Poppins entfernen" legt ihn in
stilistische Fesseln, die er zuvor nicht hatte - zuvor hatte er schlicht das Original im Hintersinn, während er etwas ähnliches, aber eigenes versucht hat.
Wenn sich Mary Poppins'
Rückkehr auf die eigentliche Geschichte zurückbesinnt,
bleibt dennoch dieser bittere Nachgeschmack, dass aus einer
Fortsetzung mit eigener Identität ein schaler Neuaufguss geworden
ist. Die inneren Konflikte der Banks-Familie münden in einen äußeren Konflikt, der den Film wieder eng an den Vorgänger drängt. Gemeint ist ein Handlungsfaden rund um einen amüsierten, aber weit
über Gebühr cartoonigen Colin Firth als früheren Arbeitskollegen
von George Banks verliert von Szene zu Szene an originärer Dynamik.
Die für mich schlechteste Szene ist allerdings der Song Nowhere
To Go But Up, die eine süße, wenngleich verkrampft den
ersten Film kopierende Grundidee nimmt und so lange noch einen drauf
setzt, bis es die Grenze zur ungewollten Persiflage überschritten
hat. Es ist für mich das Anti-Let It Go: Während
Elsas Powersong im Alleingang Die Eiskönigin – Völlig
unverfroren aufwertet, degradiert Nowhere To Go
But Up als Song und vor allem als Szene den gesamten Film
in meinen Augen massiv und hat mich erst so richtig auf störende
Faktoren in vorherigen Momenten hingewiesen.
Was nun?
Emily Blunt sollte für Mary
Poppins' Rückkehr mit Schauspielpreisen überschüttet
werden, auch Kostümdesignerin Sandy Powell hat für ihre Leistung
Auszeichnungen verdient. Eine Academy-Award-Nominierung für John
Myhre würde mich nicht stören, und hätte Disney Can You
Imagine That? zur Nominierung eingereicht, würde ich dem
Lied eine Nennung im Oscar-Rennen gönnen. Mit diesen großen
Pluspunkten für Mary Poppins' Rückkehr tu ich
mich schwer, Disney-, Musical- und Emily-Blunt-Fans von einem
Kinobesuch abzuraten: So sehr mich der Film auch frustriert und
geärgert hat, bin ich froh, Powells Kostüme und Blunts Darbietung
auf der großen Leinwand gesehen zu haben.
Aber ich bin generell ein Vertreter der
"Im Zweifel: Lieber selber im Kino vom Film
überzeugen"-Fraktion. Nur sagt mir danach nicht, ich hätte
euch nicht gewarnt. Denn Mary Poppins' Rückkehr
ist abseits seiner unerwarteten, kurzen Nummer im Chicago-Stil
dermaßen darauf bedacht, nichts zu tun, das sich mit der Tonalität
des Originalfilms beißen könnte, dass er seine anfänglichen,
nostalgisch-bittersüßen Anklänge auf enervierende Weise mit
abgestumpfter Imitation des Erstlings hinfort spült. Traurig.
Mary Poppins'
Rückkehr ist ab dem 20. Dezember 2018 in vielen deutschen
Kinos zu sehen.
2 Kommentare:
Puh ... die Zusammenfassung bestätigt schon mal einige meiner Befürchtungen. Allein der Trailer hat den Film für mich von einem Must-see zu einem „Wird schon nett aussehen, aber sonst?“ gesenkt.
Aber jetzt noch meine größte Frage: Hat der Film irgendetwas zu bieten, was es in Sachen Gravitas oder Stärke mit Mr. Banks Gang durch die Stadt aufnehmen könnte?
Nein. Der erste Akt ist zwar besonnener als der erste Teil es gemeinhin ist, da aber die Story daraufhin verloren geht, fehlt es der Fortsetzung am dramaturgischen Rückgrat, um so einen Schlag austeilen zu können wie Banks' Spaziergang im Original.
Als "Im Zweifel bei Interesse lieber ins Kino gehen, ehe man es bereut, es verpasst zu haben und festzustellen, dass man den Film mehr mag als angenommen"-Mensch würde ich dir dennoch zum Kinogang raten (dann halt Matinee oder Kinotag oder sowas), und sei es nur für Blunt und ggf. die "Chicago"-Szene. Je nach Tagesform traue ich ihr zu, dass sie bei dir ähnliches Grinsen entlockt wie mir. (Wobei ich nun natürlich auch dafür sorgen könnte, dass du zu viel erwartest :D ) Und anders als ich bist du nun gewappnet, dass es danach steil bergab geht.
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