Ich habe mit Schauspieler Oliver Masucci über Werk ohne Autor, die Arbeitsweise von Regisseur und Autor Florian Henckel von Donnersmarck sowie unschäne Floskeln gesprochen.
Ich mutmaße, dass sich der Großteil des Diskurses rund um Werk ohne Autor auf die Geschichtsverarbeitung Deutschlands beziehen wird. Aber eine Szene, die mir sehr imponiert hat, ist die Museumsführung direkt zu Beginn. Indirekt zeigt sie auf, welch deutsches Unding die oft im harmlosen Scherz gesagten Sprüche "Ist das Kunst oder kann das weg?" und "Also, das hätte ein fünfjähriges Kind auch malen können!" sind ...
Es ist furchtbar! Es ist grauenhaft! "Das kann ich auch"
gehört genauso zu solchen schlimmen Sätzen. Bei Kunst zählt die
Idee, die ist das interessante. Das Herstellen am Ende ist nur
sekundär. Es ist mir egal, wenn jemand denkt, sein kleines Kind
könnte technisch dasselbe abstrakte Bild herstellen – es würde in
kaum einem Fall auf dieselbe Idee kommen! Die Idee steht in der Kunst
über dem Herstellungsprozess, die Idee muss daher entlohnt werden –
was manch einer aber nicht begreifen will. Damit bekommen wir dann
solche Sätze zu hören wie: "Ja, wenn ich die Idee gehabt
hätte, hätte ich das genau so machen können …" Aber man hat
die Idee nicht gehabt, das ist ja der Punkt! Da herrscht so eine
Begriffsstutzigkeit vor, bei manchen Menschen, das ist zum Haare
raufen.
Wenn
man mal überlegt, wie Beuys, an den meine Figur in Werk ohne
Autor angelehnt ist, die Nation gespalten hat, bloß weil er einen
Hut getragen hat. Er wurde dadurch zu einem Hüter, oder für manche
zum Verräter, des Menschseins, des Kunstprozesses und des
Kunstverständnisses, und das zu großem Teil allein dadurch, dass
manche Leute ihn partout nicht verstehen wollten. Man kann mir nicht
sagen, dass die Leute Beuys nicht verstehen konnten
– sie wollten
ihn nicht verstehen! Allein, weil er einen Hut getragen hat. Durch so
etwas kann man unsere Nation spalten! Das finde ich irre!
Erst recht, wenn man bedenkt, was er dann letztlich trotz dieser
Kontroversen uns hinterlassen hat: Erst kürzlich bin ich in Kassel
mit dem Auto an den Bäumen vorbeigefahren, die er gepflanzt hat –
die sind zu einer richtigen Allee herangewachsen. Das ist ein
landschaftliches Kunstwerk, das über seinen Tod hinaus Bestand hat
und noch immer weiter wächst. Das ist absoluter Wahnsinn, mir sind
die Tränen gekommen, als ich das gesehen habe. Aber was hat die
'Bild'-Zeitung geschrieben, als Beuys gestorben ist? "Deutschlands
größter Scharlatan ist tot." Das muss man sich mal vorstellen,
was das für eine Zeit war, in der er agiert hat und sich
zerschlissen hatte. Beuys meinte ja: Der Mensch muss am Ende seines
Lebens zerschlissen sein, denn wenn er in gutem Zustand stirbt, wäre
das tragisch, eine Verschwendung. Wenn ein zerschlissener Mensch
stirbt, habe es dagegen einen Sinn. Dann hat er sich aufgebraucht,
für die Menschen um sich herum und für die Kunst. Und so einen
klugen, einsichtigen Menschen nannte man damals Scharlatan …
Wo liegen denn
Ihre persönlichen Vorlieben in der Kunst? In der Aktionskunst wie
der von Beuys, in der abstrakten oder doch eher in der
naturalistischen Malerei, oder, oder ..?
Mein Kunstlehrer war Beuys-Schüler, und daher habe ich viel über
Fluxus und Happenings gelernt – und ich denke, das hat meinen Blick
auf Kunst schon stark beeinflusst. Und dann war auch noch der Vater
meiner ersten Freundin ein Künstler, mit dem ich mich sehr gut
verstanden habe. Er war ebenfalls Beuys-Schüler, und wir haben
zusammen ein Pergament bemalt, das wir daraufhin dreidimensional als
Plastik gestaltet haben.
Ich habe auch danach mit einigen Künstlern zusammengearbeitet. Ich
habe zum Beispiel mit Erwin Wurm einige One Minute Sculptures gemacht
und auch eine Wortskulptur in Salzburg, wozu er einen
kunsttheoretischen Text geschrieben hat, den wir in der Skulptur
ausgedrückt haben. Wir haben ihn auf einer Ausstellung aber auch
vorgetragen, was eine sehr interessante Erfahrung für mich war, weil
Ausstellungspublikum komplett anders reagiert als Theaterpublikum.
Ich habe immer gerne mit diesem Schlag von Leuten zu tun. Ich
betrachte auch die Schauspielerei als Kunst. Das geht für mich alles
Hand in Hand. Und es ist stets schön, Impulse zwischen den Künsten
auszutauschen, denn schauspieltechnisch können wir das, was in einer
Aktionskunst von jemandem wie Marina Abramovic steckt, gar nicht
erfassen. Doch die Gefühle, die bei mir entstehen, wenn etwa
Abramovic auf der Chinesischen Mauer auf ihren Mann zuläuft, um sich
danach von ihm zu trennen, nehme ich oft in mein Schauspiel mit.
Ich nehme mir nicht vor "Ich mache das jetzt so oder so",
sondern ich nehme diese Eindrücke als Fundament für mein Gemüt und
spiele dann drauf los. Ich halte das für ergiebiger als das große
Theoretisieren meines Schauspiels, denn so kann ich einen fremden
Erfahrungsschatz zumindest zu einem Teil für mich vereinnahmen, was
die Bandbreite der Rollen, die ich mir zutraue, enorm erweitert. Ich
muss mich so nicht auf einen Satz oder ein Wort aus dem Skript
verlassen, sondern kann mich von der Kunst beflügeln lassen.
Wie ist Ihr
Eindruck von Florian Henckel von Donnersmarck als Regisseur? Gehört
er zu den Regisseuren, die ihr Ensemble an der langen Leine lassen?
Oder hat er eine sehr konkrete Vision, die er seinen Darstellern
einflößt?
Ganz klar letzteres. Er hat eine sehr starke, ausformulierte Vision
und er ist sehr genau in dem, was er tut. Sein Arbeitsprozess besteht
daraus, dass er sich sehr viel Zeit nimmt, einem zu erklären, was er
sehen möchte und weshalb. Er will, dass wir verstehen, wieso etwas
auf eine bestimmte Weise gemacht werden sollte. Gleichzeitig ist er
aber auch ein Regisseur, der sich auf der Suche befindet. Er sucht
sehr genau, auch noch während der Arbeit. Das heißt, dass die
Drehtage mit ihm sehr lang werden, weil es sein kann, dass man zwei
Stunden etwas gedreht hat, er es dann aber verwirft, so dass man
wieder neu anfängt, damit er eine Szene völlig neu aufrollen kann.
Das klingt vielleicht paradox, aber das sind zwei ergänzende Seiten
an ihm.
Und die Genauigkeit kommt seinem Drehbuch sehr zugute, da es wirklich
bis in die kleinsten Psychologismen ausgearbeitet ist und wir als
Schauspieler eine sehr verständliche, fundierte Grundlage erhalten.
Dieser Vorarbeit zum Trotz nimmt er uns Schauspieler als Künstler
sehr ernst, weswegen er in einem sehr respektvollen Umgang mit uns
auf die Suche geht, was abseits des Drehbuchs möglich wäre, oder
sich aus ihm heraus noch erarbeiten ließe. Da, wo Andere nur
schnell, schnell fertig werden wollen, nimmt er sich die Zeit, weiter
zu suchen. Und das habe ich sehr, sehr an der Arbeit mit ihm
genossen. Dass sich jemand so viel Zeit nimmt, so genau zu arbeiten
und darauf wert zu legen, das zu erreichen, was ihm vorschwebt und
darüber vielleicht sogar hinaus geht, statt einfach bloß das Ding
in den Kasten kriegen zu wollen, hat mir sehr imponiert. Erst recht,
weil er dabei dich als Person und Künstler so sehr wertschätzt und
mit dir ein Team bildet.
Ich schätze, dass das der Grund war, weshalb Werk ohne Autor so
viel später fertig wurde als anfangs vermeldet, denn er hat auch im
Schnitt so genau gearbeitet wie mit uns am Set. Was sich aber auch
voll und ganz gelohnt hat! Es ist ein sehr spannender und
dramatischer Film geworden.
Und ein
thematisch sehr dichter. Die vorhin besagte Komponente, dass er die
weitläufige Kunstskepsis in unserem Land kritisiert, ist ja nur
einer von vielen inhaltlichen Aspekten des Films. Er ist darüber
hinaus ja unter anderem der Versuch einer kulturellen Zeitkapsel
dreier deutscher Epochen …
Richtig, wobei ich finde, dass sich der Kern des Films dessen
ungeachtet auf einen Satz reduzieren lässt: Die Kunst erahnt etwas,
was der Geist noch nicht begreifen kann. Damit lässt sich der Film
in all seinen Facetten zusammenfassen. Es geht um ein Bild, in dem
mehrere Personen zu sehen sind, die auf tragische, erschreckende
Weise verbunden sind – und der Künstler weiß es nicht. Im Fall
Gerhard Richter, der die Inspiration zu Tom Schillings Figur in
Werk ohne Autor war, fand erst Jahrzehnte nach Entstehung des
Bildes, ein Geschichtshistoriker diese Zusammenhänge heraus. Aber in
der Kunst hat dieser Mann diese Personen bereits zusammengebracht –
da bekomme ich Gänsehaut, wenn ich darüber nachdenke. Und das ist
ja kein Einzelfall. Ich bin davon überzeugt, und finde es daher so
aufwühlend: Die Kunst kann dem Verstand voraus sein.
Man sagt nicht
umsonst 'Das Leben imitiert die Kunst', denn Beispiele gibt es zur
Genüge. Orwells 1984 dürfte da wohl eines der Paradebeispiele
für sein …
Ganz genau. Der hat es vorausgeahnt und wir sind da nun schon weit
drüber hinausgeschossen. Es ist erschreckend. Wir sind so
überwachbar, und wir merken es nicht einmal. Schlimmer noch: Wir
nehmen es als Luxus wahr. Keiner will zu kritisch darüber
nachdenken, denn würde man es, müsste man Konsequenzen daraus
ziehen und sein Leben verändern. Und Veränderung ist dem Menschen
ja zuwider. Veränderung kommt mittlerweile nicht mehr aus den
Menschen heraus, sondern kommt von außen. Wenn Kriege ausbrechen
oder ähnliches passiert, dann bequemen wir uns langsam aus der
Gewohnheit heraus. Aber von uns aus, in Voraussicht, Dinge zu
bewegen? Dafür graut es vielen Menschen, leider. Der Mensch erträgt
lieber Situationen, die er ganz furchtbar findet, statt eine
Veränderung zu wagen. Denn die Angst vor der Veränderung ist noch
größer als das Leiden unter der gegebenen Situation. Das ist so
irre. Deshalb verliert man mit dem Wort 'Strukturveränderung' jede
Wahl. (lacht)
Zum Abschluss
eine generelle Frage über Ihre Rollenwahl: Zieht es Sie eher zu
Rollen, die Ihnen völlig fremd sind, oder ziehen Sie es doch vor,
sich wenigstens in einem Aspekt Ihrer Rolle wiederzufinden?
Ich suche immer nach der Komponente, die mir am nächsten ist. Wenn
ich den Punkt finde, der bei mir ist, dann kann ich die Figur mit
Leben füllen – und dann kann ich mir auch all das an ihr
erarbeiten, was überhaupt nicht meinem Naturell entspricht. So war
es auch beim van Verten in Werk ohne Autor: Der eine Kreis bin
ich als individuelle Person. Der andere Kreis, das ist das Vorbild
Beuys. Und in der Mitte, da ist eine Schnittmenge. Ich versuche, mich
zu der hinzubewegen und von dort aus die eigene Sprache dieser Figur
van Verten zu entwickeln, und von da aus entwickelt sie dann ihre
weiteren Eigenheiten.
Ich brauche das – in jeder Figur brauche ich etwas, das mich
berührt. Und das können die Emotionen einer Figur sein, oder ich
ziehe mir die Emotion aus einem Umweg. Wenn ich zum Beispiel Genre
spiele, und eine wirklich widerliche, fiese Type spiele, dann suche
ich mir ein Vorbild und ziehe meine Emotion aus dem Spaß daran,
dieses Vorbild auf meine eigene Weise zu interpretieren. Das kann
auch eine große Freude sein. Aber die Rollen, die mir am meisten
gefallen, sind dann doch die, die etwas tief in mir berühren, das
ich vielleicht auch selber nicht benennen kann, was mich aber zu
Tränen bewegt. Die Rollen fallen mir dann auch am leichtesten zu
spielen, weil ich aus dieser Emotion heraus einfach entstehen lassen
kann.
Vielen
herzlichen Dank für das Gespräch.
Werk ohne
Autor ist in vielen deutschen Kinos zu
sehen.
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