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Mittwoch, 31. Oktober 2018

Gesang, Zombies, Spaß: "Anna und die Apokalypse"


Ganz gleich, ob man die High School Musical-Filme mag oder nicht: Es ist äußerst faszinierend, wie sie das Gesicht der Disney Channel Original Movies nachhaltig verändert haben. Zuvor bediente der Sender mit seinen Film-Eigenproduktionen eine gewisse Bandbreite. Von Sportkomödien über geradlinige Familienkomödien hin zu übernatürlichen Familiengeschichten. Der Humor in den Disney Channel Original Movies konnte überdreht sein oder beiläufig, slapstickhaft oder sitcomähnlich, gediegen oder flippig. Seit High School Musical hat der Disney Channel jedoch seine Nische gefunden. Innerhalb des Disney-Konzerns. Und innerhalb des Angebots an kinder-, jugend- und familienorientierten Fernsehfilmen. Seit High School Musical dominiert der Camp im Disney Channel. Fernsehfilme des Disney Channels, die sich ernst nehmen, sind nunmehr eine Rarität. Ein tüchtiger Schuss Ironie ist mittlerweile Pflicht, es wird süffisant dem Publikum entgegen gezwinkert, alles ist eine Spur überdreht und zuckrig-fabulös stilisiert. Und der Disney Channel wird campiger und campiger.

Der erste High School Musical-Teil ist über längere Strecken noch ganz schlicht ein typischer Fernsehfamilienfilm, bloß als halbwegs verschüchtertes Musical, das nicht ganz zu seiner Identität steht. Es versteckt mehrere Gesangsszenen in einer "weltlichen" Logik - es wird Karaoke gesungen, für ein Stück geprobt und vorgesungen. Doch dann bricht immer wieder Kenny Ortegas Stil aus. Der Hocus Pocus-Regisseur wählt Farben, die knallen, er lässt es glitzern und lässt Ashley Tisdale und Lucas Grabeel grinsend von der Leine. Nun vergleiche man das mit dem knalligen, ironisch jubilierenden Teen Beach Movie. Und den vergleiche man mit dem wahnsinnig bunten, hibbeligen, stolz-durchgedrehten Descandents 2. Aber selbst das Teenie-Beinahe-Schurken-Fantasy-Coming-of-Age-Musical verblasst im direkten Vergleich mit Z-O-M-B-I-E-S.


Dieses "Zombeau und Julia"-Musical, das die pastellfarbene Menschenwelt und die Industrial-Grunge-Look-Zombiewelt kollidieren lässt, erzählt von einer verbotenen Liebe, institutionalisiertem Rassismus sowie von Cheerleading und Football. All dies in altmodischen (wenngleich verdisneychannelten) Musicalklängen und disneyfiziertem Dubstep-Rap-Clash. All dies bereichert durch ständige Brüche der vierten Wand und völlig überdrehte, glücklich-grimassierende Performances. Dieser Film badet in augenzwinkernder Albernheit, quirlig vermittelter Selbstironie und Zuckerwatte-Camp. Es ist auf wundervolle, gewollte Weise bescheuert. Es. Ist. Großartig!

Und in einer Welt, in der Disney ein derart hart an Selbstparodie grenzendes, knalliges Zombie-Liebesmusical veröffentlicht ... In solch einem filmischen Klima ... Erscheint natürlich ... Ein schottisches, blutiges Weihnachts-High-School-Zombie-Musical! Und dieses schottische, blutige Weihnachts-High-School-Zombie-Musical ist natürlich ... herzlicher, ehrlicher und ungekünstelter als der Disney-Film?! Was?!

Richtig gelesen. Auf dem Fantastic Fest von euphorischem Publikums- und Kritikerecho entgegen genommen und auf dem Fantasy Filmfest 2018 als feierlicher Abschlussfilm zelebriert, ist Anna und die Apokalypse das parallel zu Z-O-M-B-I-E-S entwickelte, blutigere sowie gefühlvollere, geradlinige Pendant zum irren, campigen Disney-Channel-Zombiemusical. Die auf einem Kurzfilm basierende, schottische Indie-Produktion wird in ihrem Trailer trashiger verkauft als sie ist. Denn was wie eine durchgeknallte, subversive Parodie anmutet, ist in Wahrheit … Naja, noch immer subversiv. Aber John McPhails Regiearbeit bewahrt sich dabei ein großes Herz und strahlt allem Zombie-Splatter zum Trotz dort eine wohlige Glühwein-Wärme aus, wo Disneys Z-O-M-B-I-E-S mit ironischer Distanziertheit auftrumpft. Irre, oder?


Anna und die Apokalypse ist womöglich die Überraschung des Kinojahres 2018, ein erzählerisches Wunderwerk, das eine unglaublich schwierige Tonfall-Choreografie meistert, als wäre es das Leichteste auf der Welt. Es ist ein High-School-Musicalfilm, der zur Weihnachtszeit spielt, und von den typischen Konflikten solcher Filme erzählt. Titelheldin Anna (Ella Hunt) will gegen den Wunsch ihres geliebten, aber störrischen Vaters nach der High School das College erst einmal warten lassen und die Welt bereisen. Ihr bester Freund John (Malcolm Cumming) ist heimlich in sie verliebt und sorgt sich, ob er beim kunstaffinen College seiner Wahl angenommen wird. Annas und Johns sich aus dem schulischen, sozialen Geschehen zumeist raushaltende Mitschülerin Steph (Sarah Swire) wiederum plant einen Enthüllungsartikel für den Schulblog, wird allerdings vom strengen Schulleiter Savage (Paul Kaye) ausgebremst. Und Annas Ex Nick (Ben Wiggins) wird von Tag zu Tag arroganter und vorlauter – und wundert sich dann noch, weshalb die Beziehung mit Anna in die Brüche ging. Nur Film-Geek Chris (Christopher Leveaux) und seine Freundin, die dick auftragende, aber gutherzige Schauspielerin/Sängerin Lisa (Marli Siu) haben keinen Grund zum Klagen. Jedenfalls, bis Chris einen wichtigen Termin versäumt …

Nach einem Drehbuch von Alan McDonald und Ryan McHenry spielt Regisseur John McPhail dies zunächst weitestgehend wie eine normale High-School-Musicalkomödie aus. Er trägt hier und da für ein paar Augenblicke etwas dicker auf, um so das subversive Element vorzeitig einzuführen, trotzdem nimmt er die Schulfreuden und Schulleiden für bare Münze, statt sie zu persiflieren oder Kenny-Ortega-Camp aus ihnen zu spinnen. Und dann bricht in eben dieser gutherzigen, musikalischen Weihnachtskomödie plötzlich ein Zombiefilm aus, der sich in groben Pinselstrichen den Gesetzen George A. Romeros unterwirft. Oder ist Anna und die Apokalypse ein Zombiefilm, der immer wieder in Gesang ausbricht und sich mehrmals grobe Späße erlaubt?

So oder so: McPhail lässt mit Anlauf zwei Filmgattungen kollidieren, die nicht zusammengehören – und lässt das auf magische Art und Weise harmonisch funktionieren. Wo sich der Disney Channel bei Z-O-M-B-I-E-S in Camp, Sarkasmus und Dauerüberzeichnung flüchtet, wagt es McPhail, beiden Genres mit Respekt und Geradlinigkeit zu begegnen. Und dennoch gelingt es ihm, dem Publikum das zu liefern, was es bei solch einem Genreclash erwartet, und zieht aus der riesigen Diskrepanz zwischen Weihnachts-Schulkomödienmusical und Zombieapokalypse jede Menge Humor. Das klingt nahezu unmöglich, und dennoch gelingt Anna und die Apokalypse das mit der beschwingten Leichtigkeit eines verliebt singenden, hopsfidelen Teenies.

Dies ist unter anderem den fantastischen Liedern von Roddy Hart und Tommy Reilly zu verdanken. Wirklich jeder Song in Anna und die Apokalypse ist ein Volltreffer – sie sind poppig-lebhaft und dabei "showtune-iger" als die meisten, elektronisch aufgepeppten Disney-Channel-Filmlieder der Post-High School Musical-Ära. Paradebeispiel dafür ist der resignierende, gleichzeitig zum Mitwippen einladende Ohrwurm Hollywood Ending, der auf begnadete Weise ausdrückt, wie desillusioniert die zentralen Figuren sind, dabei eine vitale Energie beibehält und kurz nach einem Disney-Seitenhieb mal eben, völlig ironiefrei, Teile der Stick To The Status Quo-Choreografie aus High School Musical kopiert. Dekonstruktion und Hommage in einem – und das in einem herzlich-ehrlichen, munteren Tonfall – wow, einfach nur wow.


Kurz ins Parodistische wagt sich derweil eine mit Doppeldeutigkeiten vollgestopfte Weihnachtsnummer, die Lisa auf der Schulfeier singt und die selbst den "Wir singen über das Hochschlafen"-Geschwistern Sharpay und Ryan Evans die Schamesröte ins Gesicht treiben würde. Ein späterer Song lässt unterdessen den Anti-Helden Nick rockig von seinen Zombie-Abmetzel-Künsten prahlen, und natürlich gibt es auch einen ikonischen Schurkensong. Diese und auch die anderen Lieder in Anna und die Apokalypse haben eine verspielte, elegante Choerografie gemein, für die Nebendarstellerin Sarah Swire zuständig war. Swire gibt auch vor der Kamera eine großartige Leistung ab – als sozial engagierte, verschlossene Jungjournalistin Steph bringt sie obendrein Witz und Power mit sich, und sobald die Zombiekacke so richtig dampft, changiert sie auf mitreißende Weise zwischen verängstigt und vom Adrenalinrausch des Überlebenskampfes angetrieben.


Mindestens genauso stark ist Hauptdarstellerin Ella Hunt, die Anna leinwandfüllendes Charisma mitgibt. Die archetypischen Storyentwicklungen, die Anna und die Apokalypse in all seinen Genres durchmacht, übermittelt sie mit solcher Treffsicherheit, dass die Gags genauso gut sitzen wie die emotionalen Beats. Marli Siu wiederum wirkt in ihrer Rolle so, als sei Anne Hathaway zu Plötzlich Prinzessin-Zeiten von Ashley Tisdale als Sharpay Evans besessen worden. Und aus dem durch und durch soliden Cast an männlichen Darstellern sticht Paul Kaye als genüsslich-diabolischer Schulleiter denkbar hervor.

Aufgrund der überzeugenden Schauspielleistungen des gesamten Ensembles und McPhails begnadeter tonaler Orchestrierung sind die Sprünge von Weihnachts-Schulmusical zu Zombiefilm gleichzeitig packend und spaßig. Wenn Anna und John bei ihrer musikalischen Morgenroutine die um sie herum stattfindende Zombieplage ignorieren, ist das genauso komisch, wie die verkaterte Variante des Ganzen in Edgar Wrights Shaun of the Dead. Und die ersten Kampfsequenzen der schockiert-genervten Hauptfiguren gegen die Horde an Untoten sind in ihrer literweise Blut verschüttenden Deutlichkeit genauso lustig. Wenn McPhail dann aber zügige, einfallsreiche Slapstick-Action gegen ruhiger erzähltes Vor-den-Zombies-verstecken austauscht, und die Figuren um ihr Leben bangen, lässt er mit einem Fingerschnippen Suspense entstehen. Man will mit Anna und Co. lachen, kann das auch oft – und umso mehr fiebert man mit ihnen mit, wenn aus Absurdität wieder Ernst wird.

Hinzu kommen Ryan Clachries farbenfrohe Kulissen und Fi Morrisons Kostüme, die subtil den Charakter jeder Figur unterstreichen, sowie Sara Deanes das Geschehen mit scharfem Auge einfangende Kameraarbeit. Manche Außenaufnahmen weisen zwar einen künstlichen, leicht überbelichteten Glanz auf, doch die Dynamik, mit der sich die Bildsprache unterschwellig an den gerade vorherrschenden Tonfall anpasst, macht dies mehr als wett. Selbiges gilt für Mark Hermidas Schnitt, der den Witz überbordender Slapstick-Splatterei genauso zu unterstreichen weiß wie die Herzlichkeit der ruhigeren Momente.


Alles in allem ist Anna und die Apokalypse ein Feel-Good-Be-Shocked-Musical, das mit grundehrlichem Gemüt einen subversiven, schmalen Genregrat entlang tanzt und seinem Publikum sogleich mehrere potentielle Stars von morgen in denkwürdigen Rollen präsentiert. Die Gags sind urkomisch, die Lieder mal schön, mal cool, aber immer einprägsam und die Referenzen auf filmische Vorbilder sind pfiffig, aber nie aufdringlich. Kurzum: Anna und die Apokalypse ist ein Geniestreich von einem Genremix und einer der besten Filme des Jahres.

Und nun ist Geduld angesagt: Anna und die Apokalypse startet am 6. Dezember 2018 in den Kinos.

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