Ganz gleich, ob man die High
School Musical-Filme mag oder nicht: Es ist äußerst
faszinierend, wie sie das Gesicht der Disney Channel Original Movies
nachhaltig verändert haben. Zuvor bediente der Sender mit seinen
Film-Eigenproduktionen eine gewisse Bandbreite. Von Sportkomödien
über geradlinige Familienkomödien hin zu übernatürlichen
Familiengeschichten. Der Humor in den Disney Channel Original Movies
konnte überdreht sein oder beiläufig, slapstickhaft oder
sitcomähnlich, gediegen oder flippig. Seit High School
Musical hat der Disney Channel jedoch seine Nische
gefunden. Innerhalb des Disney-Konzerns. Und innerhalb des Angebots
an kinder-, jugend- und familienorientierten Fernsehfilmen. Seit
High School Musical dominiert der Camp im Disney
Channel. Fernsehfilme des Disney Channels, die sich ernst nehmen,
sind nunmehr eine Rarität. Ein tüchtiger Schuss Ironie ist
mittlerweile Pflicht, es wird süffisant dem Publikum entgegen
gezwinkert, alles ist eine Spur überdreht und zuckrig-fabulös
stilisiert. Und der Disney Channel wird campiger und campiger.
Der erste High School
Musical-Teil ist über längere Strecken noch ganz schlicht
ein typischer Fernsehfamilienfilm, bloß als halbwegs verschüchtertes
Musical, das nicht ganz zu seiner Identität steht. Es versteckt
mehrere Gesangsszenen in einer "weltlichen" Logik - es wird
Karaoke gesungen, für ein Stück geprobt und vorgesungen. Doch dann
bricht immer wieder Kenny Ortegas Stil aus. Der Hocus
Pocus-Regisseur wählt Farben, die knallen, er lässt es
glitzern und lässt Ashley Tisdale und Lucas Grabeel grinsend von der
Leine. Nun vergleiche man das mit dem knalligen, ironisch
jubilierenden Teen Beach Movie. Und den vergleiche
man mit dem wahnsinnig bunten, hibbeligen, stolz-durchgedrehten
Descandents 2. Aber selbst das
Teenie-Beinahe-Schurken-Fantasy-Coming-of-Age-Musical verblasst im
direkten Vergleich mit Z-O-M-B-I-E-S.
Dieses "Zombeau und
Julia"-Musical, das die pastellfarbene Menschenwelt und die
Industrial-Grunge-Look-Zombiewelt kollidieren lässt, erzählt von
einer verbotenen Liebe, institutionalisiertem Rassismus sowie von
Cheerleading und Football. All dies in altmodischen (wenngleich
verdisneychannelten) Musicalklängen und disneyfiziertem
Dubstep-Rap-Clash. All dies bereichert durch ständige Brüche der
vierten Wand und völlig überdrehte, glücklich-grimassierende
Performances. Dieser Film badet in augenzwinkernder Albernheit,
quirlig vermittelter Selbstironie und Zuckerwatte-Camp. Es ist auf
wundervolle, gewollte Weise bescheuert. Es. Ist. Großartig!
Und in einer Welt, in der Disney ein
derart hart an Selbstparodie grenzendes, knalliges
Zombie-Liebesmusical veröffentlicht ... In solch einem filmischen
Klima ... Erscheint natürlich ... Ein schottisches, blutiges
Weihnachts-High-School-Zombie-Musical! Und dieses schottische,
blutige Weihnachts-High-School-Zombie-Musical ist natürlich ...
herzlicher, ehrlicher und ungekünstelter als der Disney-Film?! Was?!
Richtig gelesen. Auf dem Fantastic Fest
von euphorischem Publikums- und Kritikerecho entgegen genommen und
auf dem Fantasy Filmfest 2018 als feierlicher Abschlussfilm
zelebriert, ist Anna und die Apokalypse das
parallel zu Z-O-M-B-I-E-S entwickelte, blutigere
sowie gefühlvollere, geradlinige Pendant zum irren, campigen
Disney-Channel-Zombiemusical. Die auf einem Kurzfilm basierende,
schottische Indie-Produktion wird in ihrem Trailer trashiger verkauft
als sie ist. Denn was wie eine durchgeknallte, subversive Parodie
anmutet, ist in Wahrheit … Naja, noch immer subversiv. Aber John
McPhails Regiearbeit bewahrt sich dabei ein großes Herz und strahlt
allem Zombie-Splatter zum Trotz dort eine wohlige Glühwein-Wärme
aus, wo Disneys Z-O-M-B-I-E-S mit ironischer
Distanziertheit auftrumpft. Irre, oder?
Anna und die Apokalypse
ist womöglich die Überraschung des Kinojahres
2018, ein erzählerisches Wunderwerk, das eine unglaublich schwierige
Tonfall-Choreografie meistert, als wäre es das Leichteste auf der
Welt. Es ist ein High-School-Musicalfilm, der zur Weihnachtszeit
spielt, und von den typischen Konflikten solcher Filme erzählt.
Titelheldin Anna (Ella Hunt) will gegen den Wunsch ihres geliebten,
aber störrischen Vaters nach der High School das College erst einmal
warten lassen und die Welt bereisen. Ihr bester Freund John (Malcolm
Cumming) ist heimlich in sie verliebt und sorgt sich, ob er beim
kunstaffinen College seiner Wahl angenommen wird. Annas und Johns
sich aus dem schulischen, sozialen Geschehen zumeist raushaltende
Mitschülerin Steph (Sarah Swire) wiederum plant einen
Enthüllungsartikel für den Schulblog, wird allerdings vom strengen
Schulleiter Savage (Paul Kaye) ausgebremst. Und Annas Ex Nick (Ben
Wiggins) wird von Tag zu Tag arroganter und vorlauter – und wundert
sich dann noch, weshalb die Beziehung mit Anna in die Brüche ging.
Nur Film-Geek Chris (Christopher Leveaux) und seine Freundin, die
dick auftragende, aber gutherzige Schauspielerin/Sängerin Lisa
(Marli Siu) haben keinen Grund zum Klagen. Jedenfalls, bis Chris
einen wichtigen Termin versäumt …
Nach einem Drehbuch von Alan McDonald
und Ryan McHenry spielt Regisseur John McPhail dies zunächst
weitestgehend wie eine normale High-School-Musicalkomödie aus. Er
trägt hier und da für ein paar Augenblicke etwas dicker auf, um so
das subversive Element vorzeitig einzuführen, trotzdem nimmt er die
Schulfreuden und Schulleiden für bare Münze, statt sie zu
persiflieren oder Kenny-Ortega-Camp aus ihnen zu spinnen. Und dann
bricht in eben dieser gutherzigen, musikalischen Weihnachtskomödie
plötzlich ein Zombiefilm aus, der sich in groben Pinselstrichen den
Gesetzen George A. Romeros unterwirft. Oder ist Anna und die
Apokalypse ein Zombiefilm, der immer wieder in Gesang
ausbricht und sich mehrmals grobe Späße erlaubt?
So oder so: McPhail lässt mit Anlauf
zwei Filmgattungen kollidieren, die nicht zusammengehören – und
lässt das auf magische Art und Weise harmonisch funktionieren. Wo
sich der Disney Channel bei Z-O-M-B-I-E-S in Camp,
Sarkasmus und Dauerüberzeichnung flüchtet, wagt es McPhail, beiden
Genres mit Respekt und Geradlinigkeit zu begegnen. Und dennoch
gelingt es ihm, dem Publikum das zu liefern, was es bei solch einem
Genreclash erwartet, und zieht aus der riesigen Diskrepanz zwischen
Weihnachts-Schulkomödienmusical und Zombieapokalypse jede Menge
Humor. Das klingt nahezu unmöglich, und dennoch gelingt Anna
und die Apokalypse das mit der beschwingten Leichtigkeit
eines verliebt singenden, hopsfidelen Teenies.
Dies ist unter anderem den
fantastischen Liedern von Roddy Hart und Tommy Reilly zu verdanken.
Wirklich jeder Song in Anna und die Apokalypse ist
ein Volltreffer – sie sind poppig-lebhaft und dabei "showtune-iger"
als die meisten, elektronisch aufgepeppten Disney-Channel-Filmlieder
der Post-High School Musical-Ära. Paradebeispiel
dafür ist der resignierende, gleichzeitig zum Mitwippen einladende
Ohrwurm Hollywood Ending, der auf begnadete Weise
ausdrückt, wie desillusioniert die zentralen Figuren sind, dabei
eine vitale Energie beibehält und kurz nach einem Disney-Seitenhieb
mal eben, völlig ironiefrei, Teile der Stick To The Status
Quo-Choreografie aus High School Musical
kopiert. Dekonstruktion und Hommage in einem – und das in einem
herzlich-ehrlichen, munteren Tonfall – wow, einfach nur wow.
Kurz ins Parodistische wagt sich
derweil eine mit Doppeldeutigkeiten vollgestopfte Weihnachtsnummer,
die Lisa auf der Schulfeier singt und die selbst den "Wir singen
über das Hochschlafen"-Geschwistern Sharpay und Ryan Evans die
Schamesröte ins Gesicht treiben würde. Ein späterer Song lässt
unterdessen den Anti-Helden Nick rockig von seinen
Zombie-Abmetzel-Künsten prahlen, und natürlich gibt es auch einen
ikonischen Schurkensong. Diese und auch die anderen Lieder in Anna
und die Apokalypse haben eine verspielte, elegante
Choerografie gemein, für die Nebendarstellerin Sarah Swire zuständig
war. Swire gibt auch vor der Kamera eine großartige Leistung ab –
als sozial engagierte, verschlossene Jungjournalistin Steph bringt
sie obendrein Witz und Power mit sich, und sobald die Zombiekacke so
richtig dampft, changiert sie auf mitreißende Weise zwischen
verängstigt und vom Adrenalinrausch des Überlebenskampfes
angetrieben.
Mindestens genauso stark ist
Hauptdarstellerin Ella Hunt, die Anna leinwandfüllendes Charisma
mitgibt. Die archetypischen Storyentwicklungen, die Anna und
die Apokalypse in all seinen Genres durchmacht, übermittelt
sie mit solcher Treffsicherheit, dass die Gags genauso gut sitzen wie
die emotionalen Beats. Marli Siu wiederum wirkt in ihrer Rolle so,
als sei Anne Hathaway zu Plötzlich Prinzessin-Zeiten
von Ashley Tisdale als Sharpay Evans besessen worden. Und aus dem
durch und durch soliden Cast an männlichen Darstellern sticht Paul
Kaye als genüsslich-diabolischer Schulleiter denkbar hervor.
Aufgrund der überzeugenden
Schauspielleistungen des gesamten Ensembles und McPhails begnadeter
tonaler Orchestrierung sind die Sprünge von Weihnachts-Schulmusical
zu Zombiefilm gleichzeitig packend und spaßig. Wenn Anna und John
bei ihrer musikalischen Morgenroutine die um sie herum stattfindende
Zombieplage ignorieren, ist das genauso komisch, wie die verkaterte
Variante des Ganzen in Edgar Wrights Shaun of the Dead.
Und die ersten Kampfsequenzen der schockiert-genervten Hauptfiguren
gegen die Horde an Untoten sind in ihrer literweise Blut
verschüttenden Deutlichkeit genauso lustig. Wenn McPhail dann aber
zügige, einfallsreiche Slapstick-Action gegen ruhiger erzähltes
Vor-den-Zombies-verstecken austauscht, und die Figuren um ihr Leben
bangen, lässt er mit einem Fingerschnippen Suspense entstehen. Man
will mit Anna und Co. lachen, kann das auch oft – und umso mehr
fiebert man mit ihnen mit, wenn aus Absurdität wieder Ernst wird.
Hinzu kommen Ryan Clachries farbenfrohe
Kulissen und Fi Morrisons Kostüme, die subtil den Charakter jeder
Figur unterstreichen, sowie Sara Deanes das Geschehen mit scharfem
Auge einfangende Kameraarbeit. Manche Außenaufnahmen weisen zwar
einen künstlichen, leicht überbelichteten Glanz auf, doch die
Dynamik, mit der sich die Bildsprache unterschwellig an den gerade
vorherrschenden Tonfall anpasst, macht dies mehr als wett. Selbiges
gilt für Mark Hermidas Schnitt, der den Witz überbordender
Slapstick-Splatterei genauso zu unterstreichen weiß wie die
Herzlichkeit der ruhigeren Momente.
Alles in allem ist Anna und
die Apokalypse ein Feel-Good-Be-Shocked-Musical, das mit
grundehrlichem Gemüt einen subversiven, schmalen Genregrat entlang
tanzt und seinem Publikum sogleich mehrere potentielle Stars von
morgen in denkwürdigen Rollen präsentiert. Die Gags sind urkomisch,
die Lieder mal schön, mal cool, aber immer einprägsam und die
Referenzen auf filmische Vorbilder sind pfiffig, aber nie
aufdringlich. Kurzum: Anna und die Apokalypse ist
ein Geniestreich von einem Genremix und einer der besten Filme des
Jahres.
Und nun ist Geduld angesagt:
Anna und die Apokalypse startet am 6. Dezember
2018 in den Kinos.