Attribute, wie sie der Königin in
einem Märchen zustehen: Großes Stilbewusstsein, eine höchst
elegante Erscheinung, ein formidables Gefühl dafür, was das Volk
will oder gefälligst zu wollen hat. Ein enormes Kunstverständnis,
kultivierte Manierismen und Eindruck schindendes Bücherwissen.
Adliges Auftreten, demokratische Werte. Das Äußere einer Debütantin
im bildungssprachlichen Sinne, die Kulturkenntnisse einer
Geisteswissenschaftlerin.
Widersprüche, die sich formidabel
ergänzen: Von Jacqueline Kennedy Onassis' öffentlicher Persona ging
eine Faszination aus, die Zeitgenossen kaum in Worte zu fassen
wussten. Und die all jene, die zu spät zur Welt kamen, um diese Frau
auf dem gesellschaftlichen Parkett erleben zu können, einem Mythos
gleichend nacherzählt bekommen.
Don’t let it be forgot, that
once there was a spot, for one brief shining moment that was known as
Camelot. Wie so manche mystische Erzählung, so hat auch
die Legende der Jackie Kennedy einen düsteren Beiklang. Denn ihre
womöglich am längsten nachwirkende Handlung entwuchs aus einer
Tragödie. Die Tochter eines Stockbrokers und einer Salonlöwin
setzte der US-amerikanischen Geschichte erst durch ihre Reaktion auf
das tödliche Attentat an ihrem Gatten John F. Kennedy so richtig
ihren Stempel auf. Jackie, zuvor für ihr Glamourleben beneidet und
mit einem Emmy für ihr sie damenhaft und etwas gespielt-naiv
zeigendes Fernsehspecial ausgezeichnet, demonstrierte Würde,
stoische Ruhe und eisernen Willen. Ohne dabei kalt zu erscheinen.
Aber dies ist nur ein Steinchen im
Mosaik der Jackie Kennedy. In den Tagen nach dem schicksalshaften 22.
November 1963 hatte sie sich unentwegt zu wandeln: Öffentlich auf
vorbildliche, ja, so makaber es klingen mag, ikonische Weise
trauernd. Hinter verschlossenen Türen beharrlich kämpfend. Darum,
ihre Würde zu bewahren. Ihr Gesicht bei ihren Vertrauten. Um die
Achtung, die ihr andere Politiker entgegenbrachten, als sie noch
First Lady war – und nicht Witwe eines früheren Präsidenten. Um
ihren Verstand, musste sie doch aus unmittelbarer Nähe den Tod ihres
Gatten miterleben. Um ihren Status und den ihres verstorbenen Mannes.
Darum, durch einen sagenhaften Abgesang diesem abrupten, brutalen
Ende einer Präsidentschaft zum Trotz aus dem Handeln ihres Mannes
ein denkwürdiges, würdevolles, imposantes Gesamtkunstwerk zu
konstruieren.
Die Märchenkönigin muss zum ein
scharfes Schwert schwingenden einsamen Ritter werden, um ihre Grazie
zu verteidigen. Hindernisse brutal niederknüppeln, um das Augenmerk
auf ihren Verstand zu lenken. Don’t let it be forgot, that
once there was a spot, for one brief shining moment that was known as
Camelot.
Regisseur Pablo Larraín (El
Club, No!) lässt gar nicht erst zu,
dass wir diese Transformation der Märchenkönigin zum Ritter, und
vom Ritter zur graziösen, wohl aber gerissenen Sagengestalt in Ruhe
beobachten. Der Chilene verhindert eine aus sicherer Distanz
erfolgte Betrachtung des albtraumhaften Lebensabschnitts der Jackie
Kennedy. Er nimmt die Ferngläser seines Publikums, lässt sie durch
die dissonante, das Trommelfell mit beunruhigender Präzision
penetrierende Instrumentalmusik Mica Levis zerspringen. Trübt, um
auf Nummer sicher zu gehen, den Blick mittels grobkörniger, gräulich
verschleierter Kameraaufnahmen Stéphane Fontaines.
Larraín fährt näher heran. So nah,
dass sich die Sorgenfalten der bildhübschen Jackie wie Kluften
auftun. Noch näher. So nah, dass jedes Äderchen in ihren Augen im
Flüsterton davon erzählen kann, welch Grauen es sehen musste und
wie es dies verarbeitet. So nah, dass die titelgebende
Literaturconnaisseuse gewissermaßen zum Schauplatz dieses Films
wird. Ihr Verstand formt die Ausgestaltung und Beschaffenheit dieses
Films. Er weist den Knochenbau eines biografischen Dramas auf, doch
die Gehirnmuskulatur eines Psychogramms, die Muskeln eines sozio- und
medienpolitischen Thrillers und das Gewand eines garstigen
Horrorfilms.
Don’t let it be forgot, that
once there was a spot, for one brief shining moment that was known as
Camelot. Elliptisch gestaltet Larraín ein feingliedrig
beschreibendes, mit der emotionalen Wucht eines Kopfschusses
operierendes Porträt. Sprunghaft. Den viel beweinten, vollauf
analysierten, Jackies Leben aus den Fugen bringenden, ihren Charakter
zementierenden Tag entschlüsselnd. Ihr Gespräch mit dem
'Life'-Journalisten Theodore H. White nachstellend, nein,
romantisierend, nein, demontierend. Zurückschweifend auf Tage wie
aus einer eloquent beschriebenen Gute-Nacht-Mär. Aufbrechend, durch
Szenen über Jackies Sinn- und Gewissenssuche. Die Form:
Selbstkritisch-reflexive Gespräche mit einem Mann des Glaubens.
Übergehend in die vorwurfsvollen, verteidigenden, abgebrühten,
zurückhaltenden Gespräche mit White. Und zurück.
Cutter Sebastián Sepúlveda verwirrt
so lange, bis die Desorientierung erst wirklich die Augen öffnet.
Die Augen öffnet, um jede noch so dezente Nuance in Natalie Portmans
Darbietung zu sehen. Sticht aus ihren versierten Augen eine verstörte
oder verstörende Verbissenheit? Ein verzogener Augenwinkel genügt,
so dass Abgeklärtheit abklingt und Aggressionen zu erkennen gibt.
Melancholisch mäandernd und wissentlich Weltschmerz davontragend:
Diese Darbietung sucht ihresgleichen, ist konstant, jedoch
variantenreich; vielschichtig, dennoch klar. Portman, Kennedy: Ein
von der Leinwand brennender Mittelpunkt eines psychologischen,
intellektuellen Geniestreiches mit wehmütiger Seele. Der Fokus eines
unnachahmlichen Denkmals für eine zur Legende gewordenen Frau. Die
einen Mythos zu bewahren hatte. Zu erfinden. Zu leben. Don’t
let it be forgot, that once there was a spot, for one brief shining
moment that was known as Camelot.
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