Freitag, 21. September 2018

Jackie


Attribute, wie sie der Königin in einem Märchen zustehen: Großes Stilbewusstsein, eine höchst elegante Erscheinung, ein formidables Gefühl dafür, was das Volk will oder gefälligst zu wollen hat. Ein enormes Kunstverständnis, kultivierte Manierismen und Eindruck schindendes Bücherwissen. Adliges Auftreten, demokratische Werte. Das Äußere einer Debütantin im bildungssprachlichen Sinne, die Kulturkenntnisse einer Geisteswissenschaftlerin.
Widersprüche, die sich formidabel ergänzen: Von Jacqueline Kennedy Onassis' öffentlicher Persona ging eine Faszination aus, die Zeitgenossen kaum in Worte zu fassen wussten. Und die all jene, die zu spät zur Welt kamen, um diese Frau auf dem gesellschaftlichen Parkett erleben zu können, einem Mythos gleichend nacherzählt bekommen.

Don’t let it be forgot, that once there was a spot, for one brief shining moment that was known as Camelot. Wie so manche mystische Erzählung, so hat auch die Legende der Jackie Kennedy einen düsteren Beiklang. Denn ihre womöglich am längsten nachwirkende Handlung entwuchs aus einer Tragödie. Die Tochter eines Stockbrokers und einer Salonlöwin setzte der US-amerikanischen Geschichte erst durch ihre Reaktion auf das tödliche Attentat an ihrem Gatten John F. Kennedy so richtig ihren Stempel auf. Jackie, zuvor für ihr Glamourleben beneidet und mit einem Emmy für ihr sie damenhaft und etwas gespielt-naiv zeigendes Fernsehspecial ausgezeichnet, demonstrierte Würde, stoische Ruhe und eisernen Willen. Ohne dabei kalt zu erscheinen.

Aber dies ist nur ein Steinchen im Mosaik der Jackie Kennedy. In den Tagen nach dem schicksalshaften 22. November 1963 hatte sie sich unentwegt zu wandeln: Öffentlich auf vorbildliche, ja, so makaber es klingen mag, ikonische Weise trauernd. Hinter verschlossenen Türen beharrlich kämpfend. Darum, ihre Würde zu bewahren. Ihr Gesicht bei ihren Vertrauten. Um die Achtung, die ihr andere Politiker entgegenbrachten, als sie noch First Lady war – und nicht Witwe eines früheren Präsidenten. Um ihren Verstand, musste sie doch aus unmittelbarer Nähe den Tod ihres Gatten miterleben. Um ihren Status und den ihres verstorbenen Mannes. Darum, durch einen sagenhaften Abgesang diesem abrupten, brutalen Ende einer Präsidentschaft zum Trotz aus dem Handeln ihres Mannes ein denkwürdiges, würdevolles, imposantes Gesamtkunstwerk zu konstruieren.

Die Märchenkönigin muss zum ein scharfes Schwert schwingenden einsamen Ritter werden, um ihre Grazie zu verteidigen. Hindernisse brutal niederknüppeln, um das Augenmerk auf ihren Verstand zu lenken. Don’t let it be forgot, that once there was a spot, for one brief shining moment that was known as Camelot.

Regisseur Pablo Larraín (El Club, No!) lässt gar nicht erst zu, dass wir diese Transformation der Märchenkönigin zum Ritter, und vom Ritter zur graziösen, wohl aber gerissenen Sagengestalt in Ruhe beobachten. Der Chilene verhindert eine aus sicherer Distanz erfolgte Betrachtung des albtraumhaften Lebensabschnitts der Jackie Kennedy. Er nimmt die Ferngläser seines Publikums, lässt sie durch die dissonante, das Trommelfell mit beunruhigender Präzision penetrierende Instrumentalmusik Mica Levis zerspringen. Trübt, um auf Nummer sicher zu gehen, den Blick mittels grobkörniger, gräulich verschleierter Kameraaufnahmen Stéphane Fontaines.

Larraín fährt näher heran. So nah, dass sich die Sorgenfalten der bildhübschen Jackie wie Kluften auftun. Noch näher. So nah, dass jedes Äderchen in ihren Augen im Flüsterton davon erzählen kann, welch Grauen es sehen musste und wie es dies verarbeitet. So nah, dass die titelgebende Literaturconnaisseuse gewissermaßen zum Schauplatz dieses Films wird. Ihr Verstand formt die Ausgestaltung und Beschaffenheit dieses Films. Er weist den Knochenbau eines biografischen Dramas auf, doch die Gehirnmuskulatur eines Psychogramms, die Muskeln eines sozio- und medienpolitischen Thrillers und das Gewand eines garstigen Horrorfilms.

Don’t let it be forgot, that once there was a spot, for one brief shining moment that was known as Camelot. Elliptisch gestaltet Larraín ein feingliedrig beschreibendes, mit der emotionalen Wucht eines Kopfschusses operierendes Porträt. Sprunghaft. Den viel beweinten, vollauf analysierten, Jackies Leben aus den Fugen bringenden, ihren Charakter zementierenden Tag entschlüsselnd. Ihr Gespräch mit dem 'Life'-Journalisten Theodore H. White nachstellend, nein, romantisierend, nein, demontierend. Zurückschweifend auf Tage wie aus einer eloquent beschriebenen Gute-Nacht-Mär. Aufbrechend, durch Szenen über Jackies Sinn- und Gewissenssuche. Die Form: Selbstkritisch-reflexive Gespräche mit einem Mann des Glaubens. Übergehend in die vorwurfsvollen, verteidigenden, abgebrühten, zurückhaltenden Gespräche mit White. Und zurück.

Cutter Sebastián Sepúlveda verwirrt so lange, bis die Desorientierung erst wirklich die Augen öffnet. Die Augen öffnet, um jede noch so dezente Nuance in Natalie Portmans Darbietung zu sehen. Sticht aus ihren versierten Augen eine verstörte oder verstörende Verbissenheit? Ein verzogener Augenwinkel genügt, so dass Abgeklärtheit abklingt und Aggressionen zu erkennen gibt. Melancholisch mäandernd und wissentlich Weltschmerz davontragend: Diese Darbietung sucht ihresgleichen, ist konstant, jedoch variantenreich; vielschichtig, dennoch klar. Portman, Kennedy: Ein von der Leinwand brennender Mittelpunkt eines psychologischen, intellektuellen Geniestreiches mit wehmütiger Seele. Der Fokus eines unnachahmlichen Denkmals für eine zur Legende gewordenen Frau. Die einen Mythos zu bewahren hatte. Zu erfinden. Zu leben. Don’t let it be forgot, that once there was a spot, for one brief shining moment that was known as Camelot.

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