Das Musical war nie völlig weg –
aber es hat sich weit von seiner früheren Position im Filmgeschäft
entfernt. Jahrzehntelang war es eine der dominierenden Erzählformen
in Hollywood. Doch nach einem regelrechten Boom in den 1950er-Jahren,
in denen Musicals immer länger, farbenfroher und kostspieliger
wurden, gerieten sie (trotz einzelner Ausnahmehits wie West
Side Story und Mary Poppins) in den
60er-Jahren allmählich ins Trudeln: Die Ursprungsformel sowie
diverse Abwandlungen waren totgespielt, der Einfluss von Rock 'n'
Roll und die sich wandelnde Jugendkultur machten das typische Musical
schleichend obsolet. In den 70ern wurde der Musicalfilm dann zur
Nischenangelegenheit – Ausnahmen wie Grease und
die in den späten 80ern startende Reihe an
Disney-Zeichentrickmusicals bestätigten diese Regel.
Seit den 2000ern schlägt das Herz des
Musicals wieder stärker, die von einer breiteren Masse bemerkten und
in Kritiker- sowie Branchenkreisen geachteten Leinwandproduktionen
kommen wieder in geringeren Abständen: Moulin Rouge!,
Chicago, Sweeney Todd: Der teuflische
Barbier aus der Fleet Street und Les
Miserables und weitere Produktionen verhelfen der Kunstform
zu einem nahezu konstanten Platz in der westlichen Filmwelt. Nun
schickt sich La La Land an, dieser Entwicklung die
Krone aufzusetzen: Die Kritikerzunft überschlägt sich vor Lob, bei
den Golden Globes räumte La La Land mehr Trophäen
ab als jeder Film zuvor, und bei den Academy Awards kam das Musical
(denkwürdiger Hauptkategorienschlappe in letzter Sekunde zum Trotz)
ebenfalls großartig an.
Ganz gleich, ob La La Land
somit eine Musical-Renaissance auslöst oder einfach nur einen
stärkeren Herzschlag bei einem stabilen, doch ruhigen Puls
darstellt: La La Land hat alle Zutaten für einen
Klassiker, der die Zeit überdauert, und neue Musical-Liebhaber
heranzieht. Und auf dem Weg dahin wird dieser feine Kinotraum sowohl
die Fans, kreativer, anspornender Musicals glücklich machen als auch
diejenigen, die dramatischere Musicals bevorzugen.
Die Jahreszeiten einer
Künstlerromanze
Los Angeles, die Stadt voller Stars
sowie Künstler – und der Träumer, die gerne welche wären. Unter
ihnen befindet sich Mia (Emma Stone), die für ihr Leben gern eine
Karriere als Schauspielerin verfolgen würde. Trotz großen
Engagements und spürbar großem Talent scheitert sie jedoch bei
einem Vorsprechen nach dem anderen, weshalb sie ihr Dasein als
Barista in einem Café auf dem Warner-Bros-Studiogelände fristet. Im
täglichen Stau der gleißenden kalifornischen Sonne trifft sie eines
Tages den Jazz-Pianisten Sebastian (Ryan Gosling) – doch im
Staustress maulen sie sich nur an. Dabei geht es Sebastian genauso
wie Mia:
Sebastian sehnt sich danach, die
obsolet werdende, verwässerte Jazzmusik in einem eigenen Club zu
ihrem früheren Glanz zu verhelfen. Stattdessen klimpert er in einem
Schuppen als unauffällige Geräuschkulisse vor sich hin. Etwas
später führt sie das Schicksal erneut zusammen: Sie begegnen sich
und tauschen sich aus – auf betont platonische Weise, selbst wenn
der Funke zwischen ihnen nicht zu verleugnen ist. Aber können zwei
idealistische, verträumte Künstler tatsächlich eine Beziehung
eingehen, ohne sich im ewigen Streben nach beruflicher Erfüllung im
Weg zu stehen ..?
Regisseur und Autor Damien Chazelle,
der bereits 2014 mit seinem rasanten Drummer-Drama Whiplash
für Furore sorgte, vermengt in seinem Passionsprojekt La La
Land Einflüsse aus der Blütezeit der Hollywood-Musicals
mit einem zeitgenössischen, nicht aber zynischen oder hip
stilistische Konventionen durchbrechenden Stil: Anders als der in
einem Musicals ablehnender gegenüberstehenden Kontext entstandene
Chicago „entschuldigt“ La La Land
seine Gesangs- und Tanzsequenzen nicht als irre Tagträume einer
manischen Gewalttäterin. Und im Gegensatz zu Baz Luhrmans Moulin
Rouge! gibt La La Land nicht sämtliche
Bodenhaftung auf, um die Musicalelemente als konsequente
Weiterführung einer fiebrig-wahnsinnigen Filmsprache zu erklären.
Ebenso wenig wird das klassische
Musicalgefühl durch Blut, Selbstironie, Gags auf der Metaebene oder
naturalistisch-unsauberen Gesang entschärft – La La
Land ist ein nach den Gesetzen des Old-School-Musicals,
doch mit heutigen Möglichkeiten entstandener Film für ein
kontemporäres Publikum. Fast, zumindest: La La Land
ist neben dem klassischen US-Musicalfilm ein weiterer Einfluss
überdeutlich anzumerken. Chazelle ist glühender Liebhaber der
französischen Musicals aus der Nouvelle Vague, insbesondere von
Die Regenschirme von Cherbourg.
Diese französischen Musicals, vor
allem besagtes Meisterwerk von Jacques Demy, gingen in die
Filmgeschichte als faszinierende Verschmelzung aus lebensnahen
Geschichten und überhöhten Emotionen ein: In einem glaubhaften,
wenngleich sehr farbintensiven Setting geht es um bittersüße,
melancholische Romanzen – und diese Stimmung fängt Chazelle in
La La Land brillant ein. Mia und Sebastian mögen
zwar singen und tanzen, aber die Höhen und Tiefen, die sie in ihrer
Beziehung sowie ihrem künstlerischen Streben durchlaufen, sind
geerdet und treffen oft genug eine „blue note“, einen wehmütigen
Klang – was auch bedeutet, dass ein paar Takte melodisch
gesprochen, statt geschmettert werden.
So verträumt wie nötig, so
echt wie möglich. Oder umgekehrt?
Den diffizilen Balanceakt zwischen
Hollywood-Musical nach alter Schule, Einflüssen der Nouvelle Vague
und kontemporärem Filmemachen begeht Chazelle nahezu nonstop auf
lobenswert unbemerkbare, mühelos wirkende Art und Weise: Die
stilvolle, elegante Regieführung, die zwar die Gefühle der Figuren
bestechend ausdrückenden, jedoch niemals pathetischen Dialogzeilen
und das bestechende, natürliche Zusammenspiel zwischen Gosling und
Stone bescheren La La Land ein leichtgängiges,
mitreißendes Naturell.
Anders als in Whiplash,
der in ein (inhaltlich völlig gerechtfertigt) auf den Putz hauendes
Finale mündet, lenkt Chazelle nie den handwerklichen Aufwand und die
Inszenierung in den Fokus – und macht La La Land
so zu einem Film, der ebenso verträumt ist wie seine Hauptfiguren.
Dahingehend zeigt sich der 31-Jährige konsequent, war
Whiplash doch genauso verbissen wie dessen
zentralen Rollen. Für die der Melancholie der „Ideale gegen
Wirklichkeit, Liebe gegen Berufsleben“-Handlung zugutekommenden
Bodenhaftung sorgen derweil subtil eingesetzte ästhetische Aspekte.
So lässt Chazelle American
Hustle-Kameramann Linus Sandgren das hauptsächlich an
echten Schauplätzen gedrehte Geschehen in einem sehr künstlichen
Licht einfangen. Das führt zu einer dezent-verspielten, irgendwo in
einem bezirzenden Nirgendwo zwischen dem Look der
Goldenen-Hollywood-Ära und der Wirklichkeit verorteten Optik, welche
Musicaleinlagen wie die „Lasst uns für eine Hollywood-Party fertig
machen!“-Nummer „Someone in the Crowd“ einzigartig erscheinen
lässt. Nur vereinzelt gerät die Bildästhetik von La La
Land in eine irritierende Grauzone. So lenkt der überaus
künstlich-lilafarben aussehende Nachthimmel bei Mias und Sebastians
Kennenlernspaziergang punktuell von der auflodernden Flamme ab, die
hier zwischen den Figuren entsteht.
Gemeinhin trifft Chazelle jedoch
formidabel den „So echt, dass es glaubwürdig wird, so stilisiert,
dass nostalgischer Zauber entsteht“-Punkt, auf den er abzielt. Dies
gilt nicht nur für die Kameraarbeit, sondern auch für die
unwirklich farbkräftigen, doch nie aggressiv hervorstechenden
Kostüme sowie die beschwingten, aber in den komplexeren
Schrittfolgen bewusst ungeschliffenen Tänzen der Darsteller.
Chazelle lässt Stone und Gosling nicht mit dem Meistern schwieriger
Choreografien prahlen, sondern nutzt die wundervollen Musikeinlagen,
um bewegte Momente in der Handlung kräftig sowie intuitiv zu
unterstreichen.
Ein Musical wäre allerdings für die
Katz, würde die Musik nicht zünden. Glücklicherweise brilliert
La La Land auch an der musikalischen Front:
Komponist Justin Hurwitz vermengt in seinen eingängigen Songs und
den unaufdringlichen, charmanten Instrumentalstücken behände
mehrere Einflüsse – La La Land klingt nach
vitalem Jazz, verletzlichen Musicalballaden und behutsam
modernisierter Big Band, sowie nach allem, was sich aus diesen
Komponenten virtuos zusammensetzen lässt. Getragen wird La
La Land dennoch nicht von den Songs – nicht zuletzt, weil
Chazelle die Musiksequenzen ungleich über die fünf Akte seiner
ebenso wehmütigen wie frohgemuten Handlung verteilt.
Das pochende Herz dieser Hommage an die
Musicalkunst stellen Gosling und Stone dar, die ihre Archetypen der
aufstrebenden Künstler nehmen und mit fein schattierten Nuancen zum
Leben erwecken. Dass La La Land so sehr von seinen
Hauptfiguren lebt, führt allerdings zu kleineren dramaturgischen
Problemen, wenn die Stimmung zwischen Mia und Sebastian nicht exakt
zu bestimmen ist: Die Story punktet am stärksten in euphorischen
Höhen, leidvollen Tiefen und in für die Figuren
frustrierend-grau-grauen Momenten – die Übergänge funktionieren
ebenfalls, fallen jedoch etwas behäbiger aus. Das vor Filmmagie
trotzende, stilistisch bezaubernde, emotional hochintensive Ende weiß
für die partiellen Pacingprobleme aber mehr als nur zu entschädigen.
Fazit: Ein Muss für
Musicalfans und alle, die es werden wollen: La La Land
ist ein bittersüßer Traum, der darauf wartet, als Klassiker in die
Filmlehrbücher aufgenommen zu werden.
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