Mittwoch, 8. November 2017
Vaiana
Sie sind lebende Disney-Legenden: Die Regisseure Ron Clements und John Musker. Sie waren es, die mit dem spaßigen Märchenmusical Arielle, die Meerjungfrau die sogenannte Disney-Renaissance losgetreten haben. Jene Jahre, in denen Disneys Zeichentrickschmiede nahezu jährlich einen Jung und Alt im Sturm erobernden globalen Hit ablieferte. Clements und Musker verantworteten zudem den abenteuerlich-humoristischen Aladdin, den durchgeknallten Hercules sowie das technologische Wunderwerk Der Schatzplanet, ehe sie mit Küss den Frosch in der Ära der Computertrickfilme noch einmal ganz konventionell das Zeichentrickmusical aufleben ließen.
Mit ihrer neusten Produktion beugen sich Clements und Musker nunmehr dem Puls der Hollywood-Zeit. Zwar enthielten ihre Filme stets CG-Tricksereien – das Finale von Basil, der große Mäusedetektiv wäre ohne Digitaltricks nahezu undenkbar. Aber Vaiana stellt den ersten nahezu durchweg am Computer animierten Film des Duos dar. Einen Hauch Nostalgie hat es in das Pazifikabenteuer jedoch hineingemogelt: Der prahlerische, trickreiche Halbgott Maui hat „lebendige“ Tattoos, die von Eric Goldberg (Zeichner des Dschinni aus Aladdin) handgezeichnet wurden und als die freche „Stimme“ seines Gewissens dienen. Sie symbolisieren außerdem quasi den traditionellen Funken, den sich diese frische Disney-Produktion bewahrt hat. Thematisch passend, geht es hier doch um das Abwägen von Tradition, Sicherheit und dem Streben gen neuen Ufern …
Familiär und dennoch anders
Zu Beginn der Zeit, so besagen es polynesische Mythen, war nur der Ozean. Aus diesem erhob sich einst die Inselgöttin Te Fiti, deren Herzen, ein kleiner, grün leuchtender Stein, die Macht in sich barg, Leben zu erschaffen. Eines Tages schnappte sich der Halbgott Maui (Dwayne Johnson im Original, Andreas Bourani in der deutschen Fassung) dieses Herz, um es den Menschen zu überreichen. Doch kurz darauf wurde Maui vom Lavadämon Te Kā niedergerungen. Te Fitis Herz versank dabei im Ozean. Rund Tausend Jahre später gerät die Teenagerin Vaiana (Auli'i Cravalho/Lina Larissa Strahl) mit ihrem Stamm in Konflikt, weil sie sich der Verbote des Stammesoberhaupts ungeachtet danach sehnt, zur See zu fahren.
Vaianas Großmutter spornt die Bestrebungen ihrer Enkelin an, indem sie Erinnerungen an einen Vorfall aus den Kindstagen der wagemutigen Heranwachsenden weckt: Sie wurde vom Ozean auserkoren, das am Strand der Insel Motunui angespülte Herz Te Fitis zurückzubringen. Dazu muss sie Maui ausfindig machen und ihn dazu zwingen, mit ihr davon zu segeln. Vaiana nimmt all ihren Mut zusammen und segelt in dieses aufregende Abenteuer, bei dem es nicht nur darum geht, ihre Heimat zu beschützen, sondern auch darum, zu sich selbst zu finden.
Gespickt ist dies mit einer ordentlichen Prise kecker Selbstironie: Unter anderem nimmt Maui die Position vieler Zuschauer ein, dass ja alle (Disney-)Heldinnen letztlich nur Prinzessinnen wären, während der mit Vaiana reisende Hahn Heihei der unfähigste, dümmste, unnützeste Sidekick der Disney-Filmgeschichte ist. Und Clements/Musker machen sich einen Heidenspaß daraus, dies immer und immer wieder vorzuführen.
Trotzdem ist Vaiana keine Dekonstruktion des Disney-Stils wie der Realfilm-Trickfilm-Hybrid Verwünscht oder solch eine Komödie wie Hercules. Viel mehr fußt er im Tonfall, den Clements/Musker mit Arielle, die Meerjungfrau und Aladdin anstrebten: Mit Maui, der eine widerwillig-kooperative Figur ist und eine sehr große Klappe hat, Heiheis Slapstick und schrillen Störenfrieden wie Kokosnusspiraten (die eine Mad Max: Fury Road-hafte Actionsequenz provozieren) und einer selbstverliebten Krabbe durchkreuzt dieses Abenteuer sehr muntere Gewässer. Dies wird jedoch aufgewogen durch Vaianas sehr emotionale Entwicklung im Laufe des Films: Sie will die Tradition ihres Dorfes achten, den Erwartungen ihrer Großmutter gerecht werden, die Bedrohung durch eine sich ausbreitende Düsternis überwinden und bei all dem eigentlich einfach nur endlich mit sich selber im Reinen sein.
Diese Zerrissenheit Vaianas, die zwar abenteuerlustig ist, aber keineswegs leichtsinnig und voreilig, stellen Musker/Clements filigran dar und verbinden dies gekonnt mit dem wiederkehrenden Thema ihrer Story: Man solle seinem Herzen folgen.
Eine Südseewelt, die es zu erkunden lohnt
Die im Kern sehr disneytypische Erzählung wandeln Musker/Clements dadurch ab, dass dieses Mal kein noch so kleiner Romantiksubplot auftaucht und sich diese Produktion zudem wiederholt von der im westlichen Kino kaum geachteten polynesischen Mythologie verschlingen lässt: Gerade gen Schluss geben poetische Bilder der Story einen für Disney ungewohnten Dreh. Auch der Verzicht auf einen abgrundtief bösen, die Strippen ziehenden Schurken lässt Vaiana etwas von der Disney-Formel abweichen.
Die ausdrucksstarke Charakteranimation der kessen Protagonistin stärkt die bereits in der Handlung angelegte Vielschichtigkeit: Vaiana ist keine weichgespülte Disney-Prinzessin, sondern kann auch mittels nachdrücklicher Mimik kratzbürstig oder wehleidig sein, was ihre versöhnenden und frohen Momente umso stärker wirken lässt. Maui ist derweil eine trickgewordene, etwas karikierte Halbgottversion Dwayne Johnsons, inklusiver einiger seiner markanten mimischen und gestischen Ticks. Generell sind die Figuren etwas überzeichnet gehalten, aber natürlich genug, um sich in die atemberaubenden Hintergründe zu fügen – die Welt von Vaiana ist schärfer, farbintensiver und malerischer als die Realität, fühlt sich jedoch täuschend echt an.
Abgerundet wird das Südsee-Abenteuerfeeling durch die Filmmusik: Mark Manchina (Tarzan) kreiert mittels rhythmischer Percussion, sanft gespielten Holzblasinstrumenten und dezent eingesetzter Gitarre eine perfekt zu den Bildern passende Klangästhetik, die er gewitzt abwandelt – etwa durch überdeutliche Mad Max: Fury Road-Einflüsse in einer verrückten Actionszene. Die Songs (an denen neben Mancina Hamilton-Schöpfer Lin-Manuel Miranda sowie Opetaia Foa'i beteiligt waren) sind wiederum eine erquickliche Mixtur aus Disney-Musical und polynesischem Folk. Bloß der Eröffnungssong ist enttäuschend – generell fängt Vaiana im Vergleich zu den sonstigen Musker/Clements-Filmen etwas holprig an. Er braucht Zeit um sich zu entfalten, endet dafür aber besonders stark.
Der Haken an diesem Paradies
Üblicherweise spielt Disney Deutschland ganz vorne mit, wenn es darum geht, eine hervorragende Synchronisation zu bewerkstelligen – nicht umsonst haben zahlreiche deutsche Fassungen von Disney-Songs hierzulande Evergreenstatus erreicht. Die Synchronfassung von Vaiana stellt indes eine schroffe Ausnahme von der Regel dar. Dies ist jedoch nicht primär den Performances der Hauptsprecher Lina Larissa Strahl und Andreas Bourani geschuldet: Bibi & Tina-Hauptdarstellerin Strahl gibt eine engagierte und facettenreiche Sprecherleistung ab und wäre für viele weitere Disney-Prinzessinnen ob ihres Timbres eine Idealbesetzung. Bourani wiederum wiederholt zwar nicht seine treffsichere Arbeit aus Baymax – Riesiges Robowabohu, schlägt sich aber per se solide – kein Synchronhöhepunkt, vom Handwerk her jedoch auch ebenso wenig eine Schande.
Der einschneidende Fauxpas geschah bei dieser Synchronfassung nicht hinter dem Mikrofon, sondern am Schreibtisch: Strahl und Bourani mögen sich zwar redlich abmühen, sind aber fehlbesetzt. Strahls freundlich-helle Stimme klingt nur in wenigen, kurzen Dialogpassagen so, als könnte sie der durchsetzungsfähigen Südsee-Abenteurerin entspringen. Diese Bild-Ton-Schere mindert die Illusion, dass die Titelheldin eine lebende, atmende, fühlende junge Frau ist – sie ist nunmehr bloß eine Trickfigur, die hastig nachsynchronisiert wurde.
Auch Debby van Dooren, die Strahl täuschend ähnlich klingt und die Gesangspassagen Vaianas übernimmt, trifft zwar die Töne, bringt allerdings nicht glaubwürdig die Stimmfarbe und das Volumen rüber, das zur Titelheldin passen würde. Ähnliches gilt für Bourani, der eine höhere, weniger verbrauchte Stimme mitbringt als Dwayne Johnson, der im Original Maui all seiner Prahlerei und all seinen Lügen zum Trotz Charisma und eine autoritäre Glaubwürdigkeit verleiht.
Bouranis eher jugendlich klingender Maui wirkt viel stärker wie ein frecher Emporkömmling, der längst nicht so mächtig ist, wie er vorgibt. Den für Johnsons Tonlage geschriebene, ironische Vorstellungssong Mauis verliert angesichts dieser Umdeutung der Figur an Launigkeit und Flair. Das ist weniger Bouranis Versagen als das derjenigen, die dieses Casting durchgeboxt haben. Darüber hinaus sind die deutschen Liedtexte ein ständiges Auf und Ab: Tiefpunkt ist der Eröffnungssong, in dem die Bewohner des Eilands Motunui ihre Heimat anpreisen. Dieser Nummer ist anzumerken, wie schwer man sich damit getan hat, die rasante Abfolge kurzer englischer Worte ins Deutsche zu übertragen, ohne aus dem Takt zu geraten.
Höhepunkt ist derweil eine als inhaltlicher und tonaler Wendepunkt daherkommende Glam-Rock-Musicalnummer, die nicht nur die zahlreichen Pointen der englischen Fassung gewitzt und kreativ ins Deutsche rettet, sondern zudem melodiös-verrückt von Tommy Morgenstern (Stammstimme von Thor-Darsteller Chris Hemsworth) gesungen wird. Auch der oft für Disney im Einsatz befindliche Manuel Straube weiß mit seiner Gesangseinlage zu überzeugen – trotzdem sind die teils arg wackligen Songübersetzungen und die unpassenden Besetzungen der Hauptfiguren genug, um Vaiana zu einem der am schwächsten synchronisierten Disney-Trickfilme zu machen.
Fazit: Ein herausragend animiertes, sehr lustiges und zugleich zu Herzen gehendes Disney-Abenteuer mit einer liebenswerten, facettenreichen Hauptfigur und einem sie begleitenden, ulkigen Ensemble an Nebenrollen.
Diese Kritik erschien zuerst bei Quotenmeter.de
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