Montag, 13. November 2017
Die Schöne und das Biest
Remakes lassen sich nicht einfach so binär kategorisieren. Sie sind nicht alle automatisch spitze oder schlecht, vorlagengetreu oder vorlagenignorant. Sie bewegen sich viel eher auf einer graduellen Skala. Irgendwo von Gus Van Sants sklavischer Psycho-Neuverfilmung und Michael Hanekes minimal angepasstem Funny Games-Remmake bis hin zu David Cronenbergs freier Die Fliege-Umdeutung sowie David Lowerys die Vorlage weitestgehend ausblendendem Elliot, der Drache.
Gemeinhin möchte man, zumindest aus filmhistorischer Sicht, denken: Ein Remake muss sich von der Vorlage entfernen, um eine Daseinsberechtigung zu haben. Denn solange das Original noch existiert, wieso sollten die Verantwortlichen der Neuadaption ihm gegenüber vollkommen devot sein? Eine neue Perspektive, ein abweichender Tonfall, veränderte Gegebenheiten – das kann für die erneute Befassung mit bereits bekannten Stoffen sinnstiftend sein. Dass Originalgetreue nicht Trumpf ist, bewies darüber hinaus die ablehnende Reaktion von Kritikern und Kinogängern auf das besagte Psycho-Remake.
Die Rezeptionsgeschichte lehrt indes: Abweichungen vom Gewohnten kommen ebenfalls nicht immer gut an. Rob Zombie machte in seinem Halloween aus einem ominösen Slasherschurken einen White-Trash-Spross, dessen kaputte Psyche genau skizziert wurde. Paul Feig änderte das Geschlecht der Ghostbusters und formte ihren Humor von 80er-Jahre-Situationswitz zu heutiger "American Akwardness". Beide Male fanden sich überzeugte Verteidiger der neuen Ansätze, während die Kern-Fangemeinde wütend schnaubte. Ja, der Mensch: Ein Gewohnheitstier, das gleichzeitig laut blökt, wenn sich wer seiner Gewohnheit zu offensichtlich anbiedert. Anstrengend, anstrengend …
Eine Erweiterung, kein Neuansatz
Die von Dreamgirls-Regisseur Bill Condon inszenierte Die Schöne und das Biest-Neuverfilmung befindet sich auf der eingangs herbeigesponnenen Remake-Skala auf einer Position, die sich näher bei den sklavischen Neuaufgüssen befindet als bei den losen Adaptionen. Gleichwohl steht Condons Film ausreichend auf eigenen Füßen, um sich nicht 1:1-Remake schimpfen lassen zu müssen. Zumindest, solange der Begriff nicht sinn- und grundlos durch die Gegend gebüpllt wird.
Der Gedanke, den die auf den Schultern des 1991 veröffentlichten Disney-Zeichentrickklassikers gleichen Namens stehende Großproduktion verfolgt, ähnelt dem vieler Disney-Bühnenmusicals: Man drehe an einer kleinen Handvoll an Stellschrauben eines populären Disney-Films und erweitere die Handlung ausgiebig, ohne den Fokus von den etablierten Storypunkten wegzulenken. Bei dieser Art des Neuspinnens eines bekannten Stoffes ist daher nicht primär der gewählte, neue Ansatz für ein etwaiges Gelingen oder Misslingen entscheidend. Sondern viel mehr die gebotene Handwerkskunst.
Wie nahtlos fügen sich die Ergänzungen in das nur behutsam angepasste Grundgerüst der Vorlage und wie beeindruckend ist der Produktionsaufwand? Die Disney-Bühnenstücke sind in dieser Hinsicht mal herausragende Volltreffer (wie die meisten Der König der Löwen-Bühnenmusicalbesucher bestätigen dürften) und mal blamable Versuche, mittels eines bekannten Titels mehr Geld zu scheffeln (wie viele der Unglücklichen sagen werden, die sich dem Arielle, die Meerjungfrau-Musical aussetzten).
Im Falle von Die Schöne und das Biest gibt es dahingehend kaum etwas zu kritteln, dafür umso mehr zum Bestaunen: Condon entschied sich für einen prachtvollen Rokoko-Stil, der konsequent und handwerklich herausragend durchgezogen wird, so dass die Leinwand vor Opulenz und Detailreichtum geradezu trieft. Die Kostüme sind preiswürdig – sie erinnern durch ihre Farbästhetik an die Trickvorlage, sind dabei jedoch dank der liebevoll verarbeiteten Stoffe historisch glaubwürdig und daher ansehnlicher als irgendwelche Karnevalskostüme. Hinzu kommen filigran verzierte Requisiten, detailreiche Digitaltrickfiguren (die dennoch eine Seele aufweisen) sowie weitläufige Kulissen, und fertig ist die visuelle Pracht, die Mr. Holmes-Kameramann Tobias Schliessler zumeist in ruhigen, weitwinkligen Bildern einfängt.
Trotzdem ist nicht alles Gold, was glänzt: Die bei Tageslicht spielenden Außenszenen in Belles beschaulichem Dorf wirken durch eine etwas übermäßige Beleuchtung arg artifiziell, der restliche Film ist hingegen in einem dem Produktionsdesign angemessenen, theatralen Look abgelichtet.
Schwelgend, statt intensiv
Das Storytelling fügt sich formidabel der von Condon gewählten Form: Der Zeichentrickfilm ist flotter erzählt, visuell nicht derart dekorativ-verziert wie das Realfilmremake und er setzt auf intensive Emotionen. Der ausschweifend-opulent gehaltene, deutlich längere Realfilm ist indes schwelgerisch: Er kostet Gefühle und Situationen mit einer besonnenen Ruhe aus, ohne dabei schwunglos zu wirken – die Dialoge sind zu amüsiert-verschnörkelt und die meisten Sequenzen zu reich an Agilität, als dass Condons Die Schöne und das Biest trotz Überlänge behäbig rüberkommen könnte.
Die schlichte, effektive Geschichte der klugen, schönen Dorf-Außenseiterin Belle, die sich in einem verwunschenen Schloss einem garstig aussehenden Biest annähert, nachdem sie in ihrer Heimat dem prahlenden Schönling Gaston die kalte Schulter zeigte, erweitert Condon intuitiv. Der rundum gelungene Disney-Zeichentrickfilm zeigt zwar, dass es keine der Ergänzungen aus der Feder von Stephen Chbosky und Evan Spiliotopoulos dringend bräuchte. Aber das Autorenduo lässt neues Material und aus dem Trick-Meilenstein übernommene Sequenzen fließend ineinander übergehen. Belle gewinnt so neue, dramatische Zwischentöne hinzu, Gaston wird ein gutes Stück schurkischer und dem Biest wird sowohl mehr Humor als auch eine größere Verletzlichkeit zugeschrieben.
Das Ensemble wird in seinem darstellerischen Können von dem ganzen Pomp etwas überschattet – blass bleiben Emma Watson als Belle und Dan Stevens als (mittels haptischer und digitaler Effekte erzeugtes) Biest zwar keineswegs. Dennoch sind die Zeichentrickversionen mimisch und gestisch ausdifferenzierter, während die Gefühlswelt der Titelfiguren in der Condon-Variante öfter durch Text und Inszenierung verdeutlicht wird, statt durch Ausdruck. Dessen ungeachtet spielen Watson und Stevens die schrittweise entstehende Anziehung zwischen ihren Rollen liebenswert aus – selbst wenn Watson dasselbe Problem plagt wie Lily James in Cinderella: Sie spielt keine "echte" Rolle, es wirkt durchweg so, als würde der Gedanke "Oh, ich spiele nun eine Disney-Prinzessin, wow!" zwischen der Rolle und ihrer Darbietung stehen. Luke Evans hat indes wonnige Spielfreude in der Rolle des Ex-Kriegers Gaston und Josh Gad überträgt als LeFou den grellen Tonfall dieses Schurken-Sidekicks von der Zeichentrickvorlage gekonnt in eine etwas gemäßigtere Variante.
Ähnliches gilt für Alan Menken, der die von ihm geschriebene Musik und die gemeinsam mit Howard Ashman verfassten Songs des Kassenschlagers von 1991 behutsam adaptiert und zudem durch berührende, neue Lieder (getextet von Tim Rice) ergänzt. Inszenatorisch orientiert sich Condon beim Ohrwurm Sei hier Gast allerdings all zu krampfhaft am Zeichentrickfilm, der medial bedingt diese verspielte Szene viel mitreißender umsetzt. Sonst tänzelt der Regisseur in den prächtigen Musikszenen auf betörende Weise entlang der Grenze zwischen "Bekannt, aber dezent anders" und "Neu, aber familiär". Somit fällt Die Schöne und das Biest für ein 130-minütiges Prunk-Märchenmusical erstaunlich kurzweilig aus – und wirkt für ein ziemlich vorlagengetreues Remake ungewohnt gehaltvoll.
Fazit: Prächtige Optik und wunderschöne Musik machen aus dieser behutsam ausgearbeiteten Real-Neuverfilmung des Disney-Zeichentrickklassikers eine prunkvolle Kinoproduktion, die eher ein schwelgendes Fest als eine smarte Neuinterpretation der Vorlage darstellt.
Diese Kritik erschien zuerst bei Quotenmeter.de
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