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Sonntag, 1. Oktober 2017
Die Insel der besonderen Kinder
Tim Burton findet allmählich wieder zu seiner alten Form zurück. Nach dem grellen, inhaltlich uninspirierten Alice im Wunderland, dem ebenso konfusen wie langweiligen Dark Shadows, dem knuffigen, aber irgendwie unvollständig wirkenden Frankenweenie und dem durchwachsenen sowie unauffälligen Big Eyes kommt nun ein Film, bei dem sich Burtons Ästhetik und die Geschichte die Waage halten und ergänzen. Die Insel der besonderen Kinder reicht zwar noch immer nicht an Burtons frühere Geniestreiche heran, unter anderem weil diese Fantasygeschichte nicht so effizient erzählt ist wie stärkere Burton-Regiearbeiten. Doch es überwiegen endlich wieder die positiven Aspekte.
Die Handlung basiert auf einem Jugendbuch, welches wiederum durch eine Fotoreihe inspiriert wurde, und dreht sich um den Teenager Jake Portman (Asa Butterfield), der ein unterkühltes Verhältnis zu seinen Eltern hat, dafür aber seinen Großvater (Terrence Stamp) über alles liebt. Als Jake noch klein war, erzählte ihm sein Opa immer haarsträubende Geschichten über Tentakelmonster sowie über eine Gruppe außergewöhnlicher Kinder, die von der magischen Miss Peregrine überwacht wird. Jake wuchs im Glauben auf, dass sein Großvater die Wahrheit erzählt, erst als Schulkind tat er diese Erzählungen als Gute-Nacht-Märchen ab. Doch als Jakes Großvater unter mysteriösen Umständen verstirbt, wächst in ihm der Verdacht, dass sich sehr wohl ein Kern Wahrheit in den Storys befinden könnte. Er kann seinen Vater (Chris O’Dowd) überreden, die Insel Cairnholm zu besuchen, wo sich angeblich Miss Peregrines Kinderheim befindet. Dort angekommen begegnet er tatsächlich einer Gruppe mysteriöser Kinder, die ihn mit in ihre geheimnisvolle, bezaubernde, aber auch gefährliche Welt nehmen …
Das Drehbuch von Jane Goldman (Kingsman: The Secret Service) braucht etwas, um in Gang zu kommen: In einem ausführlichen Prolog führt die Autorin nicht nur Jakes drögen Alltag und seine innige Beziehung zu seine Großvater ein, sondern auch explizit die im Titel erwähnten besonderen Kinder, Jakes frostige Dynamik mit seinen Eltern und sein mäßiges Glück in Liebesdingen. Einiges davon erweist sich als unnötiger, die Narrative ausbremsender Ballast. So werden Miss Peregrines Schützlinge später nochmal in persona genauer vorgestellt, ebenso wird Jakes Schüchternheit im Umgang mit Mädchen auf der titelgebenden Insel deutlich und müsste somit keinesfalls den Filmeinstieg verlangsamen.
Erstmals im Zauberreich der besonderen Kinder angelangt, findet das Skript aber vorerst seinen Rhythmus: Die Vorstellung der mit kuriosen Fähigkeiten ausgestatteten Heranwachsenden gerät mit Witz und Charme, jedoch auch mit einem melancholischen Unterton. Denn wie Jake herausfindet, leben sie zu ihrem eigenen Schutz seit vielen Jahrzehnten in einer Zeitschleife und sind somit dazu verdammt, ewig Kinder zu bleiben. Dass diese Zeitschleife einen durchgeplanten Tagesablauf verlangt, zeigen Goldman und Burton ebenfalls teils verspielt-amüsiert (etwa, wenn auf die Sekunde genau Tag für Tag ein Eichhörnchen gerettet wird), teils mit Gänsehaut-Gefühl: In einer emotional facettenreichen Szene zeigt Burton, wie für die Titelhelden ein normaler Tag endet – in Gasmasken gehüllt und einen alten Radioschlager hörend, während sie entspannt wartend einen Nazi-Bombenangriff auf ihr Heim beäugen.
Die innere Logik dieses Zeitreiselements wird zwar teils verwirrend nachskizziert, da dieser Aspekt des Films aber nie das Hauptaugenmerk darstellt, lässt sich der Kernhandlung durchweg folgen: Der von Asa Butterfield sympathisch zurückhaltend gespielte Jake muss sich für ein Leben mit den besonderen Kindern und als Monster bekämpfender Held oder für die sichere Normalität entscheiden. Dass er sich nebenher in die großäugige, liebenswerte Emma (wie für einen Burton-Film geschaffen: Ella Purnell) verguckt, ist zwar aus narrativer Sicht etwas schematisch und erzwungen, allerdings stimmt die Chemie zwischen den Darstellern. Auch Butterfields Zusammenspiel mit den anderen Jungdarstellern hat Charme, mehr noch blühen die Szenen rund ums Kinderheim aber aufgrund der schwelgerischen Kameraarbeit von Bruno Delbonnel (Inside Llewyn Davis) und des detailverliebten Produktionsdesigns auf – Burton erschafft eine wundervolle, gotisch angehauchte schaurig-schöne Welt mit viktorianischen Schnörkeln, gruseligen Reißzähnen und bezirzender Magie.
Als gute Seele des Films fungiert dabei Eva Green (welche zu den wenigen Pluspunkten von Dark Shadows zählte), die Miss Peregrine mit einer strengen, doch fürsorglichen Aura umgibt und die schrägeren Momente mit einem verschmitztem Lächeln zu erden weiß. Als böser Gegenpart dient ein engagierter Samuel L. Jackson, der den Großteil des Films mit furchteinflößender Präsenz beschreitet, während er im actionreichen, leider überlangen und daher ermüdenden Finale mit wohlplatzierten, treffenden Gags für eine frische Brise sorgt. Besagter Schlussakt ist inszenatorisch bedauerlicherweise ein zweigleisiges Schwert: Burton setzt die Kräfte seines großen Figurenrepertoires auf amüsante und ideenreiche Weise ein und setzt dem Publikum einige herrlich schräge Momente vor, jedoch wirkt die Finalschlacht auf einem Vergnügungspark lustlos in steifen Kameraeinstellungen runtergedreht.
Fazit: Der typische Burton-Stoff Die Insel der besonderen Kinder zerfasert zwar an manchen Stellen, in seinen stärksten Momenten ist dieser Familiengrusel aber eine gotisch-charmante Erinnerung daran, was Tim Burton als Filmemacher drauf hat.
Diese Kritik erschien zuerst bei Quotenmeter.de
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