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Dienstag, 12. September 2017

The Accountant


Das Duo Matt Damon & Ben Affleck zählt zur Riege der berühmten Hollywood-Freundschaften. Die zwei Stars, die lange Zeit auch regulär gemeinsam vor der Kamera standen, verfassten zusammen das Good Will Hunting-Drehbuch und heimsten so unter anderem einen Oscar ein. Aller Unzertrennlichkeit zum Trotz schlugen Affleck und Damon recht unterschiedliche Karrierewege ein. Während sich Damon konstant zum Publikumsmagneten und Blockbuster-Frontmann wandelte, der dessen ungeachtet auch dann und wann in anspruchsvolleren Filmen mitspielt, war Afflecks Pfand ein geschlungener: In den 90ern und frühen 2000ern ebenfalls als Aushängeschild kostspieliger Produktionen ausgetestet, jedoch mit mehreren Flops und teils bitteren Kritiken begrüßt, erarbeitete sich Affleck erst über seine Regietätigkeit und Rollen in seinen eigenen Projekten erneuten Respekt. Erst danach traute ihm Hollywood schrittweise mehr und mehr zu, als Star in Filmen anderer Regisseure zu agieren.

Dieses Vertrauen in Affleck scheint sich für die Filmverantwortlichen auszuzahlen, erntete der zweifache Academy-Award-Gewinner doch unter anderem positive Kritiken für David Finchers Thrillererfolg Gone Girl – Das perfekte Opfer. Darüber hinaus gehört er zu den wenigen Aspekten von Batman v Superman: Dawn of Justice, die selbst von vielen lautstarken Gegnern des Superheldenstreifens gelobt wurden. Mit The Accountant erhält Affleck nun die Gelegenheit, sich in einem Gebiet zu behaupten, in dem sich sein Buddy Damon bereits wiederholt achtungsvoll geschlagen hat: Im Sektor des an ein etwas älteres Publikum gerichteten Actionthrillers. The Accountant nun als „Ben Afflecks Antwort auf die Bourne-Reihe“ abzutun, mag der Produktion nicht ganz gerecht werden, dennoch empfiehlt sich das Projekt von Warrior-Regisseur Gavin O’Connor für all jene Filmliebhaber, denen Jason Bourne per se gefiel, die aber gern eine winzige Prise mehr Witz und deutlich weniger Handkameragewackel gehabt hätten.

Das autistische Mathematikgenie Christian Wolff (Ben Affleck) betreibt ein kleines Steuerberatungsbüro nahe Chicago. In diesem unscheinbaren Geschäft kann er seine Leidenschaft zu logischen Abläufen und Zahlen ausleben – und ganz nebenher unbescholtenen Bürgern dabei helfen, sich durch legale Steuertricks nicht völlig vom Staat schröpfen zu lassen. Schlussendlich ist dieses biedere Büro aber nur Tarnung für seine Tätigkeit als Buchhalter einiger der gefährlichsten Unterweltorganisationen der Welt. Zur Sicherheit rät ihm eine Vertrauensperson dazu, ausnahmsweise einen ganz und gar legalen Auftrag anzunehmen: Der Robotikkonzern des Visionärs Lamar Black (John Lithgow) hat ein Finanzleck, auf das dessen Buchhalterin Dana Cummings (Anna Kendrick) aufmerksam wurde. Nun soll Wolff die vollen Ausmaße dieser Unregelmäßigkeit sowie dessen Ursprung ausfindig machen. Derweil haben sich jedoch schon der Leiter der Steuerfahndung Ray King (J.K. Simmons) und seine verbissene neue Ermittlerin Marybeth Medina (Cynthia Addai-Robinson) auf Wolffs Versen gemacht …

Obwohl Regisseur Gavin O’Connor schon früh zeigt, dass sein Protagonist über eine große Waffensammlung verfügt sowie sehr gut trainiert ist, und somit das non-verbale Versprechen macht, dass The Accountant zum Actionthriller wird, beginnt die 44-Millionen-Dollar-Produktion bodenständig: Die von Drehbuchautor Bill Bubuque (Der Richter – Recht oder Ehre) erdachte Geschichte eröffnet wie ein fiktionales Biografiedrama über einen herausragenden Buchhalter, der aufgrund seines Autismus zwar die Gesetze der Mathematik, nicht aber die Regeln des sozialen Miteinanders beherrscht. So führt O’Connor in ruhigen, mit trockenem Witz und akkurat-geradliniger Bildsprache erzählten Szenen, wie Wolff als Kind ein schwieriges Puzzle löst oder als Erwachsener mühelos einem älteren Ehepaar große Steuerersparnisse ermöglicht. Gleichwohl liegt er im obligatorischen Smalltalk mit seiner Vorzimmerdame oder ähnlich-nebensächlichen Augenblicken gesellschaftlicher Interaktion immer dezent neben dem gemeinhin als „korrekt“ geltenden Verhalten.

Affleck agiert in diesen Szenen, die den Autismus seiner Figur vorführen, durchweg sehr gut und respektvoll: Er zieht zwar durch treffendes Timing Humor daraus, wenn Wolff mal wieder an der sozialen Norm vorbeiwandert, dabei hat er jedoch so große Bodenhaftung und ist so adrett und nüchtern, dass Wolff weder als Karikatur erscheint, noch es unglaubwürdig wird, dass er sich mühelos ganz allein durch sein herausforderndes Leben zu manövrieren weiß. O’Connor gelingt der Spagat zwischen unaufdringlichem Witz und einer nüchternen, den Berufs- und Privatalltag Wolffs zeigenden, charakterbezogenen Dramatik sogar so stilsicher, dass man sich glatt wünschen würde, der ganze Film handle davon, wie das Matheass die Finanzzahlen des Unternehmens Living Robotics abklopft. Cutter Richard Pearson (Muppets aus dem All) und Komponist Mark Isham (Once Upon a Time) verleihen dem Vorgehen zudem einen so angenehmen akustischen wie visuellen Rhythmus, dass die eingangs angekündigte Action noch stärker in Vergessenheit gerät.

Doch Wolffs Tätigkeit für Living Robotics wird jäh unterbrochen. Alsbald machen erbarmungslose Gangster Jagd auf Mitarbeiter dieses Unternehmens, darunter auf die freundliche Buchhalterin Dana (Anna Kendrick), die staunend sowie eingeschüchtert Zeugin davon wird, welche Killermaschine in Wolff schlummert. Afflecks imposante körperliche Präsenz kommt in diesen Kampfsequenzen durch teils sehr enge Kameraeinstellungen nicht durchweg zur Geltung, jedoch sind sie übersichtlicher inszeniert als die Action in den hektischsten Bourne-Teilen. Und wenn Wolff fast schon einem Terminator gleich ohne jegliche Mimik einen Gegner nach den anderen niederschießt, bringt Affleck dies mit einer Mischung aus Coolness und Gefährlichkeit rüber. Zudem fällt sein Zusammenspiel mit der von ihm beschützten Anna Kendrick positiv auf: Ohne Romantikkitsch, dafür auf sympathische Art unbeholfen.

Was The Accountant aus dem Gleichgewicht bringt, ist weniger dieser graduelle Wandel zum Actionthriller, sondern eher der Subplot rund um die Steuerfahndungsbehörde: Nicht nur, dass J.K. Simmons so wirkt, als würde er seine übliche „Strenger Boss“-Routine nur halbherzig runterspulen – der gesamte Handlungsstrang bereichert diese Geschichte einfach nicht. Theoretisch ließe er sich ersatzlos streichen – das, was die Titelfigur ausstrahlt, würde sich nicht ändern, genauso wenig würden sich gravierende inhaltliche Fragen auftun, denn Wolffs Werdegang wird bereits in erzählerisch teils überstrapazierten Rückblenden erläutert. Spannung macht sich in den Ermittlerszenen, trotz einer versierten Performance von Cynthia Addai-Robinson (Arrow) als Spürnase, ebenfalls kaum breit, da die US-Behörde nie glaubhaft als Gefahr für Wolff skizziert wird.

Eine größere Bereicherung für den von Kameramann Seamus McGarvey (Anna Karenina) in herbstlich-spröden, schicken Bildern gehaltenen Thriller stellt da Marvel’s Daredevil-Punisher Jon Bernthal als befehlshaberischer Fiesling dar. Über weite Strecken fallen seine Szenen nur funktional aus, doch nach und nach zeigt er neue Facetten von sich, ist mal cholerisch, dann jovial und sogar zynisch-humorvoll. Seine Begegnung mit Ben Afflecks Rolle macht sogar beinahe die kurz zuvor erfolgte, ellenlange Sequenz mit Simmons und Addai-Robinson wieder wett. Aber eben nur fast: Vor dem Finale steigt O’Connor voll in die Eisen, bringt die Handlung zum absoluten Stillstand und schiebt einen Wust aus non-chronologisch abgehaltener Exposition nach, der wahlweise eher zu langweilen oder zu verwirren droht, statt die Spannung zu vergrößern. Da hat jemand den Zweck eines retardierenden Moments wohl fehlinterpretiert – dabei macht der Titelheld es so schön vor: Gelegentlich hilft es, sofort zum Ziel zu kommen, statt zu schwätzen.

Fazit: Stimmige Thrilleraction und schön-spröder Humor, aber gelegentlich macht sich Sand im Getriebe bemerkbar.

Diese Kritik erschien zuerst auf Quotenmeter.de

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