Ein ungläubig betrachtetes Wunder.
Wenn das Unglaubhafte nicht weiter hinterfragt wird, dann haben wir es mit der "Aussetzung der Ungläubigkeit" zu tun. Aufgrund der Popularität dieses Fachterminus in der englischsprachigen Filmanalyse wird es aber auch in anderen Sprachen vor allem "suspension of disbelief" genannt.
Für den Erfolg dieses Kunstgriffes ist einerseits stets jede einzelne Person im Publikum in der Bringschuld. Natürlich könnte ich mit verschränkten Armen und bitterer Miene in meinem Kinosessel versacken, die Leinwand grimmig niederstarren und unentwegt schnauben: "Wenn ein Asteroid auf die Erde zurast, würde die NASA niemals auf die Idee kommen, eine Gruppe Ölbohrer dorthin zu schicken." Oder ich reiche dem mir gebotenen Filmprogramm etwas Gutwillen und lasse mich auf das grundlegende Konzept ein. "Okay, der Gott des Donners, ein Supersoldat aus den 40er-Jahren, der jahrzehntelang im ewigen Eis herumlag, ein Meisterschütze, eine gerissene Auftragskillerin, ein Wissenschaftler mit Wutproblemen und ein arroganter Milliardär mit fliegender Rüstung tun sich zusammen und retten die Welt ... warum nicht?"
Sämtliche Bringschuld hinsichtlich der "suspension of disbelief" auf die Schultern des Publikums zu verteilen, ist allerdings ein kunsthandwerklicher Trugschluss. Selbstredend ist der persönliche Faktor ein entscheidender. Er ist es, durch den sich erklärt, weshalb Person A bei übernatürlichen Horrorfilmen eher in Lachkrämpfe statt in Schreiattacken verfällt und Person B mehr Tränen über das Gefühlsleben einer gezeichneten Ente vergießt als über die dramatische Verfilmung der wahren Geschichte, wie ein krebskranker Mann zum Supersportler wird. Dessen ungeachtet sind die Geschichten, die im Kino erzählt werden, sowie die Entscheidungen, die sie in Form bringen, unmöglich aus der Gleichung zu nehmen. Schließlich brauchen wir alle etwas, worauf wir reagieren. Wäre "suspension of disbelief" eine rein auf der Publikumsseite entschiedene Sache, so würden wir uns alle völlig um Kopf und Kragen reden, sollten wir die Unterschiede besprechen, wie Joel Schumacher und Christopher Nolan jeweils Batman interpretieren.
Eine Geschichte zu erzählen, wie in einem der unsrigen Wirklichkeit ähnlich gerateten Filmuniversum eine Person mit Superfähigkeiten und comichaftem Kostüm flott den Verlauf eines Weltkrieges verändert, ist eine sehr knifflige Herausforderung für jede "suspension of disbelief". Marvels Captain America - The First Avenger stellt sich dieser Aufgabe, indem die Geschehnisse durch eine Indiana Jones-Linse beobachtet werden. Ja, wie Captain America in seinem knalligen Outfit durch Wälder rennt, Nazis verprügelt und Kameraden rettet, sieht albern aus. Aber Regisseur Joe Johnston inszeniert es auch auf eine vergnügliche, eskapistische Art und Weise, mit stilisierter Farbästhetik, die an die ersten Farb-Serials erinnert, mit fröhlich-patriotischer Musik und indem er Hauptdarsteller Chris Evans verschmitzt lächeln lässt. Kurzum: Wenn ich mich auf die Idee "Supersoldat räumt an der Front auf" einlassen kann, so lache ich nun mit dem Film, statt über ihn.
Patty Jenkins geht in einem Wendemoment ihrer Comicadaption Wonder Woman einen anderen Weg. Es lässt sich darüber diskutieren, dass sie einen anspruchsvolleren Weg geht, weil sie sich nicht auf die spaßige Indiana Jones-Weltflucht-Methode verlässt. Jenkins lässt Wonder Woman nicht durchs Kriegsgebiet des Zweiten Weltkriegs wüten und markiert es als spritzige Freude. Nach einem Skript von Sex and the City-Autor Allan Heinberg involviert die Monster-Regisseurin die Amazone in den Ersten Weltkrieg, wo sie nach einigem Bedenken ihres Zufallsbekannten Steve Trevor (Chris Pine) an die Front gebracht wurde. Steve erläuterte der Kriegerin aus einer abgeschiedenen, von mythologischem Glauben durchzogenen Welt, dass dieser militärische Konflikt aussichtsloser, verzahnter und komplexer ist, als sie glaubt. Und dass viel gefährlichere Waffen benutzt werden, als die, denen sie bislang begegnet ist. Dennoch drängt sie danach, mitzukämpfen - was Steve sogar gutheißt. Er warnt sie nur vor, dass die Realität vielleicht anders ist, als sie aufgrund ihrer Erziehung und Herkunft erwartet.
Im "No Man's Land" in Belgien angelangt, wo seit gefühlten Ewigkeiten der Waffenkonflikt auf einer einzelnen Stelle verharrt, reißt Diana alias Wonder Woman impulsartig aus. Sie schmeißt die unserweltliche Kleidung ab, die sie zuvor zur Tarnung anlegte, öffnet ihren Zopf und stapft aus dem Schützengraben - mit wallenden Haaren, rot-güldenem Brustpanzer und Amazonendiadem auf dem Haupt. Komponist Rupert Gregson-Williams lässt eine hochdramatische Coverversion des Wonder-Woman-Erkennungsmusikstücks erklingen, das Hans Zimmer und Junkie XL für Batman v Superman: Dawn of Justice erschaffen haben. In Zeitlupe boxt die Heldin Gewehrkugeln hinfort, die auf sie zu schnellen. Jenkins zelebriert dies stücknüchtern, ohne Kontext zu liefern, wie es das Kriegsgeschehen verändert, wir wissen nur, dass irgendein strategischer Knoten platzt. Es ist kein "Hurra, es geht im Krieg vorwärts"-Moment. Regisseurin Patty Jenkins selber sagt, dass die Szene nichts über die Gegenseite aussagt und nicht klar wird, wie viel nun eigentlich erreicht wird. Es ist eine todernste Sequenz, die sich allein auf die Figur stützt, die in ihrem Fokus steht.
Und es ist die Szene, die erstmals meine "suspension of disbelief" im DC-Blockbuster Wonder Woman bricht. Aber es sollten viele, viele Beispiele folgen, weil sie den vorhergegangenen Witz des Films in Rente schickt. Ich kaufe eine übertrieben zelebrierte Superheld-im-Weltkrieg-Szene in augenzwinkernder Form ab. Für eine ernsthafte Variante übertreibt es Wonder Woman dagegen mit den Zeitlupeneinstellungen, wacklig animierten, extrem schnellen Zooms über das geografisch unklar gezeichnete Schlachtfeld und mit den eher nach Schattenboxen anmutenden Gewehrkugel-aus-dem-Weg-hau-Moves. Ganz davon zu schweigen, dass ich gar nichts aus der Szene gezogen habe. Über den Kriegsverlauf habe ich nichts erfahren und soll ich offenbar auch nicht - aber entgegen Jenkins' Aussagen sehe ich hier auch keine Charakterentwicklung. Die Figur der Diana Prince (oder Prinzessin Diana von Themyscira) ist den gesamten Film über als sehr stur angelegt - ähnlich wie ihr ideologisches Marvel-Pendant Steve Rogers alias Captain America (welches aber wenigstens durch mehrere persönliche Rückschläge gehen muss und so eine Spannungskurve gestattet). Diana glaubt unentwegt an das Gute, lässt sich dabei nicht einmal vom intendierten Weg abbringen. Wonder Woman war für mich daher schon Wonder Woman, bevor sie auch nur ihre Inselheimat verlassen hat.
Steve Rogers hatte solch eine "Zum-Superhelden-Ich-mutier"-Szene in Captain America - The First Avenger, nämlich als er einen Körper erhält, der seinem übermenschlichen Moralkompass entspricht. Welche Wandlung Diana in der "No Man's Land"-Szene erreicht, bleibt mir derweil auch nach der fünften in Superzeitlupe weggeschlagenen Kugel und der neunten Einstellung, in der das Compositing aus real vor der Windmaschine gefilmter Gal Gadot und dem mit Greenscreentrickserei eingefügtem Hintergrund nicht ganz stimmig ist, ein Rätsel. Sie machte bereits den gesamten Film über ihr Ding. Das ist der Grund, weshalb wir sie als Zuschauende anfeuern (wenngleich es ihren Storyfaden fad gestaltet). Der narrative Gehalt dieser Szene (und die Kampfchoreografie sowie die Digitaltricks) reichen einfach nicht an den mitgelieferten, inszenatorischen Ernst und die somit suggerierte Dramatik heran. Und diese gigantische Divergenz zwischen dem, was bei mir ankommt, und dem, was ich als Intention vermute, ist eine derartige Last für Wonder Woman, dass meine "suspension of disbelief" in mehrere Tausend Teile zerbricht. Ich weiß nicht, wieso ich es feiern sollte. Und ich kann es nicht ernst nehmen, weil ich die Ästhetik als unfertig erachte.
Während die "No Man's Land"-Szene bei mir dafür sorgte, dass ich mir in der Pressevorführung das von Fremdscham ausgelöste Lachen verkneifen musste, weckt sie im (überwiegend US-amerikanischen) Filmdiskurs-Netz regelrechte Jubelstürme. Sie sei ein Befreiungsschlag. Tränenbäche werden gebeichtet. Gänsehaut sowieso. Was für eine gigantische Meinungslücke, die da klafft. Zumal sie sich nicht auf diese symbolisch ausgewählte Szene beschränkt. Sie betrifft den Film generell, der meiner Auffassung nach sehr viele eklatante Makel hat, in den USA jedoch mit sagenhaften 93 Prozent bei Rottentomatoes und aktuell durchschnittlich 8,3 Punkten bei IMDb gefeiert wird. Eine Meinungsschere, die ich mir aus erzählerischer und handwerklicher Sicht partout nicht erklären kann. Zeit, in die medienwissenschaftliche Trickkiste zu greifen.
Die Medien- und Kommunikationswissenschaft kennt einen Fachzweig, der sich mit der Wechselwirkung zwischen gesellschaftlichen Befindlichkeiten und dem (Miss-)Erfolg von popkulturellen Werken befasst. Manche Professoren tauften diesen Fachzweig auf den Namen "diagnostische Kritik", und es ist ein faszinierendes Feld. Es ist jedoch ein Fachgebiet, in dem sich alle stets vor Augen halten sollten, dass die Grenze zwischen Korrelation und Kausalität zuweilen eine schwammige, dünne Linie ist. So hat im ewigen Wettrennen um die US-Late-Night-Reichweitenkrone in den vergangenen Wochen The Late Show with Stephen Colbert erstmals den monatelang amtierenden Platzhirsch The Tonight Show starring Jimmy Fallon überholt. Colbert ist ein unverblümter Trump-Kritiker, der sich in jeder Ausgabe selber übertrifft, Jimmy Fallon macht nur fluffig-oberflächliche Witze über den US-Präsidenten. Der Popularitätsschub Colberts korreliert mit den immer lachhafter werdenden Aktivitäten im Weißen Haus. Ob Colbert wegen Trump immer beliebter wird, liegt nahe, aber es gilt, tiefer zu graben, um es medienwissenschaftlich zu belegen.
Es ist wichtig, dies im Hinterkopf zu behalten. Denn ich kann jetzt, ohne größere Medienstudien als
Belegmaterial, nur Thesen aufstellen. Aber machen wir dieses Gedankenspiel mal kurz mit, ja? Die USA befinden sich derzeit in einem gewaltigen politischen Sumpfloch. Donald Trump genießt laut Gallup bei seinem Volk eine Zustimmungsrate von desaströsen 38 Prozent. Kaum ein Tag vergeht im vermeintlichen Land der unbegrenzten Möglichkeiten, ohne dass neue sexistische, rassistische oder schlichtweg dämliche Skandale das Tagesgespräch dominieren. Ein dummer, störrischer, hasserfüllter, alter, weißer Mann ruiniert das Land innenpolitisch und schottet es außenpolitisch-diplomatisch ab. In einem Kino zu sitzen und zu sehen, wie eine Frau durch einen Schützengraben spaziert und beschließt, diese verzahnte, angeblich unmöglich zu rettende Situation in die Hand zu nehmen, woraufhin sie aufs Kriegsfeld spaziert und mit scheinbarer Leichtigkeit (sowie vollkommen unbeschadet) den Tag rettet - ja, das kann eine extrem befreiende Wirkung haben. "Verdammt, ja, mit Hillary Clinton wäre gerade alles besser!"
Und ich gönne allen Zuschauerinnen und Zuschauern diese revisionistische Freude an der Szene. Auch für solche Momente ist das Kino gedacht: "Mann hat Mist gebaut, Frau mistet aus. #MichelleObama2020" Dessen ungeachtet finde ich es schon verwunderlich, wie wenig sich die US-Kritik (ob professionell oder vom Gelegenheitspublikum) vom wackligen CG in dieser Sequenz beirren lässt. Oder an anderen Stellen des Films. Geschweige denn von all den anderen Dingen, die mir bei Wonder Woman ein Dorn im Auge waren. Da ist auch die Politisierung des Films für mich kein Argument mehr.
Zweifelsohne ist es schade, dass Wonder Woman mehr als nur ein Film sein muss. Und genauso sehr ist es von Bedeutung, zu erkennen, dass er aber mehr ist. Es ist ungeheuerlich, dass Frauen vor und hinter der Kamera in Hollywood mehr Hürden zu nehmen haben als Männer. Es ist verflixt schade, dass seit zwölf Jahren kein Superheldenfilm mit weiblicher Hauptrolle gestartet ist. Und dass Regisseurinnen nur einen Bruchteil der Big-Budget-Chancen erhalten, die Männern präsentiert werden. Deshalb beruhigt es mich, welchen Topstart Wonder Woman in den USA hinlegte - wenn schwache Comicadaptionen von Männern Hits werden können, dann eben auch jene, die Frauen inszenieren.
Aber Gleichberechtigung bedeutet halt auch, dass ich Patty Jenkins und Wonder Woman für all das kritisiere, wofür ich auch Zach Snyder und Batman v Superman: Dawn of Justice oder Filme ähnlicher Kajüte kritisiere. Und ich muss leider sagen, dass Jenkins' Werk mehr Parallelen zu solchen aufgeblähten, schwerfälligen und enervierenden Superheldenfilmen aufweist, als mir lieb ist. Was jedoch nicht heißen soll, dass Jenkins Wonder Woman so dermaßen gegen die Wand fährt, dass ich diese Produktion mit dem heiß debattierten DC-Superhelden-Gegeneinander gleichsetzen würde. Ein bisschen besser ist das 150-Millionen-Dollar-Projekt glücklicherweise dann doch geraten. Was zu einem nicht zu unterschätzenden Grad Hauptdarstellerin Gal Gadot zu verdanken ist, die den unerschütterlichen Heroismus ihrer Rolle mit vergleichbarem Charisma umsetzt wie ihn Chris Evans nutzt, um Captain America zu mehr als einem muskulösen Pfadfinder zu machen. Hinzu kommt ein stimmiges komödiantisches Timing, mit dem sie sämtliche Gags über Wonder Womans Kulturschocks zu Lachern macht, bei denen wir mit ihr zusammen amüsiert sind - und nicht etwa über die ahnungslose Figur lachen.
Umso ärgerlicher, dass diese gute Performance das zentrale Element eines Films ist, der nicht derart von der Strahlkraft der Figur gesteuert wird, wie die meisten Marvel-Studios-Werke von ihren Hauptfiguren bestimmt sind. Wonder Woman beginnt ungeheuerlich zäh, mit einer Einführung über das Leben auf der Amazoneninsel Themyscira. Das Erzähltempo lässt den suboptimalen Einstieg in Thor - The Dark Kingdom zügig aussehen und so bekommen wir eine junge Diana zu sehen (überzeugend als "junge Gal Gadot" gecastet, aber hölzern sprechend: Lilly Aspel), die den anderen Amazonen hinterher rennt und deren Übungen nachahmt. Wir bekommen den Mythos erklärt, dass der Kriegsgott Ares die Menschheit verdirbt, und Amazonen die Aufgabe haben, das zu unterbinden. Es werden narrative Brotkrumen gestreut, dass Diana anders und wichtiger ist als die anderen Amazonen. All dies in einen Türkisgrün-Farbfilter getaucht. Chris Pines Steve landet auf der Amazoneninsel, was zu ein paar "Zu hilf, ein Mann!"-Gags führt. Es folgen die langsame Annäherung zwischen ihm und Diana, Diskussionen zwischen Diana und den anderen Amazonen, die zu den vielen, vielen Hinweisen führen, dass diese Figur unbeirrbar ist, und irgendwann reisen die beiden Hauptfiguren endlich ins London zu Zeiten des Ersten Weltkriegs.
Die London-Szenen sind klar die besten des Films, da Kameramann Matthew Jensen ihnen mehr visuelle Tiefe mitgibt als den flach ausgeleuchteten Themyscira-Sequenzen, während wir noch von dem haltlosen CG-Wahnwitz des letzten Akts verschont werden. Die Kostüme sind detailliert, die Sets ausladend und der Dialogwitz zwischen Pine und Gadot sehr launig. Die kleineren Scharmützel, etwa wenn Wonder Woman in einem Hinterhof eine Gruppe Spione ausschaltet, sind flott inszeniert und solide choreografiert - generell punktet Jenkins, wann immer sie in Actionszenen auf größere Effekte verzichtet. Wenn Wonder Woman einen Dachboden voller feindlicher Soldaten fertig macht und dabei in Zeitlupe sowie Zeitraffer mit Schild, Schwert und Körperbeherrschung arbeitet, sieht das gut aus - ganz im Gegensatz zu den größeren Actionmomenten, deren halbfertigen Effekte dem Film schaden. Und bedauerlicherweise nehmen diese Passagen mit Fortlauf der Handlung sukzessive zu.
Ein Schlussakt zum Fremdschämen.
Wonder Woman wäre bei weitem nicht die erste zäh beginnende, sich dann amüsant einpendelnde Comicadaption. Doch der "Der Culture Clash von Thor trifft auf das unverfälschte Comicheldentum vor realer Kriegskulisse von Captain America"-Akt in Wonder Woman wird nicht nur durch die besagte "No Man's Land"-Szene getrübt. Sondern auch durch Antagonisten, die in ihrem Mix aus inhaltlicher Unmotiviertheit und darstellerischer Lachhaftigkeit in X-Men: Apocalypse nicht weiter auffallen würden. Elena Anaya (Die Haut, in der ich lebe) chargiert sich mit angeklebter Porzellanmaske witzlos, aber manisch durch ihre Szenen und wird dabei von Danny Huston als ruchloser deutscher General mühelos in den Schatten der fehlenden Glaubwürdigkeit gestellt. Es mangelt am comic-nostalgischen Kontext, der den albernen Look und die übertriebene Boshaftigkeit von Red Skull in Captain America - The First Avenger verankert. Es ist nicht einmal die losgelöst-bespaßte Manie von Jesse Eisenberg alias Lex Luthor in Batman v Superman zu spüren. Es ist eine orientierungslos-aufgesetzte Schurkenhaftigkeit, wie sie Jared Leto in Suicide Squad zu Tage legt - nur ohne die markante, wenngleich streitbare Optik.
Mit David Thewlis gibt es auf der Seite der Briten, für die Chris Pines Steve arbeitet, einen weiteren Part, der eher durch gestelztes Overacting auffällt. Somit gerät Wonder Woman, wann immer Chris Pine und Gal Gadot vorübergehend in den Hintergrund treten oder sogar völlig eine Szene aussitzen, ins Schwanken. Das passiert so oft, dass sich meine "Suspension of disbelief" in Luft auflöst. Der dritte Akt bringt den Film dann vollkommen zum Kippen. Etwa, eenn die Titelheldin viel, viel begriffsstutziger geschrieben ist, als sie von Gal Gadot gespielt wird. Wenn Steve der nur noch als weltfremdes Naivchen dastehenden Wonder Woman die komplexe Realität erklären muss (was Wonder Woman in Sachen feministischer Wirkkraft meiner Ansicht nach meilenweit hinter Ghostbusters zurückwirft). Und wenn die Finalschlacht aus unförmigem CG-Gewitter besteht, wie es aus dem Batman v Superman-Finale stammen könnte. Oder aus dem Suicide Squad-Schlussakt. Marvel lässt seine Superheldenfilme zwar auch stets im Schlussakt zu Materialschlachten mutieren, aber durch Parallelmontage (Guardians of the Galaxy Vol. 2, The Return of the First Avenger und Avengers: Age of Ultron öffnen mehrere Subschauplätze im Actionfinale), stetig wandelnde Machtverhältnisse (The First Avenger: Civil War) oder unerwartete Taktiken des Helden (Doctor Strange) wird stets ein Mehr geboten, das zusätzlich zum reinen Effektgewitter als Anreiz dient, am Ball zu bleiben. Der Schlusskampf in Wonder Woman hingegen ist ein monotones, ästhetisch unausgegorenes "Heldin wird attackiert. Heldin wehrt ab. Heldin wird wieder attackiert. Heldin wehrt ab. Heldin wird wieder attackiert ...", so dass das Geschehen schnell ermüdet. Dennoch wird es durch nachgeschobene Expositionsmonologe und eine aus dem Nichts gezauberte Kalenderspruchmoral gestreckt - Guardians of the Galaxy Vol. 2 etwa handelt wenigstens durchweg vom Wert der Familie, so dass etwaiger Kitsch im Schlussakt narrativ fundiert ist.
Wonder Woman ist behänder inszeniert als Batman v Superman: Dawn of Justice und trotz des trägen Anfangs erzählerisch stringenter ausgetüftelt. Hinzu kommt das Spiel von Gadot und Pine, und schon zieht Patty Jenkins' Big-Buget-Debüt am Bodensatz des sogenannten "DC Extended Universe"-Filmfranchises vorbei. Aber selbst der Vergleich zu Suicide Squad fällt mir schwer. Denn Wonder Woman hat mit dem London-Part mehr Vergnüglichkeit, Witz und Cleverness als David Ayers kaputtgeschnittenes Werk zu bieten. Aber all das, was Suicide Squad an Fokus vermissen lässt, gleicht Wonder Woman durch Frust und Peinlichkeit aus. Suicide Squad zieht wenigstens relativ stramm an seinen schwächsten Momenten vorbei und ist so ein Beispiel für kurzweilige Inkompetenz, während Wonder Woman in seinen Schwächephasen versumpft, so dass sie als arges Gegengewicht zum gelungenen London-Part dienen. Für mich kommen daher Erinnerungen an Amazing Spider-Man 2: Rise of Electro hoch, der einige gute Momente hat, aber noch mehr Totalausfälle mitbringt. Bloß, dass Marc Webbs Film völlig unfokussiert ist und somit zwischendurch einfach nervt. Im Gegensatz zum zweiten Amazing Spider-Man ist Wonder Woman hingegen keine Superhelden-Clipshow, sondern ein zusammenhängendes Kuddelmuddel aus "Ja, zeig's ihnen!" und aggressiv frustrierendem "Wieso, wieso nur tust du das?!"
Schade drum. Vielleicht kriegt das bereits angekündigte Sequel die Kurve.
Wonder Woman ist ab dem 15. Juni 2017 in vielen deutschen Kinos zu sehen.
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