Freitag, 16. Juni 2017

Freitag der Karibik #47



Die Geschichte der Pirates of the Caribbean-Musik ist eine Geschichte der Kollaboration. War Hans Zimmer beim ersten Film der Mann, von dem die Initialzündung für viele der letztlich genutzten Leitmotive ausging, und Klaus Badelt derjenige, der die Gesamtrichtung vorgab, übernahm Hans Zimmer bei den nächsten drei Teilen die Federführung von Anfang bis Ende. Bei Salazars Rache ging Zimmer jedoch von Bord und überließ den Kapitänshut dem einzigen Komponisten aus der Remote-Control-Productions-Familie, der ebenfalls an allen der ersten Pirates of the Caribbean-Filmen mitwirkte: Geoff Zanelli.

Wie es so bei Filmreihen mit ikonischen Stücken halt ist: Wenn ein neuer Eintrag in diese musikalische Geschichte folgt, muss er sich erstmal gegen den übermächtigen und von den Fans komplett einverleibten Schatten der Vorgänger durchsetzen. Erinnern wir uns nur daran, wie der Star Wars: Erwachen der Macht-Soundtrack teilweise als der Schwanengesang von John Williams bezeichnet wurde. Und nun haben sich die neuen Scoreelemente schrittweise ihren Platz im Star Wars-Pantheon erarbeitet.

Mit wachsendem Alter der Pirates of the Caribbean-Saga wird es dem entsprechend für neue Stücke immer schwieriger, sich auf Anhieb mit den alten Themen messen zu lassen. Daher wollte ich Geoff Zanellis Aufstieg zum Hauptkomponisten unter der Totenkopfflagge etwas Zeit lassen, ehe ich ihn hier genauer unter die Lupe nehmen. Nach zahlreichen Soundtrack-Rotationen und mehreren Rewatches des Films später ist aber die Zeit eines Urteils gekommen ...

Ich würde durchaus behaupten, dass es im Falle von Salazars Rache ungewöhnlich schwer ist, ein Oberthema zu finden oder ein Hauptmerkmal, unter das ich diesen Soundtrack stellen würde. Fluch der Karibik ist der Holzbläser-Teil der Reihe, Die Truhe des Todes dank Davy Jones' mächtig-tragischer Erkennungsmelodie, dem epochaler aufgebauten Jack-Sparrow-Actionthema und den rockig-satten Kraken-Klängen der wuchtige Part, Am Ende der Welt der schwelgerisch-schmachtende, Fremde Gezeiten der mit den spanischen Gitarren. Und Salazars Rache? Wenn ich mir die sehr sauber-munter dekonstruierte He's a Pirate-Version in Erinnerung rufe, die Zanelli mehrfach nutzt, sowie das sehr lyrische Erkennungsstück für Carina Smyth, so würde ich dazu tendieren, diesen Film musikalisch als den ordentlichsten, hellsten zu bezeichnen.

Was die gänzlich neuen Stücke anbelangt, geht dieser Soundtrack mir nicht derart ins Ohr wie die wenigen neuen Aspekte des Fremde Gezeiten-Scores. Salazars Thema sticht für mich klar Blackbeards (wobei beide akustische Cousins des Motivs sind, das während Davy Jones erstem Auftauchen zu hören ist), da es eine höhere dissonante Macht hat. Aber das Spanier-Thema und die Meerjungfrauen-Suite segeln dann doch an Carinas Stück und Henrys Melodie vorbei, sie stechen einfach fescher und kantiger hervor.

Hinsichtlich der Abwandlung der bereits bekannten Stücke ist Salazars Rache jedoch um Längen seinem Vorgänger voraus. Wo Zimmer in Fremde Gezeiten zwischenzeitlich (und widerwillig) im reinen Jukeboxmodus die "Hits von früher" abspielt, ist Zanelli in Salazars Rache wesentlich findiger und setzt auf äußerst schöne Verschränkungen und Variationen der ikonischen Pirates of the Caribbean-Musiksammlung. Neben der bereits erwähnten, eher locker-leichten He's a Pirate-Variation, die das episch-moderne Musikthema ein paar Schritte zurück in das akustische Vokabular klassischer Abenteuerfilme übersetzt, bleibt auch die extrem stolz-bombastische Version in Erinnerung, die in der von Salazar erzählten Rückblende zu hören ist, wenn ein junger Jack Sparrow ein so verrücktes Manöver anordnet, dass es noch Jahrzehnte später als ein waschechtes Jack-Sparrow-Manöver bezeichnet werden sollte, wenn eine junge Dame namens Elizabeth Swann etwas ähnliches vorschlägt.

Toll ist auch, wie Zanelli die Jack-Sparrow-Einmarsch-Melodie (etwaig als The Medaillon Calls bekannt) aus ihrem Urlaub nach Teil vier zurückholt und sowohl dynamisch als Aspekt der Bankraubszene benutzt wie auch in reinrassiger Form bei der Rückkehr der Black Pearl. Und Zanelli hat sich meinen ewigen Respekt dafür erarbeitet, wie er zum Schluss des Films die Liebessuite aus Am Ende der Welt variiert: Bei Hans Zimmer klang sie in all ihren Versionen stets melancholisch, was auch wunderbar zum Film passt, aus dem sie stammt. Fernweh, äußere wie innere Kälte, Trennungsschmerz, gehemmte Liebe, das am Herzen zerrende Gefühl der bittersüßen Erwartung, ständig trübte etwas die Freuden der Romantik. Die abschließende Sequenz von Salazars Rache hingegen klemmt zwischen One Last Shot und He's a Pirate eine reine, in sich ruhende, herzzusammensetzende Spielweise dieser atemberaubend schönen Komposition - und es könnte die Szene nicht besser begleiten. Da verzeihe ich es ihm auch (fast), das sehr ernste und auf Piratenzusammenhalt hinweisende Hoist the Colours in einer Szene zu nutzen, um einen Gag zu unterstreichen.

Wenn ein sechster Teil kommt, darf Zanelli also liebend gern erneut komponieren - dann auch gern etwas experimentierfreudiger und größer in den Gefühlen, denn um mit Am Ende der Welt zu konkurrieren, fehlt Salazars Rache einfach noch der Funken etwas.

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