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Sonntag, 7. Mai 2017
Mahana – Eine Maori-Saga
Zurück zu den Wurzeln: Der 66-jährige Regisseur Lee Tamahori verantwortete unter anderem Pierce Brosnans grelles James-Bond-Abenteuer Stirb an einem anderen Tag, den saudummen Extremsport-Actioner xXx 2 – The Next Level und den schrägen Biopic-Thriller The Devil’s Double. Seinen Durchbruch feierte er zuvor aber mit dem Drama Die letzte Kriegerin über eine Māori-Familie im gegenwärtigen Auckland, die unter einem gewalttätigen Vater leidet. 22 Jahre später erzählt der neuseeländische Filmemacher erneut eine dramatische Familiengeschichte, in der ein herrischer Māori-Patriarch Streit und Leid verursacht. Mahana – Eine Maori-Saga spielt allerdings nicht im Heute, sondern in den Sechziger-Jahren – wobei die Sechziger-Jahre des neuseeländischen Nordosten wie ein Relikt aus deutlich länger vergangenen Tagen anmuten, von einigen Popkulturstücken abgesehen, die es aus dem Rest der Welt dorthin verschlagen haben.
Seit drei Generationen hat der gestrenge, stets seinen Willen durchsetzende Tamihana Mahana (Temuera Morrison) das Sagen über seine Familie. Obwohl die Māori neben den Weißen Bürger zweiter Klasse darstellen, verfügt der Mahana-Clan über ein weitläufiges Anwesen und wird gesellschaftlich wenigstens ob herausragender Fähigkeiten im Schafscheren respektiert. Mit der Māori-Familie der Poata befinden sich die Mahanas derweil in einer tief verwurzelten Fehde, die Tamihanas pubertierender Enkel Simeon (Akuhata Keefe) allerdings hinterfragt. Der unerbittliche Tamihana entwickelt aufgrund dieser anklingenden rebellischen Ader einen Groll auf Simeon, welcher wiederum seinem Großvater immer häufiger die Stirn zeigt, so dass es zu einer Zerreißprobe innerhalb des Clans kommt …
Tamahoris in einer Laufzeit von zügigen 104 Minuten erzählte Leinwandadaption des Romans "Bulibasha: King of the Gypsies" von Whale Rider-Autor Witi Ihimaera nimmt die Lebenssituation und Kultur der Māori nicht in den Fokus. Statt explizit von den Unterschieden zur weißen neuseeländischen Bevölkerung in den Sechzigern zu erzählen und einen scharfen Fokus auf die Folklore dieses indigenen Volks zu legen, stellt ein gemeinhin verständlicher Konflikt den Kern dieses Dramas dar: Das Aufeinanderprallen einer eigensinnigen, jungen Generation, die nach individuellen Entscheidungen und Unabhängigkeit greifen möchte, und einer straff organisierten älteren Generation, welche den Patriarchen als niemals in Frage zu stellende Autorität versteht.
Solche Auseinandersetzungen sind kulturübergreifend und wurden im Medium Film bereits zahlreich thematisiert – wobei sich das zeitliche Setting von Kulturkreis zu Kulturkreis unterscheidet. Hollywood ließ derartige Differenzen bereits mehrmals im Wilden Westen stattfinden, deutsche Filmemacher nutzten wiederholt Nachkriegsdeutschland als zeitliche Kulisse. Nachvollziehbar ist das Aufbegehren der liberalen Jugend in all diesen Konstellationen, und in guten Erzählungen wird zudem die Position der despotischen Familienoberhäupter wenigstens plausibel dargestellt. So auch in Mahana – Eine Maori-Saga. Obschon Drehbuchautor John Collee und Regisseur Tamahori nie auch nur den geringsten Zweifel daran aufkommen lassen, dass Tamihana ein narzisstischer, ungeduldiger Widerling ist, so streuen sie in den Handlungsverlauf zumindest Argumente dafür, weshalb Tamihana das alte Dagobert-Duck-Motto „Härter als die Härtesten und schlauer als die Schlauesten“ verfolgt.
In der eng umkämpften wirtschaftlichen Nische, in denen sich die Māori im Schweiße ihres Angesichts behaupten dürfen, benötigt es Unbarmherzigkeit, um wenigstens einen Bruchteil des Komforts der weißen Bevölkerung zu erreichen. Seine Gräueltaten entschuldigt dies keineswegs und ebenso wenig seine Verweigerung gegenüber dem Fortschritt – aber es hebt Tamihana über den Status eines reinen, allein von der Freude an der Perfidität angetriebenen Schurken empor. Verstärkt wird diese Wirkung durch Temuera Morrisons magnetisches Spiel: Eiskalte Blicke und eine bedrohlich-ruhige, durchdringende Stimmlage machen den Patriarchen zu einem kraftvollen Dickschädel. Morrison legt ihn somit gewissermaßen als weniger cholerischen, dafür in seinem Handeln umso abgeklärteren „Vorfahren im Geiste“ seiner Die letzte Kriegerin-Rolle an und zieht sowohl Hass als auch Ehrfurcht auf sich.
Akuhata Keefe dagegen agiert im die ganze Familie durchrüttelnden Zwist mit seinem Leinwand-Großvater unaufgeregt: Mit natürlichem, unforciertem Spiel stellt er die Weltsicht sowie die Entscheidungen des Patriarchen ohne Pathos oder aufwiegelnd-kämpferischem Beiklang in Frage. Dadurch rutscht Mahana – Eine Maori-Saga nie ins Melodramatische ab – dass Tamahori gelegentliche, leichtgängigere Passagen wie einen Schafscherwettbewerb angemessen locker inszeniert, verleiht dem Familiendrama zusätzliche Atempausen. Diese setzt der Regisseur äußerst geschickt: So ist der von zwei Jahrmarktkommentatoren hoch engagiert besprochene Schafscherwettbewerb, der so auch in einem kuriosen Disney-Sportfilm vorkommen könnte, die Ruhe vor einem emotionalen Sturm, in dessen Zuge Simeons Großmutter abscheuliche Geheimnisse offenbart.
Nicht nur in diesem Moment kommt das kulturelle Setting dieser Maori-Saga zum Fruchten. Denn selbst wenn Tamahori es nie in den Vordergrund rückt, so könnte dieser Film nicht ohne es funktionieren. Der Regisseur fängt die innere Dynamik eines Māori-Clans beiläufig ein, garniert das Familiendrama nebenher mit Einblicken in die Māori-Folklore und er verzichtet bei Szenen in der Māori-Sprache auf Untertitel – was symptomatisch für Tamahoris Vorgehen ist. Kinogänger ohne Vorkenntnisse sollen sich den Sinn aus dem Kontext erschließen, was angesichts der zugänglichen Narrative ohne Weiteres möglich ist. Und in dieser Tonalität skizziert Tamahori auch das Bild dessen, dass Māori-Männer über Generationen hinweg zu kriegerischen Aggressoren erzogen wurden – wodurch sich die Charakterzeichnung Tamihanas verdichtet und seine Untaten noch schockierender werden. Denn selbst wenn Tamahori auf explizite Aufnahmen verzichtet, suggeriert er, mit welcher Selbstverständlichkeit Tamihana wohl agiert.
Von Kamerafrau Ginny Loane in einer den Schauplätzen angebrachten Bildsprache (rustikale Farben, altmodisch-ruhige Kameraführung) eingefangen, stellt Mahana – Eine Maori-Saga ein Programmkino-Fundstück dar, das es verdient hätte, mehr Aufmerksamkeit zu erhalten: Es erzählt die aufreibende Geschichte einer Familie im Umbruch, bringt seinem Publikum die Kultur der Māori näher und vollführt dies in einer zugänglichen, die Dramatik des Stoffes aber nie untergrabenen, Weise. Großer Stoff, ganz klein und fein vermittelt.
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