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Mittwoch, 1. März 2017

Suicide Squad


Die 175 Millionen Dollar schwere Comicadaption Suicide Squad kann anhand so vieler Fragen aufgeschlüsselt, auseinander genommen, analysiert und debattiert werden. Etwa: Inwiefern ist der Produktion der tumultartige Pfad anzumerken, den sie angeblich auf dem Weg in die Lichtspielhäuser durchschreiten musste? Wie viel Angst sollten Kritiker vor der Fanschelte haben, die nunmehr nahezu unvermeidlich ist, sobald ein Blockbuster besprochen wird – noch dazu einer aus dem Hause DC? Wie viel Joker verträgt dieser Film? Diese Fragen, und viele mehr, wurden an anderer Stelle bereits rauf und runter diskutiert. Eine Frage aber, der noch nicht genug Aufmerksamkeit zuteil wurde, ist folgende: Kann ein hohes Maß an guter Musik dennoch zum Problem werden?

Die Antwort: Womöglich. Die neue Regiearbeit des End of Watch-Machers David Ayer weist nämlich eine der coolsten, am besten kuratierten Songsammlungen jenseits eines Martin-Scorsese- oder Quentin-Tarantino-Films auf. Nicht nur, dass Ayer und seine Music Supervisor Gabe Hilfer (Project X) & Season Kent (Magic Mike XXL) einen variantenreichen, dennoch in sich stimmigen Mix aus Pop, Rock, Elektro und Hip Hop zusammenstellen – diese Hitparade fügt sich thematisch zudem gut in das Filmkonzept. Einen Actionfilm, in dem sich Schurken auf Geheiß einer moralisch fragwürdigen Regierungsbeauftragten gegen eine übernatürliche Bedrohung zusammentun, mit Liedern wie „Sympathy For The Devil“, „Slippin‘ Into Darkness“, „Black Skinhead“, „Gangsta“ und „Paranoid“ untermalen? Das passt!

Obendrein verleiht der markante Soundtrack Ayers erstem Big-Budget-Projekt Schwung – und den hat Suicide Squad durchaus nötig. Obgleich die Story schlicht und geradlinig ist, gerät der Einstieg in dieses Fieslingsstelldichein sehr holprig: Ayer führt einen Teil seiner Titeltruppe in kurzen Episoden vor. Etwa die ehemalige Psychiaterin Harleen Quinzel alias Harley Quinn (Margot Robbie), die seit ihrem Aufeinandertreffen mit dem geisteskranken Superschurken Joker (Jared Leto) vollkommen unberechenbar geworden ist. Oder den Auftragskiller Floyd Lawton alias Deadshot (Will Smith), der ein absoluter Meisterschütze sowie der liebende Vater eines Scheidungskindes ist. Außerdem zeigt Ayer als roten Faden, wie die gerissene Amanda Waller (Viola Davis) ihren Regierungsvorgesetzten das riskante Vorhaben schmackhaft macht, gemeingefährliche Kriminelle in den Dienst des Staates zu stellen.

So weit, so gut. Doch irgendwann wirkt es so, als hätte diese filmische Jukebox einen Sprung: Manche Mitglieder des Himmelfahrtskommandos werden glatt ein zweites Mal porträtiert, ehe Amanda Waller einigen Anzugträgern ihren Plan erklärt – schon wieder! Bis alle Suicide-Squad-Teamkollegen dem Kinopublikum vorgestellt und auf der Leinwand vereint sind, lässt sich Ayer also nicht nur Zeit – er überbrückt diese mit diversen Wiederholungen. Da kommt ein rockiger, eingängiger Soundtrack mit hohem Wiedererkennungswert gerade recht, verleiht er doch der wackligen narrativen Struktur wenigstens etwas Leben.

So richtig Feuer will Suicide Squad in seinem unstrukturierten, aber dank kunterbunter Grafikeinblendungen sehr wohl stylischen ersten Akt dennoch nicht fangen – was nicht frei von Ironie ist, hat einer der Antihelden doch Feuerkräfte (der von Jay Hernandez gespielte El Diablo). Denn die rapide erzählten, zumeist mit Pointen versehenen Schurken-Ursprungsgeschichten kommen zwar mit guter Musikbegleitung daher. Doch nicht nur, dass in Suicide Squad die Lieder mitunter so rasch ineinander übergehen und so wortwörtlich die gezeigte Situation beschreiben, dass man sich in eine Primetime-Dokusoap versetzt fühlt: Die Songs sind oftmals der treffenden Auswahl zum Trotz Fremdkörper, die nicht mit ihrer Sequenz harmonieren wollen.

Wenn etwa der von Will Smith charismatisch gespielte, im Finale mit einer unangebrachten Prise Kitsch konfrontierte, Deadshot bei seiner Rekrutierung für die Suicide Squad nach langer Wartezeit wieder eine Schusswaffe bedienend darf, unterstreicht Ayer dies mit dem Kanye-West-Reißer „Black Skinhead“. Während dieses rasanten, kraftvollen Songs fährt die von Roman Vasyanov (Herz aus Stahl) geführte Kamera nur sehr träge an den konzentriert dreinblickenden Killer heran, Cutter John Gilroy (Nightcrawler) wickelt diese Szene ebenfalls in gemäßigtem Tempo ab. Der „Black Skinhead“-Einsatz in diesem Filmmoment ist somit zwar theoretisch passend, in der praktischen Umsetzung mutet der Chartstürmer aber deplatziert an.

Solche Vorfälle lassen sich in Suicide Squad mehrfach vorfinden. Obwohl Ayer seinem Publikum einige spielerische, wildere Szenenfolgen kredenzt, wie die flackrigen, farbintensiven ersten Flashbacks auf Jokers und Harley Quinns manische Vergangenheit, laufen mindestens genauso viele Szenen der prominenten Musikbegleitung zum Trotz arg nüchtern ab. Es muss ja nicht gleich eine Verschmelzung aus Soundtrack und Filmgeschehen sein, wie sie James Gunn seinen Guardians of the Galaxy vergönnt hat, doch bei solch einer starken Musikauswahl ist es wohl kaum zu viel verlangt, dass zwischen Bild und Ton die Funken sprühen …

Ein Gros der gewöhnlich ablaufenden Szenen findet sich im Mittelteil wieder. Denn auf den inszenatorisch ungezügelten ersten Akt folgt die eigentliche Mission der Titelfiguren, in der die starken Farbkontraste entschwinden, um Platz für eine matschbraun-graue Ästhetik zu machen. Gekämpft wird weitestgehend gegen wortwörtlich gesichtslose Gegnermassen, und dies zumeist humorbefreit, aber nie auf so düstere und brutale Weise, dass Suicide Squad wenigstens eine mutige 180°-Wende hinsichtlich seines Tonfalls vollführen würde. Solche Wandlungen macht allein Harley Quinn durch, die mit ihrer zwischen himmelhoch jauchzend, manipulierend-garstig und kindlich-verspielt hüpfenden Art zumindest konsequent instabil ist, was Robbie mittels losgelöstem Spiel vermittelt.

Ein Großteil der Suicide Squad bleibt daher cooles, aber dramatisch zu kurz kommendes Beiwerk. Fast schon wirkt es so, als wäre Ayer besser bedient gewesen, allein Harley Quinn, Deadshot und den eine dramatische Familiengeschichte aufweisenden El Diablo in den Kampf zu schicken. Denn eine Teamdynamik kommt (abseits einer gute Dialoge aufweisenden, doch jegliches Erzähltempo zerstörenden Barszene) eh nicht zustande – allein schon, weil die Suicide Squad zu keinem Zeitpunkt nennenswertes Teamwork betreiben muss. Das wiederum kostet dem Film die Möglichkeit, mit atemberaubenden Actionmomenten zu trumpfen, in denen die Schurken ihre Fähigkeiten vereinen. Der großspurige Captain Boomerang (Jai Courtney) leistet für die Suicide Squad beispielsweise einen noch geringeren Beitrag als Bogenschütze Hawkeye für Marvels Avengers, ähnlich wie Killer Croc (Adewale Akinnuoye-Agbaje) meist nur am sprichwörtlichen Spielfeldrand verweilt. Andererseits kann Courtney, dessen Mimik und Gestik hier enorm an Tom Hardy erinnert, endlich einmal sein komödiantisches Timing unter Beweis stellen, während Killer Croc vorführt, wie imposant Effekt-Makeup auch in Zeiten digitaler Tricksereien aussehen kann. Ansätze sind also, wie in so vielen Belangen dieses Films, vorhanden – es wird nur kaum etwas aus ihnen gemacht.

Das grellste Beispiel für dieses grundlegende Problem von Suicide Squad ist Jared Letos Interpretation des Jokers. Dass sich Ayer und der für Dallas Buyers Club mit einem Oscar gekrönte Schauspieler für einen Ansatz entschieden haben, der Batmans Erzfeind nun weit, weit von seinen Versionen in Tim Burtons Batman und Christopher Nolans The Dark Knight entfernt? Nachvollziehbar. Dass dieser Joker wie ein abgelehnter Fast & Furious-Ganove rüberkommt, der bei seiner Flucht ins DC-Filmuniversum von einem radioaktiv verseuchten Ed-Hardy-Shirt gebissen wurde? Sonderbare Entscheidung, aber wieso nicht? Dass Letos lautes Spiel zwar dick aufgetragen ist, aber nicht derart cartoonig, dass er wie ein wandelnder Comicpsychopath wirkt, sondern nur wie ein übereifriger Cosplayer? Bedauerlich.

Leto nimmt Häppchen aus jeglichen Ansätzen, die einen Leinwandirren ausmachen könnten, kann sie (auch wegen seiner überschaubaren inhaltlichen Relevanz) allerdings nicht zu einem Gesamtkonstrukt zusammensetzen. Um eine Metapher aufzumachen, die Jesse Eisenbergs Interpretation von Lex Luthor gefallen könnte: Es ist so, als würde man eine riesige Handvoll Gummibärchen auf einen Happs zu sich nehmen – es bleibt keinerlei Fruchtgeschmack übrig, sondern nur das künstliche Geschmackserlebnis „Gummibärchen“. Es wird also nur klar, dass der Joker irre wirken soll, nicht aber, wie irre und welche Form von irre er ist. Bei Harley Quinn hingegen werden die teils in Sekundenbruchteilen erfolgenden Sinneswandel deutlich – Margot Robbie probiert sich eilig durch die Tüte an Gaga-Gummibärchen, weiß aber, dass es ergiebiger ist, wenn jedes Aroma etwas Zeit bekommt, um sich zu entfalten.

Doch egal, ob Suicide Squad nun eher als eine rockige Hitparade verstanden werden will oder als Naschwerkverkostung: Konzept und Umsetzung wollen nicht ganz ineinandergreifen. Dennoch ist Ayers holpernder und polternder Versuch wegen der coolen Figuren und der geschäftigen Erzählweise über weite Strecken unterhaltsam. Und anders als bei der Marvel-Cinematic-Universe-Jugendsünde Iron Man 2 erfolgt der Ausbau des DC-Filmuniversums größtenteils organisch. Das ändert wohlgemerkt nichts am ideenlosen und hastigen Finale, in dem Cara Delevigne als mächtige Enchantress albern herumtänzelt und eine Überdosis Kitsch droht, den Schurken ihre Ecken und Kanten zu rauben. In diesen Minuten hat Ayer überdeutlich mit seiner schurkischen Gummibärchentüte/Plattensammlung und ihrem steten Wandel zwischen süß und sauer, brütend und stylisch zu kämpfen. Und schon wirkt die Frage, ob Suicide Squad zu viel gute Musik auftischt, für kurze Zeit wieder irrelevant.

Fazit: Suicide Squad ist wahrlich kein runder Film, und ein wagemutig variantenreicher Film ist David Ayer mit diesem Schurkenactioner ebenso wenig gelungen. Was diese Comicadaption hingegen darstellt, ist ein tonal gewaltig unausgewogenes, kurzweiliges Chaos mit coolen Figuren und jeder Menge liegen gebliebenem Potential. Misslungen, aber wenigstens nicht nervig oder lahm.

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