M. Night Shyamalan – man kann von seinen Filmen halten, was man mag. Man kann sie alle mies finden, sie alle gut finden oder sich die Haare raufen, wie unbeständig die Qualität dessen ist, was der indischstämmige Regisseur so rausbringt. Aber ich schätze, dass sich die meisten Filmliebhaber einig werden dürften: Shyamalan ist eine faszinierende Personalie im Hollywood-Geschäft. Nicht trotz, sondern gerade aufgrund seiner makelhaften Vita:
Zu Beginn seines Schaffens von Kritikerzunft und Publikum als Wunderkind gefeiert und nächster Spielberg oder Hitchcock gehandelt, geriet seine Karriere nach einer Phase des intensiven Hypes ins Trudeln. Die Kritiken wurden galliger, die Einnahmen ließen nach – aus dem Wunderkind wurde dem Konsens nach ein Frustrationsgrund, ein Name, den es zu meiden gilt, eine Witzfigur und zwischenzeitlich ein wenig geschätzter Auftragsregisseur. Im schaurig-lustigen Found-Footage-Film The Visit brachte Shyamalan 2014 dann seine Handschrift wieder stärker zum Vorschein – und wurde mit einem (wenngleich nicht unumstrittenen) Kritiker-Achtungserfolg sowie einem zufriedenstellenden Einspielergebnis an den Kinokassen belohnt.
Interessantester Punkt an The Visit: Der FSK-ab-12-Jahren-Gruselfilm lässt sich als Parabel auf Shyamalans Beziehung zu seinen Kritikern lesen, welche die Höhen und Tiefen dieses Mit- und Gegeneinanders skizziert. Wie passend, dass Split den selbstreflektiven Faden weiterspinnt: Der Kammerspielthriller über einen unter dissoziativer Identitätsstörung leidenden Entführer dreier Jugendlicher, wirft wiederholt die These in den Raum, dass jene, die verletzt oder sonstwie beschädigt sind, sich wirklich gesegnet fühlen dürfen. Makellosigkeit als uninteressanter Aspekt; Schäden, die zu Größe führen: Diese von handelnden Figuren geäußerten Gedanken könnten aus Shyamalans Innerstem sprechen; davon zeugen, dass der Filmemacher mit seinem Karriereknick leben kann und hofft, dass er aus Schaden klug geworden ist.
Auf Split trifft die "Es sind die Makel, die einen erst interessant machen"-Weisheit nur bedingt zu. Ja, ich würde behaupten, dass wir diesen Film (mit all seinen Stärken und Schwächen) wohl nicht oder zumindest in einer gänzlich anderen, weniger überraschenden Form bekommen hätten, wäre Shyamalans Karriere nach The Sixth Sense nach Plan verlaufen. Ohne Shyamalans Unmut über Disneys Vermarktung des Mysterythrillers Unbreakable, ohne Disneys Enttäuschung über dessen Einspielergebnis. Ohne das kurze Signs-Hoch und den radikalen The Village-Backlash und ohne alles, was daraufhin folgte. Ohne dass sich Shyamalan als Regisseur verformt und dann wieder unter anderen Vorzeichen sseinen alten Stil neu aufbaut. Und somit wäre die Kinowelt um einen völlig verwunderlichen Film ärmer geworden. Dennoch: Split erarbeitet sich so drastische Abzüge in der B-Note, dass ich mir sehr wohl eine geschliffenere Version des Films wünsche.
Die Geschichte beginnt, als drei Jugendliche (zwei enge Freunde und eine aus Mitleid ebenfalls zur Geburtstagsfeier eingeladene Außenseiterin) von einem Fremden entführt und eingekerkert werden. Während die beiden Freundinnen Claire (Haley Lu Richardson) und Marcia (Jessica Sula) vor Angst austicken, bleibt Casey (Anya Taylor-Joy) eiskalt und versucht, die Lage zu überblicken. Alsbald stellen die drei Mädchen fest, dass ihr Entführer (James McAvoy) unter Persönlichkeitsspaltung leidet: Mal ist er befehlshaberisch und hat einen Sauberkeitsfimmel, im nächsten Moment handelt er wie ein verspielter, etwas naiver Junge. Casey hofft, diese unberechenbare Art ihres Entführers ausnutzen zu können, um frei zu kommen ... Parallel dazu versucht die Psychologin Dr. Karen Fletcher (Betty Buckley), ihre Kollegen davon zu überzeugen, dass eine dissoziative Persönlichkeitsstörung ungeahnte Möglichkeiten mit sich bringt ...
Als jemand, der deutlich mehr Shyamalan-Filme mag als der gemeine Durchschnitt, freut es mich, dass Split endlich wieder wie eine typische Regiearbeit des The Sixth Sense-Machers aussieht: Der Hitchcock-Liebhaber verlässt sich wieder auf weite Winkel, lange Einstellungen und eine kalte, distanzierte Regieführung. Dies allein wird schon in Verbindung mit der etwas entrückten Dialogsprache wieder die Geister scheiden: Shyamalan-Figuren (wie auch Nolan-Figuren) reden wie gedruckt. Diese etwas befremdliche Wortwahl kann in misslungeneren Filmen peinlich wirken, in gelungenen Fällen die beunruhigende Stimmung der Erzählung stützen. In Split wechselt es für mich wiederholt: Während ich es Anya Taylor-Joy durchweg abkaufe und unter anderem auch McAvoys Kindespersönlichkeit sowie den finster dreinblickenden Ordnungsfanatiker beklemmend finde, sind andere seiner Persönlichkeiten irritierend übertrieben. Wenn sich der Entführer etwa als Frau fühlt, grenzt der feminine Gestus des X-Men-Darstellers an einen Vaudeville-Act, was im Zusammenspiel mit den gestelzten Dialogen den Suspensefaktor von Split hemmt.
Besonders schwer tu ich mich jedoch mit Betty Buckley, die ähnlich comichaft aufspielt wie in The Happening, wo ich sie aber (im Gegensatz zu den meisten Kritikern) als wandelnden WTF-Moment gegen Ende des Films begrüßt habe. In Split ist sie mit weit aufgerissenen Augen und "Liebe, sorgevolle Oma"-Singsang in der Stimme dagegen ein wunder Punkt: Ich kaufe ihr die Figur der aufgeschlossenen, einer Entdeckung nahen Psychologin partout nicht ab, und wenn sie die schrägeren Theorien innerhalb der Story erläutert, fällt es mir aufgrund Buckleys Darbietung doppelt schwer, sie zu schlucken. Weniger wäre an dieser Stelle mehr gewesen.
Die eingestreuten Rückblenden auf Caseys Kindheit lassen unterdessen etwas Lost-Feeling aufkommen - zumindest in dem Sinne, dass das mysteriöse gegenwärtige Geschehen durch die stückweise vermittelte Hintergrundgeschichte der Protagonistin an Spannung und emotionaler Doppelbödigkeit gewinnt. In erster Linie sind es aber Caseys Versuche, die Oberhand in der zunehmend eskalierenden Situation zu gewinnen, die dank Taylor-Joys nuanciertem Spiel Split fesselnd machen. Wenn Shyamalan seine Aufmerksamkeit aber der auf dem Poster und im Trailer beschworenen 24. Persönlichkeit von McAvoys Rolle widmet, wird die so mühevoll konstruierte Suspense radikal eingerissen: Die zurückhaltende Inszenierung weicht in diesen Szenen einem schnelleren, ungelenk realisiertem Stil - je aggressiver McAvoys Figur handelt, desto unbeholfener wählt Shyamalan die Einstellungsgrößen aus, was es mir zunehmend erschwert hat, mich noch länger auf die mit immer gröberen Strichen gezeichnete Story einzulassen.
Dennoch ist jedem Shyamalan-Komplettisten sowie Fans seiner früheren Filme dringend dazu geraten, sich diesen Thriller schnellstmöglich im Kino anzuschauen und alles dafür zu tun, jeglichen Spoilern aus dem Weg zu gehen! Denn im letzten Drittel stapeln sich die Wendungen und Enthüllungen – und ich muss sagen: So sehr ich aufgrund der genannten Makel in Split zwischenzeitlich gelitten habe: Das allerletzte i-Tüpfelchen habe ich tatsächlich nicht kommen sehen – und es war mir eine ungeheuerliche Freude, diesen Moment ungespoilert erleben zu dürfen!
Es ist obendrein die Art Twist, die nicht nur schwer vorherzusagen ist, sondern die, die zum zuvor Gesehenen passt und es auf den Kopf stellt. Einige Szenen des Films, die mich vor Ärger und Unglauben im Kinosessel haben rumwälzen lassen, musste ich somit neu überdenken - und ich fand sie plötzlich deutlich besser. Das macht aber längst nicht alle Patzer in Split vergessen. Es gibt einfach zu viele misslungene Szenen, die sich mir zu eklatant aufdrängen. Zu oft übertreiben es MyAvoy und vor allem Buckley, öfters handeln Figuren völlig gegen jede Vernunft, nur, damit sich die Situation weiter zuspitzen kann, zu oft denke ich: "Ey, Shyamalan, wenn du das, was nun passiert, nicht zeigen willst, dann schneide weg oder suche dir eine elegant kaschierende Kameraeinstellung aus, aber löse das Problem doch nicht dermaßen ungelenk" ...
Aber: Ja! Der Schluss, der war mir das Durchstehen all dieser Tiefen wert!
Split ist ab dem 26. Januar 2017 in vielen deutschen Kinos zu sehen.