Tom Ford wollte sein Ausnahmewerk nicht für sich allein stehen lassen – und arbeitete, nach eigenen Angaben, an einer schockierenden, schonungslosen und tolldreisten Komödie, deren Titel allein selbst hartgesottenen Cineasten die Schamesröte ins Gesicht treiben würde. Der Modedesigner scheiterte jedoch an der Finanzierung dieses Projekts. Und so dauerte es nunmehr sieben Jahre, bis er mit seinem Plan B endlich seinen zweiten Kinofilm rausbringt – eine Enttäuschung. Nocturnal Animals ist zwar keineswegs so mau, dass der Traum von Fords Doppelleben zum Albtraum wird. Doch die Adaption eines Romans von Austin Wright weckt vor allem Neugier auf Fords aufgegebene Schockkomödie, während das schwerfällig in Szene gesetzte Rätsel dieser Fiktion-innerhalb-einer-Fiktion viel schneller gelöst und vergessen ist, als einem lieb sein kann.
Mit behäbigem Erzähltempo, das vor allem aufgrund der jegliche Regung der Hauptfigur Susan Morrow (Amy Adams) unterstreichenden, dramatischen Pausen im Mittelteil arg ins Stocken gerät, nimmt Nocturnal Animals eine zweifach verheiratete Kunsthändlerin in den Fokus. Diese fristet trotz Reichtum, Anerkennung und einem stilvoll eingerichteten Zuhause ein unglückliches Dasein. Ihr Mann Hutton Morrow (Lone Ranger-Hauptdarsteller Armie Hammer in einer verschwindend kleinen Nebenrolle) ist stets auf Geschäftsreise. Ihre Beziehung zu ihrer Mutter (pointiert-biestig: Laura Linney) ist vergiftet. Die Arbeit erfüllt sie nicht mehr. Da kommt Ablenkung durch ihren Ex-Mann Edward Sheffield (Jake Gyllenhaal) gerade recht.
Dieser konnte Susan mit seinen Träumen von einer Schriftstellerkarriere Susan nicht langfristig glücklich machen – hatte er in ihren Augen doch zu wenig Talent, um seine Ziele zu erreichen. Nun aber schickt er Susan das Manuskript zu einem Roman namens Nocturnal Animals. Dieser hat eine niederschmetternde, brutale und hoffnungslose Geschichte, die Susan gewidmet ist. Diese verschlingt Edwards Erzählung eines Mannes, dem von Südstaatenrowdys Frau und Kind genommen werden – und grübelt nach, was genau zwischen ihr und Edward eigentlich schief gelaufen ist.
Die Binnengeschichte, in der Jake Gyllenhaal mit glaubwürdiger Verzweiflung aufspielt, ist mit meilenweitem Abstand der stärkere Part von Fords zweiter Regiearbeit. Dies ist vor allem den Darstellern zu verdanken. Aaron Taylor-Johnson hat als Ganganführer Ray Marcus zwar wenig mit echten Südstaatenrüpeln gemeinsam, brilliert jedoch als manngewordene Verkörperung eines Schundheft-Schurken: Muskulös, schmierig und Reden schwingend ist er eine körperliche Bedrohung, die auch gekonnt auf die Nerven geht. Isla Fisher und Ellie Bamber wissen, als Edwards Familie mit greifbarer Verängstigung, Taylor-Johnsons Fiesling noch boshafter aussehen zu lassen, und ein keinerlei Subtilitäten kennender Michael Shannon macht als abgehärteter Südstaaten-Bulle sündhaft viel Spaß.
Zudem gelingt es Ford, trotz mancher die Illusion störender Anschlussfehler, die Geschichte-innerhalb-der-Geschichte wenigstens in Akt eins hochspannend umzusetzen: Er lässt das Aufeinandertreffen zwischen hilfloser Familie und sich in ihrer Abartigkeit suhlender Rüpel nervenaufreibend-detailliert ablaufen, lässt die Szene stets auf dem jeweils am intensivsten spielenden Darsteller ruhen. Minutiöse Schnittarbeit schürt die Spannung, was zusammen mit den staubigen Nachtbildern für einen schlichten, schlanken Thriller sorgt. Nachdem die Situation eskaliert ist, fallen die ausgiebigen, doch apathischer inszenierten Nachwehen zwar in Sachen Suspense stark ab, dennoch sorgt die im Hintergrund stehende Frage: „Wie geht’s wohl weiter?“ weiterhin für ausreichend Drive.
Die Rahmengeschichte hingegen kommt eher wie eine schlechte Parodie von Tom Fords Regieführungsstil daher, die von jemandem verbrochen wurde, der nur von A Single Man gehört, ihn aber nie gesehen hat: Geschmackvoll, leicht exzentrisch eingekleidete, hübsche Menschen starren bedeutungsschwer an der Kamera vorbei, die sie in kühlen, dunklen Bildern verewigt. Gelegentlich Seufzen sie betrübt oder besorgt, andere Male lassen sie sperrige Dialoge von sich, die den Plot forciert vorantreiben.
Vor allem Amy Adams, die erst kürzlich mit Arrival daran erinnert hat, dass sie eine Weltklassemimin ist, muss einem leid tun: Sie bekommt die undankbare Aufgabe zugeteilt, die viel spannendere Binnengeschichte immer wieder zu unterbrechen, indem sie, von den soeben gelesenen Romanseiten schockiert, ihre Brille abnimmt. Oder mit betont nachdenklichem Gesichtsausdruck nach einem Weinglas greift. Oder aufseufzt und ins Leere blickt. Die eingestreuten Rückblicke auf Susans Beziehung zu Edward geben Adams mehr zu tun, darunter ein schwarzhumoriges Dinner mit ihrer Filmmutter Laura Linney, allerdings sind sie erzählerischer Ballast, da sie doppelt und dreifach das vermitteln, was zuvor durch Edwards Roman impliziert wurde.
Das abschließende Drittel pfeffert dem Publikum letztlich visuelle Erläuterungen von Edwards Vorhaben und Susans unausgesprochenem Befinden um die Ohren, so dass die eingangs fesselnde, mysteriöse Wechselwirkung zwischen Rahmen- und Binnengeschichte zum Witz verkommt: Tom Ford befolgt das kleine Einmaleins des Lehrbuchs für „Fiktion-in-der-Fiktion“, verkauft es dessen ungeachtet mittels theatralischer Performances und zähem Storytelling als Differentialgleichung für Fortgeschrittene. Die weit im Voraus telegrafierte, angesichts der schalen Charakterzeichnung in der Rahmengeschichte keinerlei Dramatik mit sich bringende, Schlusspointe setzt Nocturnal Animals dann die Krone der Enttäuschung auf. Bleibt nur zu hoffen, dass sich irgendwelche Geldgeber von Seamus McGarveys formidabler Kameraarbeit haben bezirzen lassen, so dass sie das Scheckbuch zücken und Ford das nötige Geld für seine Rüpelkomödie überweisen. Die wird dann vielleicht eine filmische Beleidigung im erstrebenswerten Sinne.
Fazit: Eine spannende Binnengeschichte, die in einer lachhaft simplen Beziehung zu ihrer schwerfällig dargebotenen Rahmengeschichte steht: Nocturnal Animals ist Edelschund, der als Arthouse-Geniestreich posiert.
Diese Kritik erschien zuerst bei Quotenmeter.de
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