Es ist Silvester. Traditionell der Tag, an dem ich hier im Blick die Filmbrille abnehme und auf meine liebsten Songs des Jahres zurückblicke. Ein Relikt aus Tagen, als dieser Blog ein wildes, ungeordnetes, persönliches Gedankensammelsurium war. Und aus Tagen, als ich mich noch nicht völlig aus der tagesaktuellen Musikwelt verabschiedet habe. Die letzten Jahre wurde es für mich zunehmend schwerer, abseits von Eurovision Song Contest-Nummern noch Favoriten für diese Liste zu finden, in der ich gemeinhin Filmsongs nicht zulassen wollte. Dieses Jahr habe ich es dann völlig aufgegeben: Natürlich gab es dieses Jahr neue Lieder, die mir gefallen haben. Doch zwei, drei Metal-Alben und etwas ESC mixen und in eine gezwungene Hitliste zu quetschen, wo ich doch zehn Minuten später die Rangfolge ganz anders formen würde, schien mir unergiebig.
Aber Musik gehört einfach zum Jahresausklang dazu - respektive eine Musikhitliste. Also nähere ich mich nun den Kernkompetenzen, die hier auf der Webseite hervorblitzen. Und schaue auf das filmmusikalische Jahr 2016. Genauer gesagt: Auf meine liebsten Originalsongs aus Filmen, die 2016 ihre deutsche Premiere hatten. Und um es etwas spannender zu machen (sowie mir Material für künftige Disney-Hitlisten offen zu halten) lege ich mir hier noch eine Regel auf: Pro Film ist nur ein Lied genehmigt. Gemein, ich weiß. Aber es erspart euch viel Leserei, denn ich fand 2016 in Sachen Originalmusik echt stark - so kommt ihr hier nur mit zehn Songs davon, die ich unbedingt nennen muss, weil ich meinen Silvesterjahresrückblick sonst als inkomplett empfinden würde!
Platz 10: Waving Goodbye (The Neon Demon)
Nach einer von eiskalter, harter, stylischer Elektromusik untermalten, gefühlskalten und finsteren Tour durch die Modelwelt rund um Los Angeles kommt Sias ruhig, mit dezent-warmem Timbre gesungenes Abspannlied in The Neon Demon einer Wohltat gleich. Ein freundliches Lied mit angenehmer Melodie und einem etwas abweisenden Beiklang, das erst recht durch seine Platzierung im Film doppelbödig wirkt.
Platz 9: Get Ghost (Ghostbusters)
Wie hält man sein Publikum auch während des Abspanns in den Kinosesseln? Erstens: Durch lustige Szenen. Zweitens: Durch einen kunterbunten, sich bewegenden Abspann, durch den Chris Hemsworth in enger Jeans und engem Shirt tanzt. Drittens: All dies, während ein munterer, schwungvoller Elektrofunkdancesong läuft, der den Ghostbusters-Song sampelt. Das macht Laune!
Platz 8: Can't Stop The Feeling (Trolls)
Jeffrey Katzenbergs Abschiedsfilm aus den DreamWorks-Trickstudios ist zwar eine optisch starke, zuckersüße, seelenlose Geduldsprobe, die obendrein unfähig ist, Justin Timberlakes für ihn geschriebenen Hitsong so einzusetzen, dass er im Kontext nochmal zusätzlich an Feuer gewinnt. Aber Timberlake ist einfach ein Mordsentertainer, der mit seinen Nummern für Stimmung sorgt. Dieser Song ist zwar mehr ein Sammelsurium an Ansätzen aus Gute-Laune-Klassikern, trotzdem (oder gerade deswegen) geht er nicht nur ins Ohr, sondern auch in die Tanzmuskulatur.
Platz 7: The Ballad of Wiener-Dog (Wiener Dog)
Das stärkste Segment im pessimistisch-garstigen Episodenfilm Wiender Dog ist ausgerechnet die (bei einem so kurzen Film bewusst-unnötige) Pause, während der aus den Lautsprechern eine großartige, stilistisch trocken-geradlinige Parodie auf die ganzen, großen, pathetischen, ehrfürchtigen Western-Powerballaden dröhnt. Ja, ja, so ein Dackel ist schon ein episches Tier!
Platz 6: No Dames (Hail, Caesar!)
So hätte Magic Mike XXL wohl in den frühen 50er-Jahren ausgesehen. Und so ähnlich wird wohl das noch titellose, R-rated Channing-Tatum/Joseph-Gordon-Levitt-Musical aussehen: Der wundervolle Coen-Brüder-Film Hail, Caesar! stoppt mal eben für knapp fünf Minuten, um die teils dramatisch-inhaltsarmen, aber ausschweifend-fröhlichen, amüsant choreografierten Musicals des Goldenen Hollywoodzeitalters zu persiflieren. Inklusive dem mal unbewussten, mal extrem bewusst am Zensurkodex vorbeigemogelten homoerotischen Subtext. Und, hey, Channing Tatum singt und tanzt! Und, hey, alter Musicalstyle! Das allein reicht doch schon für einen Topsong!
Platz 5: Montage (Swiss Army Man)
Augenzwinkernde Montagesongs werden allmählich zu einer meiner favorisierten Gattung von Filmsongs, direkt hinter solchen Kloppern wie Disney-Schurkenliedern und Disney-Eröffnungsnummern. Nach Monatge aus Team America: World Police kommt hier ein neuer Topsong, der das durch Schnitte und treibender Musik erzielte Komprimieren der Erzählzeit liebevoll Hopps nimmt. Der Gag wird für mich so schnell einfach nicht alt!
Platz 4: Mädchen gegen Jungs (Bibi & Tina - Mädchen gegen Jungs)
Als ich den ersten Trailer zu Bibi & Tina - Mädchen gegen Jungs gesehen habe, dachte ich entnervt: "Also, von dir, lieber Detlev Buck, hätte ich wahrlich keinen dummen Geschlechterkampffilm erwartet!" Tja. Filmtitel und Trailer werden dem dritten Teil der Bibi & Tina-Reihe einfach nicht gerecht: Buck gießt eben nicht Öl ins Feuer der veralteten Geschlechterrollen. Eigentlich geht es in dem Film um eine Schnitzeljagd bei einem Sommercamp, unsere Titelheldinnen sind sogar in einem gemischtgeschlechtlichen Team. Nichts, was alte, dumme Konzepte verstärken würde. Doch Tina hat gerade Stress mit ihrem Freund, während Bibi in einem vorlauten Mitcamper einen angestrengten Kontrahenten findet. Verquickt mit der sich allmählich stärker bemerkbar machenden Pubertät unserer Protagonisten mündet diese Konfliktsituation schließlich in den obigen Titelsong, in dem sich die zwischenpersönlichen Differenzen aus Unfähigkeit (oder Unwillen?), sie explizit zu benennen, in einen vorgeschobenen Geschlechterkampf. Den betrachten manche der Camper mit frech-amüsiertem Blick, andere nennen ihn total albern - und als genau das erkennen ihn später auch die Titelfiguren. Also gibt's hier kein sozialpolitisches Problem, dafür aber eine mitreißende Melodie und einen flotten Beat.
Platz 3: Finest Girl (Bin Laden Song) (Popstar: Never Stop Never Stopping)
Es ist eine Schande, dass der Film der Comedy-Musikkombo The Lonely Island so dramatisch untergegangen ist. Er erfindet das Mockumentary-Rad zwar nicht ansatzweise neu, trifft aber mit absurden Figuren, herrlich-bescheuerten Dialogen und mehreren Ohrwurm-Hits, die wundervoll-verrückt sind. So wie diese Ballade mit gewaltigem Haken ...
Platz 2: Drive It Like You Stole It (Sing Street)
John Carney, Musikfilmspezialist: Nach Once und Can a Song Save Your Life? liefert der Ire erneut ab. Sing Street ist eine witzige, sich vor sämtlichen Musikströmungen der 80er verneigende Coming-of-Age-Geschichte über einen Bengel, der sich Freunde macht und seine musikalischen Talente entdeckt, um ein Mädel zu beeindrucken. Sing Street hat diverse, mal lustige, mal berührende Songs zu bieten, doch keiner ist so einprägsam und beeindruckend wie dieser vorwärtstreibende, flotte, beschwingte Synthie-Pop mit Mitklatsch- und Mitwippfaktor.
Platz 1: Shiny respektive Glänzend (Vaiana)
Absolute Außenseitermeinung, die ich hier vertrete: Mein liebstes Lied aus dem neuen Disney-Animationsfilmabenteuermusical Vaiana ist der (nahezu) aus dem Nichts kommende, fesch-exzentrische (und im Gegensatz zu den meisten anderen Nummern im Film auf Englisch UND auf Deutsch funktionierende) Fieslingssong Shiny. Disneymusical-Klangästhetik trifft Glamrock trifft Lin-Manuel Miranda. Und einen wunderbar amüsierten Jemaine Clement. Oder eben Tommy Morgenstern in der deutschen Fassung. Ein Lied, das ich dreckig-lächelnd in Dauerschleife abfeiern kann!
In diesem Sinne: Euch allen einen guten Rutsch und ein tolles 2017!
Interessante Liste, bin gespannt, ob die Academy einen von diesen ehren wird (ich bezweife es). Mir gefielen noch I see Victory aus Hidden Figures und Letter to the Free aus 13th (wobei die wahrscheinlich noch nicht in GER rausgekommen sind)
AntwortenLöschenDass die Academy einen meiner Favoriten ehren wird, bezweifle ich ebenfalls, zumal nur "Montage", "Can't Stop the Feeling" (halte hier eine Nominierung für möglich), "Waving Goodbye", "Wiener Dog" und "Drive It Like You Stole It" (ebenfalls Nominierungsanwärter) eingereicht wurden.
AntwortenLöschen"Hidden Figures" startet dieses Jahr, "13th" ist ja eine Netflix-Doku und bereits abrufbar. Habe aber beides noch nicht gesehen.
"Glänzend" bzw. "Shiny" ist unfassbar geil. Das beste Lied des ganzen Films. Und auch eines der besten Disneylieder.
AntwortenLöschenHat mich total überrascht und finde ich immer noch erstklassig.