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Mittwoch, 9. November 2016

Demolition


Gefühle sind eine Sache, über die es sich ordentlich den Kopf zerbrechen lässt. Die Pixar-Trickstudios betrachteten die vertrackte Gefühlswelt mit ihrem Meisterwerk Alles steht Kopf, das auf wunderschöne Weise verdeutlicht, dass Kummer zum Leben dazugehört und es eben nicht immer alles Friede, Freude, Eierkuchen sein kann. Die Feststellung, dass Kummer nicht unterdrückt werden sollte, ist allerdings nicht die einzige leinwandtaugliche Lektion, die über den menschlichen Gefühlshaushalt gemacht werden kann. Dies beweist etwa die rabenschwarze, knochentrockene Tragikomödie Demolition. Regisseur Jean-Marc Vallée und Drehbuchautor Bryan Sipe gehen mit dieser gerade einmal rund drei Millionen Dollar teuren Produktion den Fragen nach: Muss ich trauern, wenn ich einen wichtigen Menschen in meinem Leben verliere? Wie kann ich damit umgehen, wenn ich partout nicht in Tränen ausbrechen kann oder will? Und wie finde ich den Auslöser meiner emotionalen Verfassung?

Diese Fragen packt Dallas Buyers Club-Regisseur Vallée nicht etwa in eine tränenzieherische, pathetisch-kitschige Geschichte voller poetischer Monologe, die dem Publikum die Antworten denkbar malerisch vorkauen. Der kanadische Filmemacher skizziert stattdessen ein dezent-groteskes Exempel, das er allerdings so nüchtern-ironiefrei zum cineastischen Leben erweckt, als handle es sich dabei um ein alltägliches Drama:

Der Investment-Banker Davis Mitchell (Jake Gyllenhaal) gerät mit seiner Frau Julia (Heather Lind) in einen schweren Autounfall. Während er nahezu unbeschadet davonkommt, stirbt sie bereits kurz nach dem Unglück im Krankenhaus. Dort will sich der schockierte Davis an einem Automaten Süßigkeiten ziehen, doch die Packung bleibt stecken. Genervt notiert er sich die Kontaktdaten der Automatenfirma – und verfasst auf der Trauerfeier, die zu Ehren Julias abgehalten wird, einen ausführlichen Beschwerdebrief. In den kommenden Wochen eckt Davis in der Firma seines Schwiegervaters (Chris Cooper) an, zunächst, weil er sich keinen Kummer anmerken lässt, später, weil er die Macke entwickelt hat, kaputte Dinge in ihre Einzelteile zu zerlegen. Dies führt dazu, dass sich Julias Familie zunehmend von Davis distanziert, während Karen Moreno (Naomi Watts), die Kundendienstlerin des Automatenherstellers, eine Bindung zum Witwer aufbaut …

Durch die Diskrepanz zwischen Davis‘ mal unterkühlten, mal verschrobenen Handeln und der dramatischen, aber mit Blick für verquere Details versehenen Inszenierung entwickelt Demolition eine ungewöhnliche Stimmung: Die auf dem deutschen Markt mit dem irreführend-kitschigen Untertitel Lieben und Leben versehene Indie-Produktion ist voll mit pointierten Dialogen und humorvoll entgleisenden Situationen – doch die Lacher versanden zumeist in einer staubig-trockenen Stimmung. Der minutiöse Schnitt durch Jay M. Glen lässt ein Gros der Gags nicht verweilen, sondern lässt sofort die Handlung weiterlaufen, die Kameraarbeit Yves Bélangers wechselt indes zwischen schnörkelloser Darstellung des Plots und mit Weitwinkelobjektiven gefilmten Landschaftsaufnahmen, wann immer Davis ins Grübeln kommt.

Jean-Marc Vallée macht somit spürbar, wie es im Inneren seines Protagonisten aussieht: Davis Mitchell reagiert zunächst erschreckend abgeklärt auf den Tod seiner Frau, was sein Umfeld in Sorgen, Unverständnis und Wut stürzt. Der Banker ist jedoch nicht etwa bis auf die Knochen apathisch, sondern weiß selber, dass er seltsam mit diesem Schicksalsschlag umgeht – und sucht nach einem Ventil für seine verwirrten Gefühle sowie nach einem Weg, wieder mit sich ins Reine zu kommen. Eben diese Verquickung aus Gefühlskälte, vermeintlich unpassender Lebensfreude, Nachdenklichkeit und individueller, wenngleich nicht gesellschaftskonformer Verarbeitung drückt sich in der kitschfreien Regieführung aus, die auf das schräge, nie aber selbstgefällig-exzentrische Drehbuch trifft. Vallées Ansatz ist somit ein anspruchsvoller, da er Davis‘ Handeln nicht aus einer sicheren Distanz erklärt, sondern aus unmittelbarer tonaler Nähe erlebbar macht – auch auf die Gefahr hin, dass Teile des Publikums Davis als Unsympathen abstempeln und daher den ganzen Film über außen vor bleiben.

Dabei lohnt es sich, Demolition aufmerksam zu verfolgen, selbst wenn es für näher am Wasser gebaute Filmfreunde vielleicht unmöglich scheinen mag, sich mit dem Protagonisten zu identifizieren. Denn der seit Jahren eine Top-Performance nach der nächsten abliefernden Jake Gyllenhaal gibt hier eine seiner besten Darbietungen: Dem Prisioners-Mimen gelingt es meisterlich, Davis nicht zu einer karikaturesken Kunstfigur verkommen zu lassen, sondern aus ihm eine glaubwürdige, eigenwillige Rolle zu formen, die ihr ganzes Leben einreißt, um herauszufinden, weshalb sie nicht trauert – und dabei irre Situationen provoziert. Dass Davis parallel dazu ein neues Leben aufbaut, indem er in der gleichermaßen bodenständigen wie quirligen Karen eine sympathische Gesprächspartnerin findet und sich obendrein herzlich (wenngleich pädagogisch fragwürdig) um ihren pubertierenden Sohn Chris (Judah Lewis) kümmert, setzen Vallée und Sipe unaufdringlich und somit originell um: Es bleibt offen, ob Karen für Davis nur eine Freundin oder eine potentielle, neue Lebenspartnerin ist, und der Subplot um den von Judah Lewis unaffektiert gespielten Chris vermeidet es trotz gegenteiliger Andeutungen durchweg, in irgendwelche Problembewältigungsgefilde zu schreiten.

Demolition ist schlussendlich das, was wohl passiert wäre, wenn Tree of Life-Regisseur Terence Malick und Fluch der Karibik-Steuermann Gore Verbinski gemeinsam einen Film gedreht hätten: Wann immer Jean-Marc Vallée tief in die Gedankenwelt seines Protagonisten abtaucht, nähert er sich dem markanten Stil Malicks an, inklusive non-chronologischem Schnitt und ausführlichem Vorführen dessen, was die Hauptfigur bewegt. Eingebettet ist all dies in eine zynisch-melancholische Stimmung, wie sie sich auch durch Verbinskis The Weather Man zieht, inklusive unzeremoniell eingebauter, kantiger Details. Das ist eine seltsame, aber erstaunlich gut ineinandergreifende Mischung – und eine, die dem Kern dieses Films umwerfend gut zu Gesicht steht: Es ist nicht respektlos, Kummer anders auszudrücken, als durch Heultiraden. Aber es kann schon zu kuriosen Situationen führen – aber jedem das, was ihm wohltut.

Fazit: Demolition ist vielleicht nicht Jean-Marc Vallées zugänglichste Regiearbeit, wohl aber seine beste: Der Dallas Buyers Club-Regisseur lässt sein Publikum rund 100 Minuten lang in den Schuhen eines Mannes laufen, der zwischen Apathie und zerstörerischem Frust gefangen ist – und Jake Gyllenhaal macht diese komplex-widersprüchliche Gefühlslage dank einer starken Performance eindringlich spürbar.

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