Vielleicht liegt es daran, dass durch die von der digitalen Revolution vorangetriebenen Fragmentierung nunmehr keine solche Massenphänomene mehr existieren, auf die Filmemacher zählen können. Eventuell hat man auch schlicht durch die Rezeption rein fanzentrischer Filme dazugelernt. So oder so: Mit etwas Findigkeit der Verantwortlichen ist es möglich, einen Musikerfilm auf die Beine zu stellen, der auch Nicht-Fans abholt. Jüngstes Beispiel: Martin Schreiers in den deutschen Lichtspielhäusern völlig ungerechtfertigt untergehender Genremix Unsere Zeit ist jetzt, alias: "Der Cro-Film".
Während Cro, der Pop-Rapper mit der Pandamaske, in den vergangenen vier Jahren die deutschen Musikcharts aufmischte und mehrmals Gold und sogar Platin einsackte, konnte mich das Aushängeschild des Plattenlabels Chimperator nie für sich gewinnen. Als Showgast fand ich ihn durchaus unterhaltsam, seine Songs wiederum lassen mich durchweg kalt. Denkbar schlechte Grundvoraussetzungen für einen ihm gewidmeten Kinofilm? Vielleicht, aber das quirlige Drehbuch der Autoren Arend Remmers, Martin Schreier und Sebastian Fruner schafft es, mich schon in den ersten Filmminuten zu gewinnen - und daraufhin bei der Stange zu halten.
Cro veranstaltet einen offenen Wettbewerb: Fans mit Filmemacherambitionen sowie Filmemacher mit Faible für die Musik des Deutschrappers sind herzlich dazu eingeladen, vorzusprechen und ihre Ideen für einen Cro-Kinofilm zu präsentieren. Erwartungsgemäß werden der Mann hinter der Pandamaske und sein Team von Interessenten überrannt. Drei hinterlassen bleibenden Eindruck. Da wäre der Möchtegern-Drehbuchautor Dawid (David Schütter), der im kurz vor der Pleite stehenden Kino seines Vaters jobbt und seine Freizeit vor allem damit verbringt, Frauen auf tolldreiste Art anzubaggern. Ihm schwebt ein Film vor, der eine Zukunftsvision Cros zeigt - eine Musikbiz-Satire mit Star-Appeal!
Dann wäre da Vanessa (Peri Baumeister), eine mit Asperger diagnostizierte, scheue Filmstudentin, die von Cros Musik begeistert ist und ihn während seiner anstehenden Tour begleiten will, um eine Konzertdoku zu drehen, die aus ihrer einzigartigen Perspektive auf den Erfolgsmusiker blickt. Und dann wäre da noch der Schreibtischtäter Ludwig (Marc Benjamin), der seinen Tagesjob auf den Tod nicht ausstehen kann, noch immer bei seinen Spießereltern lebt und eigentlich viel lieber Cartoonist wäre. Er reicht eine überhöhte Nacherzählung von Cros Karriereanfängen ein - in Form eines Zeichentrickfilms mit hohem Potential, zur Kontroverse auszuarten!
Zahltag – Nicht mit uns!-Regisseur Martin Schreier formt aus dieser Grundidee einen verspielten Gute-Laune-Film voller Metawitzlein, in dem die drei Filmschaffenden in spe im Vordergrund stehen, während Cro und seine Musik nur als Aufhänger dienen. Tonal ist die Handschrift des Produzenten und Nebendarstellers Til Schweiger zu spüren: Es geht auch um die Liebe, und das zuweilen mit der Atmosphäre eines modernen Großstadtmärchens - bloß, dass Unsere Zeit ist jetzt viel fescher als die jüngeren Schweiger-Romantikdramödien ist. Denn wo sich Schweiger zuletzt in eine gewisse Betriebsblindheit manövriert hat, erinnert Unsere Zeit ist jetzt in seinen Romantikphasen an das schwelgerische Liebes-Roadmovie barfuss - gekreuzt mit einer zünftigen Dosis Metaklamauk. Wenn Unsere Zeit ist jetzt wie ein Film Noir beginnt und Cro dieses stilvolle, aufwändig gestaltete Konzept mit der Klage, sich das nicht leisten zu können, einlenkt, dann geschieht das in bester Muppet-Manier. Und wenn sich Dawid während einer Schreibblockade vorstellt, wie Til Schweiger in einem weißen Vakuum sitzt und seinen Autoren anmault, mal endlich was über Lindenstraße-Niveau zu verzapfen, dann erreicht Unsere Zeit ist jetzt vorübergehend eine dem Looney-Tunes-Klassiker Duck Amuck gleichende, spielerische Quirligkeit, wie es sie im deutschen Mainstreamkino selten zu begutachten gibt.
Dieses stilistische Durcheinander, das durch die Trickfilmsequenzen verstärkt wird, hat Schreier nach kleineren Einstiegsschwierigkeiten sehr gut im Griff: Der Filmemacher verleiht Unsere Zeit ist jetzt einen tragfähigen roten Faden in Form der drei Einzelschicksale von Dawid, Vanessa und Ludwig. Für sie alle steht viel auf dem Spiel, weshalb nicht nur ihre in der Filmwirklichkeit verorteten Plots eine Daseinsberechtigung haben, sondern sich auch intuitiv erklärt, weshalb immer wieder längere Strecken aus ihren Filmen (oder in Dawids Fall: ihren Versuchen, Ideen für das stagnierende Projekt zu finden) gezeigt werden.
Das schlagende Herz und die gute Seele des Films ist Irre sind männlich-Nebendarstellerin Peri Baumeister: Ihre ebenso goldig-amüsante wie verträumt-feinfühlige Darstellung Vanessas ist nicht nur unfassbar liebenswert, sondern auch in der kleinen Welle an Asperger-Figuren der vergangenen Jahre noch immer unvergleichlich. Baumeister legt wiederholt formidables komödiantisches Timing zu Tage, ohne Vanessa je zur Witzfigur zu machen: Stets legt sie sie als neugierige, freundliche, aber auch bestimmte und ihre eigenen Wünsche durchsetzende junge Frau an, die durch ihr Asperger halt einfach nur nicht ganz genau weiß, wie sie auf andere wirkt. Diese runde Darbietung ist allerdings nicht nur Baumeisters Verdienst. Vanessa wird zwar eingeführt, wie sie einen Kaffeefleck im Hörsaal wegzuwischen versucht, doch es bleibt nicht bei einem altgewohnten Putzfimmel. Wenn es etwa um den Verzehr von Popcorn geht, dann bevorzugt sie die Schaufelbaggerfresstechnik, und ihre Wohnung ist in einem verlebten, wenngleich geordneten, Charme gehalten, statt steril und austauschbar zu sein.
Baumeisters magnetische Ausstrahlung überträgt sich auch auf David Schütter, dessen Dawid zu Beginn des Films vielleicht etwas zu stereotypisch machohaft geraten ist, der ab dem Kennenlernen mit Vanessa allerdings sukzessive seine unterdrückte, sensiblere Seite hervorkehrt. Gewiss, dieser Wandel ist (inklusive der obligatorischen Rückschläge) in seinem groben Aufbau direkt aus dem Lehrbuch deutscher RomComs geklaut. Doch Schütter stellt den schrittweisen Wandel Dawids sehr plausibel dar, mit markanter Mischung aus schroffer Direktheit und sympathisch-altmodischen Anwandlungen, wie seiner Affinität für Filmklassiker und dem Talent, zum einfallsreichen Kavalier zu mutieren, wenn es der Moment gebietet. Spätestens, wenn der sonst so schlagfertige Dawid wortlos neben Vanessa sitzt, als sie ihm vorwirft, er wolle nur für toll befunden werden, statt zuzulassen, dass man ihn kennenlernt, wird auch er zum Sympathieträger. Mehr noch punktet er aber als Element der fiktiven Cro-Zukunftsszenen. Darin geht Til Schweiger in mit breitem Grinsen dargebotenen, genüsslich-albernen Sequenzen voller Selbstironie auf, die Promihype, Erfolgsdruck und das Konzept dieses Films durch den Kakao ziehen. So viel sichtbaren Spaß hatte Schweiger seit vielen, vielen Jahren nicht mehr im Kino!
Die Stärke der Lovestory und der Spaßfaktor der fiktionalen Zukunftsprognose wird dadurch deutlich, dass ausgerechnet das Cartoonsegment in meiner Gunst leicht hinterherhinkt. Nicht, dass es schwach wäre: In farbenfroher, leicht an die 90er-Batman-Trickserie erinnernder Optik handelt diese von der Konkurrenz unter zwei Freunden und erlaubt sich in pointiert gewählten Momenten auch Legendenbildung via unwirklicher Elemente. Und obwohl sie durch die gezielte Zurückhaltung von Informationen auch Spannung aufbaut, so wird dieser Filmteil zu kleinschrittig vorangetrieben, um mit den anderen Fäden mitzuhalten. Dessen ungeachtet sind die realen Szenen rund um Ludwig humorvoll: Marc Benjamin ist ein knuffiger Duckmäuser mit Hundeblick, der den Liebes-Hauptplot in angemessenem, plausiblen Maße aufrüttelt und Cro durch seine berühmte Pandamaske zu einer guten Schauspielperformance herausfordert. Die Szenen auf Ludwigs Arbeitsplatz hingegen werden etwas schneller alt, als sie abgehakt werden, insbesondere, weil die Auflösung den ideenlosesten Aspekt in diesem Kreativfeuerwerk darstellt.
Gewürzt mit allerlei spaßigen Cameos und sehr hübsch fotografiert von Markus Nestroy (Above and Below), der vor allem Abend- und Nachtszenen in einen einladend-wohligen Mantel aus Blautönen hüllt, ergibt sich im Zusammenspiel mit einem Cro-Best-of-Soundtrack (und diversen Songs anderer Interpreten) ein sehr pfiffiges Stück Wohlfühlkino. Der gefällige Mainstreamkern wird dabei durch überbordenden Einfallsreichtum ausgeschmückt, wodurch sich trotz kleinerer Stolperschwellen im Erzählfluss ein erfrischendes, ungewöhnliches Projekt ergibt, das weit, weit mehr ist als nur Cro-Fanservice.
Fazit: Laut Cro sollten wir die Gegenwart auskosten - und mit einem Kinobesuch von Unsere Zeit is jetzt verwandelt man wenigstens zwei Stunden Lebenszeit in einen süßen, launigen Genuss.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen