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Montag, 31. Oktober 2016

Rammbock


Um mal aus dem Nähkästchen zu plaudern: Wann immer in einer Pressevorführung im Vorspann eines Filmes zu lesen ist, dass er unter anderem von 'ZDF – Das kleine Fernsehspiel' produziert wurde, kann man sich sicher sein, dass nach der Vorführung irgendwer aus dem Kollegium jammert. „War ja klar, dass der nicht kinoreif ist. Ich mein, hallo? 'Das kleine Fernsehspiel'? Die sollen das nachts im ZDF versenden, aber nicht auf die Leinwand werfen“, heißt es dann. Dabei ist es ganz gleich, wie filmisch das zuvor Gesehene umgesetzt wurde oder wie schlecht und narrativ einfallslos der tags zuvor vorgeführte, aber sehr kinetisch inszenierte Big-Budget-Blockbuster ist. Gewiss, das kleine Fernsehspiel des öffentlich-rechtlichen Senders aus Mainz bringt nicht ausschließlich Kracher mit leinwandtauglicher Klasse raus – dennoch gibt es ausreichend Ausrutscher nach oben. Einer davon: Der 2010 zunächst im Kino gestartete, dann zu später Stunde im Fernsehen gezeigte Zombiehorror Rammbock.

Dieser dreht sich um den Österreicher Michael. Der etwas untersetzte, in Liebesdingen naive Mann hat den weiten Weg nach Berlin auf sich genommen, um seiner Exfreundin Gabi den Wohnungsschlüssel zurückzugeben. Nach außen hin soll es als Geste dienen, dass er mit ihrer Entscheidung einverstanden ist, die Beziehung zu beenden. Insgeheim erhofft er sich jedoch, durch die Begegnung ihre Zuneigung für ihn wieder entfachen zu können. In Gabis Wohnung angelangt, trifft Michael allerdings nur auf zwei Handwerker, die ihm nicht sagen können, wo sich die Mieterin derzeit befindet.

Während sich Michael mit dem Jüngeren der Handwerker, Harper, im Gespräch befindet, bekommt der Andere urplötzlich einen Tobsuchtsanfall und stürzt sich auf die Beiden. Ein Blick auf den Innenhof der Wohnsiedlung verrät Harper und Michael, dass nicht nur Harpers älterer Kollege durchdreht: Mehrere Menschen sind zu blutrünstigen Bestien mutiert, die zu allem Überfluss über ein exzellentes Gehör verfügen. Michael und Harper verschanzen sich in Gabis leerstehender Wohnung, versuchen, so leise zu möglich zu bleiben, und beobachten ebenso gebannt wie eingeschüchtert die Lage im Innenhof …

Was Regisseur Marvin Kren (der später unter anderem den Gemüter spaltenden Blutgletscher verantwortete) hier kreiert, ist in vielerlei Hinsicht ein durch und durch klassischer Zombiehorror nach Vorbild solcher Genreklassiker, wie sie George A. Romero verantwortet hat: Die Spannung dieses Films entsteht vor allem dadurch, dass sich die Protagonisten verschanzen, durch die Medien über den zerfallenen Stand der Außenwelt informieren und in moralische Dilemmata geraten. Gleichwohl wandelt Drehbuchautor Benjamin Hessler den Stil seines Vorbildes dezent ab. Etwa, indem sie die Fähigkeiten der Zombies sowie die nebenläufig durch Fernseh- und Radioansagen erklärten Hintergründe der Zombieseuche anders gestaltet: Die Zombies irren im Normalfall schleichend und widerliche Töne von sich gebend umher – es sei denn, sie werden durch ihren hervorragenden Gehörsinn in Aggressionen versetzt. Dann rasen sie blutrünstig auf einen zu.

Kren und Hessler verschieben den Fokus ihrer Erzählung trotzdem nicht, so wie viele Zombiefilme der späten 2000er- und frühen 2010er-Jahre, gen Action, sondern noch stärker in Richtung einer „Beobachten, abwarten, handeln“-Strategie der Filmhelden.

Insbesondere der Mittelpart gleicht weniger solchen actionreichen Genrekollegen wie 28 Days Later, sondern eher Alfred Hitchcocks suspensereicher Arbeit in Das Fenster zum Hof: Der mit einem sehr spröden, österreichischen Humor ausgestattete Michael Fuith und der die Gefährlichkeit der Situation besser begreifende, von Theo Trebs sympathisch-direkt gespielte Harper richten ihr Handeln zwischenzeitlich komplett danach aus, was sich im Innenhof abspielt. Kren fängt dies in bester Das Fenster zum Hof-Manier so ein, dass man sich selber wie ein Voyeur fühlt, der nur einen fenstergroßen Einblick ins Schicksal seiner Nachbarn erlangt. Dadurch, dass Michael und Harper den Innenhof als Maßstab dafür nehmen, wie ernst die Lage ist, entsteht eine plausible Handlungsdynamik: Teils werden Allianzen geschlossen, teils zanken sich die Protagonisten mit Anliegern darüber, wie vorzugehen ist – und teils bringt man sich durch entstandenen Lärm ungewollt in noch harscheren Ärger.

Dieser Handlungsabschnitt wird von den Filmemachern komplett ausgereizt, woraufhin sie ihre Figuren in neue Problemlagen manövrieren. Somit hat Rammbock weder Längen, noch wirkt er abgehetzt erzählt. In lediglich 63 Minuten Laufzeit werden die handelnden Figuren sowie die leicht abgewandelte Zombieprämisse eingeführt, mehrere spannungsreiche Zwickmühlen erschaffen und letztlich wird ein zügiger, wohl aber dramaturgisch ausgereifter Weg zu einem emotional grau-dunkelgrauen Finale gebahnt. Es gibt keine sich ermüdend wiederholenden Splattersequenzen, keine elendig lange Exposition, kein lästig-ausführliches Actionfinale.

Umso stärker werden hingegen die inneren Konflikte der Protagonisten pointiert abgehandelt: Zwar sind Gewissensbisse, ob zum Zombie mutierte Freunde und Verwandte getötet werden sollen, ein wiederkehrendes Element dieses Genres, allerdings wissen Zyniker sehr wohl, dass das Zaudern vieler Zombiefilmhelden unsinnig ist. Oft genug darf man ausrufen: „Das ist nicht mehr [Name], sondern nur noch ein blutrünstiges Monster, jetzt schieß!“ In Rammbock ist ein friedlicher Umgang mit den Zombies hingegen in Maßen gerechtfertigt, denn eine Radiodurchsage behauptet, dass der Blutdurst dieser Wesen nur bei Adrenalinschüben geweckt wird – und dass nach wenigen Tagen Ruhe die Infektion mit dem Zombievirus wieder abklingt. Somit wird im Kampf mit den Zombies von den Rammbock-Helden deutlich mehr Taktik abverlangt als von den Protagonisten anderer Filme, die ihr Gewissen einfach abschalten könnten. Dessen ungeachtet kommt es in Rammbock genregemäß zu Gewaltspitzen, die allesamt sehr effektiv ausfallen: Die Effekte sind herausragend, erst recht angesichts des geringen Budgets dieses Films – sowohl die wenigen, präzise eingesetzten Splattereffekte als auch das Zombie-Make-up sind sehr überzeugend, generell hat Rammbock eine gelungene Bildsprache. Kren und sein Kameramann Moritz Schultheiß setzen auf eine von Farbe freigewaschene, dreckig-ausgebleichte Bildästhetik, vor allem die Szenen im Innenhof setzen zudem auf flackerndes Licht, das Erinnerungen an die Bildqualität abgenutzter Filmkopien erinnert – all dies, ohne so sehr zu übertreiben, dass es ins Parodistische kippt.

Zu guter Letzt ist die obligatorische, romantisch begründete Motivation der Hauptfigur Michael nachvollziehbar und frei von Kitsch: Michaels Zuneigung zu Gabi wird klar so dargestellt, dass der nervöse Single angesichts der apokalyptischen Umstände Selbsttäuschung betreibt. Die Vorstellung, dass sie zueinander finden werden, ist das einzige, woran er sich in der ihn überfordernden Situation festzuhalten weiß. Im Laufe der einstündigen Story macht Michael trotzdem plausible Stimmungsschwankungen durch, ist mal manischer, mal niedergeschlagen – womit er diesem Spannungsfilm auch eine menschlich-emotionale Note verlieht.

Donnerstag, 20. Oktober 2016

The Neon Demon



Derart elegant, dass es unnatürlich ist. So schön, dass es weh tut. Dermaßen beeindruckend an der Oberfläche, dass alles hinter der Fassade einfach nicht mithalten kann. Das ist The Neon Demon. Doch das neue Filmerlebnis des Drive-Regisseurs Nicolas Winding Refn hat die ideale Ausrede, weshalb es so ist, wie es nun einmal ist. Denn die Viel-Style-/Verdorbene-Auswüchse-/Kaum-Substanz-Neonfarborgie ist, was sie mit campigen Vergnügen zerfleischt: Der dänische Leinwandprovokateur nimmt in diesem Rausch aus stylischen Bildern und elektrisierender Musik das Wesen auf, das gemeinhin dem Modelgeschäft zugeschrieben wird. Er kocht es hoch. Versetzt es mit dubiosen synthetischen Stoffen und verabreicht es seinem Publikum mit der Nadel direkt in den Blutkreislauf. The Neon Demon ist der groteske Zerrspiegel der Welt der Schönen und Arroganten – und daher ist es absurderweise ein Geniestreich, dass hinter diesem atemberaubenden Anblick wenig Köpfchen, wohl aber niederschmetternd-garstige Entwicklungen warten.

Eine nennenswerte Handlung haben sich das Enfant terrible Refn und seine Ko-Autorinnen Mary Laws & Polly Stenham konsequenter gleich gespart. Stattdessen ergibt ihre wahnhafte Verschmelzung aus Thriller, Drama und bulimischer Satire (sehr bissig, jedoch bleiben nach der Sichtung kaum Nährstoffe über) ein episodenhaftes Branchenpsychogramm. Bloß, dass sich Refn herzlich wenig für eine realistische Betrachtung mit Bodenhaftung interessiert. In zielstrebig-stereotypisierter Modelmanier ist die in The Neon Demon gelieferte Skizze dessen, wie die Modelszene tickt, überzogen, hysterisch, divenhaft-überdramatisierend und mitunter schlecht informiert. Ein Mimosen-Soziopathogramm, sozusagen. Nur, dass es wahrhaftig nicht für Mimosen gemacht ist.

Denn schon im Vorspann gleicht die Instrumentalmusik des Refn-Dauerkollaborateurs Cliff Martinez einem akustischen Damoklesschwert: Den eiskalt pulsierenden Beats haftet in ihrem perfektionistischen Vorwärtsdrang etwas Bedrohliches an. Wenn Protagonistin Jesse (Super 8-Entdeckung Elle Fanning) daraufhin regungslos und blutüberströmt wie der feuchte Lolita-Traum eines makabren Fashionista daliegt, setzt Refn auch visuell ein prophetisches Statement: Gut können die nachfolgenden Filmminuten nicht ausgehen. Blut dürfte fließen, sei es Jesses, oder sei es, dass sie im Blut anderer baden wird. Denn niemand kann ein menschgewordenes Reh-im-Scheinwerferlicht mit großen Modelambitionen nach Los Angeles entlassen und erwarten, dass sich nichts Boshaftes tut.


So theatralisch die Dialoge sein mögen und so sprunghaft die charakterliche Entwicklung, die Jesse vollzieht: Refn muss angerechnet werden, dass er es lange offen lässt, wohin es ihn und seine Figuren letztlich treibt. Dies ist auch zu großen Teilen Elle Fanning zu verdanken, die vor allem in den zahlreichen wortlosen Dialogen eine zwiespältige Lesart ihrer Modelnewcomerin gestattet. Zart genug, mit solch träumerisch-unschuldigen Augen, dass dies eine „Die Schattenwelt des Modebusiness wird sie ohne Gegenwehr zerstören“-Parabel werden könnte. Oder doch verschlagen genug und über-ihr-Alter-hinaus-verführerisch, um anzudeuten, dass innere Dämonen in ihr schlummern, die ihr schales, borniertes Umfeld das Fürchten lehren werden?

Während Fanning dieser Dualität zum Trotz durchweg wahrhaftig und gerade heraus spielt, verstärkt Die Tribute von Panem: Catching Fire-Kämpferin Jena Malone den skurril-neckischen Unterton in Refns Klischees genüsslich verschlingender Regiearbeit. Mit kess-verschmitztem Grinsen gibt sie die erfahrene und etwas selbstgefällige Make-up-Künstlerin Ruby, die immer wieder in platonischen Worten betont, Jesse halt sympathisch zu finden und sie daher zu unterstützen. Dabei trägt Malone gestisch in ihrer Performance unverhohlen-versiert dick auf, dass nur noch ein Augenzwinkern gen Kamera fehlen würde – Ruby ist heiß auf Jesse, und sie gefällt sich darin, das Rehkitz anzugeifern. Die weiteren Nebendarsteller drapiert Refn irgendwo auf einer Skala von Fanning bis Malone: Christina Hendricks mimt würdevoll-stringent die Karikatur einer Modeagentin, Love 3D-Macho Karl Glusman macht recht strikt einen auf blauäugigen Möchtegernlover, Keanu Reeves spielt auf verlorene Weise ein schmieriges Arschloch, Bella Heathcote und Abbey Lee bestechen als pathetische Ultrazicken, die zu gleichen Teilen einer Switch reloaded-Parodie von GNTM und einem Black Swan-artigen Psychothriller entflohen sein könnten.


Refn lässt diese Figuren aneinander rasseln, hinterfotzig-freundschaftlich interagieren und zuweilen auch modisch-hochnäsig nebeneinander vorbeilaufen, wodurch sich galleartig-gemeine (und erkenntnislose) Seitenhiebe sowie aufreibende Suspensesequenzen entwickeln. Teils bauen diese Momente aufeinander auf, etwa wenn sich Rubys und Jesses Beziehung verkompliziert, teils stehen sie auch völlig für sich – wie eine narrativ ins Leere führende, als thematischer Wegweiser interpretierbare Passage über einen Eindringling in Jesses Unterkunft. Atmosphärisch schreitet diese von Kamerafrau Natasha Braier meisterlich in sadistisch phosphoreszierende Farben gehüllte Exploitation-Farce jedoch konsequent ins Extreme: Erin Benachs schmucke Kostümarbeit wird exzentrischer und exzentrischer (sofern die Figuren überhaupt noch Kleidung tragen). Die Monologe werden bedeutungsschwanger (ohne zwangsweise an Aussagekraft zuzulegen – nennt man das dann bedeutungstodgeburtsartig?). Aus ästhetisch-geschmackvollen Abweichungen von der sexuellen Norm (noch im ersten Akt bestaunt Jesse einen im Stroboskoplicht ertrinkenden Bondageakt) werden entfesselte Perversionen. Und ja, Blut wird fließen, als wäre Flut im Roten Meer.

Begleitet durch einen der besten Soundtracks der Dekade orchestriert Refn The Neon Demon gewissermaßen als wenig zärtliche, humorvollere Ecstasy-Junkie-Cousine von Jonathan Glazers Under the Skin: Ein paar Gehirnzellen mag sich Refns Werk weggeätzt haben, aber es teilt sich mit Under the Skin den Sinn für einfallsreiche Bilder und den originellen Blick auf die Waffen der Frau.

Fazit: Kunterbunt, superstylisch und bitter-abgeschmackt: The Neon Demon ist ein geil klingender, fieser Trip ins Es der Modelwelt.

Montag, 17. Oktober 2016

Stolz und Vorurteil & Zombies

England im Jahre 1811. Im Hause von Mrs. Bennet ist die Luft dick, immerhin müssen ihre fünf Töchter unter die Haube gebracht werden – wobei sich manche von ihnen bereitwilliger präsentieren lassen als andere. Vor allem Liz (Lily James) ist in ihrer Haltung potentiellen Verehrern gegenüber arg widerspenstig. Sowohl den raubeinigen Kämpfer Mr. Darcy (Sam Riley) als auch den ebenso charmanten wie störrischen Mr. Wickham (Jack Huston) weiß Liz zu frustrieren: Im einen Moment gibt sie sich ihnen gegenüber von ihrer galanten Seite, im nächsten stößt sie ihnen mit ihrem Eigensinn vor den Kopf.

Und diese Probleme stellen noch das geringste Übel dar, mit dem es die Bennets zu tun haben – schließlich wird England seit Jahren von einer Zombie-Epidemie heimgesucht, deren Auswirkungen schlimmer und schlimmer werden …

Der Clash
Es bieten sich zwei Wege an, auf denen sich Seth Grahame-Smiths Bestseller von 2009, in dem er Jane Austens Klassiker Stolz und Vorurteil um Zombies bereichert, für die Leinwand adaptieren lässt. Option a): Die Variante des radikalen Stilclashs – in der einen Sequenz nüchterne, originalgetreue Jane-Austen-Verfilmung, in der nächsten reißerischer Zombieslasher. Diesen Weg geht die 28-Millionen-Dollar-Produktion jedoch nur sporadisch. Etwa in der Introsequenz, in der Mr. Darcy, hier ein von Sam Riley mit knarzender Stimme und schroffem Charme ultracool verkörpert Zombiejäger, auf einer zurückhaltenden Teegesellschaft einen Untoten ausfindig macht. Regisseur Burr Steers (17 Again – Back to High School) erfüllt diese Szene mit horrorfilmartiger Anspannung, lässt die Kamera durch den Raum geistern, fängt die nervösen Gesichter der Anwesenden in Nahaufnahme ein, bis sich die Lage im obligatorischen Schock- und Metzeleffekt entlädt. Einen selbstironischen, stylischen Vorspann später hält sich Steers, der auch das Drehbuch verfasst hat, dagegen erstmal im konventionellen Bereich des Kostümdramas auf, mit Landschaftsaufnahmen, Schwenks durch prachtvoll eingerichtete Anwesen und höflich vorgetragenen Zwistigkeiten zwischen gut situiert Figuren.

Ein weiteres humorvolles Aufeinanderprallen des Zombiefilms und der Austen-Adaption erfolgt bei einem abendlichen Empfang: Im romantischen Kerzenschein zeigt sich Liz, die Downton Abbey-Star Lily James in den ernsten Szenen mit kesser Eleganz und in den albernen Szenen mit eleganter Keckheit spielt, von ihrer widerborstigen Seite. Mr. Darcy beobachtet dieses Schauspiel, als die Zombies über das gesellschaftliche Ereignis einfallen – und die in ihren Empire-Kleidern gehüllten Damen zücken mit stoischer, unberührter Miene ihre Waffen, um in Zeitlupe gelassen die Angreifer abzuschlachten. Während Mr. Darcy in feinster Hochsprache eine Lobpreisung auf Liz ausspricht.

Solche pointierten Diskrepanzen zwischen Geschehen und Aktion lässt Stolz und Vorurteil & Zombies daraufhin missen, erst im letzten Viertel unterbricht der Kampf gegen die drohende Zombieapokalypse das sich zuspitzende Romantikdrama. Doch Steers gehen in dieser finalen Passage die inszenatorischen Ideen aus, die Kämpfe wirken steif und ein Gros der Zombieeffekte (die zumeist löblicherweise praktisch umgesetzt sind) ist längst nicht mehr so makaber-detailfreudig wie in der ersten Hälfte. Darüber hinaus offenbaren die konstanten halbnahen Aufnahmen die Budgetbeschränkungen des Films – lassen sich doch dadurch, dass nur wenig des die Protagonisten umgebenden Schlachtfeldes zu sehen ist, Statisten, Kostüme, Requisiten und Effekte einsparen.

Die Fusion
Im Mittelteil ist Stolz und Vorurteil & Zombies hauptsächlich eine Fusion aus Kostümdrama und Zombiefilm: Es entwickelt sich die klassische Jane-Austen-Handlung, bloß dass im Hintergrund die Zombieplage stattfindet und daher junge Damen eine Ausbildung in asiatischer Kampfkunst erhalten und noch etwas selbstständiger sind als in der Vorlage. Steers setzt diese Verschmelzung zweier Genres trocken und ohne überdeutliche Augenzwinkerei um, verzichtet aber auch darauf, die Zombies als Bedrohung spürbar zu machen. Sie sind für weite Strecken einfach Sand im Getriebe der Liebesverwicklungen – was zwar einen spröd-humoristischen Charme hat, aber angesichts der zahmen Horrorelemente auch von wenig Mut zeugt.

Die Verschmelzung aus Vorlage und hinzugedichteten Elementen geht daher am besten auf, wenn Steers das neu erschaffene England des 19. Jahrhunderts weiterdenkt und den in der Austen-Vorlage eloquenten, lauten Streit, der sich bei einem misslungenen Antrag zwischen Liz und Mr. Darcy entwickelt, auf Mr. & Mrs. Smith-Niveau hebt. Logisch, dass Frauen, die mit Zombies umzugehen wissen, nicht nur verbal austeilen – und ulkig ist der Anblick aufgrund der entstehenden Dichotomie ebenfalls.

Das Ergebnis
Stolz und Vorurteil & Zombies ist als abgefahrene Literaturadaption leider ziemlich inkonsequent. Phasenweise ist es ein abgedrehtes Hin-und-Her-Springen zwischen zwei gänzlich unterschiedlichen Stühlen, manchmal ruht der Film auf einem originellen Stuhl. Zumeist trifft aber weder das eine, noch das andere zu – und in einem Raum mit drei leeren Stühlen auf dem staubigen Boden zu sitzen, macht halt nicht sonderlich viel Spaß. Steers‘ Regieführung ist solide, aber arm an Charakter, was sowohl das Humorpotential als auch die mögliche Intensität der Geschichte beschneidet.

Fazit: Burr Steers Adaption des verrückten Parodieromans Stolz und Vorurteil & Zombies übersetzt den Reiz der Vorlage pflichtgetreu, aber ambitionslos für die Leinwand. Dank der fähigen, engagierten Darsteller werden Freunde dieser schrägen Grundidee ausreichend bespaßt – trotzdem bleibt das bedauerliche Gefühl, dass so viel mehr drin gewesen wäre.

Sonntag, 16. Oktober 2016

Green Room


Der unabhängige Autorenfilmer Jeremy Saulnier begann seine in Kritikerkreisen begeistert verfolgte Karriere mit der kurzen, knackigen Horrorkomödie Murder Party. Seinen Durchbruch hatte Saulnier bald darauf mit Blue Ruin, einem herben Stück Suspensekino, durch das sich eine leichten Note rabenschwarzer Komik zieht. Nun, nach der blauen Ruine, folgt für Saulnier der sogenannte Green Room, jene Rückzugsstätte, die auftretenden Künstlern hinter den Kulissen ihrer Spielstätten geboten wird. In diesem 95-minütigen Slasherthriller wartet auf eine Truppe Punks allerdings nicht etwa ein Kasten kühles Bier, sondern eine beängstigende Gefahrensituation: Eine Gruppe Skinheads hat es auf sie abgesehen. Was sich unter Saulniers stringenter Regieführung aus dieser Situation entwickelt, ist weit mehr als ein konventioneller Slasher, der mit Metzeleffekten die Frage „Wer stirbt als nächstes?“ stellt. Der 1977 geborene Filmemacher erschafft mit präziser Hand einen hochspannenden, finsteren Exploitationfilm, der frei von Ironie ist.

Die kleine, sich ganz anachronistisch gegen Webmarketing wehrende Punkband The Ain't Rights hat sich mit ihren Grundsätzen an den Rand des Ruins gesteuert. Als sie sich mit den letzten Litern Benzin in den Nordwesten der USA aufmacht, und ihr der dort versprochene Gig wegbricht, gehen die Bandfinanzen endgültig zu Grunde. Völlig verzweifelt nehmen Gitarrist Pat (Anton Yelchin) und Co. daher das Angebot an, in einer fragwürdigen Kaschemme aufzutreten – selbst wenn sie gewarnt werden, dass dort die rechte Szene stark vertreten ist. Und diese Warnung war sogar noch untertrieben … Dennoch provozieren die Musiker ihr Publikum mit dem Protestklassiker „Nazi Punks Fuck Off“ der Dead Kennedys. Vor dem dummen rechten Pack haben sie ja nichts zu befürchten, von ein paar Flaschen, die gen Bühne geschleudert werden, mal abgesehen … Denken die Punks zumindest! Als Gitarristin Sam (Alia Shawkat) aber eilig in die Umkleide zurückkehrt, stolpert sie prompt in einen blutigen Tatort. Da die Veranstalter unmöglich rebellierende Punks davonziehen lassen können, die zudem noch einen Mord bezeugen können, sperren sie The Ain’t Rights in den Green Room und rufen Barbesitzer Darcy Banker (Patrick Stewart), damit er einen Weg findet, das Problem zu beseitigen …

Saulnier eröffnet sein Beinahe-Kammerspiel mit einer vergleichsweise ausführlichen Vorstellung der Punks: Sie kurven durchs Land, haben eine Panne, treffen sich mit einem unfähigen Veranstalter, haben einen lachhaften Auftritt und erhalten dann endlich ihren schicksalshaften Gig. Diesen Hinweg bestückt der Autorenfilmer mit allerlei sprödem Witz: Jeder, der schon einmal mit Mitgliedern einer kleinen Band gesprochen hat, wird erkennen, wie viel pointierte Wahrheit im Geplänkel und Gezanke dieser Musikgruppe steckt. Und auch der oberpeinliche Mini-Gig der The Ain't Rights verleiht dem insgesamt etwas schwunglosen Einstieg launigen Humor, der daraufhin schrittweise eingedämmt wird, bis er bloß noch in Form von vereinzelten Galgenhumor-Kommentaren der Protagonisten übrig bleibt.

Was dafür nach dem Protestauftritt der Punks rapide zunimmt, ist der Aspekt der Suspense: So leichtsinnig die Helden mit ihrem Anti-Nazisong auch gehandelt haben mögen, sobald sie sprichwörtlich mit dem Rücken zur Wand stehen, handeln sie wesentlich smarter als handelsübliche Slasheropfer – ohne aber plötzlich zu raffinierten Kampfstrategen zu mutieren. Die Schauspieler verkörpern glaubwürdig die Panik ihrer Figuren, verleihen ihnen aber zugleich eine für Erdung sorgende Entschlossenheit sowie Überlebenswillen. Saulier lässt seine Helden, denen er mit der einer anderen Band zugehörigen, unberechenbaren sowie kernigen Amber (stark: Imogen Poots) eine Art Joker zur Seite stellt, mal fruchtende, mal nahe liegende, doch dumme Entscheidungen treffen. Die Skinheads gehen wiederum zwar erwartungsgemäß blutrünstig vor, beweisen unter der Führung Bankers aber auch ein beängstigendes Gespür für Strategie und Vorsicht. Somit kreiert Saulier eine Dynamik, die es nahezu unvorhersehbar macht, welche der beiden Parteien wann und wie die Überhand gewinnt.

Dazu trägt auch die knallharte Gewalt bei, die Saulier stets in Form harscher, schockierender Eskalationen zeigt, statt sie in ausschweifenden, sich an der beachtlichen Effektarbeit ergötzenden Splatterszenen zu verwirklichen. Von zerbissenen Kehlen über eine arg angeknackste Hand hin zu Gedärmen und heftigen Schusswunden: Green Room ist wahrlich kein Film für zimperliche Filmfreunde, zumal die Gewaltspitzen dank Julia Blochs messerscharfem Schnitt die Dramatik der sich auf der Leinwand abspielenden Situationen mit Nachdruck verstärken. Eingebettet in das superdreckige Bühnenbild (verantwortet von Ryan Warren Smith) steigert sich das dramaturgisch ausgeglichene Katz-und-Maus-Spiel zu einem launenhaften sowie einfallsreichen Finale, auf das Saulier auch gar nicht erst einen schwafeligen Epilog folgen lässt, womit Green Room praktisch auf dem Höhepunkt endet.

Fazit: Auch wenn der Beginn einen Takt schneller erfolgen dürfte, ist Green Room letztlich ein schnörkelloser, packender Slasherthriller, der weder bei der Gewaltdarstellung Kompromisse macht, noch beim ausgefeilten Vorgehen seiner Figuren.

Diese Rezension erschien zuerst bei Quotenmeter.de

Samstag, 15. Oktober 2016

Blair Witch


Ganz gleich, wie sehr manche 1999 vom Hype mitgenommen wurden und sich andere entnervt abgewendet haben: Es steht wohl außer Frage, dass Blair Witch Project nicht nur ein ungeheuerlich einträglicher, sondern auch immens einflussreicher Horrorfilm ist, der einen zu seiner Zeit recht originellen Ansatz verfolgt hat. Die in grobkörnigen Bildern eingefangene, als in der Wildnis entdecktes Film-Rohmaterial ausgegebene Geschichte über Studenten, die sich in einem schaurigen Wald verlaufen haben, arbeitet primär durch psychologische Tricks: Man sieht überhaupt nichts, das in einem anderen Kontext angsteinflößend wäre. Es gibt zwar eine Tonspur mit rätselhaften Klängen, aber keine unentwegten Lautstärkesprünge, die als Schreckmomente dienen sollen. Durch Assoziation, Andeutungen und dichtes Storytelling weiß Blair Witch Project in seinen Bann zu ziehen und zu beklemmen - so lange man sich auf die Handlung einlässt. Anderweitig ist es ein keinerlei Schrecken zeigender Wust aus wackligen Bildern. Anders gesagt: Blair Witch Project ist ein Beispiel von Horrorerzählkunst, die auf aufschreckende Ton- und eklige Bildeffekte verzichtet.

Bereits ein Jahr nach dem Sensationserfolg von Blair Witch Project kam mit Book of Shadows: Blair Witch 2 ein nicht als Found-Footage-Film gehaltenes, gemeinhin verrissenes Sequel in die Kinos, das hauptsächlich daher nennenswert ist, weil es eine Zeitkapsel der frühen 2000er darstellt. Als Sehvergnügen würde diesen wirren Film kaum jemand bezeichnen. Nun, 16 Jahre später, geht die Geschichte weiter. Book of Shadows wird von Drehbuchautor Simon Barrett und Regisseur Adam Wingard geflissentlich ignoriert, stattdessen versteht sich ihr Blair Witch als inhaltlich direkte, zeitlich aber in Echtzeit fortgeschrittene Weitererzählung des Originals. Klingt verwirrend? Ist es aber nicht - verwirrend wird Blair Witch erst gegen Ende.

James Donahue (James Allen McCune), der jüngere Bruder der Blair Witch Project-Protagonistin Heather, ist felsenfest davon überzeugt, dass seine Schwester noch immer lebt und irgendwo im Wald nahe Burkittsville, Maryland umherirrt. Eine im Internet aufgetauchte Videoaufnahme, die dort entstanden sein soll und eine verletzte, panische Frau zeigt, bestärkt ihn in seinem Glauben. Zusammen mit seinen Bekannten Peter Jones (Brandon Scott), Ashley Bennett (Corbin Reid) und Lisa Arlington (Callie Hernandez) beschließt er daher, sich nach Burkittsville aufzumachen und Heather zu suchen. Filmstudentin Lisa stattet sich selbst und die drei weiteren Mitglieder dieser Reisegruppe mit modernem Kameraequipment aus, so dass sie die Ereignisse rund um James' Suche nach Heather in einer Dokumentation festhalten zu können. Weitere Unterstützung erhalten sie durch die Teenager Talia (Valorie Curry) und Lane (Wes Robinson), die behaupten, das Internetvideo, das möglicherweise Heather zeigt, entdeckt zu haben. Doch mitten im angeblich verwunschenen Wald angelangt, kommt es nicht nur zu schaurigen Situationen, sondern auch zum Streit innerhalb der Gruppe ... 

Blair Witch hat mit Book of Shadows gemeinsam, dass beiden Filmen ein nahe liegendes Storykonzept zugrunde liegt: Der Misserfolg aus dem Jahr 2000 handelte davon, dass die Protagonisten beweisen wollen, dass der sich als real ausgebende, doch letztlich fiktionale Blair Witch Project sehr wohl wahr ist. Ein angesichts des im Vorjahr gegebenen Hypes cleverer Schachzug, aus dem nur leider nichts von Wert gemacht wurde. Blair Witch wiederum geht die ebenfalls plausible Route, davon zu erzählen, dass Hinterbliebene nach den verschollenen Personen aus dem Erstling suchen. Und anders als das Book of Shadows-Autorenquartett Dick Beebe, Joe Berlinger, Daniel Myrick & Eduardo Sánchez weiß Drehbuchautor Simon Barrett (The Guest) seine Idee wenigstens über weite Strecken stringent auszuarbeiten.

Die Figuren sind zwar längst nicht so klipp und klar skizziert wie die aus jüngeren Genreerfolgen wie Don't Breathe oder den Conjuring-Filmen, allerdings auch längst nicht solche Nervensägen wie die Helden aus solchen Found-Footage-Kinostarts der jüngeren Vergangenheit wie The Pyramid oder The Gallows. Stattdessen finden sie sich auf einem mittleren Horrorprotagonisten-Level wieder: Sympathisch genug, dass der Filmeinstieg, bevor für die Helden alles den Bach runter geht, angenehm gerät, aber nicht so markant, dass sie in Erinnerung bleiben würden. Leider ist vor allem James Allen McCunes Figur schwach charakterisiert, obwohl seine Rolle der Handlungsmotor ist. Brandon Scott wiederum ist als Angsthase Peter zwar szenenweise nah am Horrorklischee des verschreckten Schwarzen, doch durch einen natürlich wirkenden, statt slapstickhaften Humor gewinnt Peter genügend an Kontur, um nicht völlig Stereotyp zu sein. Corbin Reids Ashley indes bleibt weniger ob ihrer Persönlichkeit in Erinnerung, sondern eher aufgrund der nie überbordenden, und daher erst recht so unter die Haut gehenden Widerlichkeiten, die sich die Filmemacher für diese Figur haben einfallen lassen.

Callie Hernandez (Nebendarstellerin in diversen Robert-Rodriguez-Projekten) alias Lisa dagegen erweist sich als Besitzerin solider Schultern, auf denen diese gruselige Waldwanderung ruht. Sie darf zwar kaum mehr machen als sich mit Weggefährten zanken, Panik schieben und verängstigt durchs Bild rennen, wie aber unzählige andere Horrorfilme vorführten, können Mimen auch diese Aufgabe verhauen. Hernandez dagegen wirkt stets so, als würde sie die Schrecken ihrer Figur tatsächlich durchmachen. Auch Valorie Curry und Wes Robinson überzeugen als Geheimnisse mit sich bringendes, streitbares Paar: Robinson kommt ebenso jämmerlich wie potentiell gefährlich rüber, während Curry mit dezentem Goth-Chic und kleinlautem Auftreten die Dynamik der Gruppe reizvoll ändert.

Eingefangen wird das Geschehen in einer gelungenen Aktualisierung des Stils im Original: Wingard setzt auf einen eklektischen Mix aus modernen Mini-Digitalkameras, Dronenaufnahmen und altmodischen Camcordern. Durch die verschiedenen Blickwinkel und Bildauflösungen, die diese Kameras ermöglichen, bleibt Blair Witch durchweg der Found-Footage-Prämisse treu, erreicht dennoch eine hohe visuelle Vielfalt, was auch der Spannung entgegenwirkt: Eine ans Ohr geclippte Kamera lässt das Publikum Dinge sehen (und eben nicht sehen, da sie außerhalb des Sichtbereichs sind) als etwa eine von Hand geführte Digitalkamera. Lästig ist derweil, dass Wingard die angespannte Atmosphäre des Films forciert und ungalant dadurch intensiviert, dass das Rauschen, Rascheln und Gegen-das-Mikrofon-Klopfen, das beim Ein- und Ausschalten sowie Abnehmen und Aufsetzen der Kameras entsteht, in einer das Trommelfell attackierenden Lautstärke abgespielt wird. Das sind zwar keine akustischen Jump Scares im klassischen Sinne, trotzdem ist es ein schäbiger inszenatorischer Trick, wenn alle paar Minuten durch solche Knistersounds an den Nerven der Zuschauer gespielt wird. Zumal die Tonspur von Blair Witch eh schon aufregend genug ist: Im Blair-Witch-Wald warten andauernd plötzliche Lärmattacken, unmöglich zuzuordnendes Geraschel und ein stetes Knacksen im herbstlichen Geäst.

Wingard orchestriert diese bedrohliche Geräuschkulisse und die rasch eskalierenden, seltsamen Ereignisse im Wald ohne große Innovation, aber mit routiniert-fähiger Hand. Anders als Blair Witch Project verzichtet Blair Witch darauf, vage zu bleiben: Lassen sich die Vorkommnisse im Original sowohl weltlich als auch übernatürlich erklären, geht die Fortsetzung ab einem erschütternden Todesfall, den Wingard raffiniert und ohne CG-Effekt in Szene setzt, großen und eiligen Schrittes ins Land des Unerklärlichen. Dies steigert sich in eine die Fähigkeiten der Blair Witch völlig neu darstellende Wendung, die jedoch auch zahlreiche Logikfragen aufwirft, die sich mit allerlei Kopfzerbrechen vielleicht schlüssig beantworten lassen. Da aber Wingard und Barrett das Publikum 1:1 in die Lage der vier zu Beginn eingeführten Figuren versetzen, und diese niemals mit Erklärungen konfrontiert werden, sind alle etwaigen runden Erklärungen reine Mutmaßungen. Genauso gut lässt sich Blair Witch also auch als Logikchaos abstempeln - je nachdem, wie viel Wohlwollen man so mitbringt.

Ein kleiner Bonus existiert in Blair Witch zudem in Form zahlreicher Der Zauberer von Oz-Referenzen, etwa in Form von Schildern und Plakaten im Bildhintergrund. Darüber hinaus erschaffen Kostümdetails Parallelen zwischen den Figuren beider Geschichten - diese Rückverweise sind aber nur Easter Eggs, es gelingt ihnen also nicht, Blair Witch neuen Sinn zu verleihen. Alles in allem ist Blair Witch ein sehr traditioneller Found-Footage-Horror mit einigen packenden Setpieces und soliden Figuren, der aber durch seinen durchwachsenen Twist und ein Übermaß an schalen Ton-Schreckeffekten lange nicht an den Erstling heranreicht.

Donnerstag, 13. Oktober 2016

Don't Breathe


Willkommen im Club der Regisseure, denen ein gesteigertes Augenmerk zuteil zu kommen hat: Nach seinem auf brachial-erfreuliche Weise ultrabrutalen Evil Dead-Remake, das sich in einer wilden Orgie an praktischen Splattereffekten suhlt, geht Regisseur Fede Alvarez in exakt die entgegengesetzte Richtung. Sein Thriller mit Horrorelementen Don't Breathe ist ein kleiner, schlanker Originalstoff, bei dem nicht Blut und offensives Grauen im Zentrum stehen, sondern eine spannungsreiche, figurengesteuerte Aufeinanderfolge clever konstruierter Szenen. Und trotz des kompletten Stilwechsels innerhalb des Genres hält Alvarez das hohe Level an filmischem Esprit und nervenaufreibender Inszenierung aufrecht. Zwei Filme, zwei Volltreffer. Gratulation!

Nicht nur qualitativ, sondern auch auf der produktionstechnischen Seite gibt es Gemeinsamkeiten zwischen Alvarez so grundverschieden auftretenden Horrorwerken. Das Drehbuch stammt von Alvarez und seinem Schreibpartner Rodo Sayagues, die effektive, wenngleich nicht sehr eingängige Musik von Roque Baños, Sam Raimi zählt zu den Produzenten, und die Hauptrolle ging an Suburgatory-Darstellerin Jane Levy – die nach ihrer guten Darbietung in Evil Dead nun ihre bislang magnetischste Performance abliefert: Sie spielt die Kleinkriminelle Rocky, die gemeinsam mit ihrem festen Freund Money (Daniel Zovatto) und ihrem guten Kumpel Alex (Dylan Minnette, Die Coopers - Schlimmer geht immer) Einbrüche begeht. Dabei verfolgen sie streng einen Kodex, der sie davor bewahrt, einen schweren Tatbestand zu erfüllen. Das durch den Weiterverkauf der gestohlenen Ware erbeutete Geld soll Rocky helfen, gemeinsam mit ihrer kleinen Schwester aus dem verrottenden Detroit und vor ihrer versoffenen, räudigen Mutter zu fliehen.

Als Money den Tipp erhält, dass in einer verlassenen Straße ein alter, einsamer Army-Veteran (enorm bedrohlich: Stephen Lang) lebt, der bei sich einen sechsstelligen Geldbetrag gehortet hat. Dieser wurde ihm als Entschädigung für den Unfalltod seiner Tochter ausgehändigt. Das Trio plant, bei dem sich als blind herausstellenden Mann einzubrechen, stellt während des Versuchs jedoch fest, dass dieser sein Haus in ungewöhnlichem Maße abgesichert hat. Als es ihnen dennoch gelingt, einzusteigen, dauert es aber nicht lange, bis die Situation eskaliert: Money ist bewaffnet, was Alex aus Furcht vor etwaigen rechtlichen Konsequenzen in die Flucht schlägt. Und der Blinde? Der ist kein derart leicht ausgetrickstes Opfer, wie es Rocky lieb wäre ...

Levy spielt Rocky, ohne dabei in stereotype Manierismen zu fallen, als Rebellin mit Herz: Sie hat einen schroffen Charme, eine verletzliche Seite und eine fürsorgliche Ader, womit sie die ideale Protagonistin für diese Story ist. Es ist überaus glaubwürdig, dass jemand wie Rocky sich nicht anders zu helfen weiß, als kleinkriminell zu werden, und auch wenn man es nicht gutheißen mag, so fiebert man noch immer mit ihr mit. Zovatto ist neben ihr in seiner Gangsterattitüde durchaus etwas überzeichnet, während Minnette als schüchterner Mitläufer, der sich aber auch durchzubeißen weiß, zwar dem Film keinen Stempel aufdrückt, aber positiv auffällt. Heimlicher Star von Don't Breathe ist aber die Kameraarbeit von Pedro Luque: Ganz gleich, ob sie frei durch das vergammelte Haus schwebt und so vorsorglich ein Gefühl für den Aufbau des Ortes erschafft, was in späteren Szenen dem Spannungsaufbau zugute kommt, oder ob sie sachte, dezent bedrohlich in Nachtsichtaufnahmen an die Helden heranfährt, während diese durchs Dunkle tappen ... Die Kamera ist fast schon eine eigene Figur in diesem Thriller, bei dem Alvarez auf Jump-Scare-Soundeffekte verzichtet und sich mehr darauf beruht, schlicht packende Situationen zu kreieren. Werden die ertappten Einbrecher auf Schutt treten und so ihren Standort verraten? Rennen diebischer Held und brutal-wehrhaftes Opfer im Dunkeln unwissend ineinander? Wird eine Lage brutal enden oder wird sich jemand durch kluge Einfälle retten?

Mit punktgenauer Schnittarbeit verpackt Alvarez in seinem knackig erzählten Zweitling auch manche der etwas haarsträubenderen Wendungen so, dass sie als bitter-zynische Wende rüberkommen und daher eher einem den Atem stocken lassen, statt aus dem Film rauszureißen. Was Don't Breathe dafür braucht, ist einen laut aufgedrehten Ton: Der Soundmix gewinnt durch zahlreiche leise Knackser und Schritte sowie einen kaum hörbaren, sehr wohl aber spürbaren Bass in der Musikspur enorm an Spannung. Wer zuhause meint, die Lautstärke niedrig halten zu müssen oder sich in ein Kino verirrt, das dem Ton wenig Beachtung schenkt, verliert so einiges der Don't Breathe-Wirkkraft.

Fazit: Superspannend, enorm atmosphärisch und mit einer sehenswerten (Anti-)Heldin sowie einem schön bedrohlichem Fiesling: Don't Breathe ist schlicht, schlank, stark - einer der besten Suspensefilme der vergangenen Jahre!

Warcraft: The Beginning


Hypothetisch gesprochen gibt es keinen guten Grund dafür, dass der Gedanke einer Videospielverfilmung verpönt sein muss. Wenn sich aus Büchern (endlos viele Beispiele), Comicheften (sehr viele Beispiele), Themenparkattraktionen (die Pirates of the Caribbean-Saga) und Bauklötzen (The LEGO Movie) gute Filme spinnen lassen, dann auch aus Games. Unter anderem mit dem erfrischenden Abenteuer Prince of Persia: Der Sand der Zeit fanden bereits manch solide Videospieladaptionen den Weg auf die Leinwand – und trotzdem haftet ihnen weiterhin ein Stigma an. Und daran weiß auch Duncan Jones' Warcraft: The Beginning nichts zu ändern …

Während im unter anderem von Menschen und Zwergen bevölkerten Reich Azeroth seit vielen Jahren Frieden herrscht, geht die Ork-Heimatwelt Draenor allmählich zugrunde. Daher nutzen die Orks das Dunkle Portal, um ihrer sterbenden Heimat zu entfliehen. Doch während Teile der Horde, wie sich die Draenor-Vereinigung nennt, ihre neue Heimat erobern wollen, sehnt sich Häuptling Durotan (Toby Kebbell) nach einer Lösung, Draenor zu retten. Anduin Lothar (Travis Fimmel), Anführer der Allianz von Azeroth, steht derweil unter dem Druck, sein Reich zu beschützen und Gerechtigkeit für seine Familie einzufordern. Zwischen den Fronten steht das Halbblut Garona (Paula Patton), die das Beste aus beiden Welten kennenlernt, so dass sie sich aufmacht, die sich abzeichnende, ungeahnte Bedrohung aufzuhalten, die Orks und Menschen zerstören könnte …

Wenn sich Duncan Jones eines nicht vorwerfen lassen muss, dann, dass er schnurstracks in die Fußstapfen der bislang langlebigsten Reihe an Videospielverfilmungen tritt. Denn der unter Gaming-Freunden am häufigsten geäußerte Kritikpunkt an den Resident Evil-Filmen ist, dass die Adaptionen verschwindend geringe Parallelen zu den Spielen haben. Eben jene „Was schert mich die Vorlage?“-Attitüde, die Paul W.S. Anderson in seinen Action-Horror-Filmen an den Tag legt, ist dem Moon-Regisseur indes fremd. Nur übertrieben strenge Profi-Erbsenzähler werden im Warcraft-Film Anreize finden, ihn als Beleidigung des Blizzard-Franchises zu empfinden.

Dass eine werkgetreue Vorgehensweise allerdings nicht zwangsweise in einen sehenswerten Film mündet, führte in jüngster Vergangenheit unter anderem Fifty Shades of Grey vor. Doch während die SM-Romanze schlichtweg die Makel ihrer drögen Vorlage auf die Leinwand importiert, hat Duncan Jones eine reichhaltige, epochale Mythologie, aus der er schröpfen kann, um ein fesselndes Fantasyspektakel zu kreieren. Und tatsächlich: Das Spektakel ist in dieser 160-Millionen-Dollar-Produktion gegeben – nur das mit der Spannungskurve will angesichts des spröden, an unausgegorene B-Fantasyfilme wie Dungeons & Dragons erinnernden Skripts nicht funktionieren.

Es mag sein, dass zahlreiche Orte, Gegenstände, Rassen und Figuren aus dem Warcraft-Mythos im Film zu sehen sind, schlussendlich erzählt Jones aber bloß eine trockene „Zwei Welten prallen aufeinander und beide haben Friedensstifter sowie Kriegstreiber unter sich“-Story. Da wird viel von A nach B und von B nach C zurück nach A gereist, und obwohl sich ständig irgendetwas tut, so geschieht für lange Strecken des Films nichts von Relevanz – Peter Jacksons erster und dritter Hobbit-Film lassen grüßen. Und wie schon in den der Herr der Ringe-Saga weit unterlegenen Prequels, so wird auch hier die gebotene Mythologie des sich auf der Leinwand erbreitenden Universums lediglich gezeigt. Nicht aber zu einem eigenständigen Leben erweckt – abgesehen davon, dass Durotan in heimeligen Familiensituationen gezeigt wird, nimmt sich Warcraft: The Beginning nie die Zeit, Alltag zu zeigen. Fans mögen manchmal nickend das Geschehen als ihnen bekannt bestätigen, Neulinge werden aber mit den Schultern zuckend dasitzen: „Ja, Fantasy halt. Schmiedende Zwerge, Elfen mit spitzen Ohren, etwas Hokuspokus, kenne ich alles schon.“

So oder so mangelt es an Momenten, die das Besondere dieser Filmwelt vorführen – ähnlich, wie halt Der Hobbit mitunter nur eine neue Wandertour durch eine zuvor viel aufregender verwirklichte Welt war. Bloß, dass Jackson in seinen späteren Mittelerde-Filmen bereits auf den Schultern einer gelungenen Zelluloid-Trilogie stand. Und selbst in den Hobbit-Abenteuern wenigstens ein Gefühl für Geografie mit sich brachte: Diverse Weitaufnahmen und ausschweifende Kamerafahrten quer durch distinktive Landschaftsstriche erlaubten es dem Publikum, abzuschätzen, wo sich welche Figuren gerade befinden, zudem wurde so eine optische Abwechslung geboten. Warcraft: The Beginning-Kameramann Simon Duggan hingegen klebt für einen Großteil der Szenen den handelnden Figuren direkt vor dem Gesicht, so dass von den zuweilen arg ihre digitale Herkunft offenbaren Örtlichkeiten wenig zu sehen ist – und das Bisschen ist nicht unbedingt eintönig, vielseitig und einladend ist es aber auch nicht.

Während zumindest der Turm des Wächters Medivh (faserig im Spiel: Ben Foster) mit seinem hellen Marmor einen denkwürdigen Look aufweist, schindet das Produktionsdesign trotz vorlagentreuer Details bei Waffen und Rüstungen wenig Eindruck. Ob im Ork-Lager direkt auf seiner Seite des Dunklen Portals oder in König Llane Wrynns (solide: Dominic Cooper) Burg: Jones hält zu wenig auf die Eigenheiten des Warcraft-Universums drauf, um dessen Filmversion nicht als reinen Tolkien-Abklatsch dastehen zu lassen. Vom muskulösen, menschenähnlichen Ork-Design und der stylischen Gestaltung magischer Tätigkeiten natürlich abgesehen – wobei die Orks aller filigraner Computermimik zum Trotz in Ultranahaufnahmen und in direkter Interaktion mit den Menschen noch immer sehr künstlich aussehen. In diesen Belangen hätten dem Film mehr Zeit fürs Shading und die Bildkomposition nicht geschadet – selbst wenn der Gesamteindruck der Effekte durchaus imposant ist.

Doch angesichts der gebotenen Geschichte würden Warcraft: The Beginning selbst makellos verwirklichte Ork-Gesichtszüge nicht sonderlich helfen. Orkhäuptling Durotan hat kaum mehr Charakterzüge aufzuweisen, als dass er ein gutmütig-ehrenwerter Vater ist. Paula Pattons Halbblut ist (klischeehaft, aber plausibel dargeboten) von ihrem neuen Umfeld fasziniert. Und Khadgar (Ben Schnetzer) hat als unerfahrener, aber auch neugieriger Jungzauberer bereits die komplexeste Charakterisierung im Rücken. Somit ist Schnetzer, der auch die wenigen Lacher im Film auf seiner Seite hat, so etwas wie die Seele des Films, selbst wenn seine Suche nach der Ursache einiger Probleme in Azeroth fast so vorhersehbar ist wie die nach wenigen Filmminuten folgende Erkenntnis, dass der grimmig drein guckende, mit ungeheuerlicher Macht hantierende Ork Gul'dan (bedrohlich: Daniel Wu) wohl böse sein könnte.

Die zahlreichen Scharmützel zwischen Mensch und Ork lassen nicht nur wegen des sich laut tönend ankündigenden Ausgangs Suspense missen, auch die Kampfchoreografie lässt zu wünschen übrig, wenn nicht gerade ein Greif austeilt und für etwas Chaos im eiligen Hauen und Stechen sorgt. Es wäre vermessen, gleich solche Höhepunkte wie die Schlacht um Helms Klamm in Der Herr der Ringe: Die zwei Türme mit einfallsreichen Stunts, guter (digitaler wie praktischer) Effektarbeit, flotten Sprüchen und glaubwürdiger Figureninteraktion zu erwarten. Doch wenigstens den einen oder anderen unerwarteten Schachzug hätte es gebraucht, um den grobmotorischen „Hau und weg!“-Kämpfen Dringlichkeit zu verleihen. Komponist Ramin Djawadi (Game of Thrones) ist abseits des während der Studiologos ertönenden, im Laufe des Films gelegentlich wiederholten, treibende Kriegstrommeln bietenden Leitthemas mit seinen austauschbaren Kompositionen nämlich auch keine große Hilfe.

Fazit: Trotz hoher Detailfreude tut Duncan Jones der von ihm geliebten Warcraft-Welt keinen Gefallen: In der vom Moon-Regisseur inszenierten Leinwandversion wirkt sie bloß wie Tolkien auf Steroiden. Und dieser Muskel-Tolkien strampelt sich in einem Treibsand der inhaltlichen Austauschbarkeit ab.

Dienstag, 11. Oktober 2016

Unsere Zeit ist jetzt


Einem Musiker oder einer Musikgruppe gewidmete Filme haben naturgemäß eine Hürde zu überwinden: Da sie üblicherweise in erster Linie auf Fans zugeschnitten sind, steht die brennende Frage im Raum, ob sie sich auch für Filmfreunde eignen, die kein Faible für das musikalische Aushängeschild haben. Die Zeiten solcher "Schwärmt eure Idole an!"-Spielfilme wie A Hard Day's Night oder Spice World sind allerdings glücklicherweise vorbei. Zwar erscheinen auch in den Kinos weiterhin Konzertfilme wie Justin Bieber: Never Say Never, im fiktionalen Fach allerdings überwiegt nunmehr Stoff, in den etwas größere, den engen Fanzirkel übersteigende Ambition gesteckt wurde.

Vielleicht liegt es daran, dass durch die von der digitalen Revolution vorangetriebenen Fragmentierung nunmehr keine solche Massenphänomene mehr existieren, auf die Filmemacher zählen können. Eventuell hat man auch schlicht durch die Rezeption rein fanzentrischer Filme dazugelernt. So oder so: Mit etwas Findigkeit der Verantwortlichen ist es möglich, einen Musikerfilm auf die Beine zu stellen, der auch Nicht-Fans abholt. Jüngstes Beispiel: Martin Schreiers in den deutschen Lichtspielhäusern völlig ungerechtfertigt untergehender Genremix Unsere Zeit ist jetzt, alias: "Der Cro-Film".

Während Cro, der Pop-Rapper mit der Pandamaske, in den vergangenen vier Jahren die deutschen Musikcharts aufmischte und mehrmals Gold und sogar Platin einsackte, konnte mich das Aushängeschild des Plattenlabels Chimperator nie für sich gewinnen. Als Showgast fand ich ihn durchaus unterhaltsam, seine Songs wiederum lassen mich durchweg kalt. Denkbar schlechte Grundvoraussetzungen für einen ihm gewidmeten Kinofilm? Vielleicht, aber das quirlige Drehbuch der Autoren Arend Remmers, Martin Schreier und Sebastian Fruner schafft es, mich schon in den ersten Filmminuten zu gewinnen - und daraufhin bei der Stange zu halten.


Cro veranstaltet einen offenen Wettbewerb: Fans mit Filmemacherambitionen sowie Filmemacher mit Faible für die Musik des Deutschrappers sind herzlich dazu eingeladen, vorzusprechen und ihre Ideen für einen Cro-Kinofilm zu präsentieren. Erwartungsgemäß werden der Mann hinter der Pandamaske und sein Team von Interessenten überrannt. Drei hinterlassen bleibenden Eindruck. Da wäre der Möchtegern-Drehbuchautor Dawid (David Schütter), der im kurz vor der Pleite stehenden Kino seines Vaters jobbt und seine Freizeit vor allem damit verbringt, Frauen auf tolldreiste Art anzubaggern. Ihm schwebt ein Film vor, der eine Zukunftsvision Cros zeigt - eine Musikbiz-Satire mit Star-Appeal!

Dann wäre da Vanessa (Peri Baumeister), eine mit Asperger diagnostizierte, scheue Filmstudentin, die von Cros Musik begeistert ist und ihn während seiner anstehenden Tour begleiten will, um eine Konzertdoku zu drehen, die aus ihrer einzigartigen Perspektive auf den Erfolgsmusiker blickt. Und dann wäre da noch der Schreibtischtäter Ludwig (Marc Benjamin), der seinen Tagesjob auf den Tod nicht ausstehen kann, noch immer bei seinen Spießereltern lebt und eigentlich viel lieber Cartoonist wäre. Er reicht eine überhöhte Nacherzählung von Cros Karriereanfängen ein - in Form eines Zeichentrickfilms mit hohem Potential, zur Kontroverse auszuarten!

Zahltag – Nicht mit uns!-Regisseur Martin Schreier formt aus dieser Grundidee einen verspielten Gute-Laune-Film voller Metawitzlein, in dem die drei Filmschaffenden in spe im Vordergrund stehen, während Cro und seine Musik nur als Aufhänger dienen. Tonal ist die Handschrift des Produzenten und Nebendarstellers Til Schweiger zu spüren: Es geht auch um die Liebe, und das zuweilen mit der Atmosphäre eines modernen Großstadtmärchens - bloß, dass Unsere Zeit ist jetzt viel fescher als die jüngeren Schweiger-Romantikdramödien ist. Denn wo sich Schweiger zuletzt in eine gewisse Betriebsblindheit manövriert hat, erinnert Unsere Zeit ist jetzt in seinen Romantikphasen an das schwelgerische Liebes-Roadmovie barfuss - gekreuzt mit einer zünftigen Dosis Metaklamauk. Wenn Unsere Zeit ist jetzt wie ein Film Noir beginnt und Cro dieses stilvolle, aufwändig gestaltete Konzept mit der Klage, sich das nicht leisten zu können, einlenkt, dann geschieht das in bester Muppet-Manier. Und wenn sich Dawid während einer Schreibblockade vorstellt, wie Til Schweiger in einem weißen Vakuum sitzt und seinen Autoren anmault, mal endlich was über Lindenstraße-Niveau zu verzapfen, dann erreicht Unsere Zeit ist jetzt vorübergehend eine dem Looney-Tunes-Klassiker Duck Amuck gleichende, spielerische Quirligkeit, wie es sie im deutschen Mainstreamkino selten zu begutachten gibt.

Dieses stilistische Durcheinander, das durch die Trickfilmsequenzen verstärkt wird, hat Schreier nach kleineren Einstiegsschwierigkeiten sehr gut im Griff: Der Filmemacher verleiht Unsere Zeit ist jetzt einen tragfähigen roten Faden in Form der drei Einzelschicksale von Dawid, Vanessa und Ludwig. Für sie alle steht viel auf dem Spiel, weshalb nicht nur ihre in der Filmwirklichkeit verorteten Plots eine Daseinsberechtigung haben, sondern sich auch intuitiv erklärt, weshalb immer wieder längere Strecken aus ihren Filmen (oder in Dawids Fall: ihren Versuchen, Ideen für das stagnierende Projekt zu finden) gezeigt werden.

Das schlagende Herz und die gute Seele des Films ist Irre sind männlich-Nebendarstellerin Peri Baumeister: Ihre ebenso goldig-amüsante wie verträumt-feinfühlige Darstellung Vanessas ist nicht nur unfassbar liebenswert, sondern auch in der kleinen Welle an Asperger-Figuren der vergangenen Jahre noch immer unvergleichlich. Baumeister legt wiederholt formidables komödiantisches Timing zu Tage, ohne Vanessa je zur Witzfigur zu machen: Stets legt sie sie als neugierige, freundliche, aber auch bestimmte und ihre eigenen Wünsche durchsetzende junge Frau an, die durch ihr Asperger halt einfach nur nicht ganz genau weiß, wie sie auf andere wirkt. Diese runde Darbietung ist allerdings nicht nur Baumeisters Verdienst. Vanessa wird zwar eingeführt, wie sie einen Kaffeefleck im Hörsaal wegzuwischen versucht, doch es bleibt nicht bei einem altgewohnten Putzfimmel. Wenn es etwa um den Verzehr von Popcorn geht, dann bevorzugt sie die Schaufelbaggerfresstechnik, und ihre Wohnung ist in einem verlebten, wenngleich geordneten, Charme gehalten, statt steril und austauschbar zu sein.

Baumeisters magnetische Ausstrahlung überträgt sich auch auf David Schütter, dessen Dawid zu Beginn des Films vielleicht etwas zu stereotypisch machohaft geraten ist, der ab dem Kennenlernen mit Vanessa allerdings sukzessive seine unterdrückte, sensiblere Seite hervorkehrt. Gewiss, dieser Wandel ist (inklusive der obligatorischen Rückschläge) in seinem groben Aufbau direkt aus dem Lehrbuch deutscher RomComs geklaut. Doch Schütter stellt den schrittweisen Wandel Dawids sehr plausibel dar, mit markanter Mischung aus schroffer Direktheit und sympathisch-altmodischen Anwandlungen, wie seiner Affinität für Filmklassiker und dem Talent, zum einfallsreichen Kavalier zu mutieren, wenn es der Moment gebietet. Spätestens, wenn der sonst so schlagfertige Dawid wortlos neben Vanessa sitzt, als sie ihm vorwirft, er wolle nur für toll befunden werden, statt zuzulassen, dass man ihn kennenlernt, wird auch er zum Sympathieträger. Mehr noch punktet er aber als Element der fiktiven Cro-Zukunftsszenen. Darin geht Til Schweiger in mit breitem Grinsen dargebotenen, genüsslich-albernen Sequenzen voller Selbstironie auf, die Promihype, Erfolgsdruck und das Konzept dieses Films durch den Kakao ziehen. So viel sichtbaren Spaß hatte Schweiger seit vielen, vielen Jahren nicht mehr im Kino!


Die Stärke der Lovestory und der Spaßfaktor der fiktionalen Zukunftsprognose wird dadurch deutlich, dass ausgerechnet das Cartoonsegment in meiner Gunst leicht hinterherhinkt. Nicht, dass es schwach wäre: In farbenfroher, leicht an die 90er-Batman-Trickserie erinnernder Optik handelt diese von der Konkurrenz unter zwei Freunden und erlaubt sich in pointiert gewählten Momenten auch Legendenbildung via unwirklicher Elemente. Und obwohl sie durch die gezielte Zurückhaltung von Informationen auch Spannung aufbaut, so wird dieser Filmteil zu kleinschrittig vorangetrieben, um mit den anderen Fäden mitzuhalten. Dessen ungeachtet sind die realen Szenen rund um Ludwig humorvoll: Marc Benjamin ist ein knuffiger Duckmäuser mit Hundeblick, der den Liebes-Hauptplot in angemessenem, plausiblen Maße aufrüttelt und Cro durch seine berühmte Pandamaske zu einer guten Schauspielperformance herausfordert. Die Szenen auf Ludwigs Arbeitsplatz hingegen werden etwas schneller alt, als sie abgehakt werden, insbesondere, weil die Auflösung den ideenlosesten Aspekt in diesem Kreativfeuerwerk darstellt.

Gewürzt mit allerlei spaßigen Cameos und sehr hübsch fotografiert von Markus Nestroy (Above and Below), der vor allem Abend- und Nachtszenen in einen einladend-wohligen Mantel aus Blautönen hüllt, ergibt sich im Zusammenspiel mit einem Cro-Best-of-Soundtrack (und diversen Songs anderer Interpreten) ein sehr pfiffiges Stück Wohlfühlkino. Der gefällige Mainstreamkern wird dabei durch überbordenden Einfallsreichtum ausgeschmückt, wodurch sich trotz kleinerer Stolperschwellen im Erzählfluss ein erfrischendes, ungewöhnliches Projekt ergibt, das weit, weit mehr ist als nur Cro-Fanservice.

Fazit: Laut Cro sollten wir die Gegenwart auskosten - und mit einem Kinobesuch von Unsere Zeit is jetzt verwandelt man wenigstens zwei Stunden Lebenszeit in einen süßen, launigen Genuss.

Samstag, 8. Oktober 2016

Alice im Wunderland: Hinter den Spiegeln


Wenige Monate, nachdem James Cameron mit Avatar – Aufbruch nach Pandora in ein völlig neues 3D-Wunderreich entführte, lockte Big Fish-Träumer Tim Burton in seine von herben Kontrasten und scheußlich-grellen Digitaltricks bevölkerte Interpretation einer überaus bekannten Fantasiewelt: Lewis Carrolls berühmtestes Werk erhielt in Form des Disney-Blockbusters Alice im Wunderland ein Kuddelmuddel aus Weiter- und Neuerzählung. Trotz unterwältigender Kritikerresonanz spülte das Fantasyspektakel mit Mia Wasikowska und Johnny Depp über eine Milliarde Dollar in die Kinokassen.

An dieser Stelle ließe es sich unken, dass Burtons Alice im Wunderland 2010 allein vom kurzfristigen 3D-Wahn profitierte. Jedoch hat der Big-Budget-Film unter anderem mit Depps manischer Hutmacher-Performance, die stellenweise aber auch ruhige, nachdenkliche Momente aufweist, sowie der zwar sehr lauten, zudem aber pointierten Herzkönigin durchaus seine Pluspunkte. Darüber, ob dies ausreichende Argumente für einen zweiten Teil sind, lässt sich fürstlich streiten. Aber der Ruf des Dollars war zu laut, als dass Disney diesen Debatten Beachtung geschenkt hätte. Tim Burton fungiert beim Sequel jedoch nur als Produzent, den vakanten Regieposten übernahm dafür Die Muppets-Regisseur James Bobin. Dieser bringt etwas Abwechslung in Burtons-Wunderland, aber nicht genug, um davon abzulenken, dass die schon für den inhaltlich mageren ersten Teil zuständige Linda Woolverton ein schwachsinniges Drehbuch verfasst hat. Und damit ist nicht die Art Schwachsinn gemeint, die vielleicht ins Wunderland gehören würde …

Die vergangenen drei Jahre hat Alice Kingsleigh (Mia Wasikowska) auf den sieben Weltmeeren als Kapitän ihres eigenen Schiffs verbracht. Bei ihrer Rückkehr nach London muss die junge, nach Abenteuern strebende Frau aber erkennen, dass sich die englische Gesellschaft nicht geändert hat: Noch immer wird Alice aufgrund ihres starken Rückgrats wie eine Wahnsinnige betrachtet. Als sie bei einem feierlichen Bankett bedrängt wird, ihr geliebtes Schiff zu veräußern, um das Heim ihrer Mutter zu retten, entdeckt Alice den Wunderland-Schmetterling Absolem (Alan Rickman). Dieser führt Alice durch einen magischen Spiegel und somit zurück ins Wunderland, wo sie erfährt, dass der Verrückte Hutmacher (Johnny Depp) an Traurigkeit erkrankt ist: Der Gedanke an seine totgeglaubte Familie ringt ihn nieder, und als selbst Alice ihm nicht Gehör schenkt, als er behauptet, sie sei vielleicht noch am Leben, verschlimmert sich sein Zustand noch weiter.

Zur Wiedergutmachung beschließt Alice, der Zeit höchstpersönlich (Sacha Baron Cohen) entgegen zu treten und zu verlangen, das Schicksal der Hutmacher-Familie und so das Befinden ihres geschätzten Freundes ins Lot zu bringen. Doch die eigenartige Kreatur weigert sich, so dass Alice mittels der Zeitreisen erlaubenden Chronosphäre selbst zur Tat schreitet …

Während Woolverton im ersten Teil den bunten, fantasievollen Irrsinn Lewis Carrolls in eine ausgelutschte „Der Auserwählte und die Prophezeiung“-Narrative zwängte, verpasst die Die Schöne & das Biest-Autorin dem zweiten Teil einen weniger dominanten roten Faden. Zwar dient Alices Urteil, Zeit sei ein Schurke, als Plotmotor. Jedoch schreitet der Fantasyfilm vornehmlich in Vignetten voran. So eröffnet Alice im Wunderland: Hinter den Spiegeln mit einer ansehnlichen Actionsequenz auf hoher See, die fast so wirkt, als wolle sich James Bobin für den Regieposten bei einem etwaigen sechsten Teil der Pirates of the Caribbean-Saga empfehlen. Daraufhin entwickelt sich die im realen London spielende Rahmengeschichte zu einer dramatischen Erzählung über die Rolle der Frau im 19. Jahrhundert. Durch Dialogwechsel mit überdeutlichen Schlüsselworten sind diese Szenen zwar nicht all zu clever, dank der liebevoll-detailreichen Ausstattung und Wasikowskas ebenso scheuem wie forschem Spiel aber immerhin charmant. Kaum stolpert Alice zurück ins Wunderland, ist dieses Thema allerdings vorerst vergessen.

Klarer Höhepunkt der Wunderland-Sequenzen sind jene Momente, die im Palast der Zeit spielen: Der im Gegensatz zum Großteil des Casts engagiert wirkende Sacha Baron Cohen legt die halb-menschliche, halb-mechanische Figur als kühl auftretende, exzentrische und bei aller Selbstverliebtheit dennoch einfühlsame Type an. Das originelle Design dieser Figur, das zudem mit überdurchschnittlichen Computeranimationen einhergeht, sowie der coole, gotisch-träumerische Look seines Wohnsitzes machen den Trubel rund um die Zeit zu angenehmen Filmminuten, die leider von nervigen, dümmlichen Szenen umringt werden. Während Cohen mit raffinierten und schrägen Dialogen versorgt wird und seine knuffig gestalteten Sekundanten eine leichte Prise Slapstick vollführen, besteht der Rest der Wunderland-Sequenzen aus haarsträubenden Ursprungsgeschichten diverser Alice-Weggefährten und dutzendfacher Vorbereitungen sowie Zusammenfassungen der großen Moral dieses Films.

Egal, ob Alice in die Vergangenheit reist, um vergeblich den Hutmacher zu warnen, stillschweigend zuschaut, wie die Herzkönigin böse wird oder zu verhindern versucht, dass sie ihren berühmten, großen Kopf bekommt: Die Geschichte tritt nicht einfach auf der Stelle, sondern unterstreicht alles doppelt und dreifach – was angesichts der ultraflachen, überdeutlichen Dialoge und der zumeist desinteressierten Darsteller zur Geduldsprobe wird: Anne Hathaway etwa grinst sich als weiße Königin lasch durch ihre Szenen, Helena Bonham Carter dagegen ringt ihrer Herzkönigin nur noch ein galliges Herumkeifen ab. Johnny Depp wiederum überlässt die Aufgabe, dem Hutmacher verschiedene Emotionslagen zu verleihen, dieses Mal seiner Schminke und seiner Perücke.

Optisch ist der erneut auf solide, aber wenige Akzente setzende Danny-Elfman-Musik zurückgreifende Wunderland-Ausflug außerhalb des Zeitpalasts eine zweischneidige Sache: Wahlweise gibt es imposante, aber überdeutlich als kalte Digitaltricks zu erkennende Effektschlachten, oder liebevolle Setbauten, deren Ausleuchtung sie aber klar als Studiokulissen dastehen lässt. Wenn Alice dann nach zig inhaltlichen Wiederholungen, schalen Gags und unnötigen Erklärungen (wichtig: Alice kommentiert ihre Fähigkeit, Knoten zu machen, damit, dass sie das auf See gelernt hat) irgendwann verstanden hat, dass wir alle unsere Zeit genießen sollen, stellt sich nur eine Frage: Weshalb haben James Bobin, das Produzententeam und der kein zünftiges Tempo schaffende Cutter Andrew Weisblum diese Moral nicht für sich selbst vereinnahmt? Irgendwo in diesem Unsinn steckt ein solider, knackiger 70-Minüter, in dem Alice einen Abstecher ins Reich der Zeit macht. Doch leider hat niemand daran gedacht, diesen Film aus dem rund zweistündigen, zähen und anstrengenden Fantasykuddelmuddel zu befreien.

Fazit: Ein guter Kern, umgeben von ziellosem, lustlos dargebotenem, dennoch lärmenden Unsinn: Alice im Wunderland: Hinter den Spiegeln zeigt, dass Mehr manchmal eben doch Zuviel ist.

Freitag, 7. Oktober 2016

Die Highligen Drei Könige


Weihnachtsfreunde, lasst mich erzähl'n von 'nem Film, wo's so richtig kracht,
er heißt Die Highligen Drei Könige, 's ist 'ne Komödie, die ist echt 'ne Pracht!
Puritaner, denen religiöse Feste heilig sind, und Leute mit Drogenhumor-Allergie;
eure Chance, den derben Spaß zu mögen, liegt wohl bei: „Wahrscheinlich nie.“
Aber wer schon Superbad, Bad Neighbors oder 50/50 lustig fand,
der wird es wohl kaum bereu'n, wenn er kommt ins Heimkino angerannt.

Die Geschichte beginnt 2001, aufgrund einer schicksalshaften Weihnachtsnacht,
da wurden die Eltern von Teenager Ethan bei einem Unfall umgebracht.
Aber seine Freunde Isaac und Chris, die sind auch am 24.12. zur Stelle,
mit Alkohol, Gras, Kameradschaft: Auf zum Genuss, in aller Schnelle.
Eine Tradition ward geboren, die das Trio ins Erwachsenenalter begleitet,
14 Jahre später Zweien ihr verändertes Leben den Spaß d'ran verleidet.
„Ein letztes Mal!“, so lautet deswegen die Ankündigung,
geben sich die drei Brüder im Geiste die volle Dröhnung.

Dann entdeckt Ethan, der einzige, der diese Tradition nicht aufgeben will,
drei Eintrittskarten für einen sagenhaften Ball, der ist ganz und gar nicht still.
Also geht das Trio auf, in eine so wahrlich noch nie da gewes'ne Nacht,
mit alten Gewohnheiten, neuem Zoff – und einer hat Drogen mitgebracht.
Es sollen Stunden der Höhen und Tiefen, der absurden Eskapaden werden,
all das beim Warten auf ein Event, das vielleicht so schön, man könnt' glatt sterben.

Gedreht wurd' das Ganze von Jonathan Levine, dem Warm Bodies-Regisseur,
und der verleiht seinem Film ein besond'res, ausgewog'nes Odeur.
Er zeigt ebenso den überwält'gen, bunten Prunk der Großstadt-X-mas-Partys,
und die peinlich berührte Geselligkeit, wenn man sitzt bei seiner Freunden Mammis.
Doch vor allem steht der Jonathan nie der Dynamik seines Titeltrios im Weg,
und das ist gut, denn die ist so köstlich wie so manches Steak.
S'harmonieren wundervoll, Seth Rogen, Anthony Mackie und Joseph Gordon-Levitt,
ihr Zusammen- und Gegen'anderspiel, so fesch und echt, 's hält den Streifen fit!
Bewirkt wird’s durch Aufnahmen, die sich konzentrieren auf die Truppe der Drei'n,
und eben jene lässt er versiert gen Pointe juxen, der Jonathan, der Levine.

Aber diese Buddy-Komödie ist nicht nur gesellig, sondern auch absurd,
und wenn's passiert, schnellt das Tempo so an, man braucht fast 'nen Gurt!
Ob entgleisender Drogentrip, wilder Toilettensex oder verrückte Partyideen,
was den drei Weggefährten geschieht, lohnt sich zu seh'n!
Highlight ist Michael Shannon als creepy Drogendealer, die Rolle hat's ihm angetan,
auch humorig und engagiert mit dabei: Mindy Kaling, Jillian Bell und Lizzy Caplan.
Nur bedauerlich: Diese Damen dürfen nur kurz ihr Potential zeigen; was ist da los?
Naja, immerhin gibt’s dafür hammergeile Cameos.

Ihr fragt euch, wie dieser Film denn all das macht,
wie er uns mit grobem, teils erzwung'nem Chaos zum Lachen gebracht?
Entscheidend ist das Gleichgewicht,
wie sich hier Plausibles und Schrilles mischt.
Die Figuren und ihre Sorgen sind geerdet genug,
dass sie nich' wirken wie flacher Kino-Betrug.
Wenn das Skript diese Bro's zu Bizarrem hinleitet,
vor Überraschung einem 'n lauter Lacher entgleitet.

Gleichwohl die Filmwelt von Die Highligen Drei Könige so benebelt ist,
so besoffen oder nur trunken von der Festtagsstimmung, an der sich alles misst,
man nie denkt: „Dies' Handeln, dieser Satz, diese Wende, hat die Logik gebrochen!“
Und so ein Rezept könn' nur rare Partyeskapaden, wie Hangover, kochen.
Der drei Helden Sorgen, ihr gelegentlicher Zwist,
stets nachvollziehbar auf jedermanns Seite ist.
Aber die Kabbelei von ihnen nie lang den Spaß versaut,
daher man zu den Kumpels 'ne Bindung aufbaut.
Ja, ein paar kleine Zieher hat diese Komödie zwar,
doch wenn sie aus allen Rohren feuert, ist's wunderbar.

Ein Fazit, das geb' ich euch nun wirklich gern,
dieser Film ist ein herzlich, zotig-frivoler Spaß
für diese Weihnacht und für Winter, die noch sind fern.
Denn bei aller Blödelei ist's kein hin'klotzter Kiffer-Fraß.

Sind's ein liebenswert' Trio, Joseph Gordon-Levitt, Anthony Mackie und Seth Rogen,
und den wen'gen Leerlauf übertönen fesche Szenen mit hoher Rewatchability,
daher sag ich: Die Highligen Drei Könige ist toll, jubel-di und jubel-den.
Anhänger herb-gutherz'ger Komödien, schaut ihn und lachet: „Ha-ha-hi!“
Also, wollt ihr Die Highligen Drei Könige sehen,
dann solltet ihr ab dem 20. Oktober in den Handel gehen!



Donnerstag, 6. Oktober 2016

Ente gut! Mädchen allein zu Haus


Wer Hollywood vorwirft, nur noch Remakes, Adaptionen und Fortsetzungen auf den Markt zu werfen, sollte einmal dem deutschen Markt für Kinder- und Jugendfilmen an die Nase fassen: Ob es nun die x-te Heidi-Verfilmung ist oder der jüngste Teil der auf Werken aus anderen Medien basierenden Filmreihen Bibi & Tina, Die wilden Kerle und Konsorten – frisch für die Leinwand wird in Deutschland kaum ein Jugendfilmstoff gesponnen. Um diesen Umstand zu beheben, haben die deutsche Filmwirtschaft, die hiesigen Sendeanstalten und Filmförderer die Initiative „Der besondere Kinderfilm“ ins Leben gerufen. Diese ruft zur Entwicklung speziell für die Leinwand erdachter Geschichten auf, die sich an den Publikumsnachwuchs richten. Nach André Erkaus Winnetous Sohn ist Norbert Lechners Ente gut! Mädchen allein zu Haus erst der zweite Film, der aus dieser Initiative heraus den Weg auf die deutschen Leinwände findet – aber er zeichnet definitiv ein positives Bild. Nicht nur hinsichtlich dessen, wie gut Kinder auf eigenen Beinen stehen können und hinsichtlich Integrationsfragen, sondern auch, was die Zukunft des deutschen Kinderkinos anbelangt.

Die Geschichte kommt in Gang, als die wegen ihrer roten Haare und ihres Klempnervaters von Mitschülern drangsalierte Pauline (Lisa Bahati Wihstutz) ihre Nachbarn ausspioniert und feststellt, dass die Mutter der Schwestern Linh (Lynn Dortschack) und Tien (Linda Phuong Anh Dang) verschwunden ist. Die von Detektivgeschichten besessene, neunmalkluge Pauline sieht die Gelegenheit gekommen, einmal den Spieß umzudrehen und selber als Pöbel aufzutreten: Sie erpresst die Kinder der vietnamesischen Einwanderin Thuy (Chieu Xuan Nguyen Thi) und droht, den Behörden mitzuteilen, dass hier klar ein Verstoß gegen die elterlichen Aufsichtspflichten besteht. Aus dem Erpresser-Opfer-Spiel wird alsbald eine komplizierte Freundschaft: Pauline lernt die Probleme der Immigrantenkinder kennen, die strenge Linh lernt, endlich einmal Spaß zu haben und Tien … naja, sie ist halt ein störrisches Kind. Es könnte eine schöne Zeit für die drei Mädels sein. Dumm nur, dass sich die wegen eines familiären Notfalls verreiste Mutter der beiden Schwestern mit ihrer Heimkehr Zeit lässt und nicht nur die Lehrkörper der Sturmfreiheit genießenden Kids, sondern obendrein die Polizei sowie das Jugendamt allmählich Verdacht schöpfen …

Die größte Stärke dieses kleinen, nicht ganz alltäglichen Abenteuers ist zweifelsfrei die Interaktion zwischen den drei jungen Hauptdarstellerinnen: Wihstutz, Dortschack und Dang sind nicht nur sehr sympathisch, sondern entwickeln im Zusammenspiel eine großartige Chemie. Anfangs in ihrer Interaktion reserviert, tauen die Mädchen immer weiter auf und machen es somit äußerst glaubwürdig, dass hier Freundschaften entstehen, die damit umzugehen wissen, dass man sich teils auch gegenseitig das Leben schwer macht. Sehr angenehm ist auch, dass keine ernstzunehmenden Vorurteile zwischen den Kinderfiguren stehen, die überkommen werden müssen. Lechner und die Autorinnen Antonia Rothe-Liermann und Katrin Milhahn suggerieren ihrem jungen Publikum somit, dass wir uns auf Augenhöhe begegnen sollten. Dass sich Pauline, Linh und Tien anfangs kabbeln, liegt eher in Paulines Versuch, eine Freundschaft zu erzwingen, Linhs Verbissenheit und Tiens Hang zum Chaos begründet.

Dessen ungeachtet blenden die Ente gut!-Macher reale Missstände nicht etwa aus, sondern pflegen sie behutsam und aussagekräftig in den Schabernack der drei Trubelkinder ein: Dass Thuy ihre Kinder alleine lässt, wird nie als verzeihliche Nachlässigkeit, dargestellt – Linh und Tien leiden sehr wohl darunter. Gleichwohl wird Thuy nicht als Rabenmutter gezeichnet: Als Alleinerziehende hat sie dafür gesorgt, dass Linh Verantwortung tragen kann und weit über ihre 11 Jahre hinaus gereift ist – im Angesicht eines Familiennotfalls überschätzt Thuy einfach, was sie Linh zutrauen kann. Und auch, dass die Kinder im Imbiss ihrer Mutter aushelfen, wird als Fehlentscheidung dargestellt, die aus einem guten Ziel entwachsen ist: Thuy lebt am Rande der Armut, und um ihren Kindern ein angenehmes Leben finanzieren zu können, braucht es helfende Hände – und dennoch wird während der Versuche der Mädchen-Clique, das Jugendamt abzuwimmeln, klar, dass Gesetze gegen Kinderarbeit ihren Sinn haben.

Einen klaren Schurken gibt es in dieser trotz des Plattenbau-Settings farbenfrohen Komödie nicht, nur Kinder, die mal falsche, mal solide Entscheidungen treffen und wohlmeinende Erwachsene, die aber nur selten das gesamte Bild sehen. Selbst die Polizei ist um das Wohl der Kinder besorgt, auch wenn ihre übereifrige Stränge nur für noch größeren Ärger sorgt. Einzig, dass die Polizei bei Menschen mit Migrationshintergrund extra genau hinschaut, wird klar als falsch skizziert, was davon träumen lässt, dass Filme wie Ente gut! dafür sorgen könnten, dass eine neue Generation heranwäschst, die überschnelle Abschiebeverfahren als ungerecht erkennt. Und da dieser ruhig geschnittene und gefilmte Kinospaß diese Aussage ohne erhobenen Zeigefinger vermittelt, sondern sich auf warmherzigen Spaß zwischen seinen Stars konzentriert, ist diese kleine Morallektion sogar sehr angenehm …

Fazit: Ente gut! Mädchen allein zu Haus ist eine liebenswerte Familienkomödie, die nicht auf den Kopf gefallen ist. Mehr davon!

Mittwoch, 5. Oktober 2016

Der Nachtmahr


Laut. Sehr laut. So muss dieser Film gespielt werden, um ihm gerecht zu werden. Das vermeldet eine Texttafel, bevor es wirklich losgeht. Aber erst, nachdem zwei andere Texttafeln warnen: Der Nachtmahr kann mit seinen rasanten Schnitten und extremen Stroboskopeffekten Epileptikern gefährlich werden – und auch akustisch sollte sich das Publikum auf etwas gefasst machen, denn die kraftvollen isochronischen Töne und binauralen Frequenzen dieses Films können ebenfalls gesundheitliche Probleme auslösen. Wer sich nach diesen Warnungen nicht prophylaktisch selbst aus dem Kinosaal manövriert, bekommt auch sofort die volle Packung dessen geliefert, weshalb das Regiedebüt des Künstlers Akiz diese Hinweise benötigt – sowie eine voll aufgedrehte Lautstärke verdient hat.

Frenetisch flackern die Studiologos über die Leinwand, ehe eine Gruppe jugendlicher Freundinnen von derben Technobeats begleitet zu einer Party düst. Sie saufen, machen Scherze, sind fies zueinander. Die 16-jährige Tina (Carolyn Genzkow) bekommt einen dieser vermeintlichen Späße in den falschen Hals, was ihr direkt die Partylaune vermiest. Doch der sie und ihre Freundinnen lockende (illegale?) Rave in einem Freibad bei Berlin hämmert mit seinen kühlen, schnellen Sounds Tinas Gedankenwelt hinfort, versetzt sie mit einem desorientierenden Gewitter an farbenfrohen Blinklichtern in einen beklommenen Rausch. Losgelöste „Mir gehört die Welt!“-Stimmung sieht anders aus, Miesepeter-Laune aber auch. Doch dann überkommen sie in einem ruhigen Moment Panikattacken, die immense Wellen nach sich ziehen: Auch im sicheren Schoß ihres Kinderzimmers wird sie von Furcht und Angst geplagt, in Albträumen wird sie von einem seltsamen Fabelwesen heimgesucht. Tinas Eltern nehmen ihre Sorgen nicht ernst, vor ihren Freunden traut sie sich nicht, die Maske der abgeklärten Partymaus fallen zu lassen – und den Rat ihres Psychiaters, Kontakt zu diesem Monstrum aufzunehmen, findet sie absurd …

Der entfesselte, manische Einstieg, den Multitalent Akiz gewählt hat, ist nicht nur der größte Segen dieses mutigen, atypischen deutschen Kinoprojekts. Sondern zudem der Ursprung großer Missverständnisse: Nachdem Der Nachtmahr uraufgeführt wurde, machten auf diversen Filmportalen Berichte die Runde, es sei ein neuer, hemmungsloser Experimentalfilm entstanden, der sich idealerweise als verstörender Leinwandrave bezeichnen ließe. Selbst wenn diese Seele zweifelsohne in Akiz' tranceartiger Genreübung schlummert, so ist es ein Unding, Der Nachtmahr darauf zu beschränken. Denn abseits der heißblütigen, hemmungslosen Partyszenen pocht ein zweites Herz in diesem Film. Verwirrend geschnittene, mit hypnotischer Kameraführung verwirklichte Sequenzen, in denen lange unklar bleibt, ob Tina Albträume hat, in wachem Zustand Grimmiges fantasiert oder in Wirklichkeit von einem unförmigen Ding verfolgt wird, dienen als Übergang zu einem ruhigeren, dennoch spannenden Einblick ins pubertierende Gemüt.

Gerade dadurch, dass der Einstieg so exzessiv geraten ist und zudem vielerorts ein Bild von Der Nachtmahr gezeichnet wird, das keinen anderen Eindruck erlaubt, besteht die Gefahr, dass die späteren, einfühlsameren Passagen Teile des Publikums verlieren. Dabei sind sie es, die Akiz krassen Stil mit achtbarer Substanz stützen: Carolyn Genzkow blüht als verschreckte, nachdenkliche Teenagerin auf, liefert eine facettenreiche, verletzliche, trotzdem kesse Performance ab, durch die Tina weit mehr darstellt als das übliche, hohle Horrorfilmopfer. Selbst wenn ihr Umfeld sie gerne als ebensolches sehen möchte: Mitleidig, teils sehr mahnend, zeichnet Akiz ein Bild moderner Teen-Freundschaften, die nur daraus bestehen, gemeinsam abzuhängen. Solidarität scheint verpönt, während sich gut betuchte Eltern empathisch geben, aber nur nach simplen Lösungen greifen.

Je größer die Fallstricke in den tagsüber spielenden Szenen werden, desto heimeliger werden die Nachtsequenzen: Die titelgebende Gestalt, realisiert als extrem schlichter, haptischer Puppeneffekt, ist nicht mehr als ein hässlich-knuffiges Etwas. Eine Kreuzung aus einem abgetriebenen Embryo, einem schlecht gealterten E.T. und Gollum. Es gab schon scheußlichere Kinoungetüme – aber gerade dies gibt Akiz' ersten Teil eines filmischen Triptychons über Geburt, Liebe und Tod eine altmodische, effektvolle Spannung. Die spitze, aber billige „Ich will das eklige Monster nicht sehen!“-Furcht weicht einer profunden Angst diesbezüglich, wie Tina von ihrem Umfeld behandelt wird. Somit rückt Der Nachtmahr an das frühe, expressionistische deutsche Kino heran, als bis in die 20er-Jahre hinein Werke wie Der Golem oder Das Cabinet des Dr. Caligari monströse Ereignisse mit wehleidiger, dunkler Romantik oder introspektiver Melancholie versehen haben.

Dass der Cast um Genzkow herum zuweilen arg dick aufträgt und kurz vor dem Finale unter anderem eine kurze Englischstunde den Zuschauenden direkt eine der möglichen Interpretationen dieser Geschichte zur Hand reicht, trübt ein wenig den Gesamteindruck. Wenn der Abschluss erneut mit Wahn und Wirklichkeit spielt, dabei aber ruhiger geraten ist als das Intro, und Der Nachtmahr somit rund und in sich schlüssig endet, sind solche Schönheitsmakel aber schnell verziehen. Der Rave mag enden, die Faszination jedoch nicht.

Fazit: Der Nachtmahr ist der Urahn des klassischen, expressionistischen deutschen Horrors. Stylisch, melancholisch. Und auf ACID.

Blu-ray-Kritik: "The First Avenger: Civil War"


Der Film
Die Chancen stehen gut, dass ihr The First Avenger: Civil War bereits gesehen habt. Es ist bis dato der erfolgreichste Film 2016 und der vierterfolgreichste Marvel-Film weltweit sowie der neunterfolgreichste Kinofilm dieses Jahres in Deutschland. Doch solltet ihr den Auftakt zur dritten Phase des Marvel Cinematic Universe noch nicht gesehen haben: Holt es nach! Wie ihr schon in meiner Fiilmkritik nachlesen könnt, ist der ebenso politische wie persönliche Konflikt zwischen Iron Man und Captain America ein spannender, extrem unterhaltsamer Ritt, der zu den besten Marvel-Filmen überhaupt zählt. Und wie ich nach vier Kinobesuchen und einer Heimkinosichtung sagen kann: Der Film lässt auch mit wiederholtem Sehen nicht nach!

Die Technik
Wie seit Jahren von Marvel gewohnt gibt es auch bei der Blu-ray zu The First Avenger: Civil War über die technischen Aspekte kaum ein negatives Wort zu verlieren. Dafür können umso mehr Komplimente an die Verantwortlichen gerichtet werden: Der Bildtransfer ist nahezu makellos, mit einer hohen Schärfe und einem der Farbästhetik des Films entsprechenden, dezenten Glanz. Jedes von der Kamera eingefangene Detail ist klar zu erkennen, die Farbpalette wird kräftig wiedergegeben und nur in wenigen Kameraeinstellungen, wenn sich dynamische Kameraarbeit, praktische Effekte, reale Aufnahmen und Digitaltricks gegenseitig auf die Füße treten, gibt es gelegentlich leichtes Aliasing zu beobachten.

Der Sound ist ebenfalls gestochen scharf, sowohl die englische als auch die deutsche Tonspur sind sauber abgemischt und erlauben selbst in den turbulentesten Sequenzen ein verständliches Akustikerlebnis aus Dialogen, Soundeffekten und Musik. Im ersten Viertel erscheint mir die Bassspur etwas zurückhaltender als noch im Kino oder bei der The Return of the First Avenger-Blu-ray, die Surround-Effekte sind allerdings spitze.

Das Bonusmaterial
So großartig Marvel-Filme auf Blu-ray in Sachen Technik sein mögen: Bezüglich des Bonusmaterials bin ich seit Phase zwei etwas unterwältigt, und daran ändert sich leider auch beim Auftakt von Phase drei nichts. Wobei The First Avenger: Civil War noch zu den Filmen mit den informativeren Extas zählt. Der Audiokommentar der Regisseur Anthony und Joe Russo sowie den Drehbuchautoren Christopher Markus und Stephen McFeely wiederholt zwar einige Fakten, die im Rahmen der Promotour bereits breitgetreten wurden, allerdings sind auch einige mir neu vorkommende kleine Fakten rund um die Produktion in ihm zu finden. Die beiden Duos ergänzen sich gut und sind zwar nicht die launigsten Audiokommentatoren, doch es gelingt ihnen, die mehr als zwei Stunden recht kurzweilig zu gestalten.

Eine 45-minütige Featurette namens United We Stand, Divided We Fall entpuppt sich als detailliertes Making-of, das auf die notwendigen sowie die aus künstlerischer Freiheit beschlossenen Änderungen gegenüber der Vorlage eingeht und darüber hinaus einen Querschnitt über weitere Produktionsaspekte liefert: Stunts, die Wahl der Drehorte und die Ausarbeitung der Figuren, die noch relativ neu im MCU sind oder sogar hier erst eingeführt werden.

Zwei weitere, kurze Featurettes erzählen jeweils, wie sich Captain America und Iron Man im Laufe der Filme zu denen wandelten, die sie in Civil War sind, außerdem gibt es eine solide Vorschau auf Doctor Strange, einen Zusammenschnitt der "Pannen vom Dreh" (liegt es an mir, oder sind die Marvel-Gag-Reels eher durchwachsen?) sowie vier Deleted/Extended Scenes, von denen allein die ausführlichere Beerdigungsszene attraktives Material enthält.

Dienstag, 4. Oktober 2016

The Nice Guys


Shane Black liefert mit The Nice Guys zwar erst seine dritte Regiearbeit ab, seine Erfahrung als Drehbuchautor reicht allerdings bis in die 80er-Jahre zurück. Und in eben jener Zeit stieg der Fan klassischer Groschenromane zu einem der gefragtesten Mitglieder seiner Zunft auf: Als Verantwortlicher hinter dem Lethal Weapon-Skript läutete Black eine neue Ära des Buddy-Cop-Films ein, es folgten unter anderem die Story des zweiten Teils, das Drehbuch zu Last Boy Scout und die Genre- und Selbstparodie Last Action Hero. Nachdem Black Mitte der 90er-Jahre vorübergehend von der professionellen Bildfläche verschwunden war, kehrte er 2005 mit seinem nunmehr zum Kulttipp aufgestiegenen Regiedebüt Kiss Kiss, Bang Bang zurück, das ihm auch den Regieposten bei Iron Man 3 einbrachte. Nachdem sich bereits diese beiden Robert-Downey-Junior-Vehikel wie Spielarten typischer Buddy-Cop-Komödien anfühlten, schließt sich für Black nunmehr endgültig der Kreis: The Nice Guys ist ein waschechter Rücksturz in die filmischen Gefilde, in denen zwei ungleiche Typen einem kernigen Kriminalfall nachgehen. Bloß, dass die Geschichte dieses Mal in einer Zeit angesiedelt ist, die noch vor Blacks Durchbruch in Hollywood liegt:

Wir schreiben das Jahr 1977. Los Angeles verliert allmählich seinen Status als Stadt voller Glanz und Glamour – der Smog verpestet die Luft und der legendäre Sunset Boulevard verwandelt sich Schritt für Schritt in einen Sündenpfuhl der Pornografie. In dieser Stadt, deren frühere Identität verblasst, schlägt sich Jackson Healy (Russell Crowe) als Mann fürs Grobe durch: Wer sich jemanden vom Leib halten will, heuert ihn an. Zur Not reicht auch ein kleines Trinkgeld. Jacksons Weg kreuzt sich eines Tages mit dem des abgehalfterten Privatdetektivs Holland March (Ryan Gosling), der sich allein um seine pubertierende Tochter Holly (Angourie Rice) kümmert und eine Flasche Alkohol nach der nächsten leert. Eingangs verfolgen Jackson und Holland unterschiedliche Ziele. Doch als die nicht-ganz-so-netten Jungs feststellen, dass eine als vermisst geltende, junge Frau namens Amelia (Margaret Qualley) im Mittelpunkt einer verworrenen, millionenschweren Verschwörung stehen könnte, machen sie sich auf, sie zu finden, ehe ihnen skrupellose Profikiller zuvorkommen …

Das Rückgrat einer jeden Buddy-Actionkomödie sind, selbstredend, die beiden Hauptfiguren: Wenn sie uninteressant sind oder ihre Interaktion hapert, dann befindet sich für die gesamte Laufzeit des Films Sand im Getriebe. In dieser Hinsicht weiß The Nice Guys allerdings problemlos zu überzeugen: Ryan Gosling genießt es spürbar, in einer gegen den Strich gebürsteten Rolle als weinerlicher, versoffener und nur in überschaubaren Maßen cleverer Privatdetektiv gegen sein Image anzuspielen. Und so sehr Holland March mit seinem ratlosen Gesichtsausdruck sowie seiner 70er-Kleidung von der Stange auf den ersten Blick nach einer dick aufgetragenen Karikatur aussehen mag: Gosling legt diesen öfter einmal überforderten Schnüffler nicht als albernen Clown an, sondern als tragikomische Figur. Wenn March zu tief ins Glas geguckt hat, wirkt der Oscar-nominierte Mime nicht etwa laut, schrill und aufgeschreckt, sondern rau und hilflos – sowie nun einmal überaus chaotisch, so dass March zwar Lacher provoziert, aber nie zur Witzfigur wird.

Der hier einen kugelrunden Bauch vor sich hertragende Oscar-Gewinner Crowe wiederum unterwandert als Jackson Healy die Erwartung, seine Figur sei sozusagen die Faust des Zweiergespanns. Auch wenn Healy knallhart auszuteilen vermag und in einer Rückblende fast schon psychopathisch wirkt, so legt ihn Crowe in der eigentlichen Handlung, aller Gewaltneigungen zum Trotz, überraschend ruhig und mit großer Bauernschläue an. Wann immer er und Gosling im Doppel auftreten, schießen sie sich staubtrocken und mit zumeist stoischer Miene die spritzig-einfallsreichen Dialogwitze Blacks und seines Ko-Autors Anthony Bagarozzi um die Ohren. Dadurch, dass March und Healy ihre Wortgefechte nur selten als gezielte Witze präsentieren, ist The Nice Guys trotz der hohen Gagdichte keine persiflierende Hommage wie Kiss Kiss, Bang Bang geworden, sondern ein strikter Buddy-Actionkrimi – der halt bloß überhöht und in seiner Figureninteraktion etwas abstrus geraten ist.

The Nice Guys allerdings an seinem zentralen Kriminalfall. Obwohl die Hintergründe von Amelias Verschwinden zunächst in einem Wust aus bruchstückhaften Informationen verborgen werden, klart sich zur Hälfte des Films bereits alles schlagartig auf – zumindest für das genreaffine Publikum, während die beiden Helden weiter im Dunkeln tappen. Dadurch, dass Black den Fall trotz pointierter Zusammenfassung aller denkbaren, typischen 70er-Elemente so nüchtern und ernst präsentiert, fällt die durch die sich laut ankündigende Lösung rapide abfallende Spannungskurve sehr negativ ins Gewicht.

Generell hat das Storytelling wiederholt Probleme, mit Blacks Schnellfeuerdialogen und der knalligen Nostalgie-Songzusammenstellung mitzuhalten: Nachwehen größerer Handlungswendepunkte geraten in The Nice Guys zuweilen länger, als es die Figuren auf ihren Schultern tragen können, und die finale Erläuterung der großen Verschwörung verläuft ebenfalls ein paar Minuten länger als nötig. Black setzt dabei plötzlich auf dramatische Ironie und zwinkert kopfschüttelnd dem Publikum zu, als wolle er sagen „Na, hoffen wir, dass das alles nach den 70ern nicht eintritt“, was jedoch nicht zum Tonfall seines zuvor als Zeitkapsel auftretenden Films passt.

Während die ausdrucksarme Instrumentalmusik von David Buckley und John Ottman Probleme hat, 70er-Flair zu versprühen, besticht The Nice Guys auf visueller Ebene mit immensem Retrofeeling. Kameramann Philippe Rousselot hüllt die Szenen bei Tageslicht in sonnengegerbten Farben, während nachts nicht nur die Großstadlichter, sondern auch die kunterbunten Klamotten der Figuren leuchten. Am knalligsten strahlt aber die Farbe Rot, denn Black hält zu komischem Effekt voll drauf, wann immer seine Titelhelden zuschlagen oder ihre Waffen abfeuern – und somit Kollateralschäden verursachen. Dieser Blick über den Tellerrand der eigentlichen Handlung verleiht The Nice Guys einen kleinen Hauch der Selbstironie, der sonst nur in den frühreifen Kommentaren von Hollands Tochter Holly (vielversprechend: Angourie Rice) zu spüren ist.

Fazit: Kiss Kiss, Bang Bang-Fans könnte der nur geringe Schuss an Ironie enttäuschen, während Black Freunde des etwas bodenständigeren Lethal Weapon-Stils durch die extravagante Verpackung zu verlieren droht. Mit zwei engagierten Hauptdarstellern und raffinierten Dialogen ist The Nice Guys wenigstens eine passable Sache geworden, die leider nie das in den Trailern suggerierte Tempo erreicht.