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Montag, 5. September 2016

The First Avenger: Civil War


Zwei befreundete Helden. Gegeneinander aufgebracht. Durch ein Missverständnis. Erzeugt durch List und Tücke eines Schurken, gegen den sie sich letztlich verbünden: Ein simples Storykonzept, das in Superheldencomics gern verwendet wird. Für kurze, auf Action gebürstete, die verschiedenen Stärken und Schwächen der Figuren abwiegende Geschichten ist dagegen auch wenig einzuwenden. Für einen spannenden, sich ernst nehmenden Kinofilm ist dies wiederum recht mager. Glücklicherweise variiert The First Avenger: Civil War dieses schlichte Schema intensiv ab, statt es in dunkle,kontrastreiche Farben zu tauchen und ihm mit bleischweren Dialogen mühseligeine Möchtegernrelevanz einzuprügeln. Viel mehr fußt die neuste Regiearbeit der Brüder Joe & Anthony Russo auf einem plausiblen, vertrackten Grundsatzkonflikt zweier Superhelden, der zu höchstdramatischem Effekt auf politischer und persönlicher Ebene ausgetragen wird. Somit dient The First Avenger: Civil War als Kulminierung der bisherigen Zwistigkeiten der Marvel-Heldentruppe, die sich bereits in den ersten beiden Avengers-Filmen zankten, welche jedoch letztlich dazu dienten, die Gemeinschaftlichkeit dieser Figuren in den Fokus zu rücken.

Zudem fungiert der von den Autoren Christopher Markus & Stephen McFeely lose nach Motiven der Civil War-Comicsaga verfasste Actionfilm als packende, eine neue emotionale Fallhöhe aufbauende Antwort auf all jene Momente in den bisherigen Marvel-Kinoabenteuern, in denen Konsequenzen eher klein geschrieben wurden. Denn als ein von Steve Rogers alias Captain America (Chris Evans) geleiteter Einsatz der aus Topagentin Natasha Romanoff/Black Widow (Scarlett Johansson), Fliegerass Sam Wilson/Falcon (Anthony Mackie) und der Telekinese beherrschenden Wanda Maximoff/Scarlet Witch zusammengesetzten Avengers wegen eines Versehens unschuldige Leben kostet, reißt den Vereinten Nationen der Geduldsfaden. Der zum U.S. Scretary of State aufgestiegene Ex-General Ross (William Hurt) erklärt alsbald der Heldentruppe, dass ein neuer Gesetzesentwurf verlangt, dass sich die Avengers als Sondereinheit der UNO unterstellen. Der geniale Erfinder und Unternehmer Tony Stark/Iron Man (Robert Downey Junior), den seit seinem letzten Avengers-Einsatz schwere Schuldgefühle plagen, stimmt ohne zu Zögern zu. Auch der Android Vision (Paul Bettany) sieht darin einen logischen Schritt, ebenso wie Stark-Weggefährte Lt. James Rhodes/War Machine (Don Cheadle).

Captain America, der vor wenigen Jahren eine harte Lektion darüber lernen musste, dass staatlichen Organisationen nicht zwangsweise zu trauen ist, widerspricht hingegen. Er fürchtet, dass die Avengers mit ihrer Unabhängigkeit auch ihre Effektivität abgeben würden. Zudem sind die Autoritäten hinter Bucky Barnes her, Steves besten Freund aus Jugendtagen, der durch Gehirnwäsche zum eiskalten Killer Winter Soldier (Sebastian Stan) wurde. Steve glaubt, dass die Avengers das Recht haben sollten, auch Nachsicht walten zu lassen und Verdächtigungen kritisch zu hinterfragen. Die Unstimmigkeiten über den Gesetzesentwurf entzweien die Avengers allmählich, und als in Wien ein schweres Attentat verübt wird, droht die Situation im Wust der Schuldzuweisungen überzukochen …

Ein Actiondrama mit so vielen Superhelden, dass es eigentlich nicht funktionieren dürfte
Bei solch einem nahezu irrsinnigen Aufgebot an kostümierten Heroen drängen sich zwei Fragen auf: Kann The First Avenger: Civil War als 13. Film aus dem Avengers-Universum narrativ überhaupt auf eigenen Beinen stehen? Und kann sich angesichts des immensen Figureninventars eigentlich eine dynamische, schlüssige Erzählung entfalten? So berechtigt diese Fragen sein mögen, so sehr werden sie durch stetig voranschreitendes Storytelling und eine präzise Inszenierung zerschlagen: Selbst wenn die Besetzungsliste wie ein feuchter Produzententraum wirkt und eher nach einem dritten Avengers-Film anmutet, ist dies ganz klar ein Captain America-Film. Soll heißen: Dieses gewitzte Superhelden-Actiondrama hat inmitten der unaufhörlich eskalierenden Auseinandersetzungen zwischen "Team Cap" und "Team Iron Man" in Steve Rogers einen klaren Protagonisten. Der annähernd 100 Jahre alte Supersoldat ist der erzählerische Dreh- und Angelpunkt, es ist sein Konflikt mit sich selbst, mit ideologischen Fragen, mit seinen früheren und neuen Teamkollegen sowie seinem einstigen besten Freund, der den Plot befeuert.

Die restlichen Figuren und deren Handeln treiben entweder Captain Americas Motivation voran (sei es durch Bestärkung oder Widerstand), oder aber sie stützen das Tun und Denken seines zum Rivalen gewandelten Kollegen Iron Man. Selbst Neuzugänge wie ein gewisser, vorlauter Teenager aus New York oder ein von Stolz und Rachegelüsten angetriebener Politiker/Vigilante wachsen weit über ihren potentiellen Status als wandelnde Trailer für kommende Kinofilme hinaus. Sie gießen mit ihrer Präsenz Öl ins Feuer des Antagonismus, der zwischen den berühmten Avengers-Mitgliedern entfacht ist. Seltener war ein Kinofilm mit so großem Cast so stringent und zielgerichtet wie dieser – selbst wenn sich über die Ausführlichkeit mancher Szenen streiten lässt, so ist kein einziger Subplot unbedeutend. Ohne Unterlass schleifen die Russos sowie Marcus & McFeely an den Charakterzügen ihrer Figuren oder fügen den angerissenen Fragen über Verantwortlichkeit und Vertrauen neue Argumente zu.

Inhaltliches Kuddelmuddel bekommen Kenner der Marvel-Filmwelt also keineswegs vorgesetzt. Was die Frage der Selbstständigkeit dieses Heldenkonflikts anbelangt, fällt die Antwort unterdessen schwerer. Zuschauer, die nicht den kleinsten Hauch Vorwissen mitbringen, müssen durchaus etwas Anpassungsfähigkeit mitbringen und die nicht weiter erklärten Kräfte und Herkünfte des vorgeführten, illustren Personals ohne Weiteres akzeptieren. Anderweitig droht, dass sie über kurz oder lang von der Vielfalt an Power-Ausrüstungen, kuriosen Talenten und Superfähigkeiten überwältigt werden. Die weiteren Stützpfeiler des Projekts werden aber durchaus innerhalb der gebotenen Laufzeit errichtet, denn die Figurenmotivationen beruhen nicht allein auf früheren Produktionen: Ob Steves Bindung zu Bucky, Tony Starks Schuldgefühle, Black Widows Wankelmütigkeit sowie ihre tiefe Freundschaft zu Steve oder andere Handlungselemente, sie alle werden innerhalb dieser mehr als 140 Minuten (wieder) eingeführt, ausgearbeitet und weitergesponnen. Dennoch erhöht die Kenntnis der bisherigen 'Marvel Cinematic Universe'-Projekte selbstredend die emotionale Bindung zu den Figuren, was wiederum die Anfeindungen der Figuren packender und aufreibender gestaltet.
Chaos und perfekte Teamdynamik: Vielseitige Action, stimmig umgesetzt
Ein weiterer Aspekt, der diesem Mammutprojekt Kohärenz verleiht, ist die überaus kompetente Inszenierung der Kampfsequenzen, welche allesamt die Story nicht etwa unterbrechen, sondern vorantreiben. Die Russos, die bereits mit dem rasanten The Return of the First Avenger ihr Auge für Action unter Beweis gestellt haben, zeichnen mit den Kampfchoreografien den Verfall der Avengers-Teamdynamik nach und unterstreichen die Dringlichkeit der zentralen Konflikte. Eingangs agieren die Avengers als eingespieltes Team, innerhalb dessen sich die einzelnen Mitglieder mit ihren jeweiligen Fähigkeiten ergänzen, weshalb ihnen schnelles, intuitives Handeln möglich ist. Doch in späteren Actionszenen werden die Schläge und Tritte härter sowie unpräziser, bis in einem großen Showdown der beiden Civil War-Fronten das bloße Chaos vorherrscht, da Superkräfte wild und scheinbar kopflos eingesetzt werden und alle Beteiligten aufs reine Geratewohl vorgehen. Anders als in den bisherigen 'Marvel Cinematic Universe'-Filmen ist die alles abrundende Action-Schlussnote allerdings keine Bombastsequenz: Wenige Handelnde, ein Minimum an Gimmicks, dafür ein Maximum an charaktergetriebener Motivation und Vehemenz sorgen für ein fesselndes Ende, das nicht mit Coolness, sondern der Persönlichkeit der Figuren auftrumpft.

Ästhetisch gehen die Russos den gewagten Weg, die visuelle Sprache der Actionsequenzen schrittweise zu ändern: Die erste Avengers-Mission ist aller Teamharmonie zum Trotz äußerst rasant geschnitten, mit Bourne-Style-Handwackelkamera und vielen Nahaufnahmen. Eine spätere Verfolgungsjagd zu Fuß, Motorrad und Auto bleibt ähnlich flott und dynamisch, wird aber vermehrt mit halbnahen Aufnahmen, Halbtotalen und Totalen bereichert, wodurch dem Zuschauer mehr Überblick über die stilistisch an The Raid 2 erinnernden Stunts gewährt wird. Das 17-minütige, chaotische Superheldenaufeinandertreffen auf einem Flughafen ist letztlich temporeich, jedoch mit weiten Einstellungen und einem etwas ruhigeren Schnitttempo illustriert. Somit erlauben die Russos, dass mit zunehmender Intensität und Turbulenz dennoch nicht die visuelle Verständlichkeit der Action abhanden kommt und The First Avenger: Civil War trotz der mal spaßigeren, mal härteren Scharmützel eine durchweg stimmige Tonalität wahrt: Der Anfang ist kernig und hart gefilmt, das Ende ist wiederum inhaltlich kernig, hart und dramatisch– und da sich die Bildsprache wandelt, ist dennoch Abwechslung geboten, weswegen diese Heldenauseinandersetzung nicht monoton und schlauchend daherkommt.

Während die Spezialeffekte, von sehr wenigen, als solchen leicht zu erkennenden Green-Screen-Aufnahmen abgesehen, zur Spitzenklasse moderner Big-Budget-Hollywood-Produktionen zählen (auch in ruhigen, emotionalen Szenen weiß The First Avenger: Civil War mit seinen Effekten zu erstaunen, digitaler Verjüngungstricks sei Dank), ist dieses Abenteuer auf musikalischer Seite ein kleiner Rückschritt. In The Return of the First Avenger lieferte Komponist Henry Jackman (Baymax – Riesiges Robowabohu), einen mutigen, exzentrischen, lauten Score ab. Jackmans neue Marvel-Instrumentalmusik ist im Vergleich deutlich handzahmer und konventioneller, zählt mit dezenten Abwandlungen von figurenbasierten Leitmotiven und einer ausgewogenen Düsternis, die aber nie die humorvollen Akzente erstickt, trotzdem zu den besseren Kompositionen im eher zurückhaltenden Marvel-Musikkanon.
Ein rundum gut aufgelegtes Ensemble
Während Komponist Henry Jackman nicht zu Hochform aufläuft, trifft dies sehr wohl auf mehrere der Darsteller zu: Robert Downey Junior gibt seine bisher facettenreichste Leistung im Bereich des Unterhaltungskinos ab, indem er dem weiterhin pointiert scherzenden Iron Man eine ungeahnte Verletzlichkeit und Demut mitgibt, dem Verbissenheit und zuvor nicht gezeigtes, aber plausibles Wutpotential gegenüberstehen. Auch Chris Evans wird vom Drehbuch mehr denn je in seiner Superheldenkarriere gefordert. Die moralische Unfehlbarkeit seiner Paraderolle wird dezent hinterfragt, da beiden Seiten in diesem Zwist gute sowie schwache Argumente an die Hand gegeben werden. Vor allem erhält Evans die Gelegenheit, sich durch die Interaktion mit ganz unterschiedlichen Leinwandkollegen zu behaupten – etwa mit dem staunenden, amüsierten Paul Rudd als Scott Lang/Ant-Man, mit dem subtil bedrohlichen Daniel Brühl oder mit Emily VanCamp als CIA-Agentin Sharon, mit der er aus wenigen Szenen viel zwischenmenschliche Chemie schröpft.

Chadwick Bosmans Einstand ins Marvel-Universum ist ebenfalls überzeugend, denn trotz eines im englischsprachigen Original dick aufgetragenen Akzents verleiht er seiner Figur Würde und Kompromisslosigkeit. Weitere Nebendarsteller, wie der einmal mehr als Clint Barton/Hawkeye agierende Jeremy Renner oder Marvel-Newcomer Martin Freeman, manövrieren sich angemessen durch ihre raren Szenen, wobei sich abzeichnet: Mehr Leinwandzeit bedeutet auch eine bessere, stärker nachhallende Performance – Sebastian Stan etwa drückt ungeheuerlich viel nur durch seine Augen aus und gibt dem lebenden Stein des Anstoßes für den Avengers-Streit ebenso Charisma mit wie eine Respekt einflößende Härte.

Das umfangreiche, kunterbunt durchmischte und engagiert verkörperte Figurenensemble gestattet es den Russos, den bislang dramatischsten Marvel-Film noch immer mit schillernder Kreativität zu versehen und so den Spaßfaktor nicht im Keim zu ersticken: Auch wenn sie im Clinch liegen, sind es noch immer die bereits bekannten, schlagfertigen Figuren aus den bisherigen Marvel-Werken. Dadurch, dass sie auch in diesem Zwist nicht auf den Mund gefallen sind und auch mal neckische Kommentare bringen, bleiben diese Superhelden menschlich – womit es umso mehr schmerzt, wenn sie sich gegenseitig fertig machen. Einfache Lösungen gibt es hier nicht – und trotzdem hämmern die Russos nicht mit betonter Trostlosigkeit auf das Publikum ein. Ein regelrechtes Popcornkino-Paradox – und somit eine klare Sehempfehlung für den ersten Film in Marvels sogenannter 'Phase drei'.

Fazit: Ein unvergesslicher, ausgefeilter Superheldenzwist: The First Avenger: Civil War ist nicht nur bombastisch, sondern auch dramatisch und verbreitet obendrein noch immer großes Sehvergnügen.

2 Kommentare:

  1. Hey Sidney.
    Ich könnte mich irren, doch meines Wissens nach wurde Phase 3 des MCU mit 'Ant-Man' eingeleutet.

    Deine große Begeisterung für Cap 3 -Civil War findet sich charmant-unaufdringlich innerhalb deiner rekapitulierenden Zeilen. Das gefällt mir sehr gut und errinnert mich an viele starke Blockbustertexte von dir (Prince of Persia, Fluch der Karibik 3, Tron Legacy uvm.).

    Ich selbst sehe die übergroße Superheldendichte nicht genauso positiv, wie du es kannst.
    Mir war stellenweise die Action / Handlungsschauplätze / beteiligte Figuren doch etwas überfrachtet. Das führte dann zu einer minimal negativer empfundenen Stärke bei der Inszenierung / Darstellung der vielen Szenenwechsel innerhalb der Action (als dies bei dir der Fall ist).

    Darum sehe ich Cap 3 ein klitzekleines Bischen hinter Cap 2 - The Winter Soldier, der meine MCU-Nr. 1 bleibt. Dies jedoch gelingt ihm überaus knapp. :-)


    Nebenbei frage ich mich, wie der erste Trailer zu 'Dead Men Tell No Tales' von dir aufgenommen wurde.
    In deinem Blog ist es nämlich fast schon beängstigend ruhig in Sachen 'Disney World Fahrgeschäft goes Hollywood Blockbuster'-Part V...

    Freundliche Grüße, der seltener reinschauende, doch seit sieben Jahren Ytreuer Leser.

    Cooper / Sascha

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  2. Hallo Cooper,

    nach der Erstsichtung war es bei mir zwischen Cap 2 und 3 auch extrem eng, doch mit Neusichtungen wurde es für mich deutlicher, dass Civil War in meinem Herzen vorne liegt. Größere Fallhöhe, mehr Emotionen, dennoch enorme Actiondichte. Nur die Musik ist in Cap 2 viel, viel besser.

    Zu den Pirates habe ich hier viel geschrieben:

    http://www.quotenmeter.de/n/88473/popcorn-und-rollenwechsel-die-pirates-of-the-caribbean-segeln-wieder

    Liebe Grüße und auf wiederlesen!

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