Beim gemeinsamen Essen mit den Kindern hat ein Ehepaar eine Meinungsverschiedenheit. Der Mann geht wegen der Widerrede seiner Frau an die Decke, fährt seiner Gattin radikal über den Mund, macht sie so klein, dass sie in eine Streichholzschachtel passen würde. Die Kinder zucken nicht mit der kleinsten Wimper. Ist ja Alltag. Wenn der Sohn gegenüber seiner Mutter klagt, dass der Lehrer in der Schule Prügel verteilt, wundert sie sich über das Wehleiden ihres Sprösslings. Natürlich haut der Lehrer zu, wenn der Knabe doch unanständig ist?! So geht Erziehung. Und wenn sich Vater mit einem langjährigen Kumpel unterhält, dann muss er sich schon gefallen lassen, wenn er wegen seiner nichtigen Arbeit während des Krieges verlacht wird. Ein richtiger Mann sollte schon ordentlich Feinde weggeschossen haben. Es ging immerhin um Stolz und Ehre!
Der 12-jährige Julian (wunderbar: Oscar Brose) lebt in einer Gesellschaft und in einer Zeit, auf die all dies zutrifft. Und noch vieles mehr. Nebensächlich fallen gelassene Xenophobie, als selbstverständlich präsentierte Homophobie und ein garstiges Desinteresse daran, wie es denjenigen geht, die auf der sozialen Leiter ausgerutscht sind. Die Rede ist von den frühen 1960er-Jahren im sich langsam aus dem Kriegsschutt ziehenden Deutschland. Basierend auf Ralf Rothmanns gleichnamigen Roman, blickt Ruhrpott-Regisseur Adolf Winkelmann in Junges Licht jedoch nicht mit einem vernichtenden Kopfschütteln auf jene Tage zurück. Der Contergan-Regisseur verzichtet auf diese dramaturgischen Pausen, die zeitkritische Geschichtsfilme so häufig aufweisen, wenn sie frühere Missstände abbilden. Situationen, die der aufgeklärte Zuschauer aus dem Jahre 2016 verächtlich beäugen dürfte, werden nicht in dramatischen Geiger- und Holzbläser-Melodien erstickt. Und zu keinem Zeitpunkt weist eine für ihre Zeit progressive Figur ihrem Umfeld den Weg.
Stattdessen hüllt Winkelmann die neutralen und rückblickend so beißenden Alltäglichkeiten der Ära des Wiederaufbaus in das audiovisuelle Kleid eines romantisierten Jugendfilms. Schlicht-verschnörkelte Klänge des Bochumer Musikers Tommy Finke säuseln daher, und schaffen eine fast märchenhafte Stimmung. Hach, ist es nicht schön, wenn sich der 12-jährige die Faust aufschneidet, um eine Ausrede zu haben, aus der Pauke zu verschwinden? Ist es nicht malerisch, wenn Julians Vater (stark: Charlie Hübner) bei der Arbeit unter Tage vom Kohlestaub so pechschwarz gefärbt wird, dass die von ihm verkleckerte Milch einen derben Kontrast zu seiner Haut darstellt? Mensch, das war noch ein Beruf ..!
Verstärkt wird der nostalgisch-schwelgerische Anschein dadurch, dass Winkelmann und sein Kameramann David Slama freimütig mit dem Bild spielen. Kräftige oder entsättigte Farben – oder doch sauberes, kontrastreiches Schwarzweiß? Breites Bild oder das beengende, einst alltägliche Academy-Ratio? Einem rein rationalen Schema folgen die Formatwechsel nicht, anders als etwa in Wes Andersons Grand Budapest Hotel, in dem das Bildformat die unterschiedlichen Erzählebenen trennt. Die Wechsel von breit zu eng, von farbig zu schwarzweiß sind fließend, ungeordnet, folgen einer träumerischen, aus dem Bauch heraus kommenden Logik. Das mag eingangs leicht verwirrend sein, verdichtet jedoch die kindliche, von früher schwelgende Stimmung, die Winkelmann durchweg so berückend erzeugt. Durch eben diese erhebt er Junges Licht zu einem Meisterwerk der dramatischen Ironie empor. Denn wenn in diesem verspielt-unaufgeregten Sommerferienabenteuer des Bergarbeitersohns zwischen den Zeilen eine Ehe an angeblichen Nichtigkeiten zerrüttet, eine Pubertierende (toll: Greta Sophie Schmidt) Erwachsene anbaggert oder nonchalant mit Kriegstaten geprahlt wird, dann kann einem schon die süßlich-unbescholtene Inszenierung im Halse stecken bleiben.
Fazit: Eine kritische Abrechnung mit dem Deutschland der frühen 60er-Jahre, verkleidet als verklärte Kindheitserinnerung: Junges Licht ist ebenso wunderschön wie betrüblich.
Siehe auch: Mein Interview mit Adolf Winkelmann
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