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Donnerstag, 11. August 2016
Raum
Neun Quadratmeter. Für den fünfjährigen Jack (Jacob Tremblay) bedeuten sie die Welt. Sein ganzes Leben hat er auf denselben neun Quadratmetern verbracht. Und er fühlt sich wohl in seinem kleinen Lebensraum. Es gibt ein Oberlicht, das ihn, wie er glaubt, in den Weltraum blicken lässt. Und es gibt einen Fernseher, der unwirkliche Bilder zeigt. Doch vor allem befindet sich seine Mutter mit ihm im Raum: Die junge Joy (Brie Larson), die mit nahezu unerschütterlicher Besonnenheit ihrem Sohn ein glückliches Leben ermöglicht, indem sie Jack optimistische Geschichten erzählt und selbst banale Aufgaben des Alltags in kleine Spielereien verwandelt.
Für Joy bedeuten diese neun Quadratmeter Lebensraum hingegen den reinsten Albtraum: Im Alter von 17 Jahren wurde sie vom garstigen Nick (Sean Bridgers) entführt. Seither hält er sie in seiner schallisolierten Gartenlaube gefangen, in der er sie auch regelmäßig sexuell missbraucht. Seinen so entstandenen Sohn Jack bekommt Nick allerdings kaum zu Gesicht, denn das bisschen Kampfeswillen, das in Joy übrig geblieben ist, nutzt sie, um den Jungen zu beschützen. Vor Nick. Und vor der traurigen Realität, in der er sich befindet. Aber Joys Vermögen, diese Scharade weiter mitzumachen, bricht zusammen. Und so ringt sie mit dem Gedanken, einen letzten Fluchtversuch zu wagen …
Leinwandfüllende Klaustrophobie
Regisseur Lenny Abrahamson (Frank) und Kameramann Danny Cohen (The Danish Girl) gehen in diesem Drama auf visueller Ebene einen ungewöhnlichen Weg: Obwohl die beiden Hauptfiguren ihren tristen Alltag auf äußerst begrenztem Raum bestreiten müssen, ist die Adaption von Emma Donoghues gefeiertem Roman durchweg in einem breiten Bildformat gehalten. Durch den Verzicht auf eine formale Einengung des Geschehens wird Jacks Weltsicht Rechnung getragen: Der Fünfjährige weiß nicht, dass er gefangen gehalten wird, sondern glaubt dank Joys Erziehung, dass er die gesamte Welt begriffen hat und sie komplett auskosten kann. Jacks unbändige Lebensfreude hat die große, breite Leinwand verdient.
Dessen ungeachtet ist die Bildsprache von Raum sehr wohl beengend: Cohen hält die Kamera im titelgebenden Raum stets sehr nah am Geschehen, so dass Brie Larsons und Jacob Tremblays Gesichter wiederholt nahezu das gesamte Bild ausfüllen. Auch die karge Einrichtung des verwitterten Raums und die von Jack freudig aufgezählten Details der ihm bekannten Welt sind in Nahaufnahmen zu sehen, wodurch es schwer fällt, als Zuschauer einen umfassenden Überblick zu erhalten. Abrahamson sperrt das Publikum gemeinsam mit Jack und Joy ein – und lässt ihm die Möglichkeit, beider Weltsicht nachzufühlen.
Dramatisch, aufwühlend und doch poetisch
Dies trifft nicht nur auf die Inszenierung zu, sondern auch auf das Dialogbuch der Romanautorin Emma Donoghue: Jacks Naivität dominiert mehrere Szenen, und es sind diese kindlich erzählten Sequenzen, die Raum mit Hoffnung und Unbeschwertheit erfüllen. Doch so nachvollziehbar durch die von Jacks Perspektive beherrschten Szenen sein mögen, kaschiert Donoghue in ihrem Skript nie, welch grausame Situation Joy durchlebt. Es ist glaubwürdig, dass Jack den alten Nick nur für einen bösen Zauberer hält und daran zweifelt, ob er real ist oder Einbildung. Und dennoch bleibt ersichtlich, dass er ein Entführer und Vergewaltiger ist, und wie sehr Joy wegen ihm leidet. Brie Larson (Short Term 12 – Stille Helden) meistert mit ihrem emotional aufwühlenden, aber stets mit Bodenhaftung versehenen Spiel den kniffligen Balanceakt zwischen vorgetäuschter Zufriedenheit und innerem Tumult.
Zu keinem Zeitpunkt lässt die Oscar-prämierte Mimin Zweifel an Joys Liebe zu Jack entstehen, und gerade daher sind die Zwists zwischen Mutter und Tochter überaus aufwühlend: Wann immer das einzig Gesunde in Joys Leben wegen ihres aufgekratzten Nervenkostüms und Jacks beschränkter Weltsicht einzugehen droht, ist dies mitleiderregend. So fungiert die Frage, ob Mutter und Sohn allen Umständen zum Trotz gemeinsam glücklich werden, als stärkstes, spannungstreibendes Element in Raum. Dazu trägt selbstredend auch Tremblay bei, der diese anspruchsvolle, vielschichtige Rolle ganz natürlich und ohne Pathos verkörpert.
Bei allem Schrecken, den Raum vermittelt, ist dieses Drama jedoch auch eine inspirierende Geschichte, die die menschliche Anpassungsfähigkeit skizziert sowie den Schimmer der Hoffnung, der daher selbst auf die dunkelsten Momente folgen kann. Donoghues unaufgeregt erzählte Geschichte beschönigt solche Schicksale wie das der fiktiven Joy (deren Situation jedoch an diverse reale Fälle wie etwa Natascha Kampusch erinnert) nie, sie umfasst sogar Kritik am Umgang der Nachrichtenmedien mit solchen Tragödien. Doch gerade dadurch, dass Donoghue und Abrahamson die Tiefen so menschlich zeichnen, wirken die kurzen Momente der Harmonie so poetisch und inspirierend.
Fazit: Zwei starke Performances und eine emotional aufwühlende, einsichtsreich erzählte Geschichte machen Raum zu einem dramatischen und dennoch aufmunternden Kleinod.
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