Hart, schnell, krank und lediglich mit dem Minimum an Alibistory versehen: Musikvideo-Regisseur Ilya Naishuller und Produzent Timur Bekmambetov (Wanted) stellen sich vor den Actionkino-Alltag und versetzen ihm einen gepfefferten Tritt in die Eier. Denn ihr komplett in der Egoperspektive (nicht aber komplett am Stück) gefilmtes Stück kinematografischen Irrsinns namens Hardcore setzt sich aus der kühnen Derbheit der Crank-Filme und der wackligen Logik jener First-Person-Shooter zusammen, die primär auf ein hohes Gewaltpotential ausgelegt sind. Verschnaufpausen sind in diesem absonderlichen und kernigen Actionkonzentrat ungefähr so rar gesät wie in Mad Max: Fury Road. Jedenfalls, sobald der zumeist nur seine Hände zeigende Protagonist Henry erst einmal Fahrt aufgenommen hat. Denn seinem mit wildem Eifer verfolgten, adrenalingeschwängerten Feldzug gegen das in nur wenigen Worten erklärte Böse ist ein gemächlicher Prolog vorgeschaltet, der den Betrachter an die Ich-Perspektive gewöhnt und obendrein die Low-Sci-Fi-Welt dieser Nischenproduktion einführt:
Schwer verletzt wacht Henry im Labor seiner Frau Estelle
(Haley Bennett) auf. Besorgt dreinblickend pflegt sie ihn, bringt seine
Erinnerung auf Vordermann und nutzt ihr Wissen in Sachen Cyborgtechnologie, um
ihrem Gatten mit hochmodernen Prothesen ein Weiterleben zu ermöglichen. Doch
noch während des letzten Feinschliffs an der Prozedur, die Henry zu einem
Kämpfer irgendwo zwischen Mensch und Maschine machen soll, platzt der
psychopathische Akan (Danila Kozlovsky) ins Labor. Er demütigt Henry und nimmt
Estelle gefangen, um sie dazu zu zwingen, eine willenlose Heerschar an
kybernetisch aufgemotzten Soldaten zu erschaffen. Das kann Henry natürlich
nicht auf sich sitzen lassen. Also rennt, springt, prügelt, schießt und kämpft
Henry im Moskau einer nahen Zukunft, was das Zeug hält, und um an Akan zu
gelangen, dessen Plan vereitelt werden muss. Auf dem Weg zur Befreiung Estelles
ist Henry nahezu auf sich allein gestellt. Nur der schräge Jimmy (Sharlto
Copley) steht mit wirrem Rat und unvorhersehbarer Tat zur Seite …
Selbst wenn die Marketingköpfe hinter Hardcore
es stellenweise so darzustellen versuchen: Die russisch-amerikanische
Produktion ist längst nicht die erste „First-Person-Erfahrung“ der
Kinogeschichte. Bereits die Kriminalroman-Adaption Die Dame im See
von 1947 versuchte mit den damals gegebenen Möglichkeiten, den Zuschauer
wortwörtlich in die Perspektive der Hauptfigur zu versetzen. Seither spielten
Regisseure in unregelmäßigen Abständen mit diesem Konzept, wie etwa Gaspar Noé
in Enter the Void, Franck Khalfoun in Alexandre
Ajas Maniac oder Andreas Tom mit FPS – First Person Shooter.
Während die erstgenannten Filme mit dem Perspektivspiel einen
dramaturgisch-psychologischen Effekt erzielen, haben der deutsche Horrorfilm FPS
und Hardcore eins gemeinsam: Sie imitieren den Look und das
Feeling von Egoshootern – FPS schielt dabei auf den
Horrorsektor, Hardcore stärker auf bewusst krude eine
Mischung aus der Welt von Call of Duty: Advanced Warfare und
dem Humor eines Duke Nukem 3D.
Als hauptsächlich mit der GoPro Hero3 Black Edition
gedrehter Kinofilm hat Hardcore aber auch viel von den
Videos, die eine Jugendsubkultur aus Russland mit Vorliebe bei YouTube
hochlädt: Mit Helmkameras gefilmte Stuntvideos. Im Gegensatz zu diesen, die als
Nebenprodukt von todesmutigen Aktionen entstehen, weiß der hoch kinetische Hardcore
aber die Bedürfnisse des Publikums zu berücksichtigen: Regisseur Ilya
Naishuller achtet stets darauf, dass trotz der sich unentwegt bewegenden Kamera
eine Übersicht der Szene gewahrt ist. Wenn Henry etwa aus einem Geheimversteck
flieht, so blickt er sich ruhig um, bevor das Chaos so richtig losbricht. So
kann sich der Zuschauer Orientierung verschaffen, womit die geballten,
schnellen Actionsequenzen noch immer spannend bleiben, statt zu einem reinen
Bewegungswust zu verkommen. Nur gelegentlich stiftet Naishuller Verwirrung,
dies aber teils mit gewitztem Effekt, etwa wenn Henry einen Sprung vom Dach
eines Autos nur übersteht, weil er mit viel Glück auf dem vorbeifahrenden Motorrad
einer Helferin landet.
Überhaupt bewahrt Naishuller seinen Actiontrip davor,
eintönig zu werden, indem er die waghalsigen Stunts und das ruchlose Gemetzel
mit pointiertem Humor auflockert: So selbstbewusst und fähig „Hardcore Henry“
auch auftreten mag, diverse Male überschätzt sich der Anti-Held dann doch und
scheitert bei von anschwellender Musik begleiteten Kunststücken oder legt sich
ganz schlicht und unzeremoniell bei einem Sprung auf die Fresse. Insofern ist
Henry der schweigsame Bruder im Geiste des Crank-Protagonisten
Chev Chelios: Jason Stathams abgebrühter Auftragskiller vollführt in seinen
bislang zwei Filmen ebenfalls abgefahrene Dinge, bloß um an anderer Stelle über
seine eigenen Füße (oder sein Ego) zu stolpern. Generell wirkt Hardcore
wie ein in der Egoperspektive gefilmter Cousin des elektrisierenden und
durchgeknallten Crank: High Voltage, der ebenfalls
Actioneskapaden mit pechschwarzem Humor vermengt.
Während bei Mark Neveldine und Brian Taylor aber die kranken
Einfälle Vorfahrt haben, legt Ilya Naishuller mehr Wert auf eine hohe
Actiondichte – diese setzt sich zu ähnlich großen Teilen aus realistischen
Stunts und unverfrorenen, ultrablutigen Gewaltspitzen zusammen. Eben diese
Splatter-Momente stehen mal für sich und setzen somit hinter den
vorhergegangenen Actionpassagen ein dickes Ausrufezeiten, andere werden vom
Musikvideo-Regisseur wiederum so betont albern präsentiert, dass sie einen ganz
abgeschmackten Humor bedienen. Allerspätestens im großen, von Queen-Musik
begleiteten Finale lässt Hardcore jegliche Zurückhaltung
links liegen und greift mit faszinierender Frechheit die Lachmuskeln der
Zuschauer an, für die Zimperlichkeit ein Fremdwort ist.
Nicht, dass das krass-schrille Finale unvorhergesehen auf
das Publikum hereinbricht: Mit dem extrem dick auftragenden Nebendarsteller
Sharlto Copley haut Naishuller seinem Publikum eine genüsslich-exzentrische
Rolle um die Ohren. Der unter anderem aus Elysium bekannte
Südafrikaner chargiert sich wandelbar, doch stets maßlos übertrieben durch
absurde Dialoge, die den Plot am Laufen halten und Hardcore
zwar kein Herz, aber zumindest eine Persönlichkeit verleihen. . Wenngleich auch
Copley die wenigen Leerläufe dieses Films nicht übertönen kann (so ist ein
schwach ausgeleuchteter Abstecher in ein Bordell etwas lang geraten), sorgt er
immerhin für Spaß und bestärkt Henry in seiner Motivation, es Akan
heimzuzahlen. Denn Henrys rudimentär charakterisierte Freundin ist keine so
überzeugende Antriebsfeder wie Copleys Jimmy, dessen sonderbare Art (die zu
einer unvergesslichen Musicaleinlage führt) schon eher einen (kaputten)
moralischen Orientierungspunkt markiert. Und das ist symptomatisch für Hardcore:
Wieso nach Normalität streben, wenn es auch einen harten, bescheuerten Weg
gibt?
Fazit: Harte, durchgeknallte Action für
filmverrückte Adrenalinjunkies der Generation Call of Duty
und YouTube: Hardcore pfeift auf Kinogesetze und bringt
Videospiellogik sowie GoPro-Stuntaktionen ebenso derbe wie amüsant auf die
Leinwand. Das ist nicht mehr Papas Actionkino!
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