Sie wurde unter Film- und Fernsehfans bereits unzählige Male diskutiert: Die „Mystery Box“, mit der Produzent J. J. Abrams seine bevorzugte Herangehensweise ans Geschichtenerzählen beschreibt. Laut Abrams mangelt es unserem modernen Entertainment zumeist am Reiz des Geheimnisvollen, was er mit der Erzählweise sowie der Vermarktung seiner TV- und Kino-Projekte zu ändern versucht. Das mit konkreten inhaltlichen Angaben sehr sparsame Star Wars: Das Erwachen der Macht-Marketing hat dies zuletzt auf Blockbuster-Ebene vorgemacht, doch das Paradebeispiel für Abrams‘ Philosophie dürfte wohl Cloverfield sein. Die 25-Millionen-Dollar-Produktion wurde durch einen ein mysteriösen Trailer angekündigt, der im Sommer 2007 in den USA vor Transformers kopiert wurde. Zuvor war das Projekt vollkommen unbekannt, auch anschließend hielten sich der Verleih Paramount Pictures und Abrams‘ Produktionsfirma Bad Robot mit Informationen bedeckt.
Die Wartezeit bis zum Kinostart im Januar 2008 wurde durch ein aufwändiges virales Marketing überbrückt, das Interessenten mehr über die Welt erzählte, in der Matt Reeves‘ Found-Footage-Horrorthriller angesiedelt ist. Filmszenen und den eigentlichen Inhalt der Produktion anreißende Details blieben derweil äußerst rar. Das Publikum begrüßte es, und angesichts positiver Kritiken und weltweiten Einnahmen von 170,8 Millionen Dollar wurden alsbald auch Stimmen laut, dass ein weiterer Cloverfield-Film folgen könnte. Anfang 2016 überraschten Bad Robot und Paramount erneut mit einem Trailer, den zuvor keiner hat kommen sehen: Michael Bays 13 Hours: The Secret Soldiers of Benghazi startete in den USA in Begleitung eines atmosphärischen Trailers, der sich in seinen letzten Sekunden als Vorschau auf das bis dahin komplett geheim gehaltene Projekt 10 Cloverfield Lane enttarnt. Eine direkte Cloverfield-Fortsetzung sei der nur 15 Millionen Dollar teure Film allerdings nicht, wie die Filmemacher der Presse kurz darauf mitteilten. Es handle sich eher um einen „Blutsverwandten“. Und wenn der Cloverfield-Familie eins im Blut liegt, dann wohl schneidende Spannung …
Ratlos im Bunker
Im Mittelpunkt der rätselhaften Ereignisse steht die junge
Frau Michelle (Mary Elizabeth Winstead), die überstürzt aus ihrem bisherigen
Leben flieht. Dabei gerät sie in einen schweren Unfall, nach dem sie in einem
unterirdischen Bunker erwacht. Eingeschlossen in einem kargen Raum.
Festgekettet. Der streng dreinblickenden Mann (John Goodman), der Michelle
überwacht, spricht in wirren Worten davon, dass draußen etwas Grausames vor
sich gegangen sei. Nur in diesem Schutzbunker wäre man also noch sicher.
Michelle schenkt dem Mann allerdings keinen Glauben. Deutet doch alles
daraufhin, dass sie entführt wurde. Dann aber bemerkt Michelle, dass sich eine
weitere Person im Bunker befindet: Emmett (John Gallagher Jr.), der beteuert,
dass es an der Erdoberfläche tatsächlich zu erschreckenden, mysteriösen
Ereignissen gekommen sei. Sagen die beiden Männer womöglich die Wahrheit? Oder
wartet das Grauen eher im Inneren des Schutzbunkers?
Nachdem Regisseur Matt Reeves in Cloverfield
den Found-Footage-Ansatz nutzte, um als angebliche Videoaufnahme eines New
Yorker Yuppies zu zeigen, wie dieser einen Monsterangriff auf den Big Apple
erlebt, geht Dan Trachtenberg in 10 Cloverfield Lane einen
inszenatorisch klassischeren Weg. Doch auch ohne Found-Footage-Gimmick gelten
in diesem kammerspielartigen Thriller Beschränkungen der Erzählperspektive: Die
Erzählung konzentriert sich praktisch durchgehend auf Michelle, das Drehbuch
von Josh Campbell, Matt Stuecken und Damien Chazelle ist so aufgebaut, dass der
Zuschauer zu keinem Zeitpunkt einen nennenswerten Wissensvorsprung gegenüber
Michelle hat. Daraus zieht Trachtenberg jede Menge Spannung, indem er das
Publikum unentwegt miträtseln lässt: Was ist an der Oberfläche geschehen,
welche Absichten haben Emmett und der sich als Howard vorstellende Besitzer des
Bunkers? Gibt es einen Ausweg aus dem Bunker, und wenn ja, wäre es klug, ihn zu
wählen?
Rundum spannend
Inszenatorisch macht Trachtenberg bei seinem Debütfilm
nahezu alles richtig: 10 Cloverfield Lane ist einer dieser
Filme, die tonal unentwegt auf der Kippe stehen und daher unberechenbar sind.
Einerseits schürt der Regisseur ein Gefühl der Beklommenheit und
Klaustrophobie, etwa durch Einstellungen, die unterstreichen, wie bedrückend
Michelles grau-braune Betonzelle innerhalb des Bunkers ist. Andererseits sind
andere Räume in Howards Bunker heimeliger, mit Einrichtung in einem etwas
piefigen 60er-Jahre-Charme, einer stylischen Jukebox und einer großen Sammlung
von teils sehr schrägen VHS-Filmen. Kameramann Jeff Cutter steuert derweil
gegen die Erwartungshaltung an, und bricht das statische, auf den Bunker
beschränkte Geschehen durch dynamische Aufnahmen auf: Mal sind es schleichende
Fahrten vom Ende eines Raumes hin zu den sich bedächtig anschweigenden Figuren,
andere Male saust die Kamera leicht wackelnd durch den Bunker, wenn die
Stimmung unter dem Erdboden eskaliert.
Begleitet wird das hoch atmosphärische Geschehen durch
Instrumentalmusik von The Walking Dead-Komponist Bear
McCreary, der auf lautstarke, symphonische Klänge setzt und somit nicht den
beengenden Handlungsort, sondern die bewegten Emotionen Michelles in Musik
umwandelt. Die Klang-Bild-Schere ist daher zuweilen arg groß, jedoch verleihen die
Darsteller 10 Cloverfield Lane der getragenen Musik zum
Trotz ein erdiges Gefühl. Hier stehen keine überzeichneten, überlebensgroßen
Hollywood-Kino-Figuren im Mittelpunkt, sondern glaubwürdige, ambivalente
Figuren mit Indie-Feeling. Mary Elizabeth Winstead begeistert als das absolute
Gegenteil einer typischen „Scream Queen“, also einer verängstigten
Horrorfilm-Protagonistin, die ihrer Darstellerin bloß aufreibende Schreie
abverlangt. Winstead fürchtet sich leiser und echter, mit vorsichtigem Zittern
am ganzen Leib – wobei sie nur selten vor Angst erstarrt. Die Drehbuchautoren
haben eine Figur erschaffen, die in jeder Situation nach einer Lösung sucht, um
diese dann mit Geduld und Kombinationsgabe umzusetzen. Dennoch wirkt Winsteads
Michelle nie abgebrüht, so dass sie als ideale Identifikationsfigur dient.
John Gallagher Jr. wiederum sorgt als unbedarfter, lässiger
Typ für unaufgeregten Humor, während John Goodman seine beste Leistung seit
über zehn Jahren abliefert: Er bringt die wechselhaften Launen Howards allesamt
dermaßen glaubhaft rüber, dass jede Stimmungsschwankung aufs Neue schockiert.
Kaum gewöhnt man sich an den etwas verpeilten, aber gutmütigen Retter, wandert
er in psychopathische, bedrohliche Gefilde ab. Und kaum gewöhnt man sich an den
still-bedrohlichen Howard, wandelt er sich zum cholerischen, ansonsten normalen
Zeitgenossen. Oder zeigt sonst eine mittlerweile wieder vergessene oder gar
gänzlich neue Facette. Somit verleiht Goodman 10 Cloverfield Lane
auch einen sehr dunklen, aber prägenden Sinn für Humor, denn mitunter sind
seine Stimmungsschwankungen ebenso abrupt wie pointiert. Gerade diese humorigen
Momente machen die unvermeidlichen Entgleisungen umso nervenaufreibender. Und
selbst wenn nicht alle für die immense Spannung sorgenden Rätsel auch bis zum
Schluss Rätsel bleiben, sorgt 10 Cloverfield Lane mit
subtilen Verweisen auf Cloverfield und einigen weiteren
offenen Fragen auch nach dem turbulenten Finale für Grübelfalten.
Fazit: Atmosphärisch dicht, hochspannend
und eine schauspielerische Tour de Force: 10 Cloverfield Lane
ist Spannungskino par excellence!
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