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Donnerstag, 2. Juni 2016

Tschiller: Off Duty


Mit deutschem Geld finanzierte Actionfilme sind selten, aber gelegentlich finden sie sehr wohl den Weg in die Lichtspielhäuser. Die FFA zählt etwa Die Tribute von Panem – Mockingjay: Teil II als deutsche Ko-Produktion, genauso wie mehrere Regiearbeiten von Paul W.S. Anderson (Resident Evil – Retribution, Die drei Musketiere) oder den Liam-Neeson-Thriller Unknown Identity. Actionfilme mit deutschen Stars in den Hauptrollen und einer deutschen Crew stellen im Kino dagegen eine absolute Rarität dar. Dass Hunger nach Action aus deutschen Landen besteht, lässt sich allerdings nicht abstreiten. Warum sonst läuft Alarm für Cobra 11 – Die Autobahnpolizei seit annähernd 20 Jahren bei RTL? Wohl kaum, weil Millionen von Zuschauern den Dauerbrenner als Meisterwerk anspruchsvoller Erzählkunst betrachten …

Til Schweiger bezeichnete sich im Laufe seiner Karriere in diversen Interviews ebenfalls als Freund des Action-Genres. Statt sich aber nur über einen Mangel an eigenproduzierter Action auf dem deutschen Markt zu beklagen, trägt er mit Eifer sein Scherflein dazu bei, diesen Mangel zu beseitigen. Bislang mit durchwachsenem Erfolg: Sein Action-Drama Schutzengel scheiterte als einzige seiner Realfilm-Regiearbeiten nach dem Jahrtausendwechsel an der Eine-Millionen-Besucher-Marke. Im Fernsehen sah es zunächst besser aus: Der von Schweiger in der Hauptrolle besetzte und von ihm mitgetragene, nicht aber von ihm inszenierte Hamburg-Tatort startete mit Zuschauerzahlen auf Rekordniveau. Die drei nachfolgenden Ausgaben der Action-Krimireihe dagegen erreichten von Mal zu Mal weniger Fernsehende. Anfang 2016 zog es Schweigers Tatort-Rolle Nick Tschiller letztlich auf die große Leinwand – begleitet von einer Werbekampagne, die wie mit der heißen Nadel gestrickt wirkt. So sind die Trailer zum Film rappelvoll mit Standard-Soundeffekten, und die an Comic-Magazine erinnernde, rundliche Schriftart der in den Trailern eingeblendeten Zwischentitel dürfte Tschiller: Off Duty ebenfalls keinen Gefallen getan haben. Doch wie es so schön heißt: Man soll ein Buch nie an seinem Einband beurteilen. Und einen Film nicht allein an seinen Trailern. Tschiller: Off Duty ist ein Paradebeispiel dafür – sowie eine glänzende Erinnerung daran, dass gute Action keine Frage der Nationalität ist. Was Amerikaner, Briten, Franzosen und der asiatische Filmmarkt beherrschen, können Deutsche auch!

Etwas Geduld braucht's schon ...
Der Einstieg ist Drehbuchautor Christoph Darnstädt etwas zäh geraten: Der kurdische Kriminelle Firat Astan (Erdal Yıldız) wurde nach seinen Taten in den bisherigen Tschiller-Tatort-Ausgaben nach Istanbul ausgeliefert. Firat kann sich der türkischen Justiz aber entziehen, woraufhin sich die 17-jährige Polizistentochter Leonora (Luna Schweiger) auf eigene Faust aufmacht, um am Ganoven Blutrache für den Mord an ihrer Mutter auszuüben. Bei diesem Versuch gerät die „Lenny“ genannte Teenagerin jedoch in die Fänge von Firats ruchlosen Geschäftspartner Süleyman Şeker (Özgür Emre Yildirim). Erst daraufhin nimmt Tschiller: Off Duty Fahrt auf. Denn als Lennys Vater, der verbissene Cop Nick Tschiller (Til Schweiger), davon Wind bekommt, dass seine Tochter verschwunden ist, reist er ihr hinterher, um sie aus dem Schlamassel zu befreien. Somit gerät Tschiller in ein internationales Abenteuer, bei dem nicht nur das Leben seiner Tochter auf dem Spiel steht, sondern auch ein Komplott aufgedeckt werden muss. Um diese Mission zu bewerkstelligen, ist Tschiller auf die Hilfe von alten Verbündeten (u.a.: Fahri Yardım alias Yalcin Gümer) angewiesen, und auch neue, teils schwer einzuordnende Bekanntschaften werden geschlossen …

Ein wichtiger Aspekt, in dem Tschiller: Off Duty das bisher vom Schweiger-Tatort gebotene übertrifft, ist die hier gebotene Abwechslung. Auch wenn in Der große Schmerz eine gut aufgelegte Helene Fischer für Abwechslung sorgte und Fegefeuer mit einer Geiselnahme hinter den Kulissen der Tagesschau Aufmerksamkeit zu erhaschen versuchte, stellte sich bei den Actionkrimis aus Hamburg innerhalb von nur vier Ausgaben eine gewisse Routine ein. Das hatte zur Folge, dass Hauptdarsteller Til Schweiger in seiner Rolle zuletzt nur noch zwei extreme Emotionen zeigen durfte: Geballte Wut oder tiefe Trauer. In Tschiller: Off Duty lassen Autor Darnstädt und Regisseur Christian Alvart hingegen wieder eine größere Bandbreite an Tonalitäten zu.

Repräsentativ dafür steht ein kurzer Moment, in dem Tschiller sprichwörtlich mit dem Rücken zur Wand steht. Impulsiv, wie „der Terrier von Hamburg“ nun einmal ist, greift er in dieser unmöglich zu bewältigenden Situation zur Knarre, droht seinem Gegenüber und reitet sich so nur tiefer in die Scheiße. Als er deswegen geneckt wird, antwortet er in einem gleichermaßen genervten wie verzweifelten Tonfall: „Scheiße! Fuck Off!“ Was niedergeschrieben keinerlei Eindruck macht, schürt durch Schweigers Intonation im Film Spannung: Tschillers Unsicherheit ist hörbar, ebenso wie sein Eingeständnis, sich gerade sein Leben noch schwerer gemacht zu haben. Und gleichzeitig wird in dieser und ähnlichen Szenen ersichtlich, dass wir es mit einem fehlbaren Helden zu tun haben, der dennoch jeden erdenklichen Strohhalm ergreift, um vorwärts zu kommen.

Das ist wahrlich keine ausgefeilte, profunde Dramatik, aber es geht weit über die binäre Vorgehensweise beim Hamburg-Tatort hinaus und erlaubt so eine packende Popcornkino-Erzähldynamik: Es schwebt stets im Raum, dass die nächste Actionszene nicht weit sein kann. Ob Tschiller darin aber der Aggressor oder der Gejagte ist, ob er sie mit Findigkeit oder purer Willenskraft übersteht und ob es eine Prügelei, Schießerei oder Verfolgungsjagd ist, wird nicht so weit voraustelegrafiert. Obendrein geraten manche Actionszenen eher humorvoll, während andere den Schwerpunkt auf Thrill legen oder gar beides bieten (Stichwort: Mähdrescher!). Damit schnüren die Filmemacher ein rundes, alles bietendes Action-Paket. Ein Action-Paket, das verflixt gut aussieht: Das an Hollywood-Maßstäben gemessen lachhafte Budget von acht Millionen Euro ist diesem Kino-Tatort nicht anzumerken – die prächtigen Aufnahmen von Kameramann Christof Wahl lassen den in Moskau, Istanbul, Berlin und Moskau gedrehten Film stattdessen deutlich kostspieliger erscheinen.

Spektakuläre und völlig durchgeknallte Stunts wie den Loopings fliegenden Hubschrauber aus SPECTRE gibt es zwar nicht zu sehen, ein großer Verlust ist dies aber nicht: Anstelle vereinzelter, großer Set pieces bilden bei Tschiller: Off Duty zahlreiche, prägnante Kämpfe und knackige Fluchtszenen das Grundgerüst des Films. Tschiller kämpft und schießt sich so von A nach B (respektive von Istanbul nach Moskau), er flieht und wird verfolgt, und stets inszeniert Alvart dies mit versierter Hand und mitreißendem Tempo. Wo SPECTRE in seiner Selbstgefälligkeit gähnend langweilig daherkommt, punktet Alvarts Regiearbeit mit flotter, kerniger Action, die zwar nur selten originell choreografiert ist, dafür aber dank zielsicherer Kameraführung und guter Stuntarbeit meilenweit an James Bonds 24. Kinomission vorbeizieht. Gelegentlich schneidet Cutter Marc Hofmeister sehr hektisch von einem Bild zum anderen, wodurch die Tritte und Schläge und Sprünge Schweigers nicht immer ihre volle Wucht entfalten. Der Löwenanteil der Actionszenen ist aber präzise geschnitten, so dass eine Übersicht des Geschehens gewahrt ist und trotzdem nie der Schwung verloren geht.

Auch die effektive, kühle und dennoch treibende Musik von Martin Todsharow verleiht Tschiller: Off Duty Hollywood-Feeling – selbst wenn sie keine einprägsamen Leitmotive fabriziert. Mehr noch als die Action ist es aber Yardım, der eine Sichtung dieses Actioners bezahlt macht: Der Mime stellt einmal mehr sein begnadetes komödiantisches Timing zur Schau, und die Freundschaft zwischen ihm und Schweiger macht sich auch durch eine tolle Figurendynamik bemerkbar. Er lockt in den gemeinsamen Szenen die menschelnde Seite des verbissenen Tschillers hervor und dient als Gümer zudem als spritziger Stichwortgeber und süffisanter Kommentator des Geschehens. Gelegentlich wird Gümer auch als wandelnde Notfalllösung genutzt, um aus storytechnischen Sackgassen herauszukommen, diese „Deus Ex Machina“-Momente sind aber launig genug, um im Rahmen reiner Actionkinounterhaltung durchzugehen. Da sticht die verschachtelte, immer wieder nur beiläufig erfolgende, Erörterung des von Şeker ausgeheckten Komplotts schon ärger hervor – da es für Tschiller aber primär nur darum geht, seine Tochter zu retten, bleibt die Handlung dennoch stets zugänglich.

Lobenswert ist zudem die Besetzung zahlreicher lokaler Schauspieler in den russischen und türkischen Rollen: Zwar bringt das nicht durchgehend fließende Deutsch der Darsteller gelegentliche Verständlichkeitsprobleme mit sich, für die dadurch gewonnene Authentizität und das so größer werdende Flair des Films macht sich dieser Preis aber bezahlt. Vor allem Berrak Tüzünataç als türkische Hotelangestellte (harte Aussprache, glaubwürdiges Spiel), Özgür Emre Yildirim als herrlich grinsender Fiesling Şeker und die goldige, humorvolle Alyona Konstantinova als leichtes Mädchen Dasha sind große Bereicherungen für diese grenzüberschreitende Ganovenhatz. Da darf man durchaus voller Bedauern feststellen, dass Tschillers sechste Mission wieder nur im Fernsehen stattfinden soll. Eine Planänderung wäre zu begrüßen. Denn: Diese Figur ist für die große Leinwand geboren!

Fazit: Tschiller: Off Duty ist die Antithese zum letzten Bond: Während SPECTRE großartig anfängt und sich daraufhin in eine bleierne Ente verwandelt, braucht der Kino-Tatort etwas, um aus dem Quark zu kommen. Aber wenn Nick Tschiller erst einmal Blut geleckt hat, fetzt das Teil!

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