Kurzum: Brooke ist eine widersprüchliche, eine facettenreiche, eine
bizarre Person. Eine, die Gefahr liefe, den gesamten Film um sich herum
aufgrund ihrer Ziellosigkeit zu demontieren. Doch das Gegenteil ist der Fall:
Sie fasziniert, sie beflügelt, sie erfrischt – und all dies, obwohl sie unfair
sein kann, nicht lebensfähig ist und daher ein unsagbar schlechtes Vorbild
darstellt.
Gespielt wird diese anziehende, zum Kopfschütteln einladende Frau von
einer der wenigen Darstellerinnen, denen solch eine Rolle zuzutrauen ist: Greta
Gerwig, die sich Brooke gemeinsam mit ihrem Schreib- und Lebenspartner Noah
Baumbach auf den Leib geschrieben hat. Baumbach, der hier, genau wie bei
Gerwigs Durchbruch Frances Ha Regie führt, versteht es, die
Ausstrahlung Gerwigs und des von ihr verkörperten „Pleite-Tausendsassas“ genau
einzuschätzen. Daher macht er Brooke zwar zur wichtigsten Person, aber nicht
zur eigentlichen Hauptfigur seiner bittersüßen Screwball-Farce. Brooke wird
bewundert, kritisch beäugt, zum Rätsel auf zwei Beinen stilisiert – und zwar durch unsere Protagonistin und
Erzählerin Tracy (Lola Kirke). Die 18-jährige Studentin ist eingangs schwer
davon enttäuscht, wie sich ihr College- und Großstadtleben in New York
entwickelt, weshalb sie sich bei ihrer künftigen Stiefschwester Brooke meldet.
Als echte New Yorkerin müsste sie ihr etwas Orientierung geben können, denkt
Tracy, nicht ahnend, welches Wirrwarr die redselige Blondine verursacht …
Ein solches, angenehm zu verfolgendes Wirrwarr verursacht Brooke nicht
nur in Tracys früher College-Zeit, sondern auch im Hinblick darauf, welche
Tonart Baumbachs zweite filmische Zusammenarbeit mit Gerwig anschlägt. Was als
raffiniert beobachtende, gewollt spröde College-Komödie beginnt, die davon
handelt, dass die von Kirke mit bodenständigem Charisma gespielte Tracy nicht
ins ersehnte Studentenleben findet, wird durch Brookes Auftauchen zunächst zu
einer Zeitgeist-Komödie: Das wilde, unvorhersagbare, atmosphärische New York
rückt ins Zentrum des Geschehens, Tracys Studium rutscht weit in den
Hintergrund.
Baumbachs Kameramann Sam Levy fängt den Big Apple in kräftigen
Retro-Farben ein, die Erinnerungen ans Kino der 70er wecken – und da Baumbach
seine Figuren bevorzugt an urigen Orten quasseln lässt und stilecht, aber nicht
modisch kleidet, könnten diese Szenen glatt aus jener Zeit stammen. Was nicht
heißt, dass Mistress America völlig aus der Zeit gefallen
ist: Ab und zu zückt dann doch jemand sein Handy, um Fotos zu machen oder
Nachrichten zu versenden – und selbst wenn das Drehbuch auf hippen Slang
verzichtet, so ist Brooke eine Vorzeigeverkörperung der medienaffinen,
verträumten Endzwanziger bis Mitdreißiger der Jetztzeit. Baumbach und Gerwig
verschmelzen in ihrem Skript das zeitlose Feeling, das sie anstreben, nahtlos
mit exakten Beobachtungen über das Heute. Und auch wenn sie bei der Einführung
Brookes für wenige Minuten zu sehr in eine nichts aussagende Imitation
verfallen, führt schon der nächste Haken, den die Titelfigur schlägt, den Film
in sehr ergiebige Gefilde.
Denn einerseits fängt Brooke an, auf ihre Stiefschwester in spe
abzufärben, was für Tracy erbauliche sowie ernüchternde Folgen hat. Dieses
charaktergesteuerte, dem Alltag entnommene dramatisch-komödiantische Schauspiel
wird aber in eine intellektuell-neurotische Farce eingebettet, wie sie von Woody
Allen oder Peter Bogdanovic stammen könnte: Um Geld für ihr Restaurant
aufzutreiben, fährt Brooke zu ihrem wohlhabenden Ex und dessen ebenfalls gut
situierte Gattin. Da Brooke nicht nur von Tracy, sondern auch zwei ihrer
College-Bekanntschaften begleitet wird, und im noblen Anwesen der potentiellen
Restaurant-Investoren Besuch zu gegen ist, sind alle Voraussetzungen für ein
ulkiges Hickhack gegeben.
Und Baumbach schöpft dieses Potential voll aus: Er orchestriert mit
seinen Figuren ein perfekt koordiniertes Hin und Her – Allianzen werden
aufgebaut und aufgegeben, immer wieder werden Zwie- zu Gruppengesprächen und
die exzentrischen Charaktere schaukeln sich gegenseitig immer weiter hoch. Die
Grenze zur Karikatur wird alsbald überschritten, jedoch nutzt Baumbach dies, um
feinsinnig-fesche Pointen und Aussagen über Brookes Menschenschlag von sich zu
geben. Und dank makellosem Comedy-Timing des gesamten Ensembles sowie Jennifer
Lames Schnitt, der in diesem Part viel präziser ist als noch im ersten Akt,
wird bei Freunden waschechten New Yorker Filmhumors kaum ein Lachmuskel
unberührt bleiben.
Sobald sich der überhöhte, gekonnt konstruierte Trubel in der Villa von
Brookes Ex gelegt hat, nimmt wieder die Menschlichkeit Überhand: Mistress
America reißt unaufdringlich, aber feinfühlig die Frage an, wie viel
Brooke in uns stecken sollte. Eine klare Antwort gibt es nicht, nur eine völlig
veränderte Tracy, einen launigen Abspann und ein nachdenkliches Grinsen auf dem
Gesicht des geneigten Zuschauers.
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