Nietzsche hat sich geirrt. Gott ist gar nicht tot. Besser wäre es aber.
Denn Gott ist ein ungehobeltes, stinkendes, faules Arschloch. Er rafft sich nur
auf, um seine Frau verächtlich nieder zu machen, seine Tochter zu tyrannisieren
oder die Menschheit zu plagen. Die lässt er üblicherweise links liegen, doch
wenn er ihr seine Aufmerksamkeit schenkt, dann orchestriert er mit sadistischem
Vergnügen Verkehrsunfälle, Umweltkatastrophen und sonstiges Unglück. Vieles
lässt der widerliche Prolet jedoch von alleine laufen. Denn einst hat er auf
seinem klapprigen DOS-Rechner Tausende von alltäglichen Unannehmlichkeiten als
kosmische Gesetze festgelegt. All diese Trostlosigkeit ist in einer Wohnung im
Herzen Brüssels beheimatet, die im abstoßendsten Unterschichten-Chic
eingerichtet ist. Kein Wunder, dass Gottes Sohn JC vor gefühlten Ewigkeiten
ausgebüxt ist.
Das Gottes- und Weltbild, das Regisseur und Ko-Autor Jaco Van Dormael
zu Beginn seiner tragikomischen Religions- und Gesellschaftssatire Das
brandneue Testament zeichnet, ist bitter. Abgeschmackt. Desolat. Es
fällt kaum Licht in das Heim Gottes, die Einrichtung erdrückt in einem
Fäkalbraun-Kotzgrün-Trübgrau-Mix jeglichen Hoffnungsschimmer und das
Arbeitszimmer des Schöpfers ist mit seinen überdimensionalen Aktenschränken
wahrlich kein Hort der Inspiration. Die These, dass Gott der Liebe und Fürsorge
unfähig ist, könnten Van Dormael und Ausstatterin Sylvie Olivé auf
bildästhetischer Ebene kaum forscher übermitteln.
Die Tristesse und Ekelhaftigkeit ist wohlgemerkt nur ein grober,
wenngleich prägnanter, Pinselstrich im göttlich-humanistischen Fresko, das der
belgische Filmschaffende mit Das brandneue Testament
erschafft. Denn die kleine, kecke und trotzdem so kindlich-gutmütige Ea (Pili
Groyne) verzieht sich aus dem Hause ihrer Eltern (Benoît Poelvoorde und Yolande
Moreau), um sechs neue Apostel zu finden. Dann sind es zusammen mit den zwölf
Anhängern ihres Bruders nämlich 18 Stück. Genügend, um eine Baseballmannschaft
auf die Beine zu stellen. Und Baseball ist immerhin der Lieblingssport von Mama
Gott! Bevor Ea flieht, sabotiert sie noch das Werk ihres Vaters und sorgt für
die #DeathLeaks: Jeder einzelne Mensch bekommt sein exaktes Todesdatum
zugeschickt, was die Welt aus den Angeln hebt.
Kriege werden abgeblasen, da sie eh zu Nichts führen würden. Millionen
von Menschen krempeln ihr Leben um – entweder, weil sie mit ihren vielen,
vielen verbliebenen Jahren noch etwas anfangen wollen, statt in der Ödnis zu
verenden. Oder weil sie ihre wenigen, wenigen noch ausstehenden Tage voll
auskosten möchten. Und genau sechs dieser Zeitgenossen wählt Ea aus, um 'Das
brandneue Testament' zu verfassen. Da die aufgeweckte, aufmerksame
Gottestochter nichts davon hält, sich selbst in den Mittelpunkt zu drängen,
sollen die Apostel darin ihre jeweilige Lebensgeschichte erzählen. Als
Querschnitt dessen, was die Menschheit ausmacht. Was sie bedrückt. Bewegt.
Verändert.
Mit Eas Reise verschiebt sich sogleich die Tonalität dieser
unkonventionellen Produktion. Aus der teuflischen Mixtur „Monty Python trifft Götter
wie wir trifft die Albtraum-Familie Heinz Becker …
getränkt in Billigbier“ wird eine träumerische Mär, die nicht wenig mit
Jean-Pierre Jeunet und seinem Klassiker Die fabelhafte Welt der Amélie
gemein hat. Doch Obacht: Deckungsgleich sind die Fabelwelt Amélies und das
Pilgermärchen Eas nicht! Jeunets Impressionismus wird bei Van Dormael in
Expressionismus verkehrt. Genauer gesagt in einen grüblerischen, trotzdem
feinfühligen Expressionismus, der sehr genau beobachtet, welche Macken,
Schnurren, Empfindsamkeiten die menschliche Art aufweist.
Van Dormael und sein Schreibpartner Thomas Gunzig reihen Szenen
assoziativ aneinander, ordnen den roten Faden wellenförmigen
Gefühlsschwankungen unter, statt einem makellosen, vorbildlichen
dramaturgischen Dreieck. Und sie lassen das von ihnen erschaffene brandneue
Testament vorübergehend mit dem brandneuen Testament nach Eas
Aposteln verschmelzen. Was bedeutet, dass sechs charakterstarke (liebevoll
überzeichnete) Individuen als Exempel für die gesamte Menschheit dienen. Mit
sehr spezifischen Einzelschicksalen, deren mal intellektuellen, mal emotionalen
Konnotationen allgemeingültig sind.
Die wenigsten Das brandneue Testament-Zuschauer
dürften wie Marco Lorenzinis Figur Obdachlose sein, die zwar eine
Orthografieschwäche haben, jedoch mit ihren Niederschriften den Kern des Ganzen
treffen. Oder einsame Schönheiten wie Aurelie (Laura Verlinden), die in der
Kindheit einen schweren Unfall hatten. Oder verhinderte Ornithologen (Didier De
Neck), sexuell ausgelaugte Pummelchen mit Traumstimme (Serge Larivière),
emotionslose Killer (Francois Damiens) oder reiche Frauen mit tierischem
Sexdrang (Catherine Deneuve). Die kauzigen Details dieser Plotfäden sind es
jedoch, die Das brandneue Testament selbst in den poetischen
und bekümmerten Momenten helfen, in Nähe des Komödienfachs zu bleiben. Die
übergreifenden, feinen Wahrheiten hinter diesen Geschichten wissen derweil, zu
berühren und zum Nachdenken anzuregen. Van Dormael und Gunzig erdreisten sich dennoch nie, so zu
tun, als hätten sie auf die zentralen Sinnfragen Antworten parat. Was sie hingegen
bieten, ist Perspektive. Eine außergewöhnliche Perspektive, durch welche ihre
Religionssatire eine bereichernde Filmerfahrung darstellt.
Zumindest für diejenigen, die Belgiens Kandidat für den Auslands-Oscar
2016 auf dem richtigen Fuß erwischt. Denn Van Dormael mutet seinem Publikum
eine sehr exzentrische, selbstsicher dargebotene Erzählung zu, die mit ihrer
Art durchaus experimentierfreudige Sehgewohnheiten erfordert. Wenn Eas Odyssee
zwischenzeitlich unterbrochen wird, um zu zeigen, wie ihr Vater planlos sowie
entnervt unter seinen Schöpfungen wandert, weckt der begnadet selbstherrlich
aufspielende Benoît Poelvoorde Schadenfreude. Diese wird von der stringenten
Grässlichkeit, mit der Van Dormael den Bodensatz menschlichen (oder göttlichen)
Verhaltens aufzeigt, aber auch gern im Keim erstickt. Und die lyrische
Ausdrucksstärke der sechs neuen Evangelien paart er mit grundehrlicher,
kindlicher Blauäugigkeit. Für diese Verschränkung an Tonarten müssen Kinogänger
erst geschaffen sein – und willens, die mitunter sehr durchschaubaren
Computereffekte zu verzeihen, die Das brandneue Testament
mit sich bringt.
Fazit: Das brandneue Testament
ergötzt sich zwischendurch sehr gern an platten Pointen, ist in seiner
Gesamtheit aber profund. In seiner Darstellung blasphemisch, in seiner Botschaft
aber ehrfürchtig. In seiner Charakterisierung mit groben Pinselstrichen
erstellt, und trotzdem sensibel erzählt. Doch vor allem ist diese bissige
Glaubensfarce einmalig!
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