Ring frei für die siebte Runde: Die RockySaga geht weiter und
beweist, dass noch immer viel Kraft und Leben in ihren alten Knochen steckt.
Dabei schien sie bereits zwei Mal ihr Ende gefunden zu haben. 1990 wollte
Hauptdarsteller und Drehbuchautor Sylvester Stallone mit Rocky V seine
fiktive Boxerbiografie zu einem runden, den Sport kritisierenden Abschluss
führen und die Titelfigur begraben. In letzter Minute hatte Stallone aber
Bedenken und schrieb die abschließende Szene des Films um. Zum Glück, wie sich
herausstellte, denn auch ohne Rockys Ableben erzürnte Rocky V aufgrund
seiner Machart die Fanbase. 2006 lief dann die verspätete Entschuldigung für
Rocky V an: Mit Rocky Balboa zeigte Stallone (der nun wieder wie bei Rocky
II – IV Regie führte) die späten Jahre seiner populären Figur und ließ sie
noch einmal mit Würde in den Ring steigen. Positive Kritiken und eine generell
sehr freundliche Reaktion der Fans machten das Drama zu einer versöhnlichen
Schlussnote für das Franchise.
Aber ein Fan hatte nach Rocky Balboa noch immer nicht genug:
Indie-Filmer Ryan Coogler, der sich die Idee in den Kopf gesetzt hat, einen
Film zu verwirklichen, in dem Rocky als Trainer zum Boxsport zurückfindet.
Genauer gesagt: Als Trainer des unehelichen Kindes seines einstigen Erzrivalen
und späteren besten Freundes, Apollo Creed. Im ersten Anlauf konnte Coogler die
Entscheidungsträger nicht überzeugen, nachdem sein Langfilmdebüt Nächster
Halt: Fruitvale Station äußerst gut aufgenommen wurde, fand er aber neues
Gehör. Und so kam es dazu, dass Stallone erstmals die Geschicke der Rolle, die
ihm zu seinem Durchbruch verholfen hat, fremden Händen anvertraute: Coogler
durfte mit seinem Schreibpartner Aaron Covington das Skript verfassen – die
ersten sechs Rocky-Filme stammten noch von Stallone selbst.
Doch
selbst wenn Creed – Rocky’s Legacy vereinzelte Schwächen aufweist, so lässt
sich guten Gewissens sagen, dass Stallone die Boxhandschuhe sehr fähigen
Menschen übergeben hat, die das Rocky-Vermächtnis mit großer Ehrfurcht
behandeln. Vielleicht sogar mit zu großer Ehrfurcht: Wie auch Star Wars: Das
Erwachen der Macht ist dieser siebte Teil eines erfolgreichen, in den
70er-Jahren entstandenen Franchises Fortsetzung und Neustart in einem – und
vollführt die Staffelstabübergabe, indem er deutliche Parallelen zum Original
zieht. Wo Star Wars: Das Erwachen der Macht aber Feeling und Struktur vom
ersten Krieg der Sterne übernimmt, entleiht Creed zudem viele
dramaturgische Details aus Rocky, was das neue Boxerdrama selbst an
Genremaßstäben gemessen vorhersagbar macht.
Dessen ungeachtet entwerfen Coogler und Covington eine überzeugende
Geschichte über den jungen Adonis Johnson (Michael B. Jordan), der nach einer
turbulenten Kindheit von der Witwe seines Vaters aufgenommen wird. Obschon
diese ihn wie ihren eigenen Sohn aufzieht und er einen gut bezahlten Job in
einem Wertpapierunternehmen findet, fühlt sich Adonis orientierungslos und
unglücklich: Der kampfsportvernarrte junge Mann möchte in die Fußstapfen seines
Vaters treten und Profiboxer werden. Da er bei einer Elite-Boxschule abgelehnt
wird, sucht er kurz entschlossen Rocky Balboa (Sylvester Stallone) auf, um sich
von ihm unterrichten zu lassen. Nach kurzem Zögern willigt dieser ein, den
unehelichen Sohn Apollos zu einem Spitzenboxer heranzuziehen – denn die
gealterte Boxlegende hat sonst eh kaum etwas, wofür es sich zu leben lohnt …
Obwohl auf Basis dieses Grundkonzepts ein Plot entsteht, der fast schon
ein Rocky-Remake sein könnte, entwickelt Creed in zweierlei Hinsicht
eine reizvolle Eigendynamik: Auf der einen Seite gibt Regisseur Coogler seinem
mit 133 Minuten etwas langgezogenen und daher phasenweise auf der Stelle
tretenden Film ein individuelles Flair. Er beweist, wie schon in seinem Debüt,
ein scharfes Auge dafür, was das städtische Leben junger Afro-Amerikaner
anbelangt – und umschifft dabei souverän die typischen Hollywoodklischees. Auf
der anderen Seite lebt Creed von der Beziehung zwischen Adonis und Rocky:
Der unter anderem aus Fantastic Four bekannte Michael B. Jordan und
Sylvester Stallone haben eine wundervolle Chemie und ihre Rollen wachsen daher,
wann immer sie gemeinsam zu sehen sind, weit über die übliche
Schüler-Mentor-Mentalität hinaus.
Als
allmählich verblassende, einst so große Persönlichkeit, die durch Creeds Spross
einen dezenten Energieschub erhält, liefert Stallone letztlich sogar seine
beste schauspielerische Leistung seit Jahrzehnten ab. Der nuancierteste Mime
war Stallone zwar noch nie, doch wenn Rocky verloren und einsam in die Welt
hinausblickt, mit seinem Alter kämpft oder sich sein nuschelig-dunkler Tonfall
doch Mal aufhellt, weiß der Actionstar tatsächlich, Gänsehaut zu erzeugen. Der
vielschichtigen Zeichnung der beiden zentralen Figuren stehen leider sehr
holzschnittartigen Nebenfiguren gegenüber, weshalb die Szenen, die weder von
Adonis‘ inneren Antrieb handeln, Rocky beinhalten oder im Boxring spielen, an
Zugkraft verlieren. Auch die obligatorische Romanze Adonis‘ bleibt farblos, da
dessen Auserwählte Bianca (Tessa Thompson) zwar interessante, experimentelle
Musik komponiert und aufgrund ihrer schleichend entstehenden Taubheit auf dem
Papier Akzente setzt, charakterlich allerdings keinen Eindruck hinterlässt.
Umso einprägsamer sind die beiden ausführlich gezeigten Boxkämpfe:
Einen fangen Coogler und Kamerafrau Maryse Alberti (The Wrestler) in
Echtzeit ohne einen einzigen Schnitt ein, womit sie den Zuschauer in Form einer
komplexen Choreografie mitten ins Geschehen versetzen. Der andere große Kampf
des Films ist stilistisch konventioneller eingefangen, punktet aber mit
knallharten Schlägen, einem energiereichen Schnitt sowie dem raffinierten Score
von Ludwig Göransson. Dieser vermischt neue Themen sowie Abwandlungen bekannter
Rocky-Themen zu einer schlagkräftigen neuen Einheit, die (vor allem gegen
Schluss) ebenso in den ruhigen Momenten aufzuwühlen weiß. Spätestens, wenn
Göransson das Rocky-Leitthema melancholischer anstimmt, als es je zu hören
war, darf man sagen: Staffelübergabe geglückt!
Fazit: Etwas straffer dürfte Creed – Rocky’s Legacy sein,
aber mit tollen Performances von Michael B. Jordan und Sylvester Stallone sowie
zwei denkwürdigen Boxszenen ist die neuste Rocky-Fortsetzung eine
würdevolle Weitererzählung der Sportsaga.
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