Obwohl sich das alljährlich stattfindende Sundance Film Festival einer
breiten Palette an Produktionen öffnet, gibt es einen gewissen Schlag an
Kinostoffen, der bei diesen Filmfestspielen besonderen Anklang findet:
Bittersüße, kunstvolle und dennoch zugängliche Geschichten über das
Erwachsen(er)werden. Das Paradebeispiel für einen waschechten Sundance-Film ist
Zach Braffs Kino-Regiedebüt Garden State. Diese
melancholische, dezent verschrobene Erzählung über einen emotional
unterkühlten, jungen Mann wurde seit ihrer Premiere im Jahr 2004 vielfach
kopiert, aber nie erreicht. Elf Jahre später bekommt das Coming-of-Age-Stück
mit Ich und Earl und das Mädchen jedoch letztlich doch noch
Konkurrenz um den Titel des archetypischen Sundance-Projekts – und qualitativ
spielt die Romanadaption ebenfalls in derselben Liga wie Braffs
Indie-Filmjuwel.
Wie auch der Protagonist von Garden State hat das
„Ich“ in Ich und Earl und das Mädchen Probleme damit, sich
auf sein soziales Umfeld einzulassen. Greg (Thomas Mann) ist allerdings stolz
darauf, dass er sich ohne größere Bindungen durch die High School zu
manövrieren weiß: Er hat eine Kunst daraus gemacht, zu allen nett genug zu
sein, um sich keine Feinde zu machen, und gleichzeitig so distanziert zu
bleiben, dass niemand von ihm irgendwelche Freundschaftsdienste erwartet. Wenn
er mit jemandem Zeit verbringt, dann mit seinem Lieblingslehrer (Jon Bernthal)
oder mit seinem „Arbeitskollegen“ Earl (RJ Cyler), der genau wie Greg eine
Passion für cineastische Meilensteine hat. Diese Leidenschaft leben Earl und
Greg seit Kindstagen aus, indem sie kleine, alberne Parodien drehen – wobei
sich diese, wie Greg stets betont, nicht über die Vorlagen lustig machen
sollen.
Als Rachel (Olivia Cooke), eine Schulkameradin der Hobby-Filmemacher,
an Krebs erkrankt, drängt Gregs Mutter ihren cinephilen Spross dazu, ihr eine
Schulter zum Ausheulen zu leihen. Daran hat er zwar herzlich wenig Interesse,
aber Rachels individuelle Sicht auf das Sozialgefüge Schule lässt ihn trotzdem
darüber nachdenken, mit ihr eine Zweckfreundschaft einzugehen …
Eingefangen in detailreich ausstaffierten Breitwandbildern erzählt
Regisseur Alfonso Gomez-Rejon diese Geschichte mit einer gesunden Distanz: Die
Kamera rückt selten arg nah an die Gefühlsausbrüche unterdrückenden Gesichter,
ein fescher Off-Kommentar spielt dank einer gesunden Dosis Meta-Humor mit den
Regeln des Genres, die Filmmusik unterstreicht zwar die Emotionen der Figuren,
schlägt dabei aber einen dezent-verkopften Tonfall an. Angesichts der
Bandbreite an Gefühlen, die das Drehbuch von Jesse Andrews abdeckt, ist diese
teils ironische, teils einfach nur kühle Abstandnahme ein wertvoller
Kunstkniff:
Würde Gomez-Rejon jede einzelne Regung des Glücks, der Trauer, der
Angst oder der Wut mit voller Intensität ausleben, bestünde die Gefahr, dass Ich
und Earl und das Mädchen zu einem reinen Kitschfilm verkommt. Die
intellektuelle, dezent skurrile Herangehensweise, mit welcher der Regisseur
stattdessen vorgeht, versetzt das Publikum hingegen in die Position des
kaltschnäuzigen Protagonisten, der nur dann auftaut, wenn er sich in absurden
oder popkulturell geprägten Witz retten kann.
Wenn dann ein Augenblick durch diesen Schutzpanzer der Figur respektive
der Inszenierung durchdringt, trifft er dafür mit umwerfender Kraft. Sei es ein
völlig unbeschwerter, von Teenagerängsten befreiter Dialogwechsel zwischen Greg
und seiner krebskranken Weggefährtin. Sei es ein Gefühl der Geborgenheit, wenn
das titelgebende Trio zusammen rumhängt. Oder eine aufwühlende Schicksalswende
– egal, ob gut oder schlecht.
Kurzum: In dieser Puppenhaus-Welt, in der die Figuren so viel
eloquenter sind als reale Jugendliche, aber Dinge sagen, deren Bedeutung stets
berührend und gefühlsecht ist, ist einfach alles überhöht. Bis auf die
bodenständigen, verletzlichen Darbietungen der zentralen Darsteller Mann und
Cooke. Im Zusammenspiel ergibt dies eine
Teenager-Charakterstudie-trifft-Krebs-Tragikomödie-Mischung, die zugleich unter
die Haut geht und den Verstand charmant umgarnt.
Fazit: Zwei wunderbare Hauptdarsteller, eine
aufwühlende, doch niemals überbordende Geschichte über das Erwachsenwerden und
feine Ironie: Ich und Earl und das Mädchen ist ein Muss für
Filmvernarrte und jene, die es noch werden wollen.
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