Freitag, 15. April 2016

Ich und Earl und das Mädchen





Obwohl sich das alljährlich stattfindende Sundance Film Festival einer breiten Palette an Produktionen öffnet, gibt es einen gewissen Schlag an Kinostoffen, der bei diesen Filmfestspielen besonderen Anklang findet: Bittersüße, kunstvolle und dennoch zugängliche Geschichten über das Erwachsen(er)werden. Das Paradebeispiel für einen waschechten Sundance-Film ist Zach Braffs Kino-Regiedebüt Garden State. Diese melancholische, dezent verschrobene Erzählung über einen emotional unterkühlten, jungen Mann wurde seit ihrer Premiere im Jahr 2004 vielfach kopiert, aber nie erreicht. Elf Jahre später bekommt das Coming-of-Age-Stück mit Ich und Earl und das Mädchen jedoch letztlich doch noch Konkurrenz um den Titel des archetypischen Sundance-Projekts – und qualitativ spielt die Romanadaption ebenfalls in derselben Liga wie Braffs Indie-Filmjuwel.

Wie auch der Protagonist von Garden State hat das „Ich“ in Ich und Earl und das Mädchen Probleme damit, sich auf sein soziales Umfeld einzulassen. Greg (Thomas Mann) ist allerdings stolz darauf, dass er sich ohne größere Bindungen durch die High School zu manövrieren weiß: Er hat eine Kunst daraus gemacht, zu allen nett genug zu sein, um sich keine Feinde zu machen, und gleichzeitig so distanziert zu bleiben, dass niemand von ihm irgendwelche Freundschaftsdienste erwartet. Wenn er mit jemandem Zeit verbringt, dann mit seinem Lieblingslehrer (Jon Bernthal) oder mit seinem „Arbeitskollegen“ Earl (RJ Cyler), der genau wie Greg eine Passion für cineastische Meilensteine hat. Diese Leidenschaft leben Earl und Greg seit Kindstagen aus, indem sie kleine, alberne Parodien drehen – wobei sich diese, wie Greg stets betont, nicht über die Vorlagen lustig machen sollen.


Als Rachel (Olivia Cooke), eine Schulkameradin der Hobby-Filmemacher, an Krebs erkrankt, drängt Gregs Mutter ihren cinephilen Spross dazu, ihr eine Schulter zum Ausheulen zu leihen. Daran hat er zwar herzlich wenig Interesse, aber Rachels individuelle Sicht auf das Sozialgefüge Schule lässt ihn trotzdem darüber nachdenken, mit ihr eine Zweckfreundschaft einzugehen …


Eingefangen in detailreich ausstaffierten Breitwandbildern erzählt Regisseur Alfonso Gomez-Rejon diese Geschichte mit einer gesunden Distanz: Die Kamera rückt selten arg nah an die Gefühlsausbrüche unterdrückenden Gesichter, ein fescher Off-Kommentar spielt dank einer gesunden Dosis Meta-Humor mit den Regeln des Genres, die Filmmusik unterstreicht zwar die Emotionen der Figuren, schlägt dabei aber einen dezent-verkopften Tonfall an. Angesichts der Bandbreite an Gefühlen, die das Drehbuch von Jesse Andrews abdeckt, ist diese teils ironische, teils einfach nur kühle Abstandnahme ein wertvoller Kunstkniff:


Würde Gomez-Rejon jede einzelne Regung des Glücks, der Trauer, der Angst oder der Wut mit voller Intensität ausleben, bestünde die Gefahr, dass Ich und Earl und das Mädchen zu einem reinen Kitschfilm verkommt. Die intellektuelle, dezent skurrile Herangehensweise, mit welcher der Regisseur stattdessen vorgeht, versetzt das Publikum hingegen in die Position des kaltschnäuzigen Protagonisten, der nur dann auftaut, wenn er sich in absurden oder popkulturell geprägten Witz retten kann.


Wenn dann ein Augenblick durch diesen Schutzpanzer der Figur respektive der Inszenierung durchdringt, trifft er dafür mit umwerfender Kraft. Sei es ein völlig unbeschwerter, von Teenagerängsten befreiter Dialogwechsel zwischen Greg und seiner krebskranken Weggefährtin. Sei es ein Gefühl der Geborgenheit, wenn das titelgebende Trio zusammen rumhängt. Oder eine aufwühlende Schicksalswende – egal, ob gut oder schlecht.


Kurzum: In dieser Puppenhaus-Welt, in der die Figuren so viel eloquenter sind als reale Jugendliche, aber Dinge sagen, deren Bedeutung stets berührend und gefühlsecht ist, ist einfach alles überhöht. Bis auf die bodenständigen, verletzlichen Darbietungen der zentralen Darsteller Mann und Cooke. Im Zusammenspiel ergibt dies eine Teenager-Charakterstudie-trifft-Krebs-Tragikomödie-Mischung, die zugleich unter die Haut geht und den Verstand charmant umgarnt.


Fazit: Zwei wunderbare Hauptdarsteller, eine aufwühlende, doch niemals überbordende Geschichte über das Erwachsenwerden und feine Ironie: Ich und Earl und das Mädchen ist ein Muss für Filmvernarrte und jene, die es noch werden wollen.


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