Mit der von Suzanne Collins erdachten Dystopie Die Tribute von Panem führt sich der Trend fort, Verfilmungen populärer Buchreihen über die eigentliche Anzahl an Bänden hinaus zu dehnen. Das Twilight-Franchise widmete seiner letzten Buchvorlage zwei Filme, Harry Potter verfolgte diese Herangehensweise mit Buch sieben. Peter Jacksons Mittelerde-Reise besteht indes aus drei Herr der Ringe-Teilen sowie drei Der Hobbit-Filmen, obwohl Tolkien die gesamte Hobbit-Odyssee in nur einem relativ kompakten Jugendbuch untergebracht hat.
Qualitativ fielen diese Versuche, zusätzliche Filme aus einer
literarischen Reihe zu quetschen, bislang sehr unterschiedlich aus. Vor allem
Jacksons Hobbit-Adaptionen sorgen ungebrochen für hitzige
Debatten unter Cineasten. Doch auch im Falle von Tribute von Panem
herrscht Uneinigkeit: Die Mehrheit der Kritiker sah in Teil drei einen Rückschritt
gegenüber dem gemeinhin deutlich stärker gefeierten zweiten Teil. Ebenso kam es
an den weltweiten Kinokassen zu einer negativen Entwicklung: Holte Die
Tribute von Panem – Catching Fire insgesamt 864,57 Millionen Dollar,
erreichte der erste Part von Die Tribute von Panem – Mockingjay
752,10 Millionen Dollar.
Dessen ungeachtet gibt es Stimmen, die den dritten Film rund um die
unfreiwillige Revolutionsführerin Katniss Everdeen als den bis dahin besten
feiern (darunter zähle ich mich selbst): Aus der Abenteuerfilmreihe
mit medien- und gesellschaftskritischen Zwischentönen entwickelte sich in Mockingjay:
Teil I eine jugendaffine, eindrucksvolle Geschichte über gegenwärtige
Kriegsmechanismen – inklusive einer starken zentralen Performance von Jennifer
Lawrence und wirkungsvollen Bildern. Dass die Handlung eines einzelnen Romans
gesplittet wurde, lässt sich der dritte Tribute von Panem-Teil
außerdem kaum anmerken: Das Skript von Danny Strong und Peter Craig ist
dramaturgisch ausgereift, und wirkt im Gegensatz zu den einzelnen Hobbit-Teilen
nicht wie ein überdehnter Akt einer mit aller Macht ausgeschlachteten Story.
Die Tribute von Panem – Mockingjay: Teil II führt
den zugegebenermaßen leicht forcierten Vergleich mit Jacksons Hobbit-Trilogie
zu einem zwiespältigen Abschluss: Anders als das Hobbit-Finale
stellt Katniss Everdeens viertes Leinwandabenteuer nicht bloß einen über zwei
Stunden andauernden, überreizten Klimax dar. Allerdings flattert der zweite Mockingjay
längst nicht so unproblematisch durch seine Laufzeit wie der erste – mehr als
einmal geht dem kleinen Spotttölpel auf der Zielgeraden die Puste aus. Dank
einiger geglückter Aspekte kommt es erfreulicherweise nicht zum totalen Absturz, so
dass ein konsequenter, solider Abschluss erreicht wird. Das Potential zu einem
triumphalen Finale verschenken die Tribute von Panem-Macher
trotzdem …
Ohne Rücksicht auf etwaige Neuzugänge im Publikum eröffnet die
137-minütige Produktion direkt nach dem misslungenen Mordanschlag an Katniss
Everdeen (Jennifer Lawrence), der Teil drei beendet hat. Mit Blessuren und
nahezu verstummt schleppt sich das wandelnde Symbol der Revolution gegen das
diktatorische Regime von Präsident Snow (Donald Sutherland) durch ihre
Behandlung – sowie durch strategische Konferenzen der Revolutionäre. Anführerin
Alma Coin (Julianne Moore) hat sehr konkrete Vorstellungen, wie Katniss in
diesem Bürgerkrieg helfen kann, doch nur selten stimmt sie den Vorhaben Coins
und ihres Beraters Plutarch Heavensbee (Philip Seymour Hoffman) zu. Als Katniss
zusammen mit einer kleinen Elitetruppe, zu der neben einigen Topsoldaten der
frisch zum Kriegsstrategen aufgestiegene Gale Hawthorne (Liam Hemsworth) und
Hungerspiele-Veteran Finnick Odair (Sam Claflin) zählen, trotzdem auf einen
Einsatz geschickt wird, folgt für sie die nächste Enttäuschung: Sie kämpft
nicht ganz vorne mit, sondern soll in Frontnähe weitere Propagandavideos für
Cressidas (Natalie Dormer) TV-Crew drehen. In der Zwischenzeit kämpft Katniss'
früherer Weggefährte Peeta (Josh Hutcherson) gegen die Hirnwäsche an, die ihm
das Kapitol verpasst hat …
Obwohl Katniss und ihre Teammitglieder mit diversen heimtückischen
Fallen zu kämpfen haben, die das Kapitol installiert hat, um die Revolution
aufzuhalten, ist Mockingjay: Teil II ein actionarmer
Abschluss für die Tribute von Panem-Erzählung. Filmfreunde,
die also auf einen wilden letzten Ritt gewartet haben, dürften enttäuscht
werden. Allerdings haben die Filmemacher Respekt für ihre Entscheidung verdient
– eine Filmreihe, die sich in ihrer kritischen Haltung gegenüber Gewalt
konsequent steigerte, als selbstgefälliges Schlachtengemälde zu beenden, wäre
geschmacklos und doppelzüngig. Die wenige Action, die Regisseur Francis
Lawrence hier auf die Leinwand bannt, besteht aus dramatischen Hindernissen,
die Katniss und Anhang zu überstehen haben, sowie aus einigen, wenigen
Gewaltspitzen, die in ihrer Drastik und emotionalen Schwere die Grenzen der
FSK-ab-12-Freigabe ausloten.
Statt knalligen Popcorn-Abenteueractionspaß zu bieten, spinnt dieses
Franchise-Finale den in Mockingjay: Teil I deutlich
gewordenen Gedanken weiter, diese Story als futuristisches Kriegsdrama zu
erzählen. Was den Drehbuchautoren zugute gehalten werden muss: Beide Teile der Mockingjay-Adaption
weisen einen anderen Schwerpunkt auf, womit sich die Zweiteilung des Stoffs
durchaus rechtfertigen lässt. Handelte der dritte Die Tribute von
Panem-Film hauptsächlich von Propagandamethoden und moralisch
komplexen Entscheidungen, die in Konferenzräumen getroffen werden können, rückt
Teil vier deutlich näher an seine Protagonistin: Wie verloren fühlt man sich an
der Front, wie schwer ist es im Kriegsgetümmel, an Informationen heranzukommen?
Und vor allem: Was macht der Krieg mit Katniss, wie verändert er sie – und wie
kann sie den Kriegsverlauf ändern, sollte sie ihn überhaupt verändern können?
Francis Lawrence unterstreicht diesen inhaltlichen Wandel, indem er den
Betrachter auch visuell in die Position der verlorenen Heldin versetzt: Wo Mockingjay:
Teil I mit imposanten Totalen und kraftvollen Luftaufnahmen punktet,
wählen Lawrence und sein Kameramann Jo Willems in der Fortsetzung deutlich
engere Einstellungen. Wiederholt schwenkt die Kamera außerdem über Katniss'
Schulter, so dass die Ereignisse aus ihrer Subjektive verfolgt werden können,
des Weiteren sind die Nahaufnahmen der (stark aufspielenden) Hauptdarstellerin
Jennifer Lawrence beengender, detaillierter, zeigen ihre Regungen subtiler.
Aufgrund dessen, sowie wegen der Auslassung wertvoller inhaltlicher
Informationen, gleicht sich Mockingjay: Teil II zu großen
Stücken den Collins-Romanen an, die allesamt aus Katniss' Ich-Perspektive
erzählt sind.
Ob beabsichtigt oder nicht: Die Tribute von Panem-Filme
gehen inhaltlich und inszenatorisch/narrativ eine komplett entgegengesetzte
Richtung – der Film mit den
intimsten Ereignissen (Katniss'
Teilnahme bei den tödlichen Hungerspielen) wird global in Szene gesetzt. Teil
zwei und Teil drei lassen dieses Verhältnis allmählich kippen, und die
entscheidenden Augenblicke der Revolution bekommt das Kinopublikum
schlussendlich mit Katniss' Augen zu sehen. Später entfleuchen die größeren,
politischen Punkte sogar gänzlich aus dem Fokus, um dagegen allein das Befinden
der Hauptfigur zu zeigen. Diese graduelle Verschiebung des Fokus ist zwar
ungewöhnlich, aber geistreich: Über diesen Weg unterstreicht Die
Tribute von Panem, dass jeder Einzelne von politischen Missständen
betroffen ist – und erlaubt sich in Mockingjay: Teil II
zudem Unklarheiten. Die daher gegebene moralische Ambiguität in allerlei
Detailfragen provoziert einen für Teenager-Buchverfilmungen selten gesehenen
ethischen Anspruch – wer aus dieser Filmreihe mit wachsendem Blutdurst schreitet
und in weltpolitischen Fragen unreflektiertes Handeln feiert, dem ist auch
nicht mehr zu helfen.
Dass diesen Aspekten zum Trotz Mockingjay: Teil II
kein Volltreffer ist, liegt an der, gemessen am gebotenen Inhalt, viel zu langen Laufzeit. Es wäre überhaupt
nicht nötig gewesen, das Finale der Reihe
ausführlicher zu gestalten als dessen Vorläufer: Da die
Grundkonstellation klar ist, wäre ein behutsamer, aber zielstrebiger Marsch hin
zum konsequenten, gehaltvollen Ende empfehlenswert gewesen. Doch das
Autorenteam Strong und Craig streckt den Abend der Revolution mittels
zahlreicher Wiederholungen – sei es, dass im Mittelteil alle paar Minuten ein
Lageplan gezeigt und analysiert wird oder sich Figuren über die Fallhöhe ihres
Handelns unterhalten. Einmal drückt Squad-Leader Boggs, gespielt von Mahershala
Ali, innerhalb eines einzigen Monologs sogar drei Mal in stets neuen Worten
aus, welche Gefahren auf sein Team warten. All diese Wiederholungen ziehen das
Skript in Sachen Effizienz und Spannung enorm herunter, weswegen das in der Theorie dramatische
Finale leider ein in der Praxis zwischendurch sehr zähes Finale darstellt.
Das ist auch deshalb besonders schade, weil dank der diffizilen Figurenkonstellation
sogar das Liebesdreieck reizvoller ist als bislang: Der in Teil eins und Teil
zwei wenig geforderte Josh Hutcherson gibt als an sich und Katniss zweifelnde
Ex-Geisel des Kapitols seine bisher komplexeste Leistung ab – und wäre der Film
insgesamt zügiger erzählt, käme diese Darbietung auch besser zur Geltung.
Gleichermaßen legt der, bisher eh schon herrlich fiese, Donald Sutherland in
seiner Rolle des diabolischen Snow enorm zu, während der Rest der
Nebendarsteller so sehr an den Rand gedrängt wird, dass er dem Film kaum einen
Stempel aufdrücken kann. Auf ästhetischer Seite, zu guter Letzt, zeigt sich Mockingjay:
Teil II karg, trostlos, betrüblich – versehen mit einer
gelegentlichen Note vorsichtiger Hoffnung in Form von James Newton Howards
thematisch variabler Filmmusik.
Fazit: Neuzugänger werden verloren sein, Fans
bekommen ein plausibles, konsequentes und moralisch aussagekräftiges Finale
spendiert: Die Tribute von Panem – Mockingjay: Teil II führt
die Reihe an Bestseller-Adaptionen zu einem durchdachten Abschluss. Bloß ist
der Weg zu den besten Augenblicken dieses Films ein teils sehr zäher. 15 bis 25 Filmminuten weniger hätten es auch
getan.
0 Kommentare:
Kommentar veröffentlichen