Sonntag, 3. April 2016

Black Mass



Gangstergeschichten sind eine der Säulen, auf denen das US-amerikanische Kino ruht. Egal ob rein fiktional, von realen Ereignissen inspiriert oder sehr eng an wahre Begebenheiten angelehnt: Erzählungen über Verbrechen haben nicht nur bereits Berge von Geld in die Kinokassen gespült, sondern obendrein dem filmischen Kanon diverse Meisterleistungen beschert. Weil es solche zeitlosen Klassiker wie GoodFellas, Scarface, die Pate-Reihe und The Departed gibt, muss sich jedes neue Gangsterdrama mit stattlichen Genrekonkurrenten vergleichen lassen. Diese übermächtigen Vorbilder machen sich insbesondere bei Filmen wie Scott Coopers Black Mass bemerkbar – also bei Produktionen mit sehr ernstem Tonfall sowie namhafter Darstellerriege und einer Storyline, wie sie schon mehrfach im Ganovenkino zu sehen war …

Boston im Jahre 1975: Der irischstämmige Gangster James „Whitey“ Bulger (Johnny Depp) ist verbissen dabei, sich in der Hackordnung der Unterwelt hoch zu arbeiten. Der einstige Kleinganove gräbt mit seinen Drogendeals der verfeindeten italienischen Mafia bereits viel Wasser ab. Doch um „die Spaghettifresser“ völlig aus dem Geschäft zu verdrängen, geht Bulger nach einigen Bedenken eine ungewöhnliche Allianz mit dem FBI ein: Dort hat sich sein Jugendfreund John Connolly (Joel Edgerton) eine respektable Position erarbeitet und schlägt nun vor, dass Bulger ihm wertvolle Informationen gegen die Mafia liefert. Zum Ausgleich gewährt Connolly seinem Furcht einflößenden Freund Immunität. Offiziell soll Bulger während des Deals mit der Bundespolizei vor Mord zurückschrecken, aber von dieser Abmachung hält er wenig. Das FBI hält trotzdem die Füße still, und so kämpft sich Bulger mit seiner Winter-Hill-Gang im ruchlosen Sumpf Bostons nach ganz oben …

Mit der altbekannten „Ruchloser Typ wächst von einer kleinen Nummer zum übermächtigen Gangsterboss heran, aber dann wird er ans Messer geliefert“-Handlung sucht Black Mass das Kräftemessen mit einigen der größten Crimedramen aus Hollywood. Dadurch legt sich die neue Regiearbeit des Crazy Heart-Machers Scott Cooper allerdings mit Gegnern an, die ihr weit überlegen sind. Dabei ist die 53 Millionen Dollar teure Produktion nicht einmal schlecht – sie wirkt bloß direkt neben ähnlich gelagerten Giganten weitaus weniger imposant. Dies liegt vor allem im uninspirierten Drehbuch begründet. Die Autoren Jez Butterworth und Mark Mallouk verleihen ihrer Nacherzählung von Bulgers Aufstieg kein narratives Momentum: Es fehlt über weite Strecken an einer spürbaren Bedrohung – sei es für Bulger oder das FBI. Genauso wenig nutzt das Autoren-Duo die ausufernde Macht Bulgers, um eine eskalierende Dramaturgie zu erschaffen. Da Butterworth und Mallouk dennoch ein Händchen für packende Dialoge haben, weiß Black Mass wohl gemerkt durchaus, mit einem Gros seiner Sequenzen zu packen. Mangels ausgefeilter, das Gesamtwerk zusammenhaltender Narrative entsteht daher eine interessante, wenngleich unkoordinierte Unterwelt-Nummernrevue.

Die Regieleistung Coopers ändert nur wenig daran, wie die Story von Black Mass rüber kommt. Inszenatorisch lässt sich das Schaulaufen solcher Mimen wie Benedict Cumberbatch, Kevin Bacon, Jesse Plemons, Corey Stoll, Dakota Johnson, Julianne Nicholson und Peter Sarsgaard (die allesamt in ihren wenigen Szenen grundsolide Performances abgeben) nämlich als adäquat beschreiben. Cooper weiß, mit seinem Kameramann Masanobu Takayanagi (Silver Linings) durch dunkle, ausgebleichte Bilder eine karge Atmosphäre zu kreieren. Und er verlässt sich erfreulicherweise wiederholt darauf, den ausdrucksstarken, mitunter auch willkommen-dubiosen Minenspielen seines Casts das Reden zu überlassen, statt jedes Detail auszuformulieren oder durch hölzerne visuelle Metaphorik zu untermauern. Gleichwohl bedient sich Cooper an einem sehr überschaubaren Vokabular an Bildeinstellungen, was den Filmkenner auf Dauer ermüdet und den Gelegenheitszuschauer unterbewusst auf Abstand hält.

Dass Black Mass dessen ungeachtet nicht in die Beliebigkeit abrutscht, ist der Verdienst einer überragenden Darbietung von Johnny Depp: Der Fluch der Karibik-Frontmann und Tim-Burton-Dauerkollaborateur versinkt nämlich völlig in seiner Rolle. Und dies nicht nur aufgrund einer aufwändigen, durchgängig überzeugenden Maske – Depp verzichtet auf seine markanten Manierismen, um mit strengen Blicken und prägnanter Stimme eine bedrohliche, klischeefreie Persönlichkeit aufzubauen.

Obwohl Bulger auf dem Papier nur irgendein reue- und skrupelloser Unterweltboss ist, gelingt es dem Golden-Globe-Preisträger, diesem lang gesuchten Gauner eine strenge, individuelle Note zu verleihen. Bulger kommt weitgehend ohne Gebrüll aus, ohne einschüchterndes Flüstern, ohne aggressive Gesten – und dennoch gehen seine Bewegungen und seine Mimik unter die Haut. Alles, was das Drehbuch versäumt, über den Menschen hinter Bulgers Strafregister zu sagen, kompensiert Depp mit einem einnehmenden, angesichts des Skripts unerwartet komplexen Spiel. Egal, ob er ein Verbrechen begeht, beim Abendessen sein Gegenüber linkt oder er angesichts persönlicher Tragödien die Nerven verliert: Depp gelingt es, Bulger zu einer seiner großartigsten Schauspielleistungen zu formen – und hebt so einen solide aussehenden, annehmbar geschriebenen, akustisch unauffälligen Film auf ein gutes Gesamtniveau!

Fazit: Ein brillanter Johnny Depp macht aus Black Mass trotz einer austauschbaren Story und Schwächen aufweisenden Inszenierung ein gutes Stück Gangsterkino.

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