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Freitag, 15. April 2016
Arlo & Spot
Diese Filmkritik ist die Geschichte zweier „Was wäre wenn ..?“-Szenarien. Auf der einen Seite geht es um ein Paralleluniversum, in dem die Dinosaurier nicht durch einen Meteoriteneinschlag ausgelöscht wurden. Auf der anderen Seite stellt sich die Frage: Was, wenn Pixars Animationsfilm über exakt dieses Szenario im Laufe seiner langjährigen Entstehungsgeschichte irgendwann eine andere Abzweigung genommen hätte? Denn The Good Dinosaur (wie Arlo & Spot im Original heißt) ist das Ergebnis eines holprigen Produktionsverlaufs – was dieser abenteuerlichen Survivaltrip-Komödie einzelnen liebevoll vermittelten Szenen zum Trotz auch deutlich anzumerken ist.
Der Ursprung
So beginnt die eine Geschichte, um die es hier geht: Millionen Jahre, nachdem ein Meteor haarscharf die Erde verfehlt hat, haben sich die Dinosaurier eine frühe Zivilisation aufgebaut: Einige Fleischfresser sind als Cowboys tätig und treiben ihr Vieh durchs Land, unter Pflanzenfressern hingegen sind viele Farmer anzutreffen, die ihr Futter selber kultivieren. Zu diesen Landwirten zählt eine kleine Apatosaurus-Familie, deren jüngster Spross Arlo alles Erdenkliche tut, um sich als nützlich zu erweisen. Aufgrund seiner unbändigen Angst und seiner ungeschickten Art misslingt dies dem gutmütigen Heranwachsenden jedoch unentwegt. Als Arlo eines Tages während der Schädlingsbekämpfung in einen reißenden Fluss stürzt, wird er meilenweit von der einzigen Heimat weggespült, die er kennt. Verletzt und desorientiert muss er versuchen, den Weg zurück zu finden. Dabei kreuzt sich sein Weg mit dem des wilden Menschenjungen Spot, dessen Gegenwart er erst nur zähnefletschend duldet – da Spot aber mit den Gefahren der Wildnis besser vertraut ist, wird aus den Beiden nach und nach ein schwer zu trennendes Gespann …
Und so geht die andere: Es sind die letzten Monate, bevor Oben in den Kinos anläuft: Bob Peterson, einer der Drehbuchautoren des farbenfrohen Films, arbeitet an einem zunächst streng geheimen Film über Dinos. Drei Jahre später lüftet das Animationsstudio den Schleier des Geheimnisvollen – zumindest ein Stück weit: Der Film soll im November 2013 starten. Doch schon im April 2012 rückt Pixar von diesem Plan ab und verschiebt die Premiere auf Mai 2014. Über die Story werden aber erste Details bekannt: Regisseur Bob Peterson will die Geschichte eines jungen Farmer-Dinosauriers erzählen, der in einer Welt, in der Dinos und Menschen koexistieren, Probleme hat, sich in seiner landwirtschaftlich geprägten Gesellschaft einzufügen. Im August 2013 folgt der nächste Schlag: Peterson verlässt The Good Dinosaur, ebenso wie Produzent John Walker. Der Film nehme einfach keine runde Gestalt an. Und selbst das Zurverfügungstellen eines Ko-Regisseurs in Gestalt von Pete Sohn habe nicht geholfen.
Solche Probleme kennt Pixar bereits – wenn diese vorkommen, und der ursprüngliche Regisseur dieser nicht Herr wird, wandert das Projekt ins Archiv. Oder der Regisseur wird möglichst fließend ausgetauscht. Nicht so dieses Mal: Der Dinosaurier-Film bliebt in Produktion. Laut Studioangaben haben Cars 2-Regisseur John Lasseter, Toy Story 3-Macher Lee Unkrich, der für Merida verantwortliche Mark Andrews sowie Pete Sohn ihn in Sequenzen gesplittet und diese unter sich aufgeteilt, um diese übergangsweise zu betreuen. Dieser Übergang dauerte wohlgemerkt länger, als wohl erhofft: Erst im Oktober 2014 wurde Sohn endgültig zum offiziellen Regisseur ernannt. Von da an wurde unter seiner Führung mit immensem Nachdruck an der Fertigstellung gearbeitet, damit Arlo & Spot wenigstens seinen nunmehr dritten Starttermin einhalten kann: November 2015.
Ein einzelner Nordamerika-Trip. Sooooo viele Richtungen.
Darüber, welche Änderungen gegenüber Bob Petersons Arlo & Spot-Version noch vom vierköpfigen Interims-Regiekomitee beschlossen wurden, und welche Pete Sohn in seinen 13 Monaten alleiniger Leitung vorgenommen hat, schweigt sich Pixar bislang aus. Daher wäre es eine reine Mutmaßung, dass der holpernde Tonfall und die episodenhafte Struktur dieses Films eine überdeutliche Nachwehe jener Zeit sind, in der vier Filmemacher das cineastische Geschick der Titelhelden gesteuert haben. Doch ganz gleich, wo dieses atmosphärische Geholper und Gestolper herrührt: Es gereicht Arlo & Spot zum Nachteil.
Dabei ist die Roadtrip-Narrative, der sich Pixars 16. abendfüllende Produktion annimmt, eigentlich eine sehr verzeihliche: Auch Findet Nemo hat als Reise durchs Meer eine episodenhafte Ader. Der Fisch-Trip hat allerdings einen starken, emotionalen roten Faden, der diese Augenblicke zusammenhält und sie in ihrem gefühlsmäßigen Auf und Ab zu Einzelteilen eines großen Ganzen macht – mit mal mehr, mal weniger eigenständigen Charakteristika. Bei Arlo & Spot dagegen stehen die einzelnen Sequenzen wesentlich stärker für sich – und dies teils so sehr, dass darunter Arlos charakterliche Entwicklung leidet: Die zwei Titelfiguren stehen einen ungewollten Drogentrip durch, treffen manische Saurier, bestaunen die Natur, kabbeln sich, trösten einander, kämpfen ums Überleben … All diese Szenen haben einen distinktiven, eigenen Tonfall und zwischen ihnen gibt es nur selten eine fließende Überleitung. Dies erschwert es dem Betrachter, sich in Arlos verängstigte, an sich selbst zweifelnde Lage zu versetzen, da sich das Drumherum zu sprunghaft ändert, um den inneren Wandel im Blick zu behalten.
Was dagegen konstant ist, ist die umwerfende, atemberaubende Pracht der Welt, durch die der junge, grüne Dinosaurier stapft: Basierend auf intensive Recherchen haben die Pixar-Künstler im Computer ein wildes, naturbelassenes Nordamerika erschaffen, bei dem es nicht verwundern würde, sollte es die Mehrheit der wenigen Filmzuschauer für echt halten. Doch wer genauer hinschaut, wird erkennen, dass Arlo & Spot nicht fotorealistisch ist, sondern auf täuschend echte Weise naturalistisch: Die für die virtuelle Kameraarbeit verantwortliche Pixar-Veteranin Sharon Calahan, die auch am Design des Films mitwirkte, entschied sich bewusst dagegen, einfach eine wirklichkeitsgetreue Wildnis auf die Leinwand zu bannen.
So spiegelt sich Arlos Gemütszustand im Laufe des Films immer wieder darin, wie sich der wegweisende Fluss verhält, der ihn seiner Heimat entrissen hat. Und auch die Gräser, Bäume und Steppen sind auf dezente Weise größer, strahlender, malerischer, als in Echt – und unterstreichen in ihren Gegebenheiten, wie sich der verschollene Dino fühlt. Detailversessene Animationsliebhaber werden jedoch besondere Freude daran haben, wie die Kamera durch diese Filmwelt fährt, und dabei öfters den Fokus ändert, um dem Gezeigten ein Eigenleben zu verleihen. Der größte technische Durchbruch in Arlo & Spot sind allerdings die komplexen Wolkensimulationen, die im Gegensatz zu den in die Hintergründe „gemalten“ Wolken früherer Pixar-Filme mühevoll gerendert und beleuchtet wurden. Auch Kinogänger, die nicht auf so etwas achten, bekommen aufgrund der dadurch bedingten, stimmigeren Gestaltung der Filmwelt die Auswirkungen dieser kleinen, technischen Revolution zu spüren.
Schweigen ist ein wertvolles Gut
Zusätzlich zu den herausragenden sowie Bände sprechenden Hintergründen hat dieser Trickfilm zudem sehr ausdrucksstarke Hauptfiguren zu bieten: Der ungelenke, oft sehr naiv aus der Wäsche blickende Arlo und der ungezähmte Spot haben ein vielseitiges mimisches Repertoire zu bieten, welches den Mittelteil fast im Alleingang erzählerisch vorantreibt. Bei einem Film mit solch einer Bildgewalt ist es umso bedauerlicher, dass sich die Filmemacher nicht auf deren Wirkung verlassen: Die Szenen, die von Arlo und seiner Familie handeln, sind von den banalsten Dialogzeilen geplagt, die es bei einem Pixar-Langfilm je zu hören gab. Im höchsten Maß deskriptiv geraten, kauen sie den Zuschauern alles vor, was die Figuren machen und was sie antreibt.
Dieser hölzerne, bemühte Stil kehrt auch gen Schluss wieder, wenn sich Arlo bei einer Lagefeuergeschichte und in einem Moment der Selbsterkenntnis der großen Lektion seines Abenteuers nähert. Vom Flair und der Dramatik eines Der König der Löwen oder der Eloquenz eines Ratatouille ist man hier kilometerweit entfernt. Da im Mittelteil die zumeist non-verbal erfolgte Annäherung zwischen Arlo und Spot trotz des holpernden tonalen Fadens so einfühlsam, spannend und gewitzt skizziert wird, rettet sich dieser Pixar-Spaß zwar noch auf ein durchschnittliches Niveau. Bei der gebotenen Optik und bei aller Eindringlichkeit, die die besten Szenen erreichen, ist das aber enttäuschend wenig.
Nur bleibt wohl unklar, ob Petersons Version des Films besser gewesen wäre. Denn die sehr stringente, wenngleich stimmungstechnisch unausgewogene Story von jetzt hätte einer fahrigen Handlung weichen müssen: Laut Pixar-Mitarbeitern verrannte sich Peterson nach seinem simplen Pitch in ein Konstrukt aus drei Storyfäden, die Arlos Innenleben, die Familiendynamik seiner Familie und die gesamte Dino-Gesellschaft umspannten. Mit mehreren zusätzlichen Menschenfiguren und mit laut Pete Sohn erzwungen-unsympathischen Saurier-Nebenrollen sei es Peterson nicht gelungen, ein zufriedenstellendes Ende zu konstruieren.
Arlo & Spot findet zwar in seiner endgültigen Form keinen Gänsehaut-Schluss, hat aber immerhin einige, kleine liebenswerte Augenblicke zu bieten, in denen die Helden gemeinsam Höhen und Tiefen durchlaufen. Als Gesamtwerk brennt sich diese Kinofreundschaft zwar nicht ins Gedächtnis ein, passagenweise geht der Funke aber sehr wohl über. Bis ungeschickte Tonwechsel oder radebrechende Dialoge ihn wieder löschen. Daher ist dieser Pixar ein frustrierender Eintrag in die Filmografie des Studios mit der hüpfenden Lampe: Er hätte so genial sein können, ist es aber nicht. Gleichwohl ist es kein nerviger oder gar grottiger Film der Marke Cars 2, weshalb der Status von Arlo & Spot als Pixars erster Beinaheflop nicht gerechtfertigt ist – aber auch nicht ärgerlich.
Fazit: Arlo & Spot ist eine visuelle Glanzleistung der Pixar Animation Studios, die an narrativen Schwächen und plakativen Dialogpassagen leidet. Doch die berührende und gewitzte Freundschaft zwischen den beiden Titelhelden schafft es, dieses Urzeitabenteuer trotzdem zu einem knuffigen Familienspaß zu machen. Wahrlich kein Muss, aber auch keine völlige Pleite.
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