Sonntag, 24. April 2016

Meine Lieblingsfilme 2015 (Teil III)

Weiter geht es mit meinen Favoriten des Filmjahres 2015, und wie ich mir schon in Teil zwei den Kopf über die genauen Platzierungen zerbrochen habe, so haben die nun folgenden Produktionen meinen Kopf noch stärker zum Qualmen gebracht: Habe ich Film X lieber als Film Y, oder Film Y lieber als Film X? Schlussendlich kam das nun anstehende Ranking zustande, mit dem ich sehr zufrieden bin. Dennoch sei gesagt: Ob ein Werk nun auf Rang 17 oder Rang 23 ist, macht keinen weltbewegenden Unterschied, denn all diese Filme haben mein Fanherzen sehr hoch schlagen lassen. Es sind noch immer keine vollkommen perfekten Filme, wohl aber welche, die ich kleiner Schönheitsfehler zum Trotz sehr gerne sehe und für ihre ganz und gar unterschiedlichen Leistungen wertschätze.

Vorab noch drei Ehrennennungen von Filmen, die mich hoch erfreut aus dem Kinosaal entlassen haben, jedoch ganz knapp daran gescheitert sind, in meiner Jahresbestenliste zu landen. Da wäre die charmante und genauso lieb wie kess gegen die soziale Schulleiter schießende Komödie The DUFF, die nur im Mittelteil in Klischees tappt. Dann sagten mir noch Steven Spielbergs unerwartet humorvolles Geschichtsdrama Bridge of Spies sehr zu sowie die Fortsetzung einer Jugendkomödie, die damals nur knapp meinem Flop-Ranking entkommen ist: Doch so sehr mich Pitch Perfect als zahnloser und weniger kreativer, zäher Glee-Abklatsch nervte, so unverschämt lustig und musikalisch einfallsreich hat sich Pitch Perfect 2 in mein Herzen geträllert. So. Nun aber die nächsten Platzierungen in meiner Jahresbestenliste!

Platz 25: Predestination (Regie: Michael & Peter Spierig)

Ein Film, bei dem es eine gewaltige Schande ist, dass ihm eine reguläre Kinoauswertung in Deutschland versagt blieb: Der Sci-Fi-Film Predestination ist ein Genre-Geniestreich und schlägt mehrmals sowohl tonale wie auch inhaltliche Haken, die jedoch nie überzogen wirken. Stets gewinnt die mit einem starken Ethan Hawke und einer umwerfenden Sarah Snook besetzte Story durch ihren Wandel an Kraft hinzu. Was wie ein normal gestikulierender, aber atmosphärischer Zeitreisethriller beginnt, wird im Mittelteil zu einer herzzerreißenden Coming-of-Age- und Coming-of-Gender-Geschichte voller Gefühl und mit einer zerrissenen Leitfigur. Daraufhin wird Predestination zu einer emotional aufgeladenen, von Bedauern sowie von Hoffnung getriebenen Sci-Fi-Noir-Erzählung und selbst darauf lassen es die Filmemacher nicht beruhen. Stark – hätte aber gerne noch selbstbewusster und unter die Haut gehender ablaufen können.

Platz 24: Mission: Impossible – Rogue Nation (Regie: Christopher McQuarrie)

Es ist eine schwer zu nehmende Hürde: Christopher McQuarrie hatte mit Mission: Impossible – Rogue Nation die Aufgabe, in die Fußstapfen des ungeheuerlich stark inszenierten, enorm unterhaltsamen vierten Teils der „Tom Cruise begibt sich in halsbrecherische Situationen und talentierte Regisseure filmen das Ganze, in der Hoffnung, nicht wegen der fahrlässigen Tötung eines Superstars in die Geschichte einzugehen“-Saga zu treten. Doch Cruises Kumpel McQuarrie hat es geschafft, sich nach Die Unglaublichen-Regisseur Brad Bird nicht zum Affen zu machen! Sein Rogue Nation ist kerniger, schneller und nicht mehr ganz so lustig, lebt von der Team-Dynamik des Casts und reiht eine genial choreografierte, atemberaubende Actionsequenz an die nächste. Der Plot ist nur zu Alibizwecken da, tut diesen undankbaren Dienst aber sehr erfolgreich – und mit Ilsa-Faust-Darstellerin Rebecca Fergusson haben wir eine der wenigen Frauen entdeckt, die Cruise in seinen Actioneskapaden die Stirn bieten kann. Saucooler Film.

Platz 23: Selma (Regie: Ava DuVernay)

Quentin Tarantino, der ja liebend gern das Filmgeschehen kommentiert, sorgte für eine kleine Kontroverse, weil er Selma als einer Emmy-Auszeichnung würdig bezeichnete und somit die Debatte, ob dieses Biopic bei den Oscars unter Wert verkauft wurde, abzuwürgen versuchte. Ich muss Tarantino aber teils recht geben: Eine Nominierung als bester Film wäre gerechtfertigt gewesen, David Oyelowo hätte für seine vielschichtige, emotionale und dennoch würdevolle und stolze Darstellung des Bürgerrechtlers Martin Luther King mindestens nominiert werden müssen. Auch das Drehbuch war meiner Ansicht nach auf Oscar-Niveau. Die Regieführung aber war für mich auf sehr hohem TV-Niveau, in dem Sinne, dass DuVernay nicht die Leinwand füllte und die Geschichte der Märsche von Selma effizient, aber nicht mit großen Ideen umsetzte. Das ist kein Kritikpunkt am Film, aber eine Begründung, weshalb ich die Nicht-Nominierung DuVernays nicht als sogenannten Snub betrachte. Allem zum Trotz: Selma ist ein aufwühlender, bedächtiger Film, der frei von üblichen Tränenziehermomenten ein noch immer brandaktuelles Thema aufgreift und seine Hauptfigur auch ohne Verklärung zu feiern weiß. Sehenswert!

Platz 22: TinkerBell und die Legende vom Nimmerbiest (Regie: Steve Loter)

Für mich vielleicht die Überraschung des Kinojahres 2015 schlechthin: Seit dem grausigen TinkerBell – Ein Sommer voller Abenteuer ist die Saga rund um die Nimmerland-Fee für mich nur noch eine Fußnote in Disneys Filmschaffen. Selbst wenn keine der Fortsetzungen auf so niedrigem Niveau arbeitete wie der dritte TinkerBell-Film, so traute ich der Reihe nicht mehr viel zu. Entsprechend wenig habe ich mich vor der Pressevorführung von TinkerBell und die Legende vom Nimmerbiest über diese Produktion informiert, ich wusste lediglich, dass er vorerst / voraussichtlich der letzte Teil der Reihe sein wird. Mit niedrigen Erwartungen ging es in die Vorführung, und nach dem etwas zahmen, nichtssagenden Einstieg entwickelte sich diese ebenso süße wie humorvolle Erzählung über eine ungewöhnliche, Vorurteile überwindende Freundschaft zu einem Film, der mir nicht lang genug hätte laufen können. Endlich erwachte Pixie Hollow für mich zum Leben, und dank der weit über der üblichen DisneyToon-Studios-Level liegenden Ausdruckskraft der Charakteranimation wuchs mir in der so knackigen Laufzeit das titelgebende Biest ganz eng ans Herz. Hinzu kam ein emotionales Finale, das auch auf der Metaebene als Abschluss dieser Filmreihe funktioniert, und schon starrte ich mit Gänsehaut die Leinwand an, um im Abspann Antworten zu suchen. Die habe ich sogleich erhalten: Zu den Autoren zählten die Kim Possible-Schöpfer Robert Schooley und Mark McCorkle, Regie führte der für die geniale Disney-Trickserie verantwortliche Steve Loter. Klar, dass dieser TinkerBell-Film angesichts solcher Beteiligten über die bisherigen Teile hinauswächst! Und plötzlich bin ich ein wenig traurig, dass die TinkerBell-Reihe vorbei ist. Andererseits: Hey, sie endet auf dem Höhepunkt. Das muss ein Franchise erst einmal schaffen ...

Platz 21: Ant-Man (Regie: Peyton Reed)

Zeitweise sah es so aus, als könnte Ant-Man Marvels erster kreativer Totalrückschlag seit Iron Man 2 werden: Nach jahrelanger Vorproduktion hatte das von Hot Fuzz-Regisseur Edgar Wright erdachte Projekt endlich einen konkreten Dreh- und Kinostarttermin. Und dann macht kurz vor Drehbeginn die Meldung die Runde, dass Wright und Marvel getrennte Wege gehen. Als Ersatz wurde Der Ja-Sager-Filmer Peyton Reed angeheuert, das Drehbuch wurde unter anderem von Adam McKay überarbeitet ... und das Ergebnis? Ein überraschend runder, launiger Film! Die Schrumpffähigkeiten des von Paul Rudd immens charismatisch gespielten Ant-Man werden beeindruckend auf die Leinwand gebracht, die Chemie innerhalb des Casts stimmt einfach (vor allem Michael Douglas ist super!) und dank hoher Gagdichte sowie zügiger Erzählweise ist Ant-Man zudem einer der wenigen modernen Superheldenfilme, die sich richtig schlank und drahtig anfühlen. Eine wunderbare Abwechslung, bei der die frische Art und Weise, wie das Material vermittelt wird, mühelos darüber hinwegtäuscht, dass der Grundplot schon sehr stark an Iron Man erinnert und daher eigentlich gar nicht originell für Marvel ist.

Platz 20: The Imitation Game – Ein streng geheimes Leben (Regie: Morten Tyldum)

Die Lebensgeschichte von Alan Turing, mit Fokus darauf, wie der Erfinder der Computertechnologie den Zweiten Weltkrieg für die Alliierten entschied, während er vor dem britischen Militär seine Sexualität verstecken musste. Typisches Oscar-Material, doch das feinfühlige, die angerissenen Themen beiläufig und clever verschmelzende Drehbuch sorgt dafür, dass wir es hier nicht mit einem handelsüblichen Oscar-Baiting-Projekt zu tun haben. Hinzu kommen eine unaufdringliche, doch sehr effektive Musikuntermalung aus der Feder des gefeierten Komponisten Alexandre Desplat, starke Performances durch Benedict Cumberbatch und Keira Knightley, die einen kühl-britischen Witz in dieses Drama einweben, sowie eine souveräne Regieführung. Ein schlicht und ergreifend schöner Film.


Platz 19: Sicario (Regie: Denis Villeneuve)

Der kanadische Spitzenregisseur Denis Villeneuve zementiert weiter seinen Platz in der Riege jener Filmschaffender, die man unbedingt im Blick halten sollte: Mit dem Gänsehaut erzeugenden, Nerven zerreibenden, in einem schleichend-bedrohlichen Tempo operierenden Thriller Sicario lieferte Villeneuve seine bislang wohl beste englischsprachige Regiearbeit ab. Umwerfend von Roger Deakins fotografiert, erzählt dieser dreckige, moralisch grau-grau-dunkelgrau gehaltene Film vom Krieg der US-Behörden gegen die Drogenkartelle in Mexiko. Emily Blunt besticht mit einer vielsagenden, doch wortkargen Schauspielleistung als ratlos in diese Welt geschubste Agentin, Josh Brolin und Benicio del Toro punkten als undurchschaubare Strippenzieher dieser deprimierenden Mission. Hinzu kommt noch Komponist Jóhann Jóhannsson, der seine beste Imitation eines düsteren Hans-Zimmer-Scores beisteuert und Sicario so zu einem bleischweren, sonnengegerbten Stück Spannungskino macht. Wow.

Platz 18: Kingsman – The Secret Service (Regie: Matthew Vaughn)

Nachdem Matthew Vaughn mit der Mark-Millar-Comicverfilmung Kick-Ass das Superheldengenre persiflierte, dekonstruierte und rekonstruierte, treibt der Regisseur mit einer weiteren Millar-Adaption dasselbe Spiel für das Genre des Agentenfilms: Kingsman ist ein neckischer Liebesbrief an das alte, campige Agentenkino, wie es Roger Moore als 007 einst aufrecht hielt. Und es ist zugleich eine Modernisierung dieser veralteten Mentalität. Vor allem aber ist es ein mit britischer Eleganz und hochmoderner Rotzigkeit ausgestatteter, gigantischer Popcorn-Filmspaß mit einer großartigen Neuentdeckung in der Hauptrolle (Taron Egerton) und einem ebenso großartig aufgelegten Colin Firth als urenglischer Gentlemanspion. Ultracool und einfallsreich!

Platz 17: Straight Outta Compton (Regie: F. Gary Gray)

Heiliger Quackstrudel: Ich hätte niemals gedacht, dass Straight Outta Compton ein Film wird, der mir persönlich derart gefällt. Nach den sehr positiven US-Kritiken habe ich durchaus erwartet, dass F. Gary Gray aus der Geschichte der Protest-/Skandal-/Gangster-/Hit-Rappertruppe N.W.A. einen qualitativ achtbaren Film geformt hat. Aufgrund meines Desinteresses für Rap glaubte ich jedoch nicht, dass er mich auf einer hochsubjektiven Ebene packen kann. Doch genau das hat er getan: Der Aufstieg, das Taumeln und das Neuerfinden des Anti-Establishment-Hip-Hops wird hier mit Dramatik, Spannung und Witz umgesetzt, die Darsteller sind perfekt gecastet, die Musik wird so eingesetzt, dass sie die Handlung stützt und vorantreibt, statt zu einer bloßen Aneinanderreihung der größten Hits zu verkommen. Und auch wenn die als Produzenten mitwirkenden Mitglieder der Truppe etwas zu gut davonkommen, so werden noch immer alle handelnden Personen mehrdimensional dargestellt und ergeben so Leinwandfiguren, deren Karriereverlauf ich in der fiktionalisierten Version extrem gerne und amüsiert verfolgt habe. Darüber hinaus ist Straight Outta Compton der richtige Film zur richtigen Zeit: Die Szenen, in denen Polizeigewalt und Rassismus schonungslos dargestellt werden, räsonieren erschreckend mit dem, was 2015 in den USA so los war ...

Platz 16: The Voices (Regie: Marjane Satrapi)

Ryan Reynolds in einer Rolle, in die er genauso sehr versinkt wie in Deadpool: Der Beau spielt in der pechschwarzen Psychokomödie The Voices einen unauffälligen Sanitärbedarf-Fabrikarbeiter, der ein bescheidenes Leben in einer recht freudarmen Kleinstadt führt. Doch der scheinbare Niemand hat seinen Kollegen gegenüber ein Geheimnis: Er wird wegen Schizophrenie therapiert: Er glaubt, dass seine Haustiere mit ihm sprechen, wobei sein Hund sein übervorsichtiges, optimistisches Ich repräsentiert und sein Kater seine dunklen Seiten ... Reynolds meistert es, einen Furcht einflößenden, Mitleid erregenden, Lacher erzeugenden, deprimierenden Protagonisten zu spielen, in einem Film, der keine einfachen Antwort liefert, wie man mit geisteskranken Mitmenschen umzugehen hat. Bei The Voices bleibt einem das Lachen im Halse stecken und ebenso weiß die Handlung ein beklommenes Gefühl zu erzeugen sowie mit Exzentrik zu verlocken. Ein einzigartiger Film!

Was kann diese Filme nur überbieten? Die Antworten folgen im nächsten Part!

Sonntag, 17. April 2016

Bridge of Spies – Der Unterhändler


Der Zeitgeist tendiert wieder gen Agentengeschichten: Die zwei vergangenen James-Bond-Filme Skyfall und SPECTRE gehören zu den größten Hits in der über 50 Jahre langen Kino-Historie von 007. Tom Cruise sorgte mit Mission: Impossible – Rogue Nation  dafür, das seinen Kritikern die Spucke wegblieb. Und Spy – Susan Cooper undercover sowie Kingsman: The Secret Service zogen mit gänzlich unterschiedlicher Attitüde das Genre durch den Kakao.

Wo diese Welle an Agentenstoffen in der Popkultur aktuell herrührt? Gewiss spielt es durchaus eine Rolle, dass die NSA-Abhörskandale und Streitigkeiten zwischen verschiedenen Geheimdiensten über Zuständigkeit aus den Nachrichten kaum wegzudenken sind. Und nicht nur diese Themen werden gesellschaftlich heftig diskutiert: Fragen über Sicherheit, Privatsphäre und die unübersichtliche Einordnung weltpolitischer Allianzen gehören längst zum Alltag. Schlagwörter, mit denen in der Welt der Geheimdienste unentwegt umgegangen werden muss.

Steven Spielbergs Bridge of Spies – Der Unterhändler befährt diese thematischen Gewässer gezielter als etwa die ebenfalls 2015 gestartete Spionagestory Codename U.N.C.L.E. oder der dümmliche Actioner Hitman: Agent 47. Da es sich hierbei um einen Geschichtsfilm von Steven Spielberg handelt, stand dies so auch zu erwarten. Ebenso sehr war zu erwarten, dass Bridge of Spies ungeachtet der ernsten Grundlage einen inspirierenden, optimistischen Film darstellt. Den charakteristischen Pathos eines Steven Spielberg dürften vereinzelte Kinogänger wohl als unverhohlenen US-Patriotismus missverstehen, andere werden dem Regieveteranen wohl einmal mehr eine Simplifizierung der Weltgeschichte vorwerfen. Wem jedoch bewusst ist, dass Spielberg eine weitere Heldengeschichte über das Gute im Menschen erzählen will und sich dabei von wahren Begebenheiten inspirieren ließ, darf sich auf rund 140 dramatische, aber auch warmherzige Kinominuten einstellen.

Das Jahr 1957: Auf Höhe des Kalten Krieges wird in Brooklyn Jagd auf sowjetische Spione gemacht. Dabei geht den US-amerikanischen Behörden der Spion Rudolf Abel (Mark Rylance) ins Netz. Da dem mit einer beeindruckenden Gelassenheit auftretenden Agenten vor Gericht per Gesetz eine angemessene Verteidigung zusteht, aber niemand sein Mandat übernehmen möchte, wird diese Aufgabe letztlich dem Versicherungsanwalt James B. Donovan (Tom Hanks) herangetragen. Dieser steigert sich in den Auftrag hinein und rattert seine Pflichten nicht etwa pro forma ab, sondern bemüht sich mit Leib und Seele, um für Abels Rechte einzustehen. Dies bringt Donovan die Verachtung seiner Kollegen und Mitbürger ein. Dennoch steht er weiter dafür ein, seinen Mandanten vor der Todesstrafe zu bewahren. Als der Pilot Francis Gary Powers (Austin Stowell) bei einem Spionageflug über Russland abstürzt und festgenommen wird, macht sich Donovans Strategie bezahlt: CIA-Chef Allen Dulles (Peter McRobbie) bittet ihn, mit den Sowjets über den Austausch von Powers gegen Abel zu verhandeln …

Auf dem Weg zu besagten Verhandlungen ist Bridge of Spies vieles auf einmal: Ein Gerichtsdrama, in dem Spielberg nüchtern aufzeigt, welche Lynchmob-Mentalität der amerikanischen Gesellschaft (und nicht nur der!) innewohnt. Bridge of Spies ist auch eine Historien-Dramödie, die mit sprödem Sarkasmus vorführt, welche Doppelmoral wir Menschen aufweisen. Gerade in den mitunter zynischen Sequenzen, in denen Spielberg etwa auf einen Flaggenschwur einen sehr harten Schnitt auf eine Abfolge von Zerstörung folgen lässt, ist die Feder der am Drehbuch verantwortlichen Coen-Brüder spürbar. Auch, wann immer Tom Hanks mit kesser Gelassenheit seine ihn kritisierenden Gesprächspartner vorführt, werden Erinnerungen an die Skripts der A Serious Man-Macher wach: In den Augen patriotischer Amerikaner ist Donovan ein Vaterlandsverräter, weil er sich an die Verfassung hält und seinem Mandaten einen fairen Prozess verschaffen möchte – galanter kann man das US-Denken nicht vorführen.

Bridge of Spies ist aber auch Politthriller, etwa, wenn Kamera-Legende Janusz Kamiński eine bedrohlich ruhige, lange Kamerafahrt nutzt, um das Getümmel beim Bau der Berliner Mauer festzuhalten. Oder wenn in vermeintlich entspannten Verhandlungen schlagartig doch deutlich wird, wie angespannt die politische Lage zwischen Ost und West ist. Und selbstredend ist Bridge of Spies auch ein Kalter-Krieg-Agentenfilm, selbst wenn hier kein Spion handelt, sondern ein Anwalt zum Schutze seines Mandanten im fremden Land eine knifflige Mission zu lösen versucht.
Dass Bridge of Spies diesen zahlreichen Genrezutaten zum Trotz nicht zusammenbricht, liegt an der erstaunlichen Leichtigkeit, mit der Spielberg den Stoff verarbeitet. Zwar ist Bridge of Spies viel eher ein Drama als eine Komödie, allerdings lässt der Regisseur nie Zweifel daran aufkommen, dass er eine optimistisch stimmende Geschichte erzählt. Daher lässt er in potentiell lebensbedrohlichen Situationen die Zügel etwas locker, hellt die sonst sehr nasskalte Bildsprache auf und fokussiert Tom Hanks' sympathisch-souveränen Gesichtsausdruck. Der Thriller-Anteil fällt deswegen gering aus. Kurzweilig ist Bridge of Spies trotzdem, dank geschliffener Dialoge, einer magnetisch-liebenswerten zentralen Performance und zügig erzählter Etappen.

Spielberg fängt stets so viel Not, Elend und Verständnislosigkeit ein, wie es nötig ist, um den Ernst der Lage zu erfassen – aber zugleich so wenig, wie möglich, so dass mehr Raum ist, den er Donovoans sowie Abels Standfestigkeit widmen kann. Die Werte Anständigkeit und Prinzipientreue werden im Skript und in der souveränen Inszenierung jedoch nicht übertrieben beweihräuchert: Komponist Thomas Newman schafft eine emotional ausgeglichene Atmosphäre, mit sehr trockenem Humor wird Donovans DDR-Trip launig genug dargeboten, um ihn nicht als weltverändernde Heldentat hochzustilisieren. Erst ganz zum Schluss erlaubt sich Spielberg zu viel Symbolhaftigkeit in seiner Bildsprache und feiert den friedlichen, freien Westen – was umso bedauerlicher ist, da Spielberg zuvor angemessen mit den überforderten DDR-Funktionäre (pointiert gespielt von Burghart Klaußner und Max Mauff) sympathisierte. Selbst Sebastian Koch bekommt als selbstgefälliger Verhandlungspartner ein paar Lacher zugeschoben.

Auffälliger als die auf der Zielgeraden Überhand nehmende Prise Pathos sind die zahlreichen losen Fäden: In der ersten Hälfte beginnt Bridge of Spies mehrere Mini-Subplots, etwa über Donovans Kollegen und Familie, die der Film letztlich aus den Augen verliert. Dies ist ein verzichtbarer Schönheitsfehler. Großes Kino ist Spielberg hiermit trotzdem gelungen – das muss man dem Oscar-Preisträger standhaft eingestehen.

Fazit: Bridge of Spies – Der Unterhändler ist ein kurzweiliges, unerwartet aufmunterndes Drama mit schönen Bildern und einem betont freundlichen, magnetischen Tom Hanks in der Hauptrolle.

Freitag, 15. April 2016

Arlo & Spot


Diese Filmkritik ist die Geschichte zweier „Was wäre wenn ..?“-Szenarien. Auf der einen Seite geht es um ein Paralleluniversum, in dem die Dinosaurier nicht durch einen  Meteoriteneinschlag ausgelöscht wurden. Auf der anderen Seite stellt sich die Frage: Was, wenn Pixars Animationsfilm über exakt dieses Szenario im Laufe seiner langjährigen Entstehungsgeschichte irgendwann eine andere Abzweigung genommen hätte? Denn The Good Dinosaur (wie Arlo & Spot im Original heißt) ist das Ergebnis eines holprigen Produktionsverlaufs – was dieser abenteuerlichen Survivaltrip-Komödie einzelnen liebevoll vermittelten Szenen zum Trotz auch deutlich anzumerken ist.

Der Ursprung
So beginnt die eine Geschichte, um die es hier geht: Millionen Jahre, nachdem ein Meteor haarscharf die Erde verfehlt hat, haben sich die Dinosaurier eine frühe Zivilisation aufgebaut: Einige Fleischfresser sind als Cowboys tätig und treiben ihr Vieh durchs Land, unter Pflanzenfressern hingegen sind viele Farmer anzutreffen, die ihr Futter selber kultivieren. Zu diesen Landwirten zählt eine kleine Apatosaurus-Familie, deren jüngster Spross Arlo alles Erdenkliche tut, um sich als nützlich zu erweisen. Aufgrund seiner unbändigen Angst und seiner ungeschickten Art misslingt dies dem gutmütigen Heranwachsenden jedoch unentwegt. Als Arlo eines Tages während der Schädlingsbekämpfung in einen reißenden Fluss stürzt, wird er meilenweit von der einzigen Heimat weggespült, die er kennt. Verletzt und desorientiert muss er versuchen, den Weg zurück zu finden. Dabei kreuzt sich sein Weg mit dem des wilden Menschenjungen Spot, dessen Gegenwart er erst nur zähnefletschend duldet – da Spot aber mit den Gefahren der Wildnis besser vertraut ist, wird aus den Beiden nach und nach ein schwer zu trennendes Gespann …

Und so geht die andere: Es sind die letzten Monate, bevor Oben in den Kinos anläuft: Bob Peterson, einer der Drehbuchautoren des farbenfrohen Films, arbeitet an einem zunächst streng geheimen Film über Dinos. Drei Jahre später lüftet das Animationsstudio den Schleier des Geheimnisvollen – zumindest ein Stück weit: Der Film soll im November 2013 starten. Doch schon im April 2012 rückt Pixar von diesem Plan ab und verschiebt die Premiere auf Mai 2014. Über die Story werden aber erste Details bekannt: Regisseur Bob Peterson will die Geschichte eines jungen Farmer-Dinosauriers erzählen, der in einer Welt, in der Dinos und Menschen koexistieren, Probleme hat, sich in seiner landwirtschaftlich geprägten Gesellschaft einzufügen. Im August 2013 folgt der nächste Schlag: Peterson verlässt The Good Dinosaur, ebenso wie Produzent John Walker. Der Film nehme einfach keine runde Gestalt an. Und selbst das Zurverfügungstellen eines Ko-Regisseurs in Gestalt von Pete Sohn habe nicht geholfen.

Solche Probleme kennt Pixar bereits – wenn diese vorkommen, und der ursprüngliche Regisseur dieser nicht Herr wird, wandert das Projekt ins Archiv. Oder der Regisseur wird möglichst fließend ausgetauscht. Nicht so dieses Mal: Der Dinosaurier-Film bliebt in Produktion. Laut Studioangaben haben Cars 2-Regisseur John Lasseter, Toy Story 3-Macher Lee Unkrich, der für Merida verantwortliche Mark Andrews sowie Pete Sohn ihn in Sequenzen gesplittet und diese unter sich aufgeteilt, um diese übergangsweise zu betreuen. Dieser Übergang dauerte wohlgemerkt länger, als wohl erhofft: Erst im Oktober 2014 wurde Sohn endgültig zum offiziellen Regisseur ernannt. Von da an wurde unter seiner Führung mit immensem Nachdruck an der Fertigstellung gearbeitet, damit Arlo & Spot wenigstens seinen nunmehr dritten Starttermin einhalten kann: November 2015.

Ein einzelner Nordamerika-Trip. Sooooo viele Richtungen.
Darüber, welche Änderungen gegenüber Bob Petersons Arlo & Spot-Version noch vom vierköpfigen Interims-Regiekomitee beschlossen wurden, und welche Pete Sohn in seinen 13 Monaten alleiniger Leitung vorgenommen hat, schweigt sich Pixar bislang aus. Daher wäre es eine reine Mutmaßung, dass der holpernde Tonfall und die episodenhafte Struktur dieses Films eine überdeutliche Nachwehe jener Zeit sind, in der vier Filmemacher das cineastische Geschick der Titelhelden gesteuert haben. Doch ganz gleich, wo dieses atmosphärische Geholper und Gestolper herrührt: Es gereicht Arlo & Spot zum Nachteil.

Dabei ist die Roadtrip-Narrative, der sich Pixars 16. abendfüllende Produktion annimmt, eigentlich eine sehr verzeihliche: Auch Findet Nemo hat als Reise durchs Meer eine episodenhafte Ader. Der Fisch-Trip hat allerdings einen starken, emotionalen roten Faden, der diese Augenblicke zusammenhält und sie in ihrem gefühlsmäßigen Auf und Ab zu Einzelteilen eines großen Ganzen macht – mit mal mehr, mal weniger eigenständigen Charakteristika. Bei Arlo & Spot dagegen stehen die einzelnen Sequenzen wesentlich stärker für sich – und dies teils so sehr, dass darunter Arlos charakterliche Entwicklung leidet: Die zwei Titelfiguren stehen einen ungewollten Drogentrip durch, treffen manische Saurier, bestaunen die Natur, kabbeln sich, trösten einander, kämpfen ums Überleben … All diese Szenen haben einen distinktiven, eigenen Tonfall und zwischen ihnen gibt es nur selten eine fließende Überleitung. Dies erschwert es dem Betrachter, sich in Arlos verängstigte, an sich selbst zweifelnde Lage zu versetzen, da sich das Drumherum zu sprunghaft ändert, um den inneren Wandel im Blick zu behalten.

Was dagegen konstant ist, ist die umwerfende, atemberaubende Pracht der Welt, durch die der junge, grüne Dinosaurier stapft: Basierend auf intensive Recherchen haben die Pixar-Künstler im Computer ein wildes, naturbelassenes Nordamerika erschaffen, bei dem es nicht verwundern würde, sollte es die Mehrheit der wenigen Filmzuschauer für echt halten. Doch wer genauer hinschaut, wird erkennen, dass Arlo & Spot nicht fotorealistisch ist, sondern auf täuschend echte Weise naturalistisch: Die für die virtuelle Kameraarbeit verantwortliche Pixar-Veteranin Sharon Calahan, die auch am Design des Films mitwirkte, entschied sich bewusst dagegen, einfach eine wirklichkeitsgetreue Wildnis auf die Leinwand zu bannen.

So spiegelt sich Arlos Gemütszustand im Laufe des Films immer wieder darin, wie sich der wegweisende Fluss verhält, der ihn seiner Heimat entrissen hat. Und auch die Gräser, Bäume und Steppen sind auf dezente Weise größer, strahlender, malerischer, als in Echt – und unterstreichen in ihren Gegebenheiten, wie sich der verschollene Dino fühlt. Detailversessene Animationsliebhaber werden jedoch besondere Freude daran haben, wie die Kamera durch diese Filmwelt fährt, und dabei öfters den Fokus ändert, um dem Gezeigten ein Eigenleben zu verleihen. Der größte technische Durchbruch in Arlo & Spot sind allerdings die komplexen Wolkensimulationen, die im Gegensatz zu den in die Hintergründe „gemalten“ Wolken früherer Pixar-Filme mühevoll gerendert und beleuchtet wurden. Auch Kinogänger, die nicht auf so etwas achten, bekommen aufgrund der dadurch bedingten, stimmigeren Gestaltung der Filmwelt die Auswirkungen dieser kleinen, technischen Revolution zu spüren.

Schweigen ist ein wertvolles Gut
Zusätzlich zu den herausragenden sowie Bände sprechenden Hintergründen hat dieser Trickfilm zudem sehr ausdrucksstarke Hauptfiguren zu bieten: Der ungelenke, oft sehr naiv aus der Wäsche blickende Arlo und der ungezähmte Spot haben ein vielseitiges mimisches Repertoire zu bieten, welches den Mittelteil fast im Alleingang erzählerisch vorantreibt. Bei einem Film mit solch einer Bildgewalt ist es umso bedauerlicher, dass sich die Filmemacher nicht auf deren Wirkung verlassen: Die Szenen, die von Arlo und seiner Familie handeln, sind von den banalsten Dialogzeilen geplagt, die es bei einem Pixar-Langfilm je zu hören gab. Im höchsten Maß deskriptiv geraten, kauen sie den Zuschauern alles vor, was die Figuren machen und was sie antreibt.

Dieser hölzerne, bemühte Stil kehrt auch gen Schluss wieder, wenn sich Arlo bei einer Lagefeuergeschichte und in einem Moment der Selbsterkenntnis der großen Lektion seines Abenteuers nähert. Vom Flair und der Dramatik eines Der König der Löwen oder der Eloquenz eines Ratatouille ist man hier kilometerweit entfernt. Da im Mittelteil die zumeist non-verbal erfolgte Annäherung zwischen Arlo und Spot trotz des holpernden tonalen Fadens so einfühlsam, spannend und gewitzt skizziert wird, rettet sich dieser Pixar-Spaß zwar noch auf ein durchschnittliches Niveau. Bei der gebotenen Optik und bei aller Eindringlichkeit, die die besten Szenen erreichen, ist das aber enttäuschend wenig.

Nur bleibt wohl unklar, ob Petersons Version des Films besser gewesen wäre. Denn die sehr stringente, wenngleich stimmungstechnisch unausgewogene Story von jetzt hätte einer fahrigen Handlung weichen müssen: Laut Pixar-Mitarbeitern verrannte sich Peterson nach seinem simplen Pitch in ein Konstrukt aus drei Storyfäden, die Arlos Innenleben, die Familiendynamik seiner Familie und die gesamte Dino-Gesellschaft umspannten. Mit mehreren zusätzlichen Menschenfiguren und mit laut Pete Sohn erzwungen-unsympathischen Saurier-Nebenrollen sei es Peterson nicht gelungen, ein zufriedenstellendes Ende zu konstruieren.

Arlo & Spot findet zwar in seiner endgültigen Form keinen Gänsehaut-Schluss, hat aber immerhin einige, kleine liebenswerte Augenblicke zu bieten, in denen die Helden gemeinsam Höhen und Tiefen durchlaufen. Als Gesamtwerk brennt sich diese Kinofreundschaft zwar nicht ins Gedächtnis ein, passagenweise geht der Funke aber sehr wohl über. Bis ungeschickte Tonwechsel oder radebrechende Dialoge ihn wieder löschen. Daher ist dieser Pixar ein frustrierender Eintrag in die Filmografie des Studios mit der hüpfenden Lampe: Er hätte so genial sein können, ist es aber nicht. Gleichwohl ist es kein nerviger oder gar grottiger Film der Marke Cars 2, weshalb der Status von Arlo & Spot als Pixars erster Beinaheflop nicht gerechtfertigt ist – aber auch nicht ärgerlich.

Fazit: Arlo & Spot ist eine visuelle Glanzleistung der Pixar Animation Studios, die an narrativen Schwächen und plakativen Dialogpassagen leidet. Doch die berührende und gewitzte Freundschaft zwischen den beiden Titelhelden schafft es, dieses Urzeitabenteuer trotzdem zu einem knuffigen Familienspaß zu machen. Wahrlich kein Muss, aber auch keine völlige Pleite.

Ich und Earl und das Mädchen





Obwohl sich das alljährlich stattfindende Sundance Film Festival einer breiten Palette an Produktionen öffnet, gibt es einen gewissen Schlag an Kinostoffen, der bei diesen Filmfestspielen besonderen Anklang findet: Bittersüße, kunstvolle und dennoch zugängliche Geschichten über das Erwachsen(er)werden. Das Paradebeispiel für einen waschechten Sundance-Film ist Zach Braffs Kino-Regiedebüt Garden State. Diese melancholische, dezent verschrobene Erzählung über einen emotional unterkühlten, jungen Mann wurde seit ihrer Premiere im Jahr 2004 vielfach kopiert, aber nie erreicht. Elf Jahre später bekommt das Coming-of-Age-Stück mit Ich und Earl und das Mädchen jedoch letztlich doch noch Konkurrenz um den Titel des archetypischen Sundance-Projekts – und qualitativ spielt die Romanadaption ebenfalls in derselben Liga wie Braffs Indie-Filmjuwel.

Wie auch der Protagonist von Garden State hat das „Ich“ in Ich und Earl und das Mädchen Probleme damit, sich auf sein soziales Umfeld einzulassen. Greg (Thomas Mann) ist allerdings stolz darauf, dass er sich ohne größere Bindungen durch die High School zu manövrieren weiß: Er hat eine Kunst daraus gemacht, zu allen nett genug zu sein, um sich keine Feinde zu machen, und gleichzeitig so distanziert zu bleiben, dass niemand von ihm irgendwelche Freundschaftsdienste erwartet. Wenn er mit jemandem Zeit verbringt, dann mit seinem Lieblingslehrer (Jon Bernthal) oder mit seinem „Arbeitskollegen“ Earl (RJ Cyler), der genau wie Greg eine Passion für cineastische Meilensteine hat. Diese Leidenschaft leben Earl und Greg seit Kindstagen aus, indem sie kleine, alberne Parodien drehen – wobei sich diese, wie Greg stets betont, nicht über die Vorlagen lustig machen sollen.


Als Rachel (Olivia Cooke), eine Schulkameradin der Hobby-Filmemacher, an Krebs erkrankt, drängt Gregs Mutter ihren cinephilen Spross dazu, ihr eine Schulter zum Ausheulen zu leihen. Daran hat er zwar herzlich wenig Interesse, aber Rachels individuelle Sicht auf das Sozialgefüge Schule lässt ihn trotzdem darüber nachdenken, mit ihr eine Zweckfreundschaft einzugehen …


Eingefangen in detailreich ausstaffierten Breitwandbildern erzählt Regisseur Alfonso Gomez-Rejon diese Geschichte mit einer gesunden Distanz: Die Kamera rückt selten arg nah an die Gefühlsausbrüche unterdrückenden Gesichter, ein fescher Off-Kommentar spielt dank einer gesunden Dosis Meta-Humor mit den Regeln des Genres, die Filmmusik unterstreicht zwar die Emotionen der Figuren, schlägt dabei aber einen dezent-verkopften Tonfall an. Angesichts der Bandbreite an Gefühlen, die das Drehbuch von Jesse Andrews abdeckt, ist diese teils ironische, teils einfach nur kühle Abstandnahme ein wertvoller Kunstkniff:


Würde Gomez-Rejon jede einzelne Regung des Glücks, der Trauer, der Angst oder der Wut mit voller Intensität ausleben, bestünde die Gefahr, dass Ich und Earl und das Mädchen zu einem reinen Kitschfilm verkommt. Die intellektuelle, dezent skurrile Herangehensweise, mit welcher der Regisseur stattdessen vorgeht, versetzt das Publikum hingegen in die Position des kaltschnäuzigen Protagonisten, der nur dann auftaut, wenn er sich in absurden oder popkulturell geprägten Witz retten kann.


Wenn dann ein Augenblick durch diesen Schutzpanzer der Figur respektive der Inszenierung durchdringt, trifft er dafür mit umwerfender Kraft. Sei es ein völlig unbeschwerter, von Teenagerängsten befreiter Dialogwechsel zwischen Greg und seiner krebskranken Weggefährtin. Sei es ein Gefühl der Geborgenheit, wenn das titelgebende Trio zusammen rumhängt. Oder eine aufwühlende Schicksalswende – egal, ob gut oder schlecht.


Kurzum: In dieser Puppenhaus-Welt, in der die Figuren so viel eloquenter sind als reale Jugendliche, aber Dinge sagen, deren Bedeutung stets berührend und gefühlsecht ist, ist einfach alles überhöht. Bis auf die bodenständigen, verletzlichen Darbietungen der zentralen Darsteller Mann und Cooke. Im Zusammenspiel ergibt dies eine Teenager-Charakterstudie-trifft-Krebs-Tragikomödie-Mischung, die zugleich unter die Haut geht und den Verstand charmant umgarnt.


Fazit: Zwei wunderbare Hauptdarsteller, eine aufwühlende, doch niemals überbordende Geschichte über das Erwachsenwerden und feine Ironie: Ich und Earl und das Mädchen ist ein Muss für Filmvernarrte und jene, die es noch werden wollen.


Die Tribute von Panem – Mockingay: Teil II


Mit der von Suzanne Collins erdachten Dystopie Die Tribute von Panem führt sich der Trend fort, Verfilmungen populärer Buchreihen über die eigentliche Anzahl an Bänden hinaus zu dehnen. Das Twilight-Franchise widmete seiner letzten Buchvorlage zwei Filme, Harry Potter verfolgte diese Herangehensweise mit Buch sieben. Peter Jacksons Mittelerde-Reise besteht indes aus drei Herr der Ringe-Teilen sowie drei Der Hobbit-Filmen, obwohl Tolkien die gesamte Hobbit-Odyssee in nur einem relativ kompakten Jugendbuch untergebracht hat.

Qualitativ fielen diese Versuche, zusätzliche Filme aus einer literarischen Reihe zu quetschen, bislang sehr unterschiedlich aus. Vor allem Jacksons Hobbit-Adaptionen sorgen ungebrochen für hitzige Debatten unter Cineasten. Doch auch im Falle von Tribute von Panem herrscht Uneinigkeit: Die Mehrheit der Kritiker sah in Teil drei einen Rückschritt gegenüber dem gemeinhin deutlich stärker gefeierten zweiten Teil. Ebenso kam es an den weltweiten Kinokassen zu einer negativen Entwicklung: Holte Die Tribute von Panem – Catching Fire insgesamt 864,57 Millionen Dollar, erreichte der erste Part von Die Tribute von Panem – Mockingjay 752,10 Millionen Dollar.

Dessen ungeachtet gibt es Stimmen, die den dritten Film rund um die unfreiwillige Revolutionsführerin Katniss Everdeen als den bis dahin besten feiern (darunter zähle ich mich selbst): Aus der Abenteuerfilmreihe mit medien- und gesellschaftskritischen Zwischentönen entwickelte sich in Mockingjay: Teil I eine jugendaffine, eindrucksvolle Geschichte über gegenwärtige Kriegsmechanismen – inklusive einer starken zentralen Performance von Jennifer Lawrence und wirkungsvollen Bildern. Dass die Handlung eines einzelnen Romans gesplittet wurde, lässt sich der dritte Tribute von Panem-Teil außerdem kaum anmerken: Das Skript von Danny Strong und Peter Craig ist dramaturgisch ausgereift, und wirkt im Gegensatz zu den einzelnen Hobbit-Teilen nicht wie ein überdehnter Akt einer mit aller Macht ausgeschlachteten Story.

Die Tribute von Panem – Mockingjay: Teil II führt den zugegebenermaßen leicht forcierten Vergleich mit Jacksons Hobbit-Trilogie zu einem zwiespältigen Abschluss: Anders als das Hobbit-Finale stellt Katniss Everdeens viertes Leinwandabenteuer nicht bloß einen über zwei Stunden andauernden, überreizten Klimax dar. Allerdings flattert der zweite Mockingjay längst nicht so unproblematisch durch seine Laufzeit wie der erste – mehr als einmal geht dem kleinen Spotttölpel auf der Zielgeraden die Puste aus. Dank einiger geglückter Aspekte kommt es erfreulicherweise nicht zum totalen Absturz, so dass ein konsequenter, solider Abschluss erreicht wird. Das Potential zu einem triumphalen Finale verschenken die Tribute von Panem-Macher trotzdem … 

Ohne Rücksicht auf etwaige Neuzugänge im Publikum eröffnet die 137-minütige Produktion direkt nach dem misslungenen Mordanschlag an Katniss Everdeen (Jennifer Lawrence), der Teil drei beendet hat. Mit Blessuren und nahezu verstummt schleppt sich das wandelnde Symbol der Revolution gegen das diktatorische Regime von Präsident Snow (Donald Sutherland) durch ihre Behandlung – sowie durch strategische Konferenzen der Revolutionäre. Anführerin Alma Coin (Julianne Moore) hat sehr konkrete Vorstellungen, wie Katniss in diesem Bürgerkrieg helfen kann, doch nur selten stimmt sie den Vorhaben Coins und ihres Beraters Plutarch Heavensbee (Philip Seymour Hoffman) zu. Als Katniss zusammen mit einer kleinen Elitetruppe, zu der neben einigen Topsoldaten der frisch zum Kriegsstrategen aufgestiegene Gale Hawthorne (Liam Hemsworth) und Hungerspiele-Veteran Finnick Odair (Sam Claflin) zählen, trotzdem auf einen Einsatz geschickt wird, folgt für sie die nächste Enttäuschung: Sie kämpft nicht ganz vorne mit, sondern soll in Frontnähe weitere Propagandavideos für Cressidas (Natalie Dormer) TV-Crew drehen. In der Zwischenzeit kämpft Katniss' früherer Weggefährte Peeta (Josh Hutcherson) gegen die Hirnwäsche an, die ihm das Kapitol verpasst hat … 

Obwohl Katniss und ihre Teammitglieder mit diversen heimtückischen Fallen zu kämpfen haben, die das Kapitol installiert hat, um die Revolution aufzuhalten, ist Mockingjay: Teil II ein actionarmer Abschluss für die Tribute von Panem-Erzählung. Filmfreunde, die also auf einen wilden letzten Ritt gewartet haben, dürften enttäuscht werden. Allerdings haben die Filmemacher Respekt für ihre Entscheidung verdient – eine Filmreihe, die sich in ihrer kritischen Haltung gegenüber Gewalt konsequent steigerte, als selbstgefälliges Schlachtengemälde zu beenden, wäre geschmacklos und doppelzüngig. Die wenige Action, die Regisseur Francis Lawrence hier auf die Leinwand bannt, besteht aus dramatischen Hindernissen, die Katniss und Anhang zu überstehen haben, sowie aus einigen, wenigen Gewaltspitzen, die in ihrer Drastik und emotionalen Schwere die Grenzen der FSK-ab-12-Freigabe ausloten.

Statt knalligen Popcorn-Abenteueractionspaß zu bieten, spinnt dieses Franchise-Finale den in Mockingjay: Teil I deutlich gewordenen Gedanken weiter, diese Story als futuristisches Kriegsdrama zu erzählen. Was den Drehbuchautoren zugute gehalten werden muss: Beide Teile der Mockingjay-Adaption weisen einen anderen Schwerpunkt auf, womit sich die Zweiteilung des Stoffs durchaus rechtfertigen lässt. Handelte der dritte Die Tribute von Panem-Film hauptsächlich von Propagandamethoden und moralisch komplexen Entscheidungen, die in Konferenzräumen getroffen werden können, rückt Teil vier deutlich näher an seine Protagonistin: Wie verloren fühlt man sich an der Front, wie schwer ist es im Kriegsgetümmel, an Informationen heranzukommen? Und vor allem: Was macht der Krieg mit Katniss, wie verändert er sie – und wie kann sie den Kriegsverlauf ändern, sollte sie ihn überhaupt verändern können?

Francis Lawrence unterstreicht diesen inhaltlichen Wandel, indem er den Betrachter auch visuell in die Position der verlorenen Heldin versetzt: Wo Mockingjay: Teil I mit imposanten Totalen und kraftvollen Luftaufnahmen punktet, wählen Lawrence und sein Kameramann Jo Willems in der Fortsetzung deutlich engere Einstellungen. Wiederholt schwenkt die Kamera außerdem über Katniss' Schulter, so dass die Ereignisse aus ihrer Subjektive verfolgt werden können, des Weiteren sind die Nahaufnahmen der (stark aufspielenden) Hauptdarstellerin Jennifer Lawrence beengender, detaillierter, zeigen ihre Regungen subtiler. Aufgrund dessen, sowie wegen der Auslassung wertvoller inhaltlicher Informationen, gleicht sich Mockingjay: Teil II zu großen Stücken den Collins-Romanen an, die allesamt aus Katniss' Ich-Perspektive erzählt sind.

Ob beabsichtigt oder nicht: Die Tribute von Panem-Filme gehen inhaltlich und inszenatorisch/narrativ eine komplett entgegengesetzte Richtung – der Film mit den
intimsten Ereignissen (Katniss' Teilnahme bei den tödlichen Hungerspielen) wird global in Szene gesetzt. Teil zwei und Teil drei lassen dieses Verhältnis allmählich kippen, und die entscheidenden Augenblicke der Revolution bekommt das Kinopublikum schlussendlich mit Katniss' Augen zu sehen. Später entfleuchen die größeren, politischen Punkte sogar gänzlich aus dem Fokus, um dagegen allein das Befinden der Hauptfigur zu zeigen. Diese graduelle Verschiebung des Fokus ist zwar ungewöhnlich, aber geistreich: Über diesen Weg unterstreicht Die Tribute von Panem, dass jeder Einzelne von politischen Missständen betroffen ist – und erlaubt sich in Mockingjay: Teil II zudem Unklarheiten. Die daher gegebene moralische Ambiguität in allerlei Detailfragen provoziert einen für Teenager-Buchverfilmungen selten gesehenen ethischen Anspruch – wer aus dieser Filmreihe mit wachsendem Blutdurst schreitet und in weltpolitischen Fragen unreflektiertes Handeln feiert, dem ist auch nicht mehr zu helfen.

Dass diesen Aspekten zum Trotz Mockingjay: Teil II kein Volltreffer ist, liegt an der, gemessen am gebotenen Inhalt, viel zu langen Laufzeit. Es wäre überhaupt nicht nötig gewesen, das Finale der Reihe  ausführlicher zu gestalten als dessen Vorläufer: Da die Grundkonstellation klar ist, wäre ein behutsamer, aber zielstrebiger Marsch hin zum konsequenten, gehaltvollen Ende empfehlenswert gewesen. Doch das Autorenteam Strong und Craig streckt den Abend der Revolution mittels zahlreicher Wiederholungen – sei es, dass im Mittelteil alle paar Minuten ein Lageplan gezeigt und analysiert wird oder sich Figuren über die Fallhöhe ihres Handelns unterhalten. Einmal drückt Squad-Leader Boggs, gespielt von Mahershala Ali, innerhalb eines einzigen Monologs sogar drei Mal in stets neuen Worten aus, welche Gefahren auf sein Team warten. All diese Wiederholungen ziehen das Skript in Sachen Effizienz und Spannung enorm herunter, weswegen das in der Theorie dramatische Finale leider ein in der Praxis zwischendurch sehr zähes Finale darstellt.

Das ist auch deshalb besonders schade, weil dank der diffizilen Figurenkonstellation sogar das Liebesdreieck reizvoller ist als bislang: Der in Teil eins und Teil zwei wenig geforderte Josh Hutcherson gibt als an sich und Katniss zweifelnde Ex-Geisel des Kapitols seine bisher komplexeste Leistung ab – und wäre der Film insgesamt zügiger erzählt, käme diese Darbietung auch besser zur Geltung. Gleichermaßen legt der, bisher eh schon herrlich fiese, Donald Sutherland in seiner Rolle des diabolischen Snow enorm zu, während der Rest der Nebendarsteller so sehr an den Rand gedrängt wird, dass er dem Film kaum einen Stempel aufdrücken kann. Auf ästhetischer Seite, zu guter Letzt, zeigt sich Mockingjay: Teil II karg, trostlos, betrüblich – versehen mit einer gelegentlichen Note vorsichtiger Hoffnung in Form von James Newton Howards thematisch variabler Filmmusik.

Fazit: Neuzugänger werden verloren sein, Fans bekommen ein plausibles, konsequentes und moralisch aussagekräftiges Finale spendiert: Die Tribute von Panem – Mockingjay: Teil II führt die Reihe an Bestseller-Adaptionen zu einem durchdachten Abschluss. Bloß ist der Weg zu den besten Augenblicken dieses Films ein teils sehr zäher. 15 bis 25 Filmminuten weniger hätten es auch getan.

Mittwoch, 13. April 2016

Steve Jobs




Für die zahllosen Apple-Fans weltweit ist es eine Selbstverständlichkeit. Und auch sämtliche Apple-Verweigerer müssen es sich wohl zähneknirschend eingestehen: Steve Jobs war ein Genie. Der Unternehmer trieb die Entwicklung von Heimcomputern voran und machte nach der Jahrtausendwende mit iTunes und dem iPod legale Musikdownloads sowie MP3-Player zu gigantischen Marktzweigen. In Jobs' späteren Jahren folgten schlussendlich seine womöglich größten Erfolge: Die iPhones, dank derer das Smartphone für weit mehr als eine Milliarde Menschen zu einem unverzichtbaren Alltagsgegenstand wurde.

Obwohl dank zahlreicher Zeitungsartikel sowie Biografien das Wesen des Mannes hinter diesen Erfolgen wohl publiziert ist, haben unzählige Apple-Jünger ein ganz eigenes Bild von Steve Jobs. Während ein Gros von Jobs' Angestellten und Weggefährten den Rollkragenpulloverträger als Egomanen zeichnet (und sogar eine Webseite mit entsprechenden Anekdoten existiert), schwärmen Millionen von treuen Nutzern in hohen Tönen von Jobs. Schließlich kennen sie ihn primär durch seine Auftritte bei Apple-Produktpräsentationen, beziehungsweise von den
Keynotes, wie sie letztlich getauft wurden. Und da präsentierte sich Jobs dank Showmanship und Selbstvermarktungstalent so, wie er sich selber sah: Als Maestro der Digitaltechnologie und des Designs. Wenn nicht gar als personifizierter Wegweiser der Menschheit in eine neue Zeitrechnung.

Deswegen ist es Geniestreich und äußerst kniffliges Unterfangen zugleich, dass Steve Jobs all diese bedeutenden Eckpunkte rund um seine 2011 verstorbene Titelperson konsequent vereint: Der langjährige Apple-CEO wird von Drehbuchautor Aaron Sorkin (The West Wing, The Social Network) und Regisseur Danny Boyle (Slumdog Millionär, 127 Hours) als Despot und Held dargestellt, darf sich als Vordenker feiern und Dickschädel beschimpfen lassen. Und all dies in drei stilistisch strikt getrennten Akten, die allesamt die letzten Minuten vor einer aufwändig gestalteten Produkteinführung repräsentieren. Mit dieser Vorgehensweise erfasst die in den USA gefloppte 30-Millionen-Dollar-Produktion die Essenz seiner hier porträtierten Hauptfigur. Es geht nicht um historische Genauigkeit – es werden unternehmerische und charakterliche Entwicklungen zusammengerafft, Aussagen zugespitzt und Running Gags erschaffen. Aber durch die narrative wie inszenatorische Stilisierung erweckt Steve Jobs, anders als viele andere Biopics, auch gar nicht erst den Anschein, schlicht eine Faktensammlung zu sein.

Sorkin und Boyle streben nach einer packenden, geistreichen und kurzweiligen Interpretation Jobs'. Ein so ambitioniertes Ziel könnte anhand diverser Kleinigkeiten scheitern – sei es ein zu sklavisches Orientieren an Jobs' echten Gestus, wodurch der Hauptdarsteller in seiner Performance behindert wird. Oder ein zu theatrales Herunterbrechen der realen Eckdaten und Manierismen auf die Bedürfnisse des Films, so dass die Figuren nicht mehr glaubwürdig wirken. Oder alternativ ein Übermaß an Informationshalden, die den Plot ausbremsen, um selbstgefällig den Kinobesuchern vorzuführen, wie viel Recherche die Filmemacher betrieben haben.

All diese Stolpersteine vermeidet dieses Ausnahme-Biopic jedoch mit konsequenter Leichtfüßigkeit. Überhaupt erstaunt es, wie behände und mit welch mitreißendem Tempo Boyle das vielschichtige, eloquente Skript auf die Leinwand bringt. Der Oscar-Preisträger nutzt sein Händchen für entfesselte, kinematografische Energie, indem er Informationen und Stimmungen audiovisuell so unterbringt respektive kreiert, dass sie dem von Wortwitz, Metaphern und tiefgehenden Monologen gespickten Drehbuch nicht im Weg stehen.

Der erste Akt, der 1984 kurz vor der Präsentation des Macintosh spielt, ist etwa in grobkörniger 16mm-Qualität gefilmt. Mit dem harschen Kontrast und dem altmodisch-grieseligen Look dieses Akts wird nicht nur markiert, in welcher Zeit er spielt – diese Ästhetik verleiht den ersten Steve Jobs-Minuten auch einen jugendlichen Leichtsinn. Die Optik steht stellvertretend für die Mischung aus Unerfahrenheit und großem Willen, der an den technischen Möglichkeiten scheitert, die Jobs in diesem Akt ausmacht.

Der zweite Akt ist im traditionellen 35mm-Format gedreht, und kommt entsprechend graziös und cineastisch daher – gepaart mit dem Filminhalt (Jobs stellt 1989 die Demo seines Soloprojekts NeXT vor, das er nach seinem Apple-Rausschmiss anpackte) und den stilvoll-aggressiven Rottönen des Schauplatzes wird die Stimmung einer überlebensgroßen Rachestory geschaffen. Der letzte Akt ist dagegen mit einer Alexa-Digitalkamera gedreht, hievt Steve Jobs also ins Heute. Klare, gedämpfte Farben und facettenreiche Weiß-, Grau- sowie Blautöne unterstreichen, dass die Welt, wie Jobs sie sich vorgestellt hat, hereinbricht – und weil der heutige Kinogänger bestens an die Digitalästhetik gewöhnt ist, wird er auch nicht weiter unterschwellig vom Leinwandgeschehen distanziert. Da sich Jobs, dargeboten von einem atemberaubenden, mannigfaltigen Michael Fassbender, allmählich seiner Medienpersona annähert, wirkt der Wegfall dieser subtilen Hürde zwischen stilisierter Filmwelt und dem Publikum sogar doppelt intensiv.

Nicht nur Fassbender brilliert vor der ausdrucksstarken Kamera Alwin H. Küchlers: Das gesamte Ensemble ist perfekt besetzt und darf seine Stärken ausspielen, ohne dabei in gewohnte Schemata zu verfallen. Comedy-Star Seth Rogen begeistert als Computeringenieur Steve Wozniak, den eine Hassliebe zu Jobs verbindet und der in jedem Akt ein freundschaftlich gemeintes, doch stets ausartendes Streitgespräch mit dem Apple-Mitgründer sucht. Kate Winslet darf als Jobs' rechte Hand Joanna Hoffman würdevoll ihren trockenen Humor ausleben, Jeff Daniels und Michael Stuhlbarg geraten unterdessen auf gänzlich unterschiedliche Weise in schweißtreibende Machtkämpfe mit Jobs. Und Katherine Waterston als Chrisann Brennan meistert die schwere Aufgabe, eine von Sorkin geschriebene, instabile Ex-Frau zu spielen, ohne dabei ein Abziehbild abzugeben. Auch das Trio an Darstellerinnen der lang verleugneten Jobs-Tochter Lisa (Makenzie Moss, Ripley Sobo, Perla Haney-Jardine) manövriert sich löblich durch die gestochen scharfen Wortgefechte.

Untermalt wird all dies von einem wandlungsfähigen, ins Ohr gehenden Score von Daniel Pemberton (The Counselor), der stets genau den Tonfall der jeweiligen Szenen trifft, dezent überhöht, aber nie ins lachhaft Übertriebene zieht. Von simplen, kühlen Retro-Elektronikklängen zu energischen Opernarien hin zu kraftvollen, elektronisch unterstützen Symphoniesounds wie sie aus 80er-Filmen bekannt sind: Pemberton treibt dieses eh schon zügig erzählte Biopic mächtig an.

Erst in den finalen Minuten geraten Sorkins Drehbuch und Boyles Regieführung doch noch ins Stolpern. Einerseits, da der emotionale rote Faden in Form der komplizierten Beziehung zwischen Jobs und seiner Tochter auf den letzten Metern zum alles überschattenden Thema wird. Die Wandlung vom beiläufig behandelten Konflikts hin zum explizit verbalisierten Vater-Tochter-Anbandeln wirkt in der gebotenen Offensichtlichkeit zu konstruiert und  obendrein zu platt für diesen flinkzüngigen Film. Die emotional aufgeladene Inszenierung unterstreicht diesen Bruch leider zusätzlich. Da zudem die Zielgerade von Steve Jobs mit erzwungenen Vordeutungen um sich schmeißt, welche Produkte Jobs nach dem iMac noch präsentieren wird, verliert das Finale – gemessen am zuvor gebotenen, immensen Niveau –  an Brillanz und Eleganz.

Denn Jobs' Werdegang zum Erfolgsunternehmer ist in diesem Akt abgeschlossen, nach der Filmhandlung geht es nur noch bergauf, und auch seine vertrackte private Seite ist – zumindest auf der Leinwand – bereits stabilisiert. Der Mann wird im Film also schon zur (streitbaren) Legende – die Anspielungen auf den iPod, das iPhone und das iPad sind vor diesem Hintergrund nur banale, überoffensichtliche Anbiederungen ans Publikum, statt inhaltliche Bereicherungen. So, als wolle Sorkin dem Zuschauer in die Seite boxen: Na, na, du weißt, worum es nun geht, richtig? Toll, oder?!

Diese künstlerischen Patzer sind jedoch gerade einmal Schönheitsfehler in einem sonst rundum beeindruckenden Film. Denn Steve Jobs ist herausragend konstruiert und faszinierend gestaltet – also genau das, was auch der echte Steve Jobs von seinen Produkten verlangt hat. Womit Sorkin und Boyle dem Mann, den sie in ihrer rund zweistündigen Kinoarbeit in solch einem unvorteilhaften Licht darstellen, letztlich doch einen ehrfürchtigen Tribut zollen.

Fazit: Mit gewitzten und geistreichen Dialogen und einer starken audiovisuellen Präsentation sowie preisverdächtigen Performances ist Steve Jobs energiereich, smart und obendrein beseelter als jedes Apple-Produkt.

Dienstag, 12. April 2016

Macho Man


Kann man 2015 noch immer eine schlichte Culture-Clash-Komödie über die im Beziehungsleben bemerkbaren Unterschiede zwischen Deutsch-Türken und Deutschen drehen, so als befänden wir uns weiterhin in den frühen 90er-Jahren? Wie viel Sinn ergeben jetzt noch Komödien über schüchterne, emotionale Männer, die eiskalte Machos werden wollen? Nun, wo wir im Zeitalter der behutsam aufbrechenden Genderkategorisierungen leben und ein Männerbild pflegen, das Chauvinismus nicht weiter fördert? Diese Fragen lassen sich gewiss ewig lang ausdiskutieren, und je nachdem, wer an dieser Debatte teilnimmt, kann diese Unterhaltung sicherlich gehaltvollere Formen annehmen als die berüchtigten Hart aber fair-Sexismusausgaben.

Die Kinokomödie Macho Man hingegen bietet nicht genug Stoff, um ausführlich über sie zu debattieren. Die Weichei-wird-zum-harten-Kerl-Story mit einer zünftigen Dosis Culture-Clash-Humor mag rein theoretisch die eingangs erwähnten Fragen lostreten. Tatsächlich jedoch provoziert Macho Man einzig und allein eine Reaktion: Einen ständigen, schwer zu unterdrückenden Fluchtgedanken. Denn selbst der bodenständige Christian Ulmen und die selten ausreichend für ihr schauspielerisches Können gefeierte Aylin Tezel vermögen es nicht, diesem humoristischen Rohrkrepierer nennenswerte Pluspunkte zu entlocken. Die unglücklichen Implikationen, die Macho Man vor seinem meilenweit gegen den Wind stinkenden Ende in Sachen Genderpolitik und Integration aufwirft, sind da noch zu vernachlässigen. Denn darüber, ob diese Komödie nun Vorurteile schürt, kommentiert oder dekonstruiert, wird wohl kaum jemand nachdenken: Schließlich sind die qualitativen Schwachpunkte zu aufdringlich, als dass neben ihnen andere Aspekte von Macho Man von Belang wären.

Basierend auf dem gleichnamigen Bestseller von Moritz Netenjakob wird die Geschichte des Softies und Werbeschöpfers Daniel (Christian Ulmen) erzählt, dem sein gesamtes Umfeld keinerlei Erfolg bei den Frauen zutraut. Aus seinem jüngsten Türkeiurlaub kommt der chronische Single aber wider Erwarten glücklich verliebt zurück: Der FC-Köln-Fan und Sohn zweier urtypischer 68er-Eltern (Gitta Schweighöfer und Peter Prager) gewann das Herz der goldigen und geduldigen Deutsch-Türkin Aylin (Aylin Tezel), die als Animateurin arbeitet und genau wie er in der Domstadt am Rhein lebt. In den Augen von Daniels Arbeitskollegen (Axel Stein, Inez Bjorg David, Vladimir Burlakov) kündigt sich der Super-GAU an, sobald Aylin in ihre rheinische Heimat zurückfliegt: Nun wird der Duckmäuser und Frauenversteher nämlich die Familie seiner Angebeteten kennenlernen, und wie doch jeder weiß, pflegen Türken strenge, archaische Bilder der Geschlechterrollen. Da hat der untrainierte, reflektierte Daniel doch keine Chance! Also lässt er sich von Aylins Bruder Cem (Dar Salim) zum durchsetzungsfähigen, selbstbewussten und selbstverliebten Macho ausbilden. Die traditionsbewussten Schwiegereltern in spe (Lilay Huser und Vedat Erincin) sind beeindruckt …

Softies gegen Machos, spröde deutsche Weltsicht gegen mit Inbrunst gelebte, deutsch-türkische Kultur: Das alles wurde bereits rauf und runter analysiert, parodiert und relativiert. Sowohl dramatisch als auch komödiantisch. Die Filmvariante des Comedy-Romans Macho Man hat nichts mehr zu bieten, was nicht schon mit schärferer Beobachtungsgabe und größerem Einfallsreichtum an anderer Stelle, etwa in der Serie Türkisch für Anfänger, durchgekaut wurde. Dass die hölzern von Christof Wahl inszenierte Komödie in ihren stellenweise vollkommen planlos arrangierten Bildern nur altbekannte Klischees aneinanderreiht, ist schon Grund genug, Macho Man links liegen zu lassen. Immerhin hat man die Story schon zig Mal gesehen – und kann sie in zig weiteren, besseren Varianten noch einmal erleben.

Dass dieser vom Verleih aus gutem Grund mehrfach verschobene Reinfall obendrein keinerlei Esprit hat, wenn es darum geht, seine Gags runter zu leiern, macht den erhofften Filmgenuss aber endgültig zum Verdruss. Cutter Philipp Schmitt schafft es auch mit regelmäßigem Schnittgewitter nicht, dem zähen Geschehen einen Rhythmus zu verleihen, und Regiedebütant Christof Wahl fällt in der Bildgestaltung so manch fragwürdige Wahl. Da werden Axel Stein, Inez Bjorg David und Vladimir Burlakov gelegentlich wie an der Stange aneinander drapiert, während sie einem ungewohnt schwunglosen Ulmen lauschen. Leerläufe werden durch nichtssagende Totale kaschiert und Aylin Tezels Gesicht ist so häufig im Close-up zu sehen, dass man sich als Zuschauer irgendwann wie ein aufdringlicher Fan fühlt, der seinem Idol beängstigend nahe rückt.

Zu allem Überfluss verzettelt sich diese Parade an verkorksten Kalauern auch noch in ihrer Erzählweise: Nach einem extra ausführlichen Einstieg, der Daniels und Aylins Kennenlernen schildert, findet die Geschichte kurz das richtige Tempo, als sich Warmduscher Daniel aufgrund seiner mangelnden Kantigkeit nervös machen lässt. Die Wandlung vom Möchtegern- zum Vollblut-Macho erfolgt danach jedoch mit halsbrecherischer Geschwindigkeit, woraufhin die Story alberne Kapriolen schlägt und obendrein Tezel aus dem Fokus verschwindet. Ohne Tezels Charisma und der von ihr gespielten, auf zwei Beinen wandelnden Motivation für Daniel, sich zum Lackaffen machen zu lassen, nimmt Macho Man geradezu schmerzhafte Züge an. Ulmen hampelt übertrieben chauvinistisch über die Leinwand, ohne dass das neue Ich seiner Rolle überzeugt oder wahlweise mit parodistischer Raffinesse auftrumpft – stattdessen ist Fremdscham pur angesagt. Jedenfalls so lange, bis das keinerlei Gewitztheit bietende, von Überraschungen befreite Ende herein poltert und ein dröges Gefühl der Gleichgültigkeit mit sich bringt.

Sucht man in diesem von einem eintönigen, hämmernden und aufgesetzten Soundtrack geplagten Totalausfall händeringend nach Pluspunkten, so könnte man (von der mühevoll gegen die Klischees anspielenden, doch gewaltig unterforderten Tezel abgesehen) höchstens Samuel Finzi nennen. Sein brüllender, opportunistischer Werbeagenturchef mag zwar genauso überzogen und ideenlos sein wie der Rest des Films, aber Finzi spielt dies in seinen wenigen Szenen ansatzweise selbstironisch. Für einen Lacher reicht das zwar längst nicht, allerdings lässt es sich über ihn schmunzeln, während Macho Man einen sonst nur aufstöhnen lässt. Nicht vor lauter Erfüllung, sondern vor Verlangen, dass es endlich aufhört.

Fazit: Gags, die ins Nichts verpuffen, schwammige Figuren und Klischees, die schon in den 90ern ausgedient haben: Macho Man erzeugt keine Lust, sondern lediglich Frust.

Samstag, 9. April 2016

The Walk


„Ich habe den Abgrund gesehen … und bin einen Schritt weiter gegangen!“ Nur wenige Menschen können dies von sich behaupten. Und noch weniger Menschen können von sich behaupten, dies wortwörtlich zu meinen und dabei ehrlich zu sein. Philippe Petit aber hat einen über 400 Meter tiefen Abgrund erblickt. Und ihn dann zu Fuß überquert. Seine Geschichte ging daraufhin rund um den Globus und inspirierte Millionen von Menschen. Und gab den Einwohnern von New York City den nötigen Schubs, um zwei überdimensionierte Bürogebäude lieben zu lernen: 1974 spannte der französische Artist ein Drahtseil zwischen den Twin Towers, um den spektakulärsten Drahtseilakt der Weltgeschichte zu begehen. Wann immer er gefragt wird, wieso er sich diesen lebensbedrohlichen Coup ausgedacht hat, hat er nur eine Antwort parat: Er musste es einfach tun. Es war seine Berufung als Künstler.

Auch Regisseur Robert Zemeckis folgte im Laufe seiner Karriere zwischenzeitlich halsbrecherischen Eingebungen. Was für Petit der Drahtseilakt zwischen den Türmen des World Trade Centers war, war für Zemeckis wohl das Wagnis, einen nicht unerheblichen Teil seiner Karriere der Produktion reiner Motion-Capturing-Filme zu widmen. Für Zemeckis machte sich das Risiko allerdings weitaus weniger bezahlt als für Petit. Der Polarexpress, Beowulf und Eine Weihnachtsgeschichte kamen beim Publikum bestenfalls durchwachsen an. 2012 kehrte der Spielberg-Lehrling endlich zum Realfilm zurück. Das Drama Flight erntete zwar keine lauten Lobeshymnen, wohl aber zumeist wohlwollende Reaktionen seitens der Kritiker und des zahlenden Publikums. Mit seiner Verfilmung von Petits großem Kunststück wagt sich Zemeckis nun aber nicht nur inhaltlich ein weiteres Mal in luftige Höhen. Dieses Mal erreicht der Regisseur auch qualitativ wieder beachtliche Sphären.

Womöglich liegt es daran, dass es sich bei The Walk um eine Herzensangelegenheit handelt. Denn als Zemeckis von Petits Geschichte hörte, so behauptet der Filmemacher, hatte er nur noch einen Gedanken: Ich muss einen Film darüber machen! Gut unterrichtete Filmfreunde wissen zwar, dass es mit der Oscar-gekrönten Produktion Man on Wire zwar bereits eine Dokumentation über Petits atemberaubendes Kunststück gibt. Allerdings kann ein Spielfilm reale Ereignisse auf ganz andere, ganz eigene Weise auf die Leinwand bringen. So auch bei The Walk: Während die geniale, zurecht gefeierte Dokumentation von James Marsh das Geschehen zwangsweise aus der Distanz betrachtet, versetzt Zemeckis' humorvolles Biopic das Publikum in Petits Schuhe. Und in viele andere Perspektiven: Im schwindelerregenden Finale gibt es Petits Kunststück von unten, von der Seite, von oben und aus der Sicht des Drahtseilkünstlers persönlich zu sehen.

Dank überzeugender Computereffekte, die nahtlos in reale Setbauten übergehen, und brillanter Verwendung der 3D-Technologie verschaffen Zemeckis und Kameramann Dariusz Wolski (Der Marsianer – Rettet Mark Watney) dem Kinogänger einen Anblick, der einem den Atem stocken lässt.  Es wäre allerdings nicht gerecht, diese 35-Millionen-Dollar-Produktion auf ihr famoses Finale zu reduzieren. Denn die Autoren Zemeckis und Christopher Browne illustrieren die Vorgeschichte des titelgebenden Kunststücks auf unerwartet spaßige Weise – sowie mit bemerkenswerter Leichtigkeit. Es werden durchaus Erinnerungen an den frühen Zemeckis wach, der Klassiker wie Forrest Gump oder die Zurück in die Zukunft verantwortet hat.  Schon die ersten Augenblicke des in den USA ungerechtfertigt gefloppten Films geben den Takt an:

In der Rolle von Philippe Petit spricht Joseph Gordon-Levitt direkt zum Publikum, während er auf der höchsten Plattform der Freiheitsstatue mit selbstzufriedenem, aber respektvollem Grinsen Straßenkünstlertricks fortführt. Dann nimmt der Mätzchen machende Petit, der vor Charisma fast schon trieft, den Zuschauer von dieser leicht surreal anmutenden Szene aus zurück zu seinen Anfängen als Artist im pittoresken Frankreich. Die Art mit der Gordon-Levitt alias Petit seinen Werdegang erzählt, gleicht fast schon einer modernen Fabel. Zemeckis unterstreicht diesen Tonfall, indem er Bilder entwirft, die mit einem Fuß in der Wirklichkeit stehen, aber märchenhaft zusammengestellt werden. Komponist Alan Silvestri stützt diese Herangehensweise mit einem verträumten, optimistischen Score.

So wird The Walk zu einer inspirierenden Parabel darüber, dass Künstler und Träumer ihren Ideen folgen sollen, die sie in ihrem tiefsten Inneren vernehmen und sich rational kaum erklären lassen. Entsprechend dieser Bilderbuch-Erzählweise sind die Figuren rund um Petit von exakt einem Charakterzug geprägt. Die Darsteller, darunter Ben Kingsley, Steve Valentine, James Badge Dale und Charlotte Le Bon, rattern ihre Performances allerdings nicht herunter, sondern eignen sich ihre schlichten Parts mit Vergnügen an.

Die Petit unterstützende Truppe sorgt mit pfiffigen Onelinern und flockiger Situationskomik zudem dafür, dass The Walk bei aller Fabelhaftigkeit viel von einer Heist-Komödie hat: Ein Team findet zueinander und heckt einen nahezu unmöglichen Plan aus – und als Zuschauer darf man schmunzelnd Mäuschen spielen. Die beschwingt-muntere Art von The Walk bringen Regie und Cast mit so bezirzender Behändigkeit rüber, dass die raren Versuche, Dramatik zu erzeugen und Petits Innenleben zu beleuchten, fast schon ein Dorn im Auge sind. Wenn Petit kurz vor seinem bedeutenden Tag keine Ruhe findet, ist das selbstredend plausibel, aber Zemeckis taucht diesen Moment in so viel Theatralik, dass er wie aus einem anderen Film entliehen scheint. Im Gegensatz zum mit Donnerschlägen und schattigem Licht gehüllten Moment des Zweifels ist der bittersüße Schluss gelungen – mit freundlicher Melancholie kennt sich Zemeckis ja auch aus. Statt nach Petits Akt auf die Tränendrüse zu drücken, zollt The Walk nur kurz, und trotzdem rührend der Historie ihren Tribut, ehe der Abspann beginnt.

Wer eine Charakerstudie, ein Zeitgeistporträt oder den in den ersten Trailern angedeuteten Abenteuerthriller erwartet, könnte vom wahren Gesicht enttäuscht sein, dass die Verantwortlichen The Walk gegeben haben. Als schelmisches Loblied auf künstlerische Antriebskraft und eine nur im notwendigsten Maß sentimentale Erinnerung an die Twin Towers ist Zemeckis 3D-Prachtwerk dafür äußerst empfehlenswert.

Fazit: Ein immens sympathischer Hauptdarsteller, eine vergnügliche Erzählweise, sehr gute Tricktechnik und ungeheuerlich gutes 3D machen The Walk zu einer inspirierenden Komödie mit dem Extra an schwindelerregenden Bildern.

Sonntag, 3. April 2016

Picknick mit Bären – A Walk in the Woods


Es gibt gute, mittelmäßige und schlechte Filme. Das dürfte als Selbstverständlichkeit gelten. Und dies ist der Maßstab, an dem sie üblicherweise gemessen werden. Wie gut ist das Drehbuch strukturiert, geben die Schauspieler solide Leistungen ab, wie schwach ist die Regiearbeit? Aber es gibt auch Filme, die sich nur problematisch auf dieser Skala einordnen lassen. Glücklicherweise gibt es kein Kino-Gesetzbuch, das uns dazu verpflichtet, für die Besprechung und Bewertung von Filmen eben diese Skala zu Rate zu ziehen. Picknick mit Bären ist eine dieser Produktionen, denen man mit der Frage „Gut oder schlecht?“ nicht gerecht wird. Denn dieser rüstigen Komödie mit Robert Redford und Nick Nolte ist weniger daran gelegen, handwerkliche und narrative Stärke auszuspielen. Stattdessen möchte die Adaption des gleichnamigen Buchs von Bill Bryson vor allem mit einer Sache punkten: Charme!

Im Mittelpunkt der unaufdringlichen Wanderkomödie steht Robert Redford. Der Leinwandveteran, der hier auch als Produzent tätig ist, spielt den unter anderem für seine Reiseliteratur bekannten Schriftsteller Bill Bryson. Dieser ist nach zwei Jahrzehnten, während derer er in Großbritannien gelebt hat, in seine alte Heimat New Hampshire zurückgekehrt. Eigentlich will er sich zur Ruhe setzen, aber ein katastrophal laufendes Fernsehinterview juckt den Autoren mehr, als er sich einzugestehen gewillt ist. Da er sich zudem in einem Alter befindet, in dem Beerdigungen von Bekannten und langen Weggefährten unvermeidlich geworden sind, wird Bill nachdenklich – und kommt letztlich zum Entschluss, sich noch etwas beweisen zu müssen: Er nimmt sich vor, den berühmten Appalachian Trail entlang zu wandern.

Bills Frau (köstlich in ihren wenigen Szenen: Emma Thompson) hält ihn aufgrund dieser Idee für irre, kann sie ihm aber nicht ausreden. Also stellt sie eine Bedingung auf: Bill darf diese Reise unternehmen – wenn er dabei von einem Freund begleitet wird. Bills Freunde lehnen jedoch allesamt dankend ab. Dann aber lädt sich Stephen Katz (Nick Nolte) selber zu diesem Abenteuer ein. Von dem hat sich Bill längst distanziert, und mit seinem starken Übergewicht, seiner lachhaften Kondition, seinen enormen Schulden, Gesetzeskonflikten und einstigen Alkoholeskapaden könnte er nicht ungeeigneter sein für diesen Trip. Doch Bill hat keine andere Wahl. Also raufen sich die beiden alten Eisen zusammen und begeben sich auf eine lange, harte Wanderung, die ihnen so manche ulkige Begegnung beschert …

Handwerklich ist Picknick mit Bären ein solider, unauffälliger Film: Kameramann John Bailey (Und täglich grüßt das Murmeltier) zaubert einige wunderschöne Landschaftsaufnahmen. Und er versteht es, das markante, charaktervoll-zerfurchte Gesicht Redfords ins rechte Licht zu rücken. Gleichwohl erinnert der von Bailey und Regisseur Ken Kwapis gewählte, statische Aufbau mancher Dialogszenen an typische „Wir gehen mal vor die Tür“-Episoden einiger 90er-Sitcoms. Dafür beweist der Regisseur ein achtbares Gespür für die Stärken seiner zentralen Darsteller. Die Musikbegleitung, sowohl in Form von Songs als auch in Form der Instrumentalkompositionen von Nathan Larson, erfüllt wiederum durchweg ihren Zweck: Ob Bill Bryson gerade nachdenklich, amüsiert oder von Wanderlust erfüllt ist – akustisch folgt stets eine passende Untermalung, doch nur selten ist diese so brillant, dass sie die betroffene Szene um ein Vielfaches verbessert.

Dramaturgisch gerät dieser gelassene Wohlfühlfilm in einige kleine Stolperfallen: Figuren und Konflikte werden eingeführt und verschwinden daraufhin aus dem Blick. Und wenn gegen Ende sentimentale Klänge angestimmt werden, deeskaliert die Situation urplötzlich. Teils sind diese „unfilmischen“ erzählerischen Eskapaden in der Vorlage begründet, die als Reisebericht leichter damit davonkommt, Beobachtungen aneinanderzureihen und beim ständigen Weiterziehen auch mal diverse Personen und Situationen hinter sich zu lassen. Zudem ist Bryson als süffisant humorvoller Autor bekannt, dessen Prosa dennoch gedankenversunken ist – dies hat auf dem Papier in Reiseberichten durchaus Vorrang vor einer konstruierten Dramaturgie. Auf der Leinwand führt es dagegen, streng genommen, zu losen Handlungsfäden und abrupten Verschiebungen des inhaltlichen Fokus.

Wie eingangs erwähnt, ist Picknick mit Bären aber kein Film, bei dem es ergiebig ist, so an ihn heranzutreten. Dass Nick Nolte nicht so wirkt, als würde er schauspielern, sondern vor der Kamera einfach er selbst sein und nur rein zufällig die handlungsrelevanten Stichwörter treffen, tut dem Sehgenuss keinen Abbruch. Im Gegenteil: Als exzentrischer, unartikulierter, körperlich von der Reise überforderter Stephen Katz ist Nolte eine immens unterhaltsame – etwas wirre – Naturgewalt. Und er hat eine großartige Chemie mit Robert Redford, der diesem Mix aus Situationskomik, körperlichem Witz und dezent sarkastischem „Zwei alte Haudegen suchen noch einmal das Abenteuer“-Humor Rückgrat und Würde verleiht, ohne dabei verknöchert zu wirken.

Allein das schon hat immensen Charme, und wenn Redford bei Begegnungen mit Verkäufern, anderen Wanderern und beleidigten Ehemännern gleichzeitig stoisch und verdattert dreinblickt, multipliziert sich die sympathische Ausstrahlung von Picknick mit Bären um ein Vielfaches. Dass die eindimensionalen, aber denkwürdigen Nebenrollen mit solchen Comedytalenten wie Kristen Schaal und Nick Offerman besetzt sind, ist da naturgemäß ein großer Pluspunkt. Und gerade angesichts der leichtgängigen Art dieses Galgenhumor-Wandertrips fällt es auch kaum ins Gewicht, wenn Redfords Interpretation von Bill Bryson in ihrer Nachdenklichkeit wiederholt jäh unterbrochen wird.

Um sich groß daran stören zu können, ist Picknick mit Bären einfach zu sympathisch. Was vielleicht daran liegt, dass Redford schon seit 1998 versucht, dieses Projekt in die Wege zu leiten und mit entsprechend viel Herzblut bei der Sache ist. Dass Robert Redford und Nick Nolte bereits in ihren 70ern sind, während das reale Wanderduo bei seiner Reise einst 44 Jahre alt war, mag eine schwerwiegende inhaltliche Änderung sein. Doch das Charisma, das der Film dadurch gewinnt, war es wert, solch einen „Besetzungsfehler“ zu tätigen.

Fazit: Die Wanderkomödie Picknick mit Bären hat wenig Gehalt, ist handwerklich bloß solide und ein nennenswertes Ziel hat diese Reise auch nicht. Aber: Junge, junge, diese Wanderung mit Redford und Nolte ist echt charmant geraten!

Black Mass



Gangstergeschichten sind eine der Säulen, auf denen das US-amerikanische Kino ruht. Egal ob rein fiktional, von realen Ereignissen inspiriert oder sehr eng an wahre Begebenheiten angelehnt: Erzählungen über Verbrechen haben nicht nur bereits Berge von Geld in die Kinokassen gespült, sondern obendrein dem filmischen Kanon diverse Meisterleistungen beschert. Weil es solche zeitlosen Klassiker wie GoodFellas, Scarface, die Pate-Reihe und The Departed gibt, muss sich jedes neue Gangsterdrama mit stattlichen Genrekonkurrenten vergleichen lassen. Diese übermächtigen Vorbilder machen sich insbesondere bei Filmen wie Scott Coopers Black Mass bemerkbar – also bei Produktionen mit sehr ernstem Tonfall sowie namhafter Darstellerriege und einer Storyline, wie sie schon mehrfach im Ganovenkino zu sehen war …

Boston im Jahre 1975: Der irischstämmige Gangster James „Whitey“ Bulger (Johnny Depp) ist verbissen dabei, sich in der Hackordnung der Unterwelt hoch zu arbeiten. Der einstige Kleinganove gräbt mit seinen Drogendeals der verfeindeten italienischen Mafia bereits viel Wasser ab. Doch um „die Spaghettifresser“ völlig aus dem Geschäft zu verdrängen, geht Bulger nach einigen Bedenken eine ungewöhnliche Allianz mit dem FBI ein: Dort hat sich sein Jugendfreund John Connolly (Joel Edgerton) eine respektable Position erarbeitet und schlägt nun vor, dass Bulger ihm wertvolle Informationen gegen die Mafia liefert. Zum Ausgleich gewährt Connolly seinem Furcht einflößenden Freund Immunität. Offiziell soll Bulger während des Deals mit der Bundespolizei vor Mord zurückschrecken, aber von dieser Abmachung hält er wenig. Das FBI hält trotzdem die Füße still, und so kämpft sich Bulger mit seiner Winter-Hill-Gang im ruchlosen Sumpf Bostons nach ganz oben …

Mit der altbekannten „Ruchloser Typ wächst von einer kleinen Nummer zum übermächtigen Gangsterboss heran, aber dann wird er ans Messer geliefert“-Handlung sucht Black Mass das Kräftemessen mit einigen der größten Crimedramen aus Hollywood. Dadurch legt sich die neue Regiearbeit des Crazy Heart-Machers Scott Cooper allerdings mit Gegnern an, die ihr weit überlegen sind. Dabei ist die 53 Millionen Dollar teure Produktion nicht einmal schlecht – sie wirkt bloß direkt neben ähnlich gelagerten Giganten weitaus weniger imposant. Dies liegt vor allem im uninspirierten Drehbuch begründet. Die Autoren Jez Butterworth und Mark Mallouk verleihen ihrer Nacherzählung von Bulgers Aufstieg kein narratives Momentum: Es fehlt über weite Strecken an einer spürbaren Bedrohung – sei es für Bulger oder das FBI. Genauso wenig nutzt das Autoren-Duo die ausufernde Macht Bulgers, um eine eskalierende Dramaturgie zu erschaffen. Da Butterworth und Mallouk dennoch ein Händchen für packende Dialoge haben, weiß Black Mass wohl gemerkt durchaus, mit einem Gros seiner Sequenzen zu packen. Mangels ausgefeilter, das Gesamtwerk zusammenhaltender Narrative entsteht daher eine interessante, wenngleich unkoordinierte Unterwelt-Nummernrevue.

Die Regieleistung Coopers ändert nur wenig daran, wie die Story von Black Mass rüber kommt. Inszenatorisch lässt sich das Schaulaufen solcher Mimen wie Benedict Cumberbatch, Kevin Bacon, Jesse Plemons, Corey Stoll, Dakota Johnson, Julianne Nicholson und Peter Sarsgaard (die allesamt in ihren wenigen Szenen grundsolide Performances abgeben) nämlich als adäquat beschreiben. Cooper weiß, mit seinem Kameramann Masanobu Takayanagi (Silver Linings) durch dunkle, ausgebleichte Bilder eine karge Atmosphäre zu kreieren. Und er verlässt sich erfreulicherweise wiederholt darauf, den ausdrucksstarken, mitunter auch willkommen-dubiosen Minenspielen seines Casts das Reden zu überlassen, statt jedes Detail auszuformulieren oder durch hölzerne visuelle Metaphorik zu untermauern. Gleichwohl bedient sich Cooper an einem sehr überschaubaren Vokabular an Bildeinstellungen, was den Filmkenner auf Dauer ermüdet und den Gelegenheitszuschauer unterbewusst auf Abstand hält.

Dass Black Mass dessen ungeachtet nicht in die Beliebigkeit abrutscht, ist der Verdienst einer überragenden Darbietung von Johnny Depp: Der Fluch der Karibik-Frontmann und Tim-Burton-Dauerkollaborateur versinkt nämlich völlig in seiner Rolle. Und dies nicht nur aufgrund einer aufwändigen, durchgängig überzeugenden Maske – Depp verzichtet auf seine markanten Manierismen, um mit strengen Blicken und prägnanter Stimme eine bedrohliche, klischeefreie Persönlichkeit aufzubauen.

Obwohl Bulger auf dem Papier nur irgendein reue- und skrupelloser Unterweltboss ist, gelingt es dem Golden-Globe-Preisträger, diesem lang gesuchten Gauner eine strenge, individuelle Note zu verleihen. Bulger kommt weitgehend ohne Gebrüll aus, ohne einschüchterndes Flüstern, ohne aggressive Gesten – und dennoch gehen seine Bewegungen und seine Mimik unter die Haut. Alles, was das Drehbuch versäumt, über den Menschen hinter Bulgers Strafregister zu sagen, kompensiert Depp mit einem einnehmenden, angesichts des Skripts unerwartet komplexen Spiel. Egal, ob er ein Verbrechen begeht, beim Abendessen sein Gegenüber linkt oder er angesichts persönlicher Tragödien die Nerven verliert: Depp gelingt es, Bulger zu einer seiner großartigsten Schauspielleistungen zu formen – und hebt so einen solide aussehenden, annehmbar geschriebenen, akustisch unauffälligen Film auf ein gutes Gesamtniveau!

Fazit: Ein brillanter Johnny Depp macht aus Black Mass trotz einer austauschbaren Story und Schwächen aufweisenden Inszenierung ein gutes Stück Gangsterkino.